Leitsatz (amtlich)
Eine dem Ingenieurberuf ähnliche Tätigkeit i.S. des § 18 Abs.1 Nr.1 EStG übt aus, wer Modelle erarbeitet, aus denen sich ergibt, daß betriebliche Vorgänge mit Hilfe von EDV-Anlagen bewältigt werden können, und wer eine Berufsausbildung vorweist, die der eines Ingenieurs vergleichbar ist (im Anschluß an das BFH-Urteil vom 4.August 1983 IV R 6/80, BFHE 139, 84, BStBl II 1983, 677).
Orientierungssatz
"Ähnlich" i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG ist eine Tätigkeit, wenn sie in ihrer Gesamtheit dem Bild eines Katalogberufs i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG mit allen seinen Merkmalen vergleichbar ist. Setzt der Vergleichsberuf eine qualifizierte Ausbildung voraus, muß bei dem ähnlichen Beruf auch die Ausbildung vergleichbar sein (BFH-Rechtsprechung).
Normenkette
EStG § 18 Abs. 1 Nr. 1; GewStG § 2 Abs. 1
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Diplom-Mathematiker. Nach Abschluß seines Hochschulstudiums war er zunächst mehrere Jahre als Angestellter tätig. Während seiner Beschäftigung bei der Firma A wurde er im EDV-Bereich ausgebildet und betriebswirtschaftlich geschult. Nach Beendigung dieser Tätigkeit ließ er sich als selbständiger Unternehmensberater für Datenverarbeitung nieder. Sein Aufgabengebiet erstreckte sich im wesentlichen auf folgende Bereiche: Beratung und Problemanalyse, Rahmenorganisation, Detailorganisation, Ausarbeitung und Erstellung von Computerprogrammen und das Austesten dieser Programme. Seit dem Jahre 1974 war er als freier Mitarbeiter der B-GmbH beschäftigt; seine Tätigkeit bestand darin, Programmsysteme zu entwickeln, die ihrerseits beliebige Arbeiten über den Computer ausführen konnten.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) beurteilte nach einer Betriebsprüfung die Einkünfte des Klägers aus der Tätigkeit als Unternehmensberater als gewerbliche Einkünfte i.S. des § 15 des Einkommensteuergesetzes (EStG) und erließ dementsprechend für die Streitjahre 1971 bis 1976 Gewerbesteuermeßbescheide und Gewerbesteuerbescheide. Die Einsprüche hatten keinen Erfolg.
Mit der Klage machte der Kläger geltend, daß er Einkünfte aus selbständiger Arbeit i.S. des § 18 Abs.1 Nr.1 EStG erzielt habe. Er sei nicht nur vorbereitend für den Einsatz von elektronischen Datenverarbeitungsanlagen oder für die elektronische Bearbeitung neuer Aufgaben tätig gewesen; Schwerpunkt seiner Arbeit sei vielmehr die Entwicklung und Anfertigung mathematischer Modelle zur Lösung ausschließlich mathematisch zu beantwortender betriebswirtschaftlicher Fragestellungen gewesen. Seine Tätigkeit sei sowohl wissenschaftlicher Art als auch die eines beratenden Betriebswirts; zumindest sei sie diesem Beruf ähnlich.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) sei der EDV-Berater kein beratender Betriebswirt; er übe auch keinen Beruf aus, der diesem Beruf ähnlich sei. Ferner sei der Kläger nicht wissenschaftlich i.S. des § 18 Abs.1 Nr.1 EStG tätig geworden; eine praktische Berufstätigkeit werde nicht dadurch zu einer wissenschaftlichen, daß ihr ein abgeschlossenes Hochschulstudium zugrunde liege. Dies gelte auch für die ab 1974 zugunsten der B- GmbH ausgeübte Beschäftigung.
Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Revision. Er rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts.
Der Kläger beantragt, das FG-Urteil, die Einspruchsentscheidung vom 17.September 1979 sowie die Gewerbesteuermeßbescheide und Grunderwerbsteuerbescheide 1971 bis 1976 aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet.
