Entscheidungsstichwort (Thema)
Lohnsteuerhilfevereine sind vertretungsbefugt
Leitsatz (amtlich)
Lohnsteuerhilfevereine und andere juristische Personen (z.B. Steuerberatungsgesellschaften) sind vor den Finanzgerichten vertretungsbefugt.
Orientierungssatz
1. Läßt sich der Steuerpflichtige vor dem FG durch einen Bevollmächtigten vertreten, hat er eine schriftliche Vollmacht zu erteilen und diese dem FG vorzulegen (vgl. BFH-Urteil vom 11.1.1980 VI R 11/79). Beauftragt der Hauptbevollmächtigte einen Unterbevollmächtigten, ist dem FG auch eine Untervollmacht zu übergeben.
2. § 62 Abs. 2 Satz 1 FGO regelt weder unmittelbar die Vertretungsbefugnis noch setzt er mittelbar deren Beschränkungen auf natürliche Personen voraus. Die Vorschrift zielt darauf ab, Prozeßbeteiligte und FG vor der nicht sachgerechten und interessengerechten Prozeßvertretung zu schützen.
3. Wird die Klageschrift eines vor dem FG durch einen Lohnsteuerhilfeverein vertretenen Klägers vom Leiter der Beratungsstelle unterschrieben und dem FG eine auf den Lohnsteuerhilfeverein ausgestellte Vollmacht vorgelegt, so kann der Mangel der nicht vorgelegten Untervollmacht auch dann noch geheilt werden, wenn das FG in der Annahme, juristische Personen seien gemäß § 62 FGO vor der Vertretung vor dem FG ausgeschlossen, mit richterlicher Verfügung unter Berufung auf Art. 3 § 1 VGFGEntlG "zur Vorlage der noch ausstehenden Vollmacht auf eine natürliche Person" eine Ausschlußfrist gesetzt hatte.
Normenkette
FGO § 62 Abs. 1, 2 S. 1, Abs. 3 S. 1; VGFGEntlG Art. 3 § 1
Tatbestand
Der Lohnsteuerhilfeverein Y - Beratungsstelle X (im folgenden LHV) erhob im Namen des Klägers und Revisionsklägers (Kläger) Klage, mit der er Abzugsbeträge gemäß § 10e des Einkommensteuergesetzes (EStG) begehrte. Die Klageschrift war vom Leiter der Beratungsstelle X unterschrieben.
Der Berichterstatter forderte mit Verfügung vom 14.Juli 1989 "die Prozeßbevollmächtigten" des Klägers auf, "bis zum 10.8.1989 eine schriftliche Prozeßvollmacht … auf eine natürliche Person herzugeben (§ 62 Abs.3 FGO)".
Innerhalb dieser Frist legte der Leiter der Beratungsstelle eine am 20.Juli 1989 vom Kläger und seiner Ehefrau unterzeichnete Vollmacht mit folgendem Wortlaut vor:
"Hiermit bevollmächtige ich … (LHV), mich in allen Angelegenheiten meiner Steuerpflicht - auch vor dem Finanzgericht - zu vertreten …".
Gleichzeitig teilte der Leiter der Beratungsstelle dem Finanzgericht (FG) mit, der LHV habe mit Schreiben vom 17.Juli 1989 die Klageerhebung genehmigt. Das Genehmigungsschreiben selbst ist dem FG weder innerhalb dieser Frist noch später übersandt worden.
Nunmehr setzte der Berichterstatter dem LHV ―mit Verfügung vom 4.August 1989― unter Berufung auf Art.3 § 1 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit (VGFGEntlG) "zur Vorlage der noch ausstehenden Vollmacht auf eine natürliche Person" eine Ausschlußfrist bis zum 28.August 1989. Nachdem der Berichterstatter hierauf keine Antwort erhalten hatte, wies er den LHV darauf hin, daß "die für die Vorlage einer rechtsgültigen Vollmacht gesetzte Ausschlußfrist am 28.8.1989" abgelaufen sei.
