Entscheidungsstichwort (Thema)
Grunderwerbsteuer/Kfz-Steuer/sonstige Verkehrsteuern
Leitsatz (amtlich)
Unbeschadet des für die Besteuerung von Gesellschafterdarlehen geltenden Grundsatzes, daß das Anlagevermögen regelmäßig durch Eigenkapital gedeckt sein muß, ist bei anlaufenden Betrieben besonders zu prüfen, ob der Kapitalbedarf nicht nur vorübergehend ist.
Normenkette
KVStG § 3 Abs. 1
Tatbestand
Die Klägerin ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Sie war im Jahr 1952 mit einem Stammkapital von 50.000 DM gegründet worden. Gegen Ende des Jahres 1958 erwarb ihre nunmehrige Mutterfirma alle Geschäftsanteile. Sie änderte die Firma der Klägerin und erhöhte deren Stammkapital alsbald auf annähernd 4 Mio DM und durch weitere Beschlüsse bis Ende 1961 auf 8 Mio DM, bis Ende 1962 auf 10 Mio DM. Auch die neuen Stammeinlagen übernahm die Mutterfirma.
Die Mutterfirma gewährte der Klägerin mehrfach Darlehen. Sie sind ausgewiesen in den Bilanzen zum 31. Dezember 1959 mit rd. 4,5 Mio DM, zum 31. Dezember 1960 mit rd. 6,7 Mio DM, zum 31. Dezember 1961 mit rd. 7,4 Mio DM und zum 31. Dezember 1962 mit rd. 5,8 Mio DM. Das Finanzamt (FA) war der Ansicht, diese Darlehen ersetzten in Höhe von rd. 4,4 Mio DM eine durch die Sachlage gebotene Kapitalzuführung. Dementsprechend hat es die Klägerin zur Gesellschaftsteuer herangezogen und deren Einspruch zurückgewiesen. Das Finanzgericht (FG) hat bei einer Besteuerungsgrundlage von rd. 4,3 Mio DM die Steuer herabgesetzt und die Berufung der Klägerin im übrigen zurückgewiesen.
Das FG ist davon ausgegangen, daß die Darlehen zum 31. Dezember 1961 über drei Jahre hinweg in einer Mindesthöhe von annähernd 6 Mio DM belassen worden seien und hat daraus - unter Beachtung der Umbuchungen auf das Stammkapital - geschlossen, daß die Darlehen zumindest mittelfristig gewährt worden seien. Es hat nicht für erwiesen gehalten, daß die Darlehen zu Investitionszwecken gewährt worden seien, hat die Darlehen aber deshalb als kapitalersetzend angesehen, weil ausweislich der Bilanzen nach den eingetretenen Verlusten das Eigenkapital der Klägerin deren Anlagevermögen am 31. Dezember 1961 bei weitem nicht mehr gedeckt habe.
Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung des materiellen Rechts. Mit der Aufklärungsrüge und weiteren Verfahrensrügen wendet sie sich gegen tatsächliche Feststellungen des FG.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Die tatsächlichen Feststellungen des FG tragen dessen Entscheidung nicht. Auf die Verfahrensrügen kommt es daher nicht an.
