Entscheidungsstichwort (Thema)
(Fahrten zwischen Arbeitsstätte und dem Lebensmittelpunkt mit Unterbrechung an einer näher zum Arbeitsplatz gelegenen Wohnung als Werbungskosten - doppelte Haushaltsführung bei eheähnlicher Wirtschaftsgemeinschaft)
Leitsatz (amtlich)
Aufwendungen für Fahrten zwischen der Arbeitsstätte und der Wohnung, die den örtlichen Mittelpunkt der Lebensinteressen des Arbeitnehmers darstellt, sind auch dann Werbungskosten i.S. des § 9 Abs.1 Nr.4 EStG, wenn die Fahrt an einer näher zum Arbeitsplatz gelegenen Wohnung des Arbeitnehmers unterbrochen wird. Die Höhe der Werbungskosten bemißt sich in diesem Fall ausschließlich danach, wie weit die Arbeitsstätte von der Lebensmittelpunktwohnung des Arbeitnehmers entfernt liegt.
Orientierungssatz
Eine doppelte Haushaltsführung ist nicht schon gegeben, wenn ein Arbeitnehmer außerhalb des Ortes, an dem er seiner Beschäftigung nachgeht und auch wohnt, mit einem Partner eine eheähnliche Wirtschaftsgemeinschaft führt (vgl. BFH-Rechtsprechung).
Normenkette
EStG § 9 Abs. 1 Nrn. 4-5
Tatbestand
Der ledige Kläger und Revisionskläger (Kläger) arbeitete von 1971 bis Mitte Oktober 1978 in A als Bauingenieur. Anschließend war er arbeitslos. Ab März 1979 war er wiederum in A als Bauleiter nichtselbständig tätig. Am 13.Oktober 1978 meldete er sich mit zweitem Wohnsitz in A an, wo er eine 36 qm große Wohnung gemietet hatte. Den ersten Wohnsitz behielt er in B bei, wo er seit 1975 zusammen mit seinem Bruder Miteigentümer des elterlichen Wohnhauses war. An diesem Grundstück war der Mutter ein Nießbrauchsrecht eingeräumt, während die Brüder die Hausaufwendungen einschließlich der restlichen Tilgung zu tragen hatten.
Das Finanzamt A erkannte von den geltend gemachten Werbungskosten u.a. Fahrtkosten am Arbeitsort (228 x 8 km x 0,36 DM *= 657 DM) an. Dagegen versagte es den Abzug von Mehraufwendungen wegen einer doppelten Haushaltsführung, die der Kläger in Höhe von 17 165,60 DM (Wohnungsmiete am Arbeitsort 7 949 DM, Fahrtkosten 49 x 165 km x 2 x 0,57 DM *= 9 216,60 DM) als Werbungskosten geltend gemacht hatte. Nachdem der Kläger mit dem Einspruch vorgetragen hatte, er habe sich im Streitjahr an 186 Tagen in B aufgehalten, nahm der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt B --FA--) seine Zuständigkeit an und wies den Einspruch als unbegründet zurück.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage, mit der der Kläger weiterhin Werbungskosten aus Anlaß einer doppelten Haushaltsführung in Höhe von 17 165,90 DM geltend machte, mit der Begründung ab, es habe keine doppelte Haushaltsführung vorgelegen. Es sei schon zweifelhaft, ob der Kläger in B einen eigenen Hausstand gehabt habe oder ob es sich nicht vielmehr um den Hausstand der Mutter gehandelt habe, in den der Kläger aufgenommen worden sei. Die diese Zweifel begründenden Umstände legte das FG im einzelnen dar.