Durch Urteil vom 12.Oktober 1989 wies das FG die Klage mit der Begründung als unzulässig ab, juristische Personen und damit auch der LHV seien gemäß § 62 der Finanzgerichtsordnung (FGO) von der Vertretung vor dem FG ausgeschlossen.
Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung des § 62 FGO, des Art.3 § 1 VGFGEntlG, ferner des rechtlichen Gehörs und der Sachaufklärungspflicht.
Der Kläger beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) hat auf eine Stellungnahme zur Revisionsbegründung verzichtet.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs.3 Nr.2 FGO).
1. Der LHV als juristische Person war befugt, den Kläger vor dem FG zu vertreten.
a) Nach § 62 Abs.1 Satz 1 FGO können sich die Beteiligten durch Bevollmächtigte vertreten lassen. Unter Bevollmächtigten im Sinne dieser Vorschrift sind entgegen der Auffassung des FG nicht nur natürliche, sondern auch juristische Personen zu verstehen. Von dieser Auslegung ist der Bundesfinanzhof (BFH) bereits in mehreren Entscheidungen ausgegangen (BFH-Beschlüsse vom 10.März 1969 GrS 4/68, BFHE 95, 366, BStBl II 1969, 435; vom 18.Januar 1971 GrS 4/70, BFHE 101, 13, BStBl II 1971, 207, und vom 12.November 1981 IV B 76/81, BFHE 134, 515, BStBl II 1982, 221, sowie Urteile vom 5.April 1984 IV R 145/81, nicht veröffentlicht ―NV―; und vom 30.März 1988 I R 140/87, BFHE 153, 388, BStBl II 1988, 836; ebenso: Hessisches FG, Beschluß vom 30.Juni 1976 B II 37/76, Entscheidungen der Finanzgerichte ―EFG― 1976, 617; FG Münster, Urteil vom 18.Mai 1977 V 1868/76 L, EFG 1977, 550; FG Köln, Urteil vom 27.April 1984 XI (XIII) 133/77 U, NV; Niedersächsisches FG, Urteil vom 15.Dezember 1986 V 89/85, EFG 1987, 363; Kühn/Kutter/Hofmann, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., 1990, § 62 FGO Anm.1; Horn, Betriebsberater ―BB― 1986, 1622, und Leise/Paleit, Finanzgerichtsordnung 1989, § 62 Anm.3). Der erkennende Senat schließt sich dieser Auffassung an.
b) Zu Unrecht stützt sich das FG auf § 62 Abs.2 Satz 1 FGO. Hiernach können Bevollmächtigte oder Beistände, denen die Fähigkeit zum geeigneten schriftlichen oder mündlichen Vortrag fehlt, zurückgewiesen werden. Daraus folgt indes nicht zwingend, daß vor dem FG nur natürliche Personen als Vertreter in Betracht kommen. Die Vorschrift regelt weder unmittelbar die Vertretungsbefugnis noch setzt sie mittelbar deren Beschränkung auf natürliche Personen voraus. Sie zielt darauf ab, Prozeßbeteiligte und FG vor der nicht sach- und interessengerechten Prozeßvertretung zu schützen. Die allerdings liegt tatsächlich auch dann bei einer natürlichen Person, wenn juristische Personen bevollmächtigt sind; denn diese handeln im Prozeß durch die nach bürgerlichem Recht dazu Befugten (§ 58 Abs.2 FGO). Das sind stets natürliche Personen (vgl. z.B. §§ 26 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuches ―BGB―, 35 ff. des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung ―GmbHG―).
c) § 79 der Zivilprozeßordnung (ZPO), der ―wie § 73 des Sozialgerichtsgesetzes― als Bevollmächtigte ausdrücklich nur prozeßfähige Personen zuläßt, ist im finanzgerichtlichen Verfahren nicht anwendbar, weil die FGO in § 62 eine eigenständige, insoweit nicht ergänzungsbedürftige Vertretungsregelung enthält (§ 155 FGO).
d) Die zu § 67 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) vertretene, entgegenstehende Auffassung überzeugt den Senat nicht.
