Entscheidungsstichwort (Thema)
Ausfuhrlizenz bildet mit Vorausfestsetzungsbescheinigungen für Ausfuhrerstattungen und WAB eine Einheit; Vertrauensschutz bei langjähriger gegen Gemeinschaftsrecht verstoßender Praxis
Leitsatz (amtlich)
1. Eine Ausfuhrlizenz bildet zusammen mit den in ihr enthaltenen Vorausfestsetzungsbescheinigungen für Ausfuhrerstattungen und WAB eine Einheit. Darf sie aufgrund einer nur die Vorausfestsetzung der WAB betreffenden Regelung nicht angenommen werden, so ist auch die Anwendung der Vorausfestsetzung für die Ausfuhrerstattung ausgeschlossen.
2. Eine gegen Gemeinschaftsrecht verstoßende Praxis einer Zollstelle begründet auch dann keine nach dem Grundsatz des Vertrauensschutzes für die Zukunft geschützte Rechtsposition des Betroffenen, wenn die Praxis langjährig war und die Zollstelle sie überraschend aufgegeben hat.
Orientierungssatz
1. Wegen des Vorrangs von Gemeinschaftsrecht vor nationalem Recht kann Gemeinschaftsrecht nicht deshalb unanwendbar bleiben, weil ihm der nationalrechtliche Grundsatz des Vertrauensschutzes oder der von Treu und Glauben entgegenstünde (vgl. BFH-Rechtsprechung). Der Grundsatz des Vertrauensschutzes ist aber auch Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung. Das Gemeinschaftsrecht unterscheidet nicht zwischen dem Grundsatz von Treu und Glauben und dem Vertrauensschutzprinzip (vgl. Literatur zum Unterschied beider Grundsätze im deutschen Recht). Der gemeinschaftsrechtliche Grundsatz des Vertrauensschutzes umfaßt auch Elemente des deutschen Grundsatzes von Treu und Glauben.
2. Die Ausfuhrerstattung für ein Mischsorbit (hier: Maissorbit und Zuckersorbit) ist so zu berechnen, als wäre das Mischsorbit nur aus dem Grunderzeugnis hergestellt worden, das bei der Herstellung überwiegend eingesetzt worden ist. Dazu ist es erforderlich, die Sorbite "hergestellt aus Stärkeerzeugnissen" und "hergestellt aus Saccharose" unter Anwendung der Vorschriften des GZT in die Nomenklatur des Anhangs C (zu VO (EWG) Nr. 3035/80 einzureichen. Überwiegt bei einem Mischsorbit das Maissorbit (Stärkesorbit), ist der Ausfuhrerstattung die gesamte Ausfuhrmenge des Mischsorbits nach Maßgabe des in Anhang C für Mais vorgesehenen Pauschalsatzes zugrunde zu legen. Die Ausfuhrerstattung ist nach dem Tagessatz (für Mais) zu berechnen.
Normenkette
EWGV 3035/80 Art. 3 Abs. 3; EWGV 3035/80 Anh C; EWGV 1160/82 Art. 5 Abs. 1-2, 4
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) stellt Mischsorbit her, indem sie aus Mais hergestellten Sorbit mit Sorbit, hergestellt aus Zucker, unter Zusatz von Mannit vermischt. Bei der Mischung wurden unterschiedlich hohe Anteile von Mais- und Zuckersorbit verwendet. Bei den streitbefangenen ausgeführten Waren betrug der Anteil Maissorbit stets mindestens 60 v.H. Von August 1982 bis September 1983 führte die Klägerin solche Mischsorbite in Drittländer aus. Den Versandzollstellen legte die Klägerin jeweils Lizenzen/Vorausfestsetzungsbescheinigungen vor, in denen die Ausfuhrerstattungssätze und die Währungsausgleichbeträge (WAB) für das Grunderzeugnis Mais und teilweise für das Grunderzeugnis Zucker im voraus festgesetzt waren. Die Versandzollstelle errechnete jeweils unter Berücksichtigung der Menge der ausgeführten Ware, des Mengenanteils des verwendeten Stärkeerzeugnisses Mais und Zucker und unter Verwendung des sich aus dem Anhang C der Verordnung (EWG) Nr.3035/80 (VO Nr.3035/80) des Rates vom 11.November 1980 (Amtsblatt der der Europäischen Gemeinschaften --ABlEG-- 323/27; Vorschriftensammlung der Bundesfinanzverwaltung --VSF-- M 3510) ergebenden Umrechnungsschlüssels die erstattungsfähige Menge der Grunderzeugnisse Mais und Zucker und schrieb diese jeweils auf den Vorausfestsetzungsbescheinigungen ab.