Jedenfalls scheitere eine doppelte Haushaltsführung daran, daß die Mutter keine finanziell abhängige Angehörige des Klägers gewesen sei. Sie habe nämlich eine Witwenrente von 746,70 DM monatlich bezogen und aufgrund des ihr eingeräumten Nießbrauchsrechts unter Freistellung von sämtlichen Hausaufwendungen keine Unterbringungskosten gehabt. Außerdem müsse berücksichtigt werden, daß sie von ihren Söhnen für die Nutzung deren Wohnungen nichts verlangt habe. Wer --wie der Kläger-- eine Wohnung unentgeltlich nutzen dürfe, könne sich nicht auf das dadurch verminderte Einkommen des Nutzungsüberlassenden berufen, wenn bei Ansatz einer ortsüblichen Miete eine finanzielle Abhängigkeit nicht gegeben wäre. Außerdem habe der Kläger die finanzielle Abhängigkeit seiner Mutter nicht konkret dargelegt, sondern lediglich erklärt, durch die gemeinsame Haushaltsführung sei der Mutter die Beibehaltung des gewohnten Lebensstandards ermöglicht worden.
Der Werbungskostenabzug hinsichtlich der Fahrtaufwendungen scheide ebenfalls aus. Denn bei den Fahrten zwischen B und A habe es sich nicht um solche zwischen Wohnung und Arbeitsstätte gehandelt. Der Kläger sei nämlich nach seinen eigenen Angaben arbeitstäglich von seiner Wohnung in A aus zur Arbeitsstätte gefahren.
Mit der Revision trägt der Kläger vor, die Feststellungen des FG, seine Mutter sei von ihm nicht finanziell abhängig gewesen, treffe nicht zu. Wenn schon "nichteheliche Gemeinschaften" für die Annahme einer doppelten Haushaltsführung genügten, müsse unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten (Art.3 des Grundgesetzes --GG--) gleiches erst recht bei gemeinsamer Haushaltsführung mit nahen Angehörigen gelten, wobei nicht so sehr auf die finanzielle Abhängigkeit abzustellen sei, als vielmehr darauf, wo der Mittelpunkt des Familienlebens liege.
Nach dem Ableben seines Vaters hätten die Mutter und die beiden Söhne das Grundstück geerbt. Da die Mutter nur eine monatliche Rente von damals 420 DM gewährt bekommen habe, habe sie sich an den notwendigen Instandsetzungen des Hauses nicht beteiligen können. Man habe deshalb die Übertragung des mütterlichen Anteils auf die Söhne vereinbart, damit die Söhne über einen auf dem Grundstück gesicherten Kredit die Instandsetzungs- und Umbauarbeiten finanzieren könnten. Das Nießbrauchsrecht zugunsten der Mutter sei dabei nur vorsorglich für den Fall vereinbart worden, daß die Söhne die Grundstückskosten nicht aufbringen könnten und das Haus zwangsversteigert werde. Die Nießbrauchsbestellung habe vereinbarungsgemäß nur dazu dienen sollen, das Haus der Familie zu erhalten. Die Mutter habe keine Mieten bekommen sollen, aber auch keine Grundstückskosten tragen müssen. Da die Mutter gegenüber den Söhnen keine Ansprüche gehabt habe, habe sie auch nicht auf Forderungen verzichten können. Nach dem Umbau des Hauses seien die elterlichen Möbel weitestgehend entfernt worden. Die Wohnung des Klägers sei mit einem Kostenaufwand von rd. 17 000 DM neu ausgestattet worden. Seine Mutter habe altershalber den Haushalt nicht mehr allein versorgen können, weshalb für die schweren Arbeiten eine Haushaltshilfe engagiert worden sei. Die Kosten hierfür habe der Kläger ebenfalls getragen.