1. Eine Betätigung ist keine gewerbliche i.S. des § 15 Abs.1 Nr.1 EStG, des § 2 Abs.1 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) und des § 1 Abs.1 der Gewerbesteuer-Durchführungsverordnung (GewStDV), wenn sie als Ausübung eines freien Berufs anzusehen ist. Nach § 18 Abs.1 Nr.1 EStG gehört zu den freiberuflichen Tätigkeiten die selbständig ausgeübte Berufstätigkeit der beratenden Betriebswirte und ähnlicher Berufe. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist beratender Betriebswirt, wer nach einem entsprechenden Studium oder nach einem vergleichbaren Selbststudium und praktischer Erfahrung mit den hauptsächlichen Bereichen der Betriebswirtschaft und nicht nur mit einem einzelnen Spezialgebiet vertraut ist und wer von dieser fachlichen Breite auch bei seiner praktischen Tätigkeit tatsächlich Gebrauch macht. In seinen Urteilen vom 27.Mai 1975 VIII R 199/73 (BFHE 116, 30, BStBl II 1975, 665), vom 28.Juli 1976 I R 63/75 (BFHE 120, 253, BStBl II 1977, 34) und vom 3.Dezember 1981 IV R 79/80 (BFHE 134, 565, BStBl II 1982, 267) hat der BFH entschieden, daß der Berater für Datenverarbeitung kein freiberuflich tätiger beratender Betriebswirt und seine Tätigkeit diesem auch nicht ähnlich ist. Er hat dies damit begründet, daß Fragen der Datenverarbeitung kein betrieblicher Hauptbereich, sondern ein Teilbereich des Verwaltungs- und Rechnungswesens seien; daraus hat er die Folgerung gezogen, daß die Beratung auf diesem Gebiet nur eine solche auf einem engen betrieblichen Sektor sei. Diese Rechtsprechung ist im Fachschrifttum (vgl. z.B. Grube, Steuer und Wirtschaft --StuW-- 1981, 44; Gast-de Haan, Steuerrechtsprechung in Karteiform --StRK--, Anmerkungen, Einkommensteuergesetz, § 18, Rechtsspruch 470) mit der Begründung auf Ablehnung gestoßen, die elektronische Datenverarbeitung erfasse inzwischen alle betrieblichen Bereiche (s. hierzu z.B. auch Gabler, Wirtschafts-Lexikon, 11.Aufl., Stichwort "Elektronische Datenverarbeitung"), so daß die Beratung auf diesem Gebiet eine "umfassende" Betriebsberatung darstelle und damit die Voraussetzungen des Begriffs des beratenden Betriebswirts i.S. des § 18 Abs.1 Nr.1 EStG erfüllt seien.
Der Senat braucht im Streitfall nicht zu entscheiden, ob diesen Bedenken Rechnung zu tragen und EDV-Berater allgemein in Abweichung von der früheren Rechtsprechung den Beruf eines beratenden Betriebswirts oder einen diesem ähnlichen Beruf ausüben. Denn die Tätigkeit des Klägers ist als eine dem Ingenieurberuf ähnliche Tätigkeit anzusehen und erfüllt damit unter diesem Gesichtspunkt die Voraussetzungen eines freien Berufs gemäß § 18 Abs.1 Nr.1 EStG. Aus diesem Grunde kann der Senat auch offenlassen, ob der Kläger wissenschaftlich i.S. des § 18 Abs.1 Nr.1 EStG tätig geworden ist.
2. "Ähnlich" i.S. des § 18 Abs.1 Nr.1 EStG ist eine Tätigkeit, wenn sie in ihrer Gesamtheit dem Bild eines Katalogberufs i.S. des § 18 Abs.1 Nr.1 EStG mit allen seinen Merkmalen vergleichbar ist (BFH-Urteil vom 18.Juni 1980 I R 109/77, BFHE 132, 16, BStBl II 1981, 118). Setzt der Vergleichsberuf eine qualifizierte Ausbildung voraus, muß bei dem ähnlichen Beruf auch die Ausbildung vergleichbar sein (BFH-Urteil vom 20.April 1972 IV R 7/72, BFHE 105, 370, BStBl II 1972, 615).
a) Aufgabe des Ingenieurs ist es, auf der Grundlage natur- und technikwissenschaftlicher Erkenntnisse und unter Berücksichtigung wirtschaftlicher Belange technische Werke zu planen, zu konstruieren und ihre Fertigung zu überwachen (Meyers Enzyklopädisches Lexikon, 9.Aufl., Stichwort "Ingenieur"). In dem Urteil vom 4.August 1983 IV R 6/80 (BFHE 139, 84, BStBl II 1983, 677) hat der BFH entschieden, daß ein selbständig tätiger Diplom-Informatiker, dessen Ausbildung der Berufsausbildung der Ingenieure vergleichbar ist, eine dem Ingenieurberuf ähnliche Tätigkeit i.S. des § 18 Abs.1 Nr.1 EStG ausübt, wenn er Systemanalysen erarbeitet, aus denen sich ergibt, ob gewisse betriebliche Prozesse mit Hilfe von EDV-Anlagen vollziehbar sind. Die im Bereich der EDV mit Systemanalysen betrauten Personen werden "Systemanalytiker", "Systemorganisatoren" oder auch "Systemingenieure" genannt (Gabler, a.a.O., Stichwort "Systemanalyse"). Unter "Systemanalyse" im Bereich der elektronischen Datenverarbeitung ist "die vorbereitende Tätigkeit für den Einsatz einer elektronischen Datenverarbeitungsanlage oder für die elektronische Bearbeitung neuer Aufgaben" zu verstehen; "sie umfaßt im allgemeinen Aufnahme und Darstellung des Istzustandes, dessen Analyse und die Ausarbeitung optimaler, systembezogener (an den Möglichkeiten und Besonderheiten der elektronischen Datenverarbeitung sich orientierender) Abläufe bzw. Aufgabenlösungen" (Gabler, a.a.O., Stichwort "Systemanalyse"). Zur Tätigkeit der Systemanalytiker gehören auch die "wichtigen vorbereitenden Organisationsarbeiten in Verbindung mit den Fachabteilungen" (Gabler, a.a.O., Stichwort "Datenverarbeitungspersonal").
