Leitsatz (amtlich)
1. Errichtet ein ausländischer Unternehmer im Inland eine Anlage, bei der er im Ausland hergestellte Anlagenteile verwendet, so kann die Besteuerung der von ihm bewirkten Werklieferung im Hinblick auf die bei der Einfuhr der Anlagenteile erhobene Umsatzausgleichsteuer zu einer steuerlichen Gesamtbelastung führen, die gegen Art. 95 EWGV verstößt.
2. Bei dem nach Art. 95 EWGV vorzunehmenden konkreten Belastungsvergleich ist die Besteuerung der im Inland erbrachten Montageleistung nach dem Wert dieser Dienstleistung auszuklammern.
2. Soweit der Umsatzausgleichsteuersatz von 6 v. H. bis zum Inkrafttreten des § 7 Abs. 7 UStG 1951 aufgrund des 17. UStÄndG für Waren eingeführt worden ist, handelt es sich bei ihm nicht um einen Durchschnittssatz i. S. des Art. 97 EWGV.
Normenkette
UStG 1951 i.d.F. des 17. UStÄndG vom 23. Dezember 1966 § 7 Abs. 7; EWGVtr Art. 95, 97
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) hat ihren Sitz in Holland und stellt dort Kühl- und Gefrieranlagen her. Durch Verträge aus dem Jahr 1961 verpflichtete sie sich gegenüber inländischen Abnehmern zur Errichtung von betriebsfertigen Kälteanlagen zu Festpreisen. Die Klägerin garantierte die Funktions- und Leistungsfähigkeit der Anlagen. Diese Anlagen bestanden jeweils aus zahlreichen, durch ein umfangreiches Leitungssystem miteinander verbundenen Aggregaten. Die Einzelteile der Anlagen stellte die Klägerin im wesentlichen in ihrem Unternehmen in Holland her und versandte sie anschließend durch Spediteure oder mit der Bahn an die Abnehmer in der Bundesrepublik. Dort führten die Fachkräfte der Klägerin die umfangreichen Montagearbeiten (jeweils ca. fünf Monate) zur Errichtung der betriebsfertigen Anlagen in den dafür vorgesehenen, von den Abnehmern vorbereiteten Betriebsräumen aus. Die betriebsfähigen Anlagen wurden im Jahre 1962 übergeben.
Auf die Einfuhr der im wesentlichen unter die Zolltarifst. 84.15 B fallenden Einzelteile wurde Umsatzausgleichsteuer mit einem Steuersatz von 6 v. H. auf der Bemessungsgrundlage des Zollwerts erhoben.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) beurteilte die Errichtung der Kälteanlagen als im Inland ausgeführte Werklieferungen und zog die Klägerin unter Anwendung des allgemeinen Steuersatzes von 4 v. H. auf der Bemessungsgrundlage von 300 000 DM für den Veranlagungszeitraum 1962 zur Umsatzsteuer heran. Das Einspruchsverfahren blieb erfolglos.
Hierauf erhob die Klägerin Klage zum FG mit dem Antrag, den Umsatzsteuerbescheid 1962 ersatzlos aufzuheben. Zur Begründung der Klage hat sie im wesentlichen vorgetragen: Die Heranziehung zur inneren Umsatzsteuer mit einem Steuersatz von 4 v. H. sei nicht gerechtfertigt, da - wie sich aus den Urteilen des BFH vom 24. Februar 1966 V 115/63 (BFHE 85, 140, BStBl III 1966, 261) und vom 10. März 1966 V 121/64 (BFHE 86, 91, BStBl III 1966, 412) ergebe - die auf die Lieferung der Anlagenteile zu erhebende Umsatzsteuer bereits durch die Erhebung der Umsatzausgleichsteuer abgegolten sei. Trage man diesem Gesichtspunkt nicht Rechnung, werde sie gegenüber inländischen Unternehmern benachteiligt. Die Heranziehung zur Umsatzausgleichsteuer und zur inneren Umsatzsteuer führe zu einer Doppelbelastung, die sowohl gegen Art. III des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens von Genf vom 30. Oktober 1947 (GATT) als auch gegen Art. 95 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWGV) vom 25. März 1957 (BGBl II 1957, 766 ff.) verstoße. Das FG hat die Klage abgewiesen.
Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung materiellen Rechts. Sie trägt sinngemäß vor, die Vorentscheidung verstoße gegen die Grundsätze zur Auslegung der Nrn. 1 und 3 des § 1 UStG 1951, wie sie im BFH-Urteil V 115/63 niedergelegt seien. Danach sei nach der Erhebung von Umsatzausgleichsteuer auf die Einfuhr eines Gegenstandes für die Heranziehung der Lieferung dieses Gegenstandes an den inländischen Abnehmer zur inneren Umsatzsteuer kein Raum mehr. Darüber hinaus sei hier die im Ausland hergestellte Ware durch die kumulative Erhebung von Umsatzausgleichsteuer und Umsatzsteuer gegenüber gleichartigen Waren höher belastet und daher i. S. von Art. III GATT diskriminiert. Die Umsatzausgleichsteuer und die Umsatzsteuer seien auch teilweise unter Zugrundelegung der vollen Rechnungsbeträge für die fertigen Anlagen festgesetzt worden. Im übrigen beruft sich die Klägerin auf ihr Vorbringen in der Vorinstanz.
Sie beantragt sinngemäß, das FG-Urteil, die Einspruchsentscheidung und den Umsatzsteuerbescheid 1962 aufzuheben. Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
1. Zutreffend hat das FG die Errichtung der Kälteanlagen als im Inland ausgeführte Werklieferungen i. S. des § 3 Abs. 2 UStG 1951 beurteilt. Es hat ohne Rechtsverstoß verneint, daß die Klägerin lediglich eine aus Transportgründen in ihre Einzelteile zerlegte und betriebsfähige Anlage wieder zusammengesetzt hat. Vielmehr hat es dem Umstand entscheidende Bedeutung beigemessen, daß die Kälteanlagen erst aufgrund umfangreicher Montagearbeiten der Klägerin unter Anpassung an die gegebenen Räumlichkeiten, nach Anschluß an die von den Abnehmern erstellten Installationen und nach Regulierung des in sich geschlossenen Kühlsystems betriebs- und funktionsfähig geworden sind. Dies rechtfertigt die Auffassung des FG, daß Versendungsgeschäfte i. S. des § 5 Abs. 2 der Durchführungsbestimmungen UStDB 1951 auszuschließen und Werklieferungen im Inland anzunehmen sind.
2. Die Vorentscheidung ist jedoch aufzuheben, da das FG von einer unzutreffenden Auslegung des Art. 95 EWGV ausgegangen ist.
Der erkennende Senat hat in seinem Urteil vom 22. Januar 1976 V R 67/71 (BFHE 118, 252, BStBl II 1976, 442, mit Anmerkung in UStR 1976, 98) im Hinblick auf das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EGH) vom 20. Februar 1973 Rechtssache 54/72 (EGHE 1973, 193, UStR 1973, 153) bereits entschieden, daß eine Verletzung des Art. 95 EWGV jedenfalls nicht mit der Begründung verneint werden kann, daß sich der Transport selbsthergestellter Waren vom Ausland in das Inland und die anschließende Lieferung an einen Abnehmer im Inland umsatzsteuerrechtlich als zwei getrennt zu beurteilende Vorgänge darstellen. Ebenfalls kann eine Verletzung des Art. 95 EWGV jedenfalls nicht mit der Begründung verneint werden, daß der Transport von selbsthergestellten Anlagenteilen vom Ausland in das Inland und die anschließende Lieferung dieser Teile im Rahmen einer Werklieferung an einen Abnehmer im Inland umsatzsteuerrechtlich sich als zwei getrennt zu beurteilende Vorgänge darstellen. Nach der Entscheidung des EGH in der Rechtssache 54/72 ist im Rahmen des nach Art. 95 EWGV vorzunehmenden Belastungsvergleichs diese Zerlegung nicht angängig, soweit die Belastung der eingeführten Ware zu berechnen ist. Wie sich den Ausführungen des EGH entnehmen läßt, ist dagegen die Besteuerung der im Inland erbrachten Montageleistung nach dem Wert dieser Dienstleistung bei dem nach vorstehenden Grundsätzen vorzunehmenden Belastungsvergleich auszuklammern. Dies rechtfertigt sich nach Auffassung des Senats aus der Erwägung, daß insoweit nicht die steuerliche Belastung einer eingeführten Ware betroffen ist, sondern die Besteuerung einer von Art. 95 EWGV nicht erfaßten sonstigen Leistung im Inland. Es muß somit bei der Anwendung des Art. 95 EWGV geprüft werden, ob die Gesamtbelastung der eingeführten Montageteile der Kälteanlagen mit Umsatzausgleichsteuer und innerer Umsatzsteuer - ohne Berücksichtigung der Montageleistung - höher ist als die unmittelbare und mittelbare Umsatzsteuerbelastung (Herstellerstufe und Vorbelastung) gleichartiger inländischer Montageteile, die bei einer Werklieferung nur den Gegenstand eines einheitlichen umsatzsteuerrechtlichen Vorgangs bilden.