Besitze ein Arbeitnehmer zwei Wohnungen, von denen er sich abwechselnd zu seiner Arbeitsstätte begebe, dann seien auch Kosten für Fahrten von der weiter entfernt liegenden Wohnung Werbungskosten, wenn diese den örtlichen Mittelpunkt des Lebensinteresses des Arbeitgebers darstelle (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 13.Dezember 1985 VI R 7/83, BFHE 145, 386, BStBl II 1986, 221). Im übrigen könne ein Arbeitnehmer, der neben der Familienwohnung am Arbeitsort eine weitere Wohnung gemietet habe, wählen, ob er die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte (§ 9 Abs.1 Nr.4 des Einkommensteuergesetzes --EStG--) oder die notwendigen Mehraufwendungen aus Anlaß einer doppelten Haushaltsführung (§ 9 Abs.1 Nr.5 EStG) als Werbungskosten ansetze (BFH-Urteil vom 9.Juni 1988 VI R 85/85, BFHE 154, 59, BStBl II 1988, 990). Wenn das FG schon nicht die mit der Klage geltend gemachten Werbungskosten in Höhe von 17 165,90 DM berücksichtigt habe, hätte es sich mit den in der Einkommensteuererklärung ausgewiesenen Werbungskosten in Höhe von 19 675 DM auseinandersetzen müssen.
Der Kläger beantragt, das streitige Urteil aufzuheben und in der Sache selbst zu entscheiden, hilfsweise, die Sache zur erneuten Verhandlung an das FG zurückzuverweisen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung. Dem Kläger sind zwar keine Werbungskosten aus Anlaß einer doppelten Haushaltsführung erwachsen. Es könnten jedoch Aufwendungen für Fahrten zwischen A und B gemäß § 9 Abs.1 Nr.4 EStG als Werbungskosten zu berücksichtigen sein.
1. Die Voraussetzungen einer doppelten Haushaltsführung lagen beim Kläger nicht vor. Da eine solche nicht schon gegeben ist, wenn ein Arbeitnehmer außerhalb des Ortes, an dem er seiner Beschäftigung nachgeht und auch wohnt, mit einem Partner eine eheähnliche Wirtschaftsgemeinschaft führt (BFH-Urteile vom 25.März 1988 VI R 32/85, BFHE 152, 533, BStBl II 1988, 582; vom 22.September 1988 VI R 53/85, BFHE 155, 77, BStBl II 1989, 293; vom 21.Oktober 1988 VI R 147/86, BFHE 155, 518, BStBl II 1989, 561, und vom 24.November 1989 VI R 66/88, BFHE 159, 150, BStBl II 1990, 312), erübrigt es sich, Erwägungen darüber anzustellen, ob unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten die Rechtsprechung bei vergleichbaren Sachverhalten neu zu überdenken sei. Der Senat braucht auch nicht abschließend darüber zu befinden, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Familienhausstand i.S. des § 9 Abs.1 Nr.5 EStG anzunehmen ist, wenn ein Arbeitnehmer mit anderen Personen als seinem Ehegatten oder einem Kind einen gemeinsamen Hausstand unterhält. Denn die Mutter war jedenfalls keine finanziell vom Kläger abhängige Angehörige, da sie neben ihrer Rente von monatlich knapp 750 DM infolge des ihr eingeräumten Nießbrauchsrechts das ganze Haus unentgeltlich hat nutzen können, wobei sie von sämtlichen Aufwendungen für das Haus, also insbesondere von der Verpflichtung zur Erhaltung des Grundstücks in seinem wirtschaftlichen Bestand (§ 1141 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches --BGB--) freigestellt war. Soweit das Revisionsvorbringen des Klägers den diesbezüglichen Feststellungen des FG widersprechen sollte, ist es unbeachtlich, weil hierzu zulässige und begründete Revisionsgründe nicht vorgebracht worden sind (§ 118 Abs.2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Da die Voraussetzungen des § 9 Abs.1 Nr.5 EStG beim Kläger nicht vorlagen, kommt auch ein Wahlrecht zwischen Werbungskosten nach dieser und nach anderen Vorschriften nicht in Betracht.