Die Klägerin beantragte beim Beklagten und Revisionskläger (Hauptzollamt --HZA--) regelmäßig die Gewährung von Ausfuhrerstattungen und WAB für Mais und Zucker unter Anwendung der vorausfestgesetzten Sätze. In den streitbefangenen Fällen folgte das HZA jedoch diesen Anträgen nicht, sondern setzte die Ausfuhrerstattungen auf der Grundlage der jeweiligen Tagessätze für Mais mit folgender Begründung fest: Die ausgeführten Mischsorbite seien in ihrer jeweiligen Zusammensetzung nach den Allgemeinen Tarifierungsvorschriften (ATV) 3b und 5 des Gemeinsamen Zolltarifs (GZT) als Sorbite aus Stärkeerzeugnissen zu behandeln. Das Grunderzeugnis Mais sei in diesen Fällen aber nicht hinsichtlich der Gesamtmenge von den Vorausfestsetzungsbescheinigungen abgeschrieben worden. Damit sei die Voraussetzung des Art.5 Abs.2 der Verordnung (EWG) Nr.1160/82 (VO Nr.1160/82) der Kommission über die Vorausfestsetzung der WAB vom 14.Mai 1982 (ABlEG L 134/22; VSF M 0920 a.F.) nicht erfüllt, so daß nach Art.5 Abs.4 VO Nr.1160/82 die Vorausfestsetzungsbescheinigungen nicht hätten angenommen werden dürfen. Die Einsprüche der Klägerin hatten keinen Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt und verpflichtete unter Änderung der angefochtenen Bescheide in Gestalt der Einspruchsentscheidungen das HZA, die Ausfuhrerstattung nach den für das Grunderzeugnis Mais im voraus festgesetzten Sätzen festzusetzen, soweit auf den Lizenzen/Vorausfestsetzungsbescheinigungen Maismengen abgeschrieben worden seien.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision des HZA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage.
1. Nach Gemeinschaftsrecht kann bei der Ausfuhr von Mais oder Zucker in Form von Sorbit eine Erstattung gewährt werden. Die VO Nr.3035/80 enthält die allgemeinen Regeln für die Gewährung von Erstattungen bei der Ausfuhr der in ihrem Anhang A genannten Grunderzeugnisse (u.a. Mais und Zucker) in Form von bestimmten Waren, die nicht unter Anhang II des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWGV) fallen. Zu diesen Waren gehören Sorbite der (früheren) Tarifst.29.04 C III und 38.19 T GZT. Sie sind in Anhang C zu VO Nr.3035/80 aufgeführt. Nach Art.3 Abs.3 Unterabs.1 i.V.m. Anhang C VO Nr.3035/80 wird die Erstattung aufgrund von pauschal festgesetzten Mengen an Grunderzeugnissen (Mais oder Zucker) gewährt.
2. Nach den Feststellungen des FG führte die Klägerin Mischsorbite, bestehend aus einem Gemisch von Mais- und Zuckersorbit --und hier vernachlässigbaren geringen Mengen von Mannit-- aus, in denen jeweils das Maissorbit mengenmäßig überwog. Bis zum 25.Mai 1983 ging das HZA bei der Gewährung der Ausfuhrerstattung von der "Komponentenlösung" aus, d.h. es zerlegte die Gemische gedanklich in ihre beiden Grunderzeugnisse Stärke und Zucker und gewährte der Klägerin eine Ausfuhrerstattung für das jeweils zur Herstellung des Stärke- und Saccharosesorbits eingesetzte erstattungsfähige Grunderzeugnis Mais oder Zucker (unter Berücksichtigung der in Anhang C zu VO Nr.3035/80 vorgesehenen pauschalen Mengen). Soweit für die Grunderzeugnisse Erstattungssätze vorausfixiert worden waren, legte das HZA diese Sätze bei der Berechnung für die jeweils entsprechend mengenmäßig abgeschriebenen Mengen zugrunde.
