Entscheidungsstichwort (Thema)
Kein Erlass von Nachzahlungszinsen auf ‐wegen unzutreffenden Steuerausweises‐ bis zur Rechnungsberichtigung geschuldete Umsatzsteuer
Leitsatz (NV)
- Die Festsetzung von Nachzahlungszinsen gemäß § 233a AO 1977 ist grundsätzlich rechtmäßig, wenn der Schuldner der Steuernachforderung Liquiditätsvorteile gehabt hat, weil er von der Zahlung der geschuldeten Steuer ‐ wegen unzutreffender Steuerfestsetzung ‐ vorerst "freigestellt" war.
- Ein solcher Liquiditätsvorteil kann auch darauf beruhen, dass unzutreffend ausgewiesene und damit gemäß § 14 Abs. 2 UStG geschuldete Umsatzsteuer (bis zur späteren Berichtigung) nicht abgeführt wurde. Eine rückwirkende Berichtigung der unzutreffend ausgewiesenen Steuer widerspräche dem Regelungszweck des § 14 Abs. 2 UStG. Für eine sachliche Unbilligkeit der Verzinsung von solchen Umsatzsteuernachforderungen ist kein Anhaltspunkt ersichtlich. Der im BMF-Schreiben vom 1. April 1996 (BStBl I 1996, 370) vorgesehene Billigkeitserlass für Nachzahlungszinsen bei fehlerhafter Endrechnung bezieht sich nur auf "derartige Fälle".
Normenkette
AO 1977 § 233a; UStG § 14 Abs. 2, § 17 Abs. 1
Verfahrensgang
FG Baden-Württemberg (EFG 2001, 197) |
Tatbestand
I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ―ein Kraftfahrzeughändler― hatte in den Streitjahren 1991 bis 1993 in seinen Ausgangsrechnungen für steuerfreie Ausfuhrlieferungen, für steuerfreie Lieferungen von Kfz an Abnehmer in anderen EG-Ländern ohne Umsatzsteuer-Identifikationsnummer und für Lieferungen trotz Anwendung des § 25a des Umsatzsteuergesetzes 1991 und 1993 (UStG) Umsatzsteuer in Rechnung gestellt. Bei Ermittlung dieses Sachverhalts durch eine Außenprüfung (1995) waren die Rechnungen noch nicht (ausreichend) berichtigt. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) setzte daraufhin in geänderten Bescheiden diese Beträge als nach § 14 Abs. 2 UStG geschuldet fest. Zugleich setzte das FA mit (verbundenem) Zinsbescheid auf die nacherhobenen Umsatzsteuerbeträge Nachzahlungszinsen gemäß § 233a der Abgabenordnung (AO 1977) fest (für 1991: 2 295 DM, für 1992: 363 DM und für 1993: 920 DM).
Der Kläger focht diese Bescheide nicht an, sondern beantragte Erlass der Zinsen im Billigkeitsweg. Zur Begründung berief er sich auf das Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 1. April 1996 IV A 4 -S 0460 a- 20/96 (BStBl I 1996, 370) zu Billigkeitsmaßnahmen bei Nachzahlungszinsen auf gemäß § 14 Abs. 2 UStG geschuldete Umsatzsteuerbeträge, wenn in einer Endrechnung die vor Ausführung der Leistung vereinnahmten Teilentgelte mit Umsatzsteuerbeträgen nicht abgesetzt oder angegeben seien und die Endrechnung erst in einem späteren Kalenderjahr berichtigt werde.
Das FA lehnte den Erlassantrag ab. Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) kam zu dem Ergebnis, die ablehnende Entscheidung des FA werde von dessen Erwägung getragen, der Zweck des § 233a AO 1977 ―die Abschöpfung von Liquiditätsvorteilen― gebiete nicht den Erlass, sondern stehe ihm entgegen. Den Liquiditätsvorteil sah das FG in der Möglichkeit, nach Ausstellung der Rechnungen mit Steuerausweis "über Mittel anders als durch Zahlung der ―nicht vorangemeldeten― Steuer zu verfügen". Die vom Kläger geltend gemachte entsprechende Anwendung des BMF-Schreibens lehnte das FG ab. Das FG-Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2001, 197 veröffentlicht.
Mit der (vom FG zugelassenen) Revision rügt der Kläger Verletzung von § 227 und § 233a AO 1977.
Das FG gehe irrig davon aus, er habe infolge der nachträglichen Steuerfestsetzung (1996) Liquiditätsvorteile erlangt. Denn § 14 Abs. 2 UStG sei eine rein formal-rechtliche Vorschrift, die an die Art der Ausstellung von Rechnungen anknüpfe. Da materiell-rechtlich die ausgewiesene Umsatzsteuer nicht geschuldet gewesen sei, habe er die Steuer von seinen Käufern auch nicht erhalten. Wäre die von den Käufern nie erhaltene Steuer ―obwohl materiell-rechtlich nicht geschuldet― abzuführen gewesen, wäre mit dieser Zahlung ein Liquiditätsnachteil eingetreten. Die Rechnungen seien gemäß § 14 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 17 Abs. 1 UStG berichtigungsfähig gewesen, so dass die Umsatzsteuer ab dem Zeitpunkt der Außenprüfung hätte erstattet werden müssen. So werde im Schrifttum abstrakt eine sachliche Unbilligkeit bei der Erhebung von Zinsen für Umsatzsteuernachforderungen angenommen, wenn die rückwirkende Berichtigung der Umsatzsteuer in dem Besteuerungszeitraum der ursprünglichen Rechnungsstellung unmöglich sei. Würde der nach dem BMF-Schreiben gebotene Billigkeitserlass in Fällen fehlerhafter Endrechnung nicht auf den vorliegenden Fall angewandt, läge eine nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlung vor. Auf den Erlass bestehe ein Anspruch (Urteil des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 12. April 2000 XI R 21/97, BFH/NV 2000, 1178).
Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung und die Einspruchsentscheidung aufzuheben und das FA zum beantragten Erlass der Nachzahlungszinsen zu verpflichten, hilfsweise, das FA zu verpflichten, ihn, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
Das FA tritt der Revision entgegen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision des Klägers ist unbegründet.
Gemäß § 227 AO 1977 können die Finanzbehörden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Zu diesen Ansprüchen gehören auch die Ansprüche auf steuerliche Nebenleistungen wie die Zinsfestsetzung im Streitfall (§ 37 Abs. 1 i.V.m. § 3 Abs. 3 AO 1977).
Die Entscheidung über eine Billigkeitsmaßnahme der Verwaltung ist eine Ermessensentscheidung, die gerichtlich nur in den durch § 102 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gezogenen Grenzen nachprüfbar ist. Die Nachprüfung der Erlassablehnung ist darauf beschränkt, ob die Behörde bei ihrer Entscheidung die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem ihr eingeräumten Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat.
Im Ergebnis jedenfalls hat das FG diesen Prüfungsmaßstab beachtet und revisionsrechtlich unangreifbar eine Verletzung des Ermessens verneint. Auf die Auffassung des FG, der im BMF-Schreiben in BStBl I 1996, 370 geregelte Fall der fehlerhaften Endrechnung trage den für die Finanzämter bindend vorgesehenen Erlass aus sachlichen Billigkeitsgründen nicht (FG-Urteil S. 7), braucht der Senat nicht weiter einzugehen.
Zutreffend gingen FG und FA aber davon aus, dass das BMF-Schreiben sich nur auf "derartige Fälle" bezieht, und nicht auf andere Gestaltungen "entsprechend anzuwenden" ist. Die Prüfung der angefochtenen Entscheidung durch das FG hinsichtlich der Beachtung der Wertung, die der Verzinsungsregelung des § 233a AO 1977 zugrunde liegt, ist ebenfalls nicht zu beanstanden.
Zweck der Vorschrift des § 233a AO 1977 ist es, einen Ausgleich dafür zu schaffen, dass die Steuern bei den einzelnen Steuerpflichtigen zu unterschiedlichen Zeitpunkten festgesetzt und fällig werden. Die Festsetzung von Zinsen nach der Vorschrift ist grundsätzlich rechtmäßig, wenn der Schuldner der Steuernachforderung Liquiditätsvorteile gehabt hat, weil er von der Zahlung der geschuldeten Steuer vorerst ―wegen unzutreffender Steuerfestsetzung― "freigestellt" war (vgl. BFH, Urteil vom 16. August 2001 V R 72/00, BFH/NV 2002, 545, m.N.). Einen solchen Liquiditätsvorteil des Klägers konnte das FG aufgrund des Umstands annehmen, dass der Kläger die in den Rechnungen unzutreffend ausgewiesene ―und damit gemäß § 14 Abs. 2 UStG geschuldeten― Umsatzsteuer (bis zur späteren Berichtigung) nicht abführte. Bis zur Berichtigung der Rechnungen nach § 14 Abs. 2 Satz 2 UStG i.V.m. § 17 Abs. 1 UStG schuldet der Kläger die unzutreffend ausgewiesene Steuer. Die Berichtigung ist gemäß § 17 Abs. 1 Satz 3 UStG für den Besteuerungszeitraum vorzunehmen, in dem die Änderung der Bemessungsgrundlage eingetreten ist. Die entsprechende Anwendung dieser Vorschrift auf die Berichtigung des Steuerbetrags bedeutet, dass diese Berichtigung erst "in ihrem" Besteuerungszeitraum vorzunehmen ist (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 2002, 545), nicht aber (rückwirkend) auf den der Rechnungsausgabe oder auf den für § 14 Abs. 2 UStG gesetzlich in § 13 Abs. 1 Nr. 3 UStG vorgeschriebenen Zeitpunkt der Steuerentstehung für die Leistung (vgl. Sölch/Ringleb, Umsatzsteuergesetz, § 14 Rz. 136). Eine rückwirkende Berichtigung der unzutreffend ausgewiesenen Steuer widerspräche dem Regelungszweck des § 14 Abs. 2 UStG. Für eine sachliche Unbilligkeit der Verzinsung von Umsatzsteuernachforderungen, "wenn die rückwirkende Berichtigung der Umsatzsteuer in dem Berichtigungszeitraum der ursprünglichen Rechnungserteilung unmöglich ist" (so der Kläger unter Berufung auf Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 233a AO 1977 Tz. 78) ist somit in Fällen der vorliegenden Art kein Anhaltspunkt ersichtlich.
Fundstellen
Haufe-Index 921368 |
BFH/NV 2003, 591 |
HFR 2003, 542 |