2. Wie der Kläger zutreffend ausführt, sind Aufwendungen eines Arbeitnehmers für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte gemäß § 9 Abs.1 Nr.4 EStG --sofern das eigene Kfz benutzt wird mit den Sätzen des § 9 Abs.1 Nr.4 Satz 2 EStG-- auch dann als Werbungskosten zu berücksichtigen, wenn der Arbeitnehmer zwei Wohnungen unterhält und es sich um die Fahrten zu der weiter entfernt liegenden Wohnung handelt, sofern diese den örtlichen Lebensmittelpunkt des Arbeitnehmers darstellt.
a) Die diesbezügliche Auslegung des § 9 Abs.1 Nr.4 EStG beruht auf der Erwägung, daß der Werbungskostenabzug für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte nicht entfällt, wenn ein Steuerpflichtiger seinen Lebensmittelpunkt in einer Entfernung vom Arbeitsplatz wählt, die die Bewältigung einer arbeitstäglichen Hin- und Rückfahrt nicht oder nur mit Mühe gestattet. Diese Auslegung trägt einerseits Praktikabilitätsgesichtspunkten Rechnung und entspricht zum anderen der Tendenz des Gesetzgebers, Schranken zu beseitigen, die der Mobilität der Arbeitnehmer entgegenstehen könnten (BFHE 145, 386, BStBl II 1986, 221).
b) Eine derartige auswärtige Lebensmittelpunktwohnung als Ausgangspunkt für Fahrten von und zur Arbeitsstätte i.S. des § 9 Abs.1 Nr.4 EStG ist auch dann anzuerkennen, wenn auf diesen Fahrten eine Unterbrechung an der näher zum Arbeitsplatz gelegenen Wohnung erfolgt. Denn auch in diesem Falle dient die Fahrt von der Lebensmittelpunktwohnung der Arbeitsaufnahme und ist somit beruflich veranlaßt. Gleiches gilt für die Rückfahrt, da § 9 Abs.1 Nr.4 EStG Hin- und Rückfahrt dem beruflichen Bereich zuweist (vgl. BFH-Urteil vom 20.Dezember 1982 VI R 64/81, BFHE 137, 463, BStBl II 1983, 306).
Die Tatsache, daß auf dem Weg von und zur Lebensmittelpunktwohnung auch die näher zum Arbeitsplatz liegende Wohnung aufgesucht wird, führt allerdings nicht dazu, daß die diesbezüglichen Fahrtkosten doppelt anzusetzen wären. Darüber hinaus ist, falls die Unterbrechung der Fahrt an der näher zum Arbeitsplatz gelegenen Wohnung zu einem Umweg führt, dem Umstand Rechnung zu tragen, daß § 9 Abs.1 Nr.4 Satz 2 EStG ungeachtet der tatsächlichen Fahrtumstände lediglich Entfernungspauschalen für die kürzeste benutzbare Straßenverbindung zum Abzug zuläßt. Dementsprechend sind, wenn Fahrten von und zur entfernter liegenden Lebensmittelpunktwohnung erfolgen, Werbungskosten nur in der Höhe zu berücksichtigen, die sich aus der Entfernung des Arbeitsplatzes von der Lebensmittelpunktwohnung unter Ansatz der Kilometerpauschalen ergibt.
c) Das FG wird nunmehr abschließende Feststellungen darüber zu treffen haben, ob sich der Lebensmittelpunkt des Klägers im Streitjahr in B befunden hat, wieviele Fahrten der Kläger dorthin unternommen hat und wie weit eine etwaige dortige Lebensmittelpunktwohnung des Klägers von seiner Arbeitsstätte entfernt lag.
Fundstellen
Haufe-Index 63796 |
BFH/NV 1992, 28 |
BStBl II 1992, 306 |
BFHE 166, 288 |
BFHE 1992, 288 |
BB 1992, 627-628 (L) |
DB 1992, 1122 (T) |
DStR 1992, 714 (KT) |
DStZ 1992, 280 (KT) |
HFR 1992, 353 (LT) |
StE 1992, 190 (K) |