Mit Recht hat das HZA in den angefochtenen Erstattungsbescheiden diese "Komponentenlösung" nicht für vereinbar mit dem Gemeinschaftsrecht gehalten und die Ausfuhrerstattungen für das Mischsorbit nur noch nach der "Einheitslösung" gewährt, d.h. so berechnet, als wäre das Mischsorbit nur aus dem Grunderzeugnis hergestellt worden, das bei der Herstellung überwiegend eingesetzt worden ist (in allen streitbefangenen Fällen Mais).
Die maßgebende Erstattungsregelung ergibt sich aus Anhang C zu VO Nr.3035/80. Diese sieht keine Sonderregelung für Mischsorbite vor, sondern unterscheidet lediglich Sorbit "hergestellt aus Stärkeerzeugnissen" und Sorbit "hergestellt aus Saccharose". Um das auf Mischsorbite anwendbare Erstattungsregime festzustellen, war es also erforderlich, diese Sorbite in die Nomenklatur des Anhangs C zu VO Nr.3035/80 einzureihen. Das konnte nur unter Anwendung der Vorschriften des GZT geschehen. Denn für die Tarifierung der unter die Erstattungsregelung fallenden Erzeugnisse gelten u.a. die ATV des GZT --vgl. Art.18 Abs.1 der Verordnung (EWG) Nr.2727/75 - Marktorganisation Getreide, VSF M 02 09 -; Art.21 Abs.1 der Verordnung (EWG) Nr.1785/81 - Marktorganisation Zucker, VSF M 02 08 -; Art.1 Abs.1 VO Nr.3035/80--.
Die ausgeführten Mischsorbite bestanden zu 60 v.H. oder mehr aus Stärkesorbit. Da nach ATV 3b und 5 Gemische nach ihrem charakterbestimmenden Stoff zu tarifieren sind, fallen die ausgeführten Waren unter die Tarifstelle bzw. die entsprechende marktordnungsrechtliche Nomenklaturstelle, die für Sorbite, hergestellt aus Stärkeerzeugnissen, vorgesehen ist. Unter dieser Position sieht Anhang C zu VO Nr.3035/80 eine Erstattung nur auf der Grundlage von Mais vor. Dabei ist der Ausfuhrerstattung die gesamte Ausfuhrmenge des Mischsorbites nach Maßgabe des in Anhang C für Mais vorgesehenen Pauschalsatzes zugrunde zu legen. Falls das Mischsorbit teilweise aus Saccharosesorbit besteht, bleibt das also im Ergebnis unberücksichtigt.
3. Die angefochtenen Erstattungsbescheide entsprechen dieser Rechtslage. Sie sind entgegen der Auffassung des FG rechtlich auch nicht deswegen zu beanstanden, weil das HZA die Ausfuhrerstattungen nach dem Tagessatz (für Mais) berechnet hat und nicht nach den Vorausfestsetzungen in den Lizenzen/Vorausfestsetzungsbescheiden für Mais, die die Klägerin jeweils bei der Versandzollstelle vorgelegt und von dieser hat abschreiben lassen. Diese Lizenzen enthielten auch die Vorausfestsetzungen der Sätze für die WAB. Die Versandzollstelle durfte sie nach Art.5 Abs.4 VO Nr.1160/82 nicht annehmen und das HZA durfte sie daher bei der Festsetzung der Ausfuhrerstattungen nicht berücksichtigen.
