Entscheidungsstichwort (Thema)
Zwangsläufigkeit von Aufwendungen einer unverheirateten Frau für künstliche Befruchtung (IVF)
Leitsatz (NV)
1. Aufwendungen einer unverheirateten Frau für IVF sind nicht zwangsläufig, wenn sie durch die zumutbare Inanspruchnahme anderweitiger Ersatzmöglichkeiten abgewendet werden können.
2. Ein Anspruch auf Übernahme der Kosten einer IVF gegen private Krankenversicherer wurde ‐ mit Ausnahme eines Urteils des LG Berlin ‐ ausschließlich verheirateten Versicherungsnehmern zugestanden. Eine Klage gegen die Ablehnung der Kostenübernahme durch den Versicherer war daher unzumutbar.
Normenkette
EStG § 33 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die 1967 geborene Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) erzielte im Streitjahr 2003 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Sie war ledig und lebte seit mehr als 10 Jahren mit ihrem Lebensgefährten zusammen. Wegen primärer Sterilität der Klägerin wurde zur Erfüllung des gemeinsamen Kinderwunsches eine In-vitro-Fertilisation (IVF) durchgeführt, die von der Ärztekammer nach vorheriger Einholung einer fachlichen Stellungnahme durch die IVF-Kommission befürwortet worden war. Dafür entstanden der Klägerin Aufwendungen in Höhe von 7 969,12 €. Von ihrem Dienstherrn erhielt sie eine Beihilfe, nach deren Abzug eine Belastung von 4 700 € verblieb.
Der private Krankenversicherer der Klägerin lehnte mit Schreiben vom 29. April 2003 eine Leistungsübernahme ab. Zur Begründung verwies er auf § 27a Abs. 1 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V), wonach Personen, die diese Maßnahmen in Anspruch nehmen wollen, miteinander verheiratet sein müssen.
Mit Bescheid vom 3. Mai 2004 setzte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) die Einkommensteuer fest, ohne die als außergewöhnliche Belastung geltend gemachten Aufwendungen in Höhe von 4 700 € zu berücksichtigen.
Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) schloss sich den Ausführungen im Senatsurteil vom 28. Juli 2005 III R 30/03 (BFHE 210, 355, BStBl II 2006, 495) an.
Nachdem der Senat seine Rechtsauffassung mit Urteil vom 10. Mai 2007 III R 47/05 (BFH/NV 2007, 1968, BStBl II 2007, 871) geändert und entschieden hat, dass Aufwendungen einer nicht verheirateten empfängnisunfähigen Frau für Maßnahmen zur Sterilitätsbehandlung durch IVF als außergewöhnliche Belastung abgezogen werden können, wenn diese in Übereinstimmung mit den Richtlinien der ärztlichen Berufsordnungen vorgenommen werden, streiten die Beteiligten nunmehr darüber, ob die Klägerin es unterlassen hat, anderweitige Ersatzmöglichkeiten auszuschöpfen.
Das FA meint, eine Klage gegen den privaten Krankenversicherer wäre aussichtsreich gewesen (Landgericht --LG-- Berlin, Urteil vom 24. Februar 2004 7 O 433/02, Recht und Schaden --RuS-- 2004, 203). Der Versicherer habe die Kostenübernahme zudem unter Hinweis auf den für das Versicherungsverhältnis nicht geltenden § 27a SGB V abgelehnt, der überdies verfassungsrechtlich zweifelhaft gewesen sei (Vorlagebeschluss des Sozialgerichts Leipzig vom 28. März 2003 S 8 KR 87/02, Zeitschrift für das gesamte Familienrecht --FamRZ-- 2004, 572, betr. § 27a SGB V; nachfolgend Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 28. Februar 2007 1 BvL 5/03, BVerfGE 117, 316).
Die Klägerin meint demgegenüber, ein Vorgehen gegen den Krankenversicherer sei wenig erfolgversprechend und wegen der hohen Kosten auch nicht zumutbar gewesen.
Sie beantragt, das FG-Urteil sowie die Einspruchsentscheidung aufzuheben und unter Änderung des Einkommensteuerbescheids 2003 die Aufwendungen in Höhe von 4 700 € als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet.
Die von der Klägerin getragenen Aufwendungen für die IVF waren zwangsläufig.
1. Die Einkommensteuer wird nach § 33 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes auf Antrag ermäßigt, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes erwachsen (außergewöhnliche Belastung). Aufwendungen einer empfängnisunfähigen Frau für Maßnahmen zur Sterilitätsbehandlung durch IVF, die in Übereinstimmung mit den Richtlinien der ärztlichen Berufsordnungen vorgenommen werden, können danach ohne Rücksicht auf ihren Familienstand als außergewöhnliche Belastung abziehbar sein (Senatsurteil in BFH/NV 2007, 1968, BStBl II 2007, 871).
2. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats sind Aufwendungen jedoch nicht zwangsläufig, wenn sie durch die zumutbare Inanspruchnahme anderweitiger Ersatzmöglichkeiten hätten abgewendet werden können (Senatsurteile vom 20. September 1991 III R 91/89, BFHE 165, 525, BStBl II 1992, 137;vom 18. Juni 1997 III R 84/96, BFHE 183, 476, BStBl II 1997, 805, und vom14. August 1997 III R 67/96,BFHE 183, 561, BStBl II 1997, 732; Senatsbeschluss vom 15. November 1999 III B 76/99, BFH/NV 2000, 697). Die Aussichten der Klägerin, von ihrem Versicherer eine Erstattung zu erlangen, waren jedoch äußerst gering.
a) Zwar trifft der Hinweis des FA zu, dass nach dem Urteil des LG Berlin in RuS 2004, 203 ein privater Krankenversicherer die Kosten von IVF-Maßnahmen auch bei einer in nichtehelicher Lebensgemeinschaft lebenden Frau zu tragen hat, weil für das Vorliegen einer Krankheit im Sinne der Versicherungsbedingungen allein maßgebend sei, ob nach ärztlicher Einschätzung ein anomaler Körper- oder Geisteszustand bestehe; dies sei bei einer organisch bedingten Sterilität der Fall.
b) Diese Entscheidung steht aber im Widerspruch zur übrigen Judikatur:
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in seinem Urteil vom 17. Dezember 1986 IVa ZR 78/85 (BGHZ 99, 228) ausgeführt, die Fortpflanzungsfähigkeit sei für Ehepartner, die sich in Ausübung ihres Selbstbestimmungsrechtes gemeinsam für ein eigenes Kind entschieden, eine biologisch notwendige Körperfunktion. Die nicht behebbare Unfruchtbarkeit bedeute oftmals für den sterilen Partner eine erhebliche Einschränkung seines Selbstwertgefühls und könne zu schwerwiegenden Konflikten zwischen den Ehepartnern bis hin zu seelischen Erkrankungen führen. Auch die organisch bedingte Sterilität als solche sei als regelwidriger Körperzustand einzuordnen. Die organbedingte Sterilität eines Ehepartners sei mithin als Krankheit im Sinne der Versicherungsbedingungen anzusehen, für welche die künstliche Befruchtung bei einem Ehepaar mit Eizellen und Samen der Ehepartner eine medizinisch notwendige Heilbehandlung darstelle.
Der BGH hat seitdem --soweit ersichtlich-- ausschließlich verheirateten Versicherungsnehmern einen Erstattungsanspruch zuerkannt (vgl. BGH-Urteile vom 3. März 2004 IV ZR 25/03, BGHZ 158, 166; vom 12. Juli 2006 IV ZR 173/05, FamRZ 2006, 1521 --Fortbestehen einer Krankheit, obwohl die Eheleute bereits Eltern eines gemeinsamen Kindes sind--, und vom 13. September 2006 IV ZR 133/05, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 2006, 3560 --Zusammentreffen von Fertilitätsstörungen beider Partner--).
Dem haben sich --mit Ausnahme des LG Berlin-- die Instanzgerichte angeschlossen (Oberlandesgericht --OLG-- Frankfurt, Urteil vom 22. Dezember 1989 24 U 338/88, NJW 1990, 2325; OLG München, Urteil vom 30. September 2003 25 U 3163/03, Versicherungsrecht --VersR-- 2005, 638; OLG Düsseldorf, Urteil vom 20. April 2004 4 U 135/03, I-4 U 135/03, VersR 2004, 1546; LG Oldenburg, Urteil vom 8. Mai 1990 1 S 621/89, NJW 1990, 2326; LG Köln, Urteil vom 21. Februar 2001 23 O 57/00, VersR 2001, 1373; Amtsgericht Köln, Urteil vom 11. Februar 2003 135 C 168/02, RuS 2004, 248).
c) Abgesehen von der hier maßgeblichen Rechtsprechung der ordentlichen Gerichte vermittelte die Rechtsordnung im Streitjahr den Eindruck, dass Fertilitätsbehandlungen durch IVF nur bei verheirateten Frauen gefördert werden sollten (vgl. für das Sozialversicherungsrecht § 27a Abs. 1 Nr. 3 SGB V; Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. November 2003 2 C 38/02, BVerwGE 119, 265 - Anspruch auf truppenärztliche Versorgung für IVF).
3. Da ein Anspruch auf Übernahme der Kosten einer IVF von der Rechtsprechung --mit Ausnahme des Urteils des LG Berlin in RuS 2004, 203-- ausschließlich verheirateten Versicherungsnehmern zugestanden wurde, war der Klägerin nicht zuzumuten, gegen die Ablehnung ihres Versicherers eine --nahezu aussichtslose-- Klage zu erheben. Dies gilt umso mehr, als eine Klageerhebung --anders als z.B. die Einlegung eines Widerspruchs gegen einen ablehnenden Verwaltungsakt-- mit erheblichen Kosten verbunden ist und auch erhebliche förmliche Anstrengungen erfordert.
Fundstellen
Haufe-Index 2010412 |
BFH/NV 2008, 1309 |