§ 67 VwGO erwähnt, ebenso wie § 62 FGO, die Prozeßfähigkeit nicht ausdrücklich als notwendige Eigenschaft des Bevollmächtigten. Die gleichwohl vertretene Ansicht, im Verwaltungsprozeß könnten nur natürliche Personen als Bevollmächtigte auftreten (Beschluß des Oberverwaltungsgerichts ―OVG― Berlin vom 1.August 1974 IV L 10/74, Neue Juristische Wochenschrift ―NJW― 1974, 2254; Eyermann/Fröhler, Verwaltungsgerichtsordnung, 9.Aufl., 1988, § 67 Rdnr.11; Redeker/von Oertzen, Verwaltungsgerichtsordnung, 9.Aufl., 1988, § 67 Rdnr.13; Kopp, Verwaltungsgerichtsordnung, 8.Aufl., 1989 § 67 Rdnr.13), wird entweder damit begründet, über § 173 VwGO sei § 79 ZPO anwendbar oder es wird auf § 67 Abs.2 Satz 3 VwGO verwiesen. Auch dieser ―nicht unwidersprochen gebliebenen― Auslegung des § 67 VwGO, (vgl. Beschluß des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 19.Mai 1969 V TE 30/68, Verwaltungs- Rechtsprechung ―VerwRspr― 21, 884 ―Nr.217―; Noack, Deutsches Verwaltungsblatt ―DVBl― 1962, 850), läßt sich entgegenhalten, § 67 VwGO sei als eine die Anwendbarkeit des § 79 ZP0 ausschließende Sonderregelung anzusehen. Auch läßt sich § 67 Abs.2 Satz 3 VwGO ―ebenso wie § 62 Abs.2 FGO― dahin verstehen, daß bei Bevollmächtigung juristischer Personen, deren Vertreter zurückgewiesen werden können, wenn ihnen die Fähigkeit zum geeigneten schriftlichen oder mündlichen Vortrag fehlt. Jedenfalls besteht keine Veranlassung, das zumindest zweifelhafte einengende Verständnis des § 67 VwGO auf den Regelungsbereich des hier allein zu beurteilenden § 62 FGO zu übertragen.
e) Gestützt wird die Auffassung des erkennenden Senats durch den Bericht des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages zu § 59 FGO ―heute § 62 FGO― (BTDrucks IV/3523 zu § 59 Abs.4), dem zu entnehmen ist, daß für die Vertretung der Beteiligten vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit zunächst die bisherigen Vorschriften weiter gelten sollten. Vor allem sollte sich die Zulassung als Prozeßbevollmächtigter vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit nach den bisherigen Vorschriften richten. Nach denen aber konnten auch Steuerberatungsgesellschaften vor den FG auftreten (vgl. Tipke/Kruse, Reichsabgabenordnung 1963, § 254 AO Anm.2; Horn, a.a.O.).
f) Die Ansicht, im Verfahren vor dem FG könnten nur natürliche Personen als Prozeßbevollmächtigte bestellt werden (Schleswig-Holsteinisches FG, Urteil vom 7.Oktober 1985 IV 169/81 ―I―, EFG 1986, 245; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 2.Aufl., § 62 Anm.25; Tipke/Kruse, Abgabenordnung- Finanzgerichtsordnung, 13.Aufl., § 62 FGO Tz.3; Ziemer/Birkholz, Finanzgerichtsordnung, 3.Aufl., 1978, § 62 Rdnr.11; Rüggeberg, NJW 1970, 309) kann sich nicht auf die BFH-Rechtsprechung zur Vertretungsbefugnis in Revisions- und Beschwerdesachen (vgl. z.B. Beschluß vom 5.September 1980 VI R 144/80, BFHE 131, 193, BStBl II 1980, 686) berufen. Denn für das Verfahren vor dem BFH gilt die besondere Vertretungsregelung des Art.1 Nr.1 Satz 1 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFHEntlG), die ausdrücklich vorschreibt, daß nur natürliche Personen mit den entsprechenden Qualifikationsmerkmalen als Prozeßbevollmächtigte vor dem BFH zugelassen sind. Für das Verfahren vor den FG fehlt eine solche Beschränkung.