a) Bezieht sich die Vorausfestsetzung wie hier auf ein Grunderzeugnis, das in Form von der Verordnung (EWG) Nr.3033/80 des Rates vom 11.November 1980 (ABlEG L 323/1, VSF M 02 60) unterliegenden Waren (z.B. Sorbite) ausgeführt wird und ist darin der WAB im voraus festgesetzt, so betrifft sie nach Art.5 Abs.1 VO Nr.1160/82 den auf die erwähnten Waren anzuwendenden WAB. Dieser vorausfestgesetzte WAB kann jedoch auf die Ware nur angewendet werden, wenn mindestens bei einem Grunderzeugnis die Gesamtmenge, für die die Ausfuhrerstattung gewährt werden kann, durch eine oder mehrere Lizenzen gedeckt ist (Art.5 Abs.2 Unterabs.1 VO Nr.1160/82). Andernfalls werden die betreffenden Lizenzen zur Erfüllung der Zollförmlichkeiten für die betreffenden Waren nicht angenommen (Art.5 Abs.4 VO Nr.1160/82).
b) Wie sich aus den Ausführungen unter Nr.2 ergibt, ist in allen streitbefangenen Fällen jeweils "Sorbit, hergestellt aus Stärkeerzeugnissen" ausgeführt worden. Nach Art.3 Abs.3 Unterabs.2 VO Nr.3035/80 war also bei der Berechnung des Erstattungsbetrages als Menge der eingesetzten Grunderzeugnisse pauschal die in Anhang C für solches Sorbit genannte Maismenge zu berücksichtigen. Sollte dabei nicht der Tagessatz, sondern ein vorausfestgesetzter Satz zugrunde gelegt werden, so mußte die genannte Maismenge insgesamt von der oder den entsprechenden Lizenz(en) abgeschrieben werden. Das ist aber in keinem der streitbefangenen Fälle geschehen. Es sind vielmehr jeweils nur die sich aus der "Komponentenlösung" ergebenden geringeren Maismengen abgeschrieben worden. Nach Art.5 Abs.4 VO Nr.1160/82 durfte also die die Ausfuhr überwachende Zollstelle die Lizenzen (mit allen darin enthaltenen Vorausfestsetzungen; vgl. die Ausführungen unter Buchst.c) nicht annehmen. Folgerichtig durfte dann aber auch das HZA als die für die Gewährung der Ausfuhrerstattungen zuständige Behörde diese Lizenz und die darin enthaltenen Vorausfestsetzungen bei der Festsetzung der Erstattung nicht berücksichtigen.
Daran ändert der Umstand nichts, daß die Versandzollstelle in Verkennung der Anforderungen des Gemeinschaftsrechts die genannten Lizenzen bei der Erfüllung der Ausfuhrförmlichkeiten nicht abgelehnt hat. Damit konnte sie die Entscheidung der zuständigen Behörde, des HZA, über die Gewährung der Ausfuhrerstattungen nur präjudizieren, falls ihr Verhalten über den gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes das HZA so zu binden vermochte, daß dieses zur Gewährung einer höheren Ausfuhrerstattung als im Gemeinschaftsrecht vorgesehen verpflichtet war. Das ist aber nicht der Fall, wie noch auszuführen sein wird (vgl. unten Nr.4).
c) Nicht zu folgen vermag der Senat der Auffassung der Vorinstanz, die Regelung des Art.5 VO Nr.1160/82 betreffe nur WAB und schließe infolgedessen die Anwendung der in der betreffenden Lizenz enthaltenen Vorausfestsetzungen für Ausfuhrerstattungen nicht aus. Das FG hat den Grundsatz der Einheit der Lizenz nicht genügend berücksichtigt.
Wie der EuGH mit Urteil vom 26.April 1988 Rs.316/86 (EuGHE 1988, 2213, 2234, Absatz 17 der Gründe) entschieden hat, lassen "sich die Ausfuhrlizenz als solche sowie die Vorausfestsetzung der Ausfuhrerstattung und des WAB nicht voneinander trennen ..., sondern (bilden) eine rechtliche Einheit". Der Senat folgt dieser Auffassung (vgl. auch Senatsurteil vom 11.Oktober 1988 VII R 126/81, BFH/NV 1989, 474). Er hält die Begründung des EuGH für zutreffend. Dieser hat (Absatz 15 der Gründe) auf den besonderen Zusammenhang der Vorausfestsetzung der Ausfuhrerstattung mit derjenigen der WAB ausdrücklich hingewiesen (vgl. auch Art.1 Abs.2 Buchst.b VO Nr.1160/82, und Senatsurteil vom 16.April 1985 VII R 61/82, BFHE 144, 86). Lizenz und Vorausfestsetzung sind nur ein einziges Dokument; beide sind nur durch eine einzige Kaution abgesichert (Absätze 14 und 15 der Gründe). Dem Wirtschaftsteilnehmer, der Vorteile aus dem System der Vorausfestsetzungen zieht, ist zuzumuten, Nachteile in Kauf zu nehmen, die sich aus der Regelung etwa wegen der Notwendigkeit, Mißbräuche zu verhindern, ergeben (Absatz 16 der Gründe).
Die Klägerin hält die Grundsätze des genannten EuGH-Urteils nicht für anwendbar, weil es dort in erster Linie um die Ausfuhr aus einem anderen als in der Lizenz angegebenen Mitgliedstaat gegangen sei. In der Tat ist der vorliegende Sachverhalt mit dem des genannten EuGH-Urteils nicht voll vergleichbar. Der EuGH hat aber seine Entscheidung zur Frage, ob die im Zusammenhang mit der Vorausfestsetzung des WAB ausgesprochene Gültigkeitsbeschränkung der Lizenz auf einen bestimmten Mitgliedstaat bei Ausfuhr aus einem anderen Mitgliedsstaat die Anwendung der in derselben Lizenz enthaltenen Erstattungsvorausfestsetzung ausschließt, mit dem Grundsatz der Einheitlichkeit der Lizenz (zusammen mit den Vorausfestsetzungen) begründet. Dabei hat er sich u.a. auf Art.1 und 2 der Verordnung (EWG) Nr.243/78 gestützt, die den Art.1 und 2 der hier anwendbaren Nachfolge- VO Nr.1160/82 entsprechen. Seinem Wesen nach kann der genannte Grundsatz der Einheitlichkeit nur allgemein gelten. Aus ihm muß daher die Folgerung gezogen werden, daß eine Regelung wie jene des Art.5 Abs.4 VO Nr.1160/82, wonach eine Lizenz bei Vorliegen bestimmter Gründe nicht angenommen werden kann, die Anwendung dieser Lizenz in vollem Umfange ausschließt, also auch hinsichtlich der in ihr enthaltenen Vorausfestsetzung für die Ausfuhrerstattungen.
4. Die Klägerin beruft sich auf den Grundsatz von Treu und Glauben. Das FG hat zu dieser Frage --von seinem Standpunkt aus zu Recht-- nicht Stellung genommen. Der Senat ist dennoch nicht gehalten, die Sache wegen dieser Frage an die Vorinstanz zurückzuverweisen. Die Feststellungen des FG reichen für den Senat aus, auch insoweit in der Sache selbst zu entscheiden. Soweit sich die Klägerin bei ihrer Berufung auf den Grundsatz von Treu und Glauben auf Sachverhalte stützt, die in der Vorentscheidung keine Grundlage finden, ist eine Zurückverweisung nicht erforderlich, weil diese Angaben --ihre Feststellung unterstellt-- nicht hinreichen, die Berufung auf den Grundsatz von Treu und Glauben zu rechtfertigen.
