Entscheidungsstichwort (Thema)
Grunderwerbsteuer/Kfz-Steuer/sonstige Verkehrsteuern
Leitsatz (amtlich)
Ausnahmen von dem Grundsatz, daß eine durch die Sachlage gebotene Kapitalzuführung im Sinne des § 3 Abs. 2 KVStG dann anzunehmen ist, wenn andernfalls das Eigenkapital nicht das Anlagevermögen einschließlich der beabsichtigten Investitionen deckt, sind schlechthin bei Kapitalgesellschaften aller Art in besonders gelagerten Einzelfällen anzuerkennen.
Für die Beurteilung der Frage, ob ein Gesellschafterdarlehen (gesellschafterverbürgtes Darlehen) eine durch die Sachlage gebotene Kapitalzuführung ersetzt, ist auch bei Darlehen, die zur Nachfinanzierung von Investitionen gewährt werden, nicht der Beginn der Investitionen, sondern der Zeitpunkt des Zufließens des Darlehens der maßgebende Stichtag.
Normenkette
KVStG § 3 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1, Abs. 1-2
Tatbestand
Streitig ist, ob ein der Bfin. im Juli 1955 von einer Bank für die teilweise Nachfinanzierung von Investitionen aus sog. ECA-Mitteln (Mitteln aus dem European Recovery Program) gewährtes Darlehen von 30.000 DM eine durch die Sachlage gebotene Kapitalzuführung ersetzt und deshalb nach § 3 Abs. 2 Satz 1 KVStG 1934 der Gesellschaftsteuer unterlegen hat, weil die Gesellschafter dafür Sicherheit geleistet hatten.
Ausweislich des Kapitalverkehrsteuer-Prüfungsberichts vom 27. Juni 1956 hat die A.-Bank AG - in Zukunft mit Bank bezeichnet - der Bfin. u. a. im Jahre 1955 zwei Darlehen gegeben, und zwar ein Darlehen von 100.000 DM und ein weiteres Darlehen von 30.000 DM, das in der Rb. nur streitbefangen ist. Das Darlehen von 100.000 DM ist mit 44.000 DM am 2. Juli 1955 und mit 56.000 DM am 12. Juli 1955 ausgezahlt worden. Das Darlehen von 30.000 DM erhielt die Bfin. ebenfalls am 12. Juli 1955. Für beide Darlehen haben die Gesellschafter der Bfin. unstreitig selbstschuldnerische Bürgschaft übernommen. Der Zinsfuß des Darlehens von 100.000 DM beträgt 7 3/4 %, der Zinsfuß für das Darlehen von 30.000 DM bis zum 31. Januar 1956 7 3/4 % und von da ab 7 1/2 %. Das Darlehen von 100.000 DM war vom 15. März 1959 ab mit vierteljährlich 3.000 DM, das Darlehen von 30.000 DM am 31. Dezember 1957 und am 30. Juni 1958 mit je 1.000 DM und ab 31. Dezember 1958 halbjährlich mit je 2.000 DM zu tilgen, so daß die letzte Rate am 30. Juni 1965 fällig wird. Beide Darlehen wurden nach einem Schreiben der Bank vom 29. Juni 1955 an die Bfin. dieser "zur teilweisen Nachfinanzierung" von "bis zum Jahre 1955 durchgeführten Investitionen" gewährt und durch Grundschulden gesichert. Außerdem wurden hinsichtlich des Kredits von 30.000 DM ausdrücklich die dem Schreiben beigefügten "Besonderen Bedingungen für ECA-Kredite im Rahmen des "Investitions-Programms für Wirtschaftsförderung 1954" zum Vertragsbestandteil gemacht. Diese Bedingungen sehen unter Ziff. 3) eine sofortige Rückzahlung des Kredits vor, falls er entgegen dem festgelegten Verwendungszweck eingesetzt wird. Unstreitig ist der Bfin. das langfristige Darlehen bis heute belassen worden, soweit es nicht inzwischen durch die vorgesehenen Ratenzahlungen teilweise getilgt ist.
Das Finanzamt hat durch zwei Bescheide die Gewährung beider Darlehen gemäß § 3 Abs. 2 KVStG 1934 einer Gesellschaftsteuer von 3 % unterworfen und für das Darlehen von 100.000 DM eine Gesellschaftsteuer von 3.000 DM, für das Darlehen von 30.000 DM eine solche von 900 DM festgesetzt.
Die Bfin. hat gegen den das Darlehen von 100.000 DM betreffenden Steuerbescheid rechtzeitig Einspruch, gegen den anderen die 30.000 DM betreffenden Steuerbescheid am gleichen Tage Sprungberufung eingelegt, zu der der Vorsteher des Finanzamts innerhalb der Frist des § 261 AO seine Einwilligung erteilt hat.
Die Entscheidung über den Einspruch hinsichtlich des ebenfalls im Juli 1955 zwecks Nachfinanzierung von Investitionen gewährten Darlehens von 100.000 DM wurde zurückgestellt.
Gegenstand des anhängigen Rechtsstreits ist daher, wie schon eingangs erwähnt wurde, nur die am 12. Juli 1955 erfolgte Gewährung des ECA-Darlehens von 30.000 DM.
Die Sprungberufung hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht geht in der mit der Rb. angefochtenen Entscheidung unter Bezugnahme auf die Urteile des erkennenden Senats II 7/53 U vom 3. September 1953 (BStBl 1953 III S. 283, Slg. Bd. 57 S. 743) und II 46/53 U vom 14. Oktober 1953 (BStBl 1954 III S. 5, Slg. Bd. 58 S. 235) davon aus, daß ein Darlehen in aller Regel eine durch die Sachlage gebotene Kapitalