Entscheidungsstichwort (Thema)
Abgrenzung: Fahrten zwischen Wohnung und Betriebsstätte oder Fahrten zwischen zwei Betriebsstätten
Leitsatz (NV)
Befindet sich eine Betriebsstätte in unmittelbarer räumlicher Nähe zur Wohnung des Steuerpflichtigen, ist die Wohnung Ausgangs- und Endpunkt der Fahrten zu einer anderen Betriebsstätte, wenn die Betriebsstätte am Wohnsitz von der übrigen Wohnung nicht getrennt ist und keine in sich geschlossene Einheit bildet, wenn sich in der Wohnung nur ein häusliches Arbeitszimmer befindet oder wenn die Betriebsstätte am Wohnsitz nur untergeordnete Bedeutung hat (Zusammenfassung der Rechtsprechung).
Normenkette
EStG § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 6
Tatbestand
Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Die Klägerin ist als Sprachpädagogin freiberuflich tätig. Sie übte ihre Tätigkeit im Streitjahr (1989) an 238 Tagen in einem Krankenhaus in B aus. Daneben unterhielt sie im Kellergeschoß des von ihr und ihrem Ehemann bewohnten Einfamilienhauses in A eine Praxis, in der sie Krankenhaus-Nachsorge, Massagen bei Gesichtslähmungen und Therapie mit Vorschulkindern betrieb. Die Praxis besteht aus einem Behandlungsraum, einem Wartezimmer und einer Toilette für Patienten. Sie ist von den zur Wohnung der Kläger gehörenden Kellerräumen durch eine Zwischenwand baulich getrennt und hat einen separaten Eingang.
In ihrer Einkommensteuererklärung machten die Kläger im Rahmen der Gewinnermittlung der Klägerin nach § 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) u. a. Fahrtkosten in Höhe von ... DM sowie Mehraufwendungen für Verpflegung in Höhe von ... DM als Betriebsausgaben geltend. In den Fahrtkosten war ein Betrag für die Fahrten der Klägerin von A zum Krankenhaus in B (Entfernung 18 km) in Höhe von (238 x 18 km x 2 x 0,42 DM =) 3 598,56 DM enthalten. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -- FA --) versagte den Abzug für Mehraufwendungen für Verpflegung und ließ von den Fahrtkosten lediglich ... DM zum Betriebsausgabenabzug zu. Dabei berücksichtigte das FA für die Fahrten zum Krankenhaus lediglich (238 x 18 x 0,43 DM =) 1 842,12 DM, weil es sich um Fahrten zwischen Wohnung und Betriebsstätte i. S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG gehandelt habe.
Der dagegen gerichteten Klage gab das Finanzgericht (FG) bezüglich der Fahrtkosten statt. Es führte zur Begründung aus, die den Betriebsausgabenabzug einschränkende Vorschrift des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG sei im Streitfall nicht anwendbar. Bei den Fahrten der Klägerin von A nach B habe es sich nicht um Fahrten "zwischen Wohnung und Betriebsstätte" im Sinne dieser Vorschrift, sondern um Fahrten zwischen zwei Betriebsstätten gehandelt. Die Praxis der Klägerin im Keller des Einfamilienhauses in A sei als Betriebsstätte zu qualifizieren, weil -- anders als etwa bei einem Arbeitszimmer im Wohnbereich -- eine räumliche Abgrenzung zwischen dem privaten und dem betrieblichen Bereich der Klägerin ohne weiteres gegeben gewesen sei.
Mit seiner Revision rügt das FA Verletzung von § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG.
Es beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --).
Die Vorentscheidung enthält keine ausreichenden Feststellungen, die dem Senat die Beurteilung erlauben, ob im Streitfall Fahrten zwischen Wohnung und Betriebsstätte i. S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG vorliegen oder -- wie das FG angenommen hat -- solche zwischen zwei Betriebsstätten. Dies ist ein materiell-rechtlicher Fehler in der Urteilsfindung, der auch ohne Rüge von Amts wegen zu beachten ist (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 5. März 1968 II R 36/67, BFHE 92, 416, BStBl II 1968, 610; vom 28. Januar 1987 I R 85/80, BFHE 150, 120, BStBl II 1987, 616, und vom 10. Mai 1994 IX R 75/90, BFH/NV 1995, 213).
Zu den Betriebsausgaben, die den Gewinn nicht mindern dürfen, gehören nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG u. a. Aufwendungen für Fahrten des Steuerpflichtigen "zwischen Wohnung und Betriebsstätte", soweit sie die sich in entsprechender Anwendung von § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG ergebenden -- im Streitfall vom FA anerkannten -- Beträge (im Streitjahr bei Benutzung eines Kraftwagens 0,43 DM für jeden Kilometer der Entfernung) übersteigen. Unter die Abzugsbeschränkung fallen dagegen nicht Aufwendungen eines Unternehmers für Fahrten von einer Betriebsstätte zu einer anderen.
Befindet sich eine Betriebsstätte in unmittelbarer räumlicher Nähe zur Wohnung des Steuerpflichtigen, sind die Fahrten von dort zu einer anderen Betriebsstätte von den Fahrten zwischen Wohnung und Betriebsstätte i. S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG abzugrenzen.
Nach der Rechtsprechung des BFH ist die Wohnung Ausgangs- und Endpunkt der Fahrten, wenn die Betriebsstätte am Wohnsitz von der übrigen Wohnung nicht getrennt ist und keine in sich geschlossene Einheit bildet, wenn sich in der Wohnung nur ein häusliches Arbeitszimmer befindet oder wenn die Betriebsstätte am Wohnsitz nur untergeordnete Bedeutung hat (vgl. BFH-Urteile vom 15. Juli 1986 VIII R 134/83, BFHE 147, 169, BStBl II 1986, 744; vom 4. November 1986 VIII R 1/84, BFHE 148, 446, BStBl II 1987, 259; vom 7. Dezember 1988 X R 15/87, BFHE 155, 353, BStBl II 1989, 421; vom 13. Juli 1989 IV R 55/88, BFHE 157, 562, BStBl II 1990, 23, und vom 16. Februar 1994 XI R 52/91, BFHE 174, 65, BStBl II 1994, 468).
Im Streitfall reichen die Feststellungen des FG nicht aus, um beurteilen zu können, ob Wohnung und Praxis eine geschlossene bauliche Einheit bildeten (vgl. dazu Senatsurteil in BFHE 174, 65, BStBl II 1994, 468). Das FG hat insoweit lediglich festgestellt, daß die Praxis von den übrigen Kellerräumen durch eine Zwischenwand abgetrennt war, ohne deren Art und Beschaffenheit näher zu beschreiben. Insbesondere fehlen aber Feststellungen zu Art und Umfang der Nutzung der Betriebsstätte am Wohnsitz. In diesem Zusammenhang könnte u. a. aufschlußreich sein, welche Umsätze die Klägerin in der Betriebsstätte erzielte, wie sie die betrieblichen Arbeitsabläufe gestaltet hatte und schließlich, ob und ggf. inwieweit ein konkreter sachlicher Zusammenhang zwischen den Tätigkeiten bestand, die die Klägerin in der Praxis und im Krankenhaus ausübte. Wenn die Praxis nicht täglich oder vornehmlich nur in den Nachmittagsstunden genutzt wurde, spräche einiges dafür, daß die Fahrten zu der Krankenhaus-Betriebsstätte von der Wohnung aus angetreten wurden.
Das FG wird die hierzu erforderlichen Feststellungen nachzuholen haben.
Fundstellen
Haufe-Index 420656 |
BFH/NV 1995, 875 |