a) Im vorliegenden Fall geht es um die Anwendung von Gemeinschaftsrecht. Wegen dessen Vorrang vor nationalem Recht kann es nicht etwa bereits dann unanwendbar bleiben, wenn ihm der nationalrechtliche Grundsatz des Vertrauensschutzes oder von Treu und Glauben entgegenstünde (vgl. Urteile des Senats vom 4.Oktober 1983 VII R 82/80, BFHE 139, 325, 330 ff., und vom 16.Dezember 1986 VII R 19/84, BFH/NV 1987, 611, 612). Der Grundsatz des Vertrauensschutzes ist aber auch Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung und ist vom HZA zu beachten (vgl. EuGHE 1988, 2213, 2239). Das Gemeinschaftsrecht unterscheidet nicht zwischen dem Grundsatz von Treu und Glauben und dem Vertrauensschutzprinzip (zum Unterschied beider Grundsätze im deutschen Recht vgl. z.B. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 13.Aufl., § 4 AO 1977 Anm.50 bis 56). Der gemeinschaftsrechtliche Grundsatz des Vertrauensschutzes umfaßt auch Elemente des deutschen Grundsatzes von Treu und Glauben. Seine Beachtung zwingt jedoch das HZA im vorliegenden Fall nicht, der Klägerin Ausfuhrerstattungen in einer vom geschriebenen Gemeinschaftsrecht nicht vorgesehenen Höhe zu gewähren.
b) Mit Schreiben vom 25.Mai 1983 teilte die Verwaltung der Klägerin mit, die bisherige Berechnungsweise der Erstattung ("Komponentenlösung") sei mit Gemeinschaftsrecht nicht vereinbar; künftig werde nach der "Einheitslösung" verfahren, erteilte Bescheide würden aber nicht geändert. Die Klägerin trägt vor, damit sei die Verwaltung abrupt von einer mehr als zehnjährigen Übung abgegangen; sie hätte nach dem Grundsatz von Treu und Glauben diese Praxis zumindest noch in allen Fällen aufrechterhalten müssen, in denen zuvor Vorausfestsetzungsbescheinigungen erteilt worden seien. Dieser Auffassung ist nicht zu folgen.
Eine gegen das Gemeinschaftsrecht verstoßende Praxis eines Mitgliedstaates kann, wie der EuGH mit Urteil vom 15.Dezember 1982 Rs.5/82 (EuGHE 1982, 4601, 4615) entschieden und durch das Urteil in EuGHE 1988, 2213, 2239 bestätigt hat, "niemals eine gemeinschaftsrechtlich geschützte Rechtsposition begründen" (vgl. auch EuGH-Urteil vom 16.November 1983 Rs.188/82, EuGHE 1983, 3721, 3734). Dies gilt auch dann, wie sich ebenfalls aus dem erstzitierten EuGH-Urteil ergibt, wenn die Praxis langjährig war, sie überraschend aufgegeben wurde und von der Kommission niemals beanstandet worden ist. Nach dieser Rechtsprechung kommt es also nicht darauf an, ob der Betroffene im Vertrauen auf diese Praxis Dispositionen getroffen hat. Es ist daher für die Entscheidung im vorliegenden Fall ohne Bedeutung, ob die Klägerin durch die Art und Weise, wie sie vor der Änderung der Erstattungspraxis Vorausfestsetzungsbescheinigungen beantragt und ausgenutzt hat, im Vertrauen auf die bisherige Praxis nicht mehr rückgängig zu machende nachteilige Dispositionen getroffen hat.
c) Die vorschriftswidrige Annahme und Behandlung der Lizenzen/Vorausfestsetzungsbescheinigungen durch die Versandzollstelle konnte ein schutzwürdiges Vertrauen der Klägerin nicht begründen. Es ist schon fraglich, ob ein solches Verhalten einer nur mit den Ausfuhrförmlichkeiten befaßten Zollstelle überhaupt geeignet sein kann, das allein für die Entscheidung über die Erstattung berufene HZA zu binden. Jedenfalls aber fehlt diesem Verhalten der Versandzollstelle die erforderliche Nachhaltigkeit. Diese hätte nur vorgelegen, wenn die Klägerin daraus den Schluß hätte ziehen können, die Versandzollstelle habe in Kenntnis der durch Art.5 VO Nr.1160/82 aufgeworfenen Problematik eine bestimmte, für die Klägerin günstige Entscheidung treffen wollen. Daß das der Fall gewesen wäre, hat auch die Klägerin nicht vorgetragen.
Fundstellen
Haufe-Index 63361 |
BFH/NV 1990, 71 |
BFHE 161, 207 |
BFHE 1991, 207 |
BB 1990, 1832 (L) |
HFR 1991, 5 (LT) |
StE 1990, 323 (K) |