Eine Tätigkeit in diesem Sinne hat der Kläger in den Streitjahren ausgeübt. Er ist nach den Feststellungen des FG im wesentlichen in der Weise tätig geworden, daß er Analysen darüber erstellte, wie betriebswirtschaftliche Fragen bei entsprechender betrieblicher Organisation durch Einsatz von Datenverarbeitungsanlagen zu bewältigen sind. Der Kläger hat unwidersprochen vorgetragen, daß der Schwerpunkt seiner Arbeiten die Entwicklung und Anfertigung mathematischer Modelle zur Lösung betriebswirtschaftlicher Fragestellungen gewesen sei. Ein solches Tätigwerden ist der Berufstätigkeit des Ingenieurs ähnlich, ohne daß es darauf ankommt, ob es sich bei den vom Kläger gefertigten Arbeiten --wie er vorträgt-- um die Entwicklung von Modellen mit besonderer mathematischer Qualität handelt. Dieses Ergebnis kann auch nicht dadurch in Frage gestellt werden, daß der Kläger neben der Erstellung von Systemanalysen noch zusätzlich die Computerprogramme entworfen und ausgewertet hat. Auch soweit der Kläger seit dem Jahre 1974 Programmsysteme erarbeitet hat, die ihrerseits beliebige Arbeiten über den Computer ausführen konnten, übte er einen dem Ingenieurberuf ähnlichen Beruf aus.
b) "Ähnlichkeit" i.S. des § 18 Abs.1 Nr.1 EStG setzt --wie bereits dargelegt-- weiterhin voraus, daß, falls der Vergleichsberuf eine qualifizierte Ausbildung erfordert, der Berufstätige eine vergleichbare Ausbildung vorweisen kann. Demnach muß die Ausbildung für den Beruf des Systemanalytikers der Ausbildung eines Ingenieurs entsprechen. Die Ausbildung zum Systemanalytiker erfolgt --außer in Fachkursen privater Anbieter-- heute auch in einem überwiegend mathematisch orientierten Studium der Fachrichtung "Informatik" an Hochschulen oder Fachhochschulen. Dieses Studium und sein Abschluß weisen durch den Bezug zum Mathematisch-Technischen eine deutliche Verwandtschaft zum Studium der Ingenieurwissenschaft auf.
Nach den Feststellungen des FG kann davon ausgegangen werden, daß der Kläger eine diesen Voraussetzungen entsprechende Berufsausbildung durchlaufen hat. Denn er hat das Hochschulstudium als Diplom-Mathematiker abgeschlossen und außerdem an Schulungen in der elektronischen Datenverarbeitung und Betriebswirtschaft teilgenommen. Gerade durch das Studium der Mathematik weist der Kläger eine mit dem Ingenieurstudium vergleichbar breite fachliche Vorbildung auf.
3. Da das FG-Urteil diesen Rechtsgrundsätzen nicht entspricht, konnte es keinen Bestand haben. Der Rechtsstreit ist nach den Tatsachenfeststellungen des FG spruchreif. Der Kläger hat einen freien Beruf i.S. des § 18 Abs.1 Nr.1 EStG ausgeübt und kann daher nicht zur Gewerbesteuer herangezogen werden. Die strittigen Gewerbesteuermeßbescheide und Gewerbesteuerbescheide sowie die sie betreffende Einspruchsentscheidung mußten somit ersatzlos aufgehoben werden.
Fundstellen
Haufe-Index 60730 |
BStBl II 1986, 15 |
BFHE 144, 413 |
BFHE 1986, 413 |
BB 1986, 50-50 (S) |
DB 1986, 206-206 (ST) |
DStR 1986, 89-90 (ST) |
HFR 1986, 62-62 (ST) |