Im vorliegenden Fall hat das FG zwar - im Gegensatz zum Urteilsfall V R 67/71 - festgestellt, welcher Zolltarifstelle die eingeführten Montageteile der Kälteanlagen zuzuordnen sind (im wesentlichen der Zolltarifst. 84.15 B) und welchem Ausgleichsteuersatz sie damit unterlagen (Steuersatz 6 v. H.; eingeführt durch das UStÄndG vom 28. Juni 1951 - BGBl I 1951, 402 - sowie durch die Vierte Verordnung zur Änderung der Ausgleichsteuerordnung vom 29. Juni 1951 - BGBl I 1951, 435 -, Anl. 3 zur Ausgleichsteuerordnung).
Gleichwohl ist die Sache nicht spruchreif, da das FG zu prüfen haben wird, ob die Gesamtbelastung der Anlagenteile mit Umsatzausgleichsteuer und innerer Umsatzsteuer der Belastung gleichartiger inländischer Waren entspricht. Dieser Belastungsvergleich erübrigt sich deshalb nicht, weil es sich bei dem angewendeten Umsatzausgleichsteuersatz von 6 v. H. nicht um einen Durchschnittssatz i. S. von Art. 97 EWGV gehandelt hat (vgl. Urteil V R 67/71).
Die in Art. 97 EWGV vorgesehene Befugnis zur Festlegung von Durchschnittssätzen besteht darin, eine bestimmte Einfuhrware einem einheitlichen Steuersatz unterwerfen zu können, der als Entsprechung der Summe der von den inländischen Erzeugnissen jeweils zu tragenden Steuerlasten gilt. Auch ein vor Inkrafttreten des Vertrags zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft geschaffener Steuersatz kann ein Durchschnittssatz i. S. von Art. 97 EWGV sein. Nach diesen vom EGH in seinem Urteil vom 24. Juni 1969 Rechtssache 29/68 (EGHE XV 1969, 165 [179]) aufgestellten Auslegungsgrundsätzen zu Art. 97 EWGV ist die Frage, ob ein Mitgliedstaat von der in Art. 97 vorgesehenen Befugnis Gebrauch gemacht hat, durch die Gerichte der Mitgliedstaaten nach nationalem Recht zu entscheiden. Hat ein Mitgliedstaat von dieser Befugnis Gebrauch gemacht, so fallen die von ihm festgelegten Steuersätze unter Art. 97 EWGV, selbst wenn sich nachweisen ließe, daß sie der Summe der von den inländischen Erzeugnissen jeweils zu tragenden Steuerlasten nicht entsprechen.
Entsprechend diesen Auslegungsgrundsätzen des EGH hat der VII. Senat des BFH (Urteile vom 11. Juli 1968 VII 156/65, BFHE 92, 405, BZBl 1968, 1026, UStR 1968, 302, und vom 15. Januar 1969 VII R 13/67, BFHE 95, 67, BZBl 1969, 541, UStR 1969, 123) entschieden, daß ein Ausgleichsteuersatz, der nicht vom Gesetz als Durchschnittssatz eingeführt worden ist, gleichwohl ein Durchschnittssatz i. S. von Art. 97 EWGV ist, wenn er nicht nur die Belastung des der Einfuhr entsprechenden inländischen Umsatzes ausgleicht, sondern auch dem Ausgleich der Umsatzsteuervorbelastung für die vorangehenden Fertigungs- und Vertriebsstufen vergleichbarer inländischer Waren dient. Maßgeblich ist u. a. , ob in den Gesetzesmaterialien Anhaltspunkte für einen beabsichtigten Ausgleich auch der Umsatzsteuervorbelastung gegeben sind, z. B. die Berücksichtigung entsprechender Belastungsberechnungen (BFH-Urteil VII R 13/67).