Gemäß § 3 Abs. 1 KVStG unterliegt der Gesellschaftsteuer die Gewährung von Darlehen an eine inländische Kapitalgesellschaft, wenn die Darlehnsgewährung eine durch die Sachlage gebotene Kapitalzuführung ersetzt; als Beispiele einer Kapitalzuführung sind Kapitalerhöhungen, weitere Einzahlungen und Zubußen genannt. Wann eine solche Kapitalzuführung notwendig ist, hat der BFH zunächst normativ nach der Auffassung eines vorsichtigen Kaufmanns bestimmt (Urteile II 56/52 S vom 7. Mai 1952, BFH 56, 468, BStBl III 1952, 181; II 201/52 U vom 4. März 1953, BFH 57, 327, BStBl III 1953, 129). In Erkenntnis der betriebswirtschaftlichen Problematik einer solchen Fragestellung (vgl. Urteil II 207/57 U vom 30. August 1962, BFH 75, 489, BStBl III 1962, 445 (448), hat der BFH später darauf abgehoben, ob nach Sinn und Zweck des KVStG eine Kapitalzuführung wirtschaftlich geboten erscheine und hat demnach grundsätzlich die volle Deckung des Anlagevermögens durch Eigenkapital gefordert (Urteil II 195/58 U vom 24. Januar 1963, BFH 76, 585, BStBl III 1963, 213 (215)). Diese Aussage kann jedoch nicht als eine ausnahmslos abschließende Umschreibung des gesetzlichen Tatbestandes verstanden werden; als solche wäre sie mit dem Wortlaut des § 3 Abs. 1 KVStG nicht zu vereinbaren (vgl. Urteile II 4/59 U vom 22. Mai 1963, BFH 77, 136, BStBl III 1963, 367; II 156/61 vom 28. Oktober 1964, HFR 1965 Nr. 54 S. 62). So hat der BFH Ausnahmen von dem aufgestellten Grundsatz anerkannt bei Unternehmungen, die ihrer Art nach eine besondere Struktur haben, wie Wohnungsbaugesellschaften (Urteil II 176/57 U vom 28. März 1962, BFH 74, 635, BStBl III 1962, 236) und andere Grundstücks- und Baugesellschaften (Urteil II 100/59 U vom 26. Oktober 1962, BFH 66, 22, BStBl III 1963, 9) sowie auf dem Gebiete des Schiffbaus (Urteil II 201/52 U vom 4. März 1953, BFH 57, 327, BStBl III 1953, 129); sie können aber auch bei anderen Unternehmen unter besonderen Umständen in Betracht kommen (Urteile II 4/59 U vom 22. Mai 1963, a. a. O.; II 156/61 vom 28. Oktober 1964, a. a. O.).
Aus den tatsächlichen Feststellungen des FG ist nicht zu ersehen, ob solche besonderen Umstände vorliegen. Da die Klägerin seit 1959 erheblich ausgebaut worden ist, können sie nicht von vornherein ausgeschlossen werden. Zwar muß das Eigenkapital grundsätzlich den Investitionsbedarf decken (Urteile II 156/57 U vom 1. August 1962, BFH 75, 560, BStBl III 1962, 472; II 207/57 U vom 30. August 1962, BFH 75, 489, BStBl III 1962, 445; II 195/58 U vom 24. Januar 1963, BFH 76, 585, BStBl III 1963, 213; II 262/60 vom 8. Mai 1963, HFR 1963 Nr. 349 S. 365); auch dieser Satz gilt aber nur nach Maßgabe des Gesamtbilds der wirtschaftlichen Verhältnisse (vgl. Urteil II 72/59 vom 26. Oktober 1962, HFR 1963 Nr. 140 S. 142). Dabei sind auch die besonderen Verhältnisse eines anlaufenden Betriebs zu berücksichtigen. Zwar bedürfen auch anlaufende Betriebe grundsätzlich einer Deckung des Anlagevermögens durch das Eigenkapital (Urteil des Senats II 100/60 vom 8. Mai 1963, HFR 1963 Nr. 348 S. 364); sie dürfen nicht von vornherein unzureichend kapitalisiert sein. Andererseits darf aber nicht gefordert werden, daß eine Firma bei ihrer Gründung oder Erweiterung in solchem Umfang mit Eigenkapital ausgestattet wird, wie sie es später gar nicht benötigt. Insoweit wird zwar in der Regel davon ausgegangen werden müssen, daß der deckungsbedürftige Wert des Anlagevermögens auch künftig erhalten bleibt (vgl. insoweit Urteil des Senats II 20/58 U vom 28. November 1962, BFH 76, 346, BStBl III 1963, 126). Trotzdem kann aber bei einem vorhersehbar raschen Strukturwandel eines anlaufenden Betriebs selbst bei vorsichtiger Beurteilung am Stichtag zu erwarten sein, daß ein gewisser Kapitalbedarf nur vorübergehend ist und in absehbarer Zeit aus den Erträgen abgedeckt wird.
Ob die bereits im Jahre 1952 gegründete Klägerin im maßgebenden Zeitpunkt als anlaufender Betrieb anzusehen ist oder einem solchen gleichsteht, läßt sich den tatsächlichen Feststellungen des FG nicht entnehmen. Die Erhöhung des Stammkapitals von damals 50.000 DM auf nicht ganz 4 Mio DM unter änderung der Beteiligungsverhältnisse im Jahre 1958 legt jedenfalls die Annahme nahe, daß ab 1959 die gesamte Geschäftsplanung der Klägerin auf eine neue Grundlage gestellt wurde. In der weiteren Entwicklung der Klägerin fällt auf, daß deren Alleingesellschafterin innerhalb von drei Jahren insgesamt nahezu 8 Mio DM, innerhalb von vier Jahren nahezu 10 Mio DM auf das Stammkapital eingebracht und überdies noch die oben angegebenen Darlehen dem Betrieb zugeführt hat; es kann nicht ohne weiteres angenommen werden, daß die dem zugrunde liegende Geschäftsplanung völlig falsch war. Es fragt sich somit, ob den buchmäßigen Verlusten nicht sichere - wenn auch nicht bilanzierungsfähige - Gewinnerwartungen gegenüberstanden. Eine kurze Zwischenfinanzierungslücke würde eine Kapitalzuführung noch nicht geboten erscheinen lassen (vgl. insoweit Urteil des Senats II 268/60 U vom 22. Mai 1963, BFH 77, 176, BStBl III 1963, 382). Es ist daher nicht auszuschließen, daß die der Besteuerung unterworfene Darlehnsgewährung in größerem oder kleinerem Umfang nicht der Besteuerung nach § 3 Abs. 1 KVStG unterliegt.
Nicht zutreffend ist insofern freilich der Standpunkt der Klägerin, die Kredite seien schon deshalb als kurzfristig zu behandeln, weil sie vertraglich als sofort fällige Forderungen bezeichnet worden sind. Das kann im Verhältnis des Alleingesellschafters zur Klägerin keine Rolle spielen, sofern nicht ernstlich an den baldigen Abruf dieses Geldes gedacht war (vgl. Urteil des Senats II 175/51 U vom 11. Juni 1952, BFH 56, 502, BStBl III 1952, 195). Die tatsächliche Würdigung, daß lange nicht abgerufene Gelder von vornherein zur langfristigen Anlage bestimmt waren, liegt nahe. Nach den allerdings angefochtenen Feststellungen des FG hätte die Alleingesellschafterin diese Darlehen nicht kündigen können, ohne die Klägerin zum Konkurs zu bringen.
Dazu hat jedoch das FG auf die tatsächlichen Verhältnisse vom 31. Dezember 1961 abgestellt, während die Darlehen früher gewährt wurden zu Zeitpunkten und unter Umständen, die nicht festgestellt sind. Für die gesellschaftsteuerrechtliche Beurteilung maßgebend ist indessen der Zeitpunkt der Darlehnsgewährung (Urteil des Senats II 4/59 vom 22. Mai 1963, a. a. O.; vgl. insoweit auch Urteil des Senats II 100/60 vom 8. Mai 1963, a. a. O.), mag auch im Einzelfall - aber nicht stets (vgl. Urteil des Senats II 60/59 U vom 18. Dezember 1963, BFH 78, 195, BStBl III 1964, 78) - in der Fortgewährung eines Darlehens eine neue Darlehnshingabe zu sehen sein. Der vom FG gewährte Mindestsaldo ist deshalb nur als Indiz, nicht aber als Grund für die Entstehung des Steueranspruchs wesentlich. Auch insoweit ist eine rechtliche Beurteilung nicht möglich ohne ergänzende tatsächliche Feststellungen.
Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben und die Sache unter übertragung der Kostenentscheidung (§ 143 Abs. 2 FGO) zu anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).
Fundstellen
Haufe-Index 412478 |
BStBl III 1967, 397 |
BFHE 1967, 349 |
BFHE 88, 349 |