2. Da für den LHV nicht der Vorstand, sondern nur der Beratungsstellenleiter vor dem FG aufgetreten ist, reichte die dem FG übersandte, auf den LHV ausgestellte Prozeßvollmacht nicht aus.
Läßt sich der Steuerpflichtige vor dem FG durch einen Bevollmächtigten vertreten, hat er eine schriftliche Vollmacht zu erteilen (§ 62 Abs.3 Satz 1 FGO) und diese dem FG vorzulegen (z.B. BFH-Urteil vom 11.Januar 1980 VI R 11/79, BFHE 129, 305, BStBl II 1980, 229). Beauftragt der Hauptbevollmächtigte einen Unterbevollmächtigten, ist dem FG auch eine Untervollmacht zu übergeben.
Eine juristische Person handelt durch ihre Organe (vgl. § 58 Abs.2 FGO). Die auf den LHV ausgestellte Vollmacht berechtigte daher den Vorstand des LHV (§ 26 BGB), für den Kläger Prozeßhandlungen vorzunehmen, erstreckte sich aber nicht auf den Leiter der Beratungsstelle, der vor dem FG für den Kläger aufgetreten ist. Eine auf ihn lautende (Unter-)Vollmacht hätte dem Gericht vorgelegt werden müssen. Die Mitteilung über die Erteilung einer solchen Vollmacht allein genügt nicht.
3. Der Mangel der nicht vorgelegten Untervollmacht allerdings kann noch geheilt werden. Denn die Ausschlußfrist hinsichtlich der fehlenden Untervollmacht war nicht mit der erforderlichen Eindeutigkeit gesetzt worden. Die Präklusionswirkung einer auf Art.3 § 1 VGFGEntlG gestützten richterlichen Verfügung reicht nicht weiter als ihr unmißverständlicher Inhalt (Urteil des erkennenden Senats vom 25.April 1990 X R 127-128/88, BFH/NV 1991, 179 m.w.N.). Demgemäß hätte die Verfügung vom 4.August 1989 auf die Lücke in der wirksamen Prozeßbevollmächtigung zwischen Kläger und LHV (vgl. BFH-Urteil vom 16.Februar 1990 III R 81/87, BFHE 160, 387, BStBl II 1990, 746, und Gräber/Koch, a.a.O., § 62, Anm.54 m.w.N.) hinweisen und zu deren Beseitigung auffordern müssen. Da sie stattdessen nur die Bezeichnung einer natürlichen Person anmahnte, konnte die Fristsetzung hinsichtlich des eigentlichen Mangels der fehlenden Untervollmacht keine ausschließende Wirkung erzielen.
4. Der Senat sieht davon ab, die fehlende Untervollmacht selbst anzufordern (vgl. dazu BFH-Urteil vom 30.November 1988 I R 168/84, BFHE 156, 1, BStBl II 1989, 514), weil die Sache ohnedies zur Nachholung der Sachentscheidung durch das FG an dieses zurückverwiesen werden muß.
Fundstellen
Haufe-Index 63992 |
BFH/NV 1991, 36 |
BStBl II 1991, 524 |
BFHE 163, 404 |
BFHE 1991, 404 |
BB 1991, 969 (L) |
DB 1991, 1104 (KT) |
HFR 1991, 483 (LT) |
StE 1991, 176 (K) |