Der auf § 7 Abs. 4 UStG 1951 in der im Streitjahr 1962 geltenden Fassung beruhende Umsatzausgleichsteuersatz von 6 v. H. für Waren der Zolltarifst. 84.15 B ist nach Auffassung des Senats vom Gesetz nicht als Durchschnittssatz i. S. von Art. 97 EWGV festgelegt worden. Durchschnittssätze hat der Gesetzgeber erst durch das 17. UStÄndG vom 23. Dezember 1966 (BGBl I 1966, 709, BStBl I 1967, 10) eingeführt, und zwar im Wege der Einfügung eines § 7 Abs. 7 UStG 1951. Diese am 30. Dezember 1966 in Kraft getretene Vorschrift bestimmt, daß die Ausgleichsteuersätze für Gegenstände, denen gleichartige oder vergleichbare Gegenstände gegenüberstehen, Durchschnittssätze sind. Mit dieser Regelung war im 17. UStÄndG gleichzeitig verbunden auch eine Auffächerung und Anhebung der bisherigen (bereits) erhöhten Ausgleichsteuersätze von 6 v. H. im Weg einer geänderten Liste zu § 7 Abs. 6 UStG 1951 (Anl. 5), die am 1. Januar 1967 in Kraft getreten ist.
Der bis zum Inkrafttreten des 17. UStÄndG im vorliegenden Fall anzuwendende und nicht zum Durchschnittssatz erklärte Umsatzausgleichsteuersatz von 6 v. H. ist auch nicht entsprechend den Grundsätzen des BFH-Urteils VII R 13/67 in der Zeit vor dem 1. Januar 1967 ein Durchschnittssatz gewesen. Für diese Auffassung spricht in erster Linie, daß mit der Anhebung des Umsatzausgleichsteuersatzes von 6 v. H. auf 7 v. H. für Waren der Zolltarifst. 84.15 B zum Jahreswechsel 1966/67 zugleich die gesetzliche Festlegung als Durchschnittssatz verbunden war. Hinzu kommt, daß dem bis zum Jahresende 1966 anzuwendenden Umsatzausgleichsteuersatz von 6 v. H. auch nicht die Funktion eines Durchschnittssatzes beigelegt werden kann. Dies ergibt die Entwicklung der Gesetzgebung zur Umsatzausgleichbesteuerung: Erstmals mit der Einführung der erhöhten Ausgleichsteuersätze von 6 v. H. durch das UStÄndG vom 28. Juni 1951 wurde bei bestimmten Waren auch die Umsatzsteuervorbelastung der entsprechenden, dem Einfuhrvorgang vorangehenden Lieferung ganz oder teilweise in pauschaler Form ausgeglichen. Auch hier lag dem Gesetzgeber eine völlige Gleichbehandlung der in- und ausländischen Waren, etwa aufgrund eines konkreten Belastungsvergleichs, noch fern, wie sich aus der letztmaligen Differenzierung dieser Ausgleichsteuersätze in solche von 6,5 v. H. bis 10 v. H. durch das 17. UStÄndG ergibt. Nach dem Entwurf zum UStÄndG vom 28. Juni 1951 (Bundestags-Drucksache I/1983 vom 26. Februar 1951) sollten nur Waren erfaßt werden, deren Vorbelastung mindestens 2 v. H. betrug. Die vielfach darüber hinausgehenden Vorbelastungen blieben unberücksichtigt.
Aus dieser Entwicklung leitet der VII. Senat des BFH in seinem Urteil VII 13/67 zutreffend die Erwägung ab, daß ein konkreter Belastungsvergleich nicht schon in den 6-v. H.-Sätzen (die lediglich pauschal die Vorbelastung von 2 v. H. und darüber berücksichtigen), sondern frühestens in der Einführung der ermäßigten Steuersätze von 1 v. H., 2 v. H. und 2,5 v. H. sowie des erhöhten Steuersatzes von 8 v. H. durch das aufgrund der Verpflichtung aus Art. 95 EWGV ergangene 12. UStÄndG mit Wirkung vom 1. Juni 1963 zum Ausdruck gekommen sein kann. Diese Ausführungen stellen in Fortführung und Differenzierung der Erwägungen im BFH-Urteil VII 156/65 jedenfalls klar, daß die den allgemeinen Ausgleichsteuersatz von 4 v. H. übersteigenden Ausgleichsteuersätze von 6 v. H., soweit sie vor Inkrafttreten des 17. UStÄndG eingeführt worden sind, keine Durchschnittssätze i. S. des Art. 97 EWGV sind.
Das FG wird den erforderlichen konkreten Belastungsvergleich unter Berücksichtigung der dargelegten Erwägungen und erforderlichenfalls unter Einholung einer gutachtlichen Stellungnahme des Bundesministers der Finanzen vorzunehmen haben.
Fundstellen
BStBl II 1977, 131 |
BFHE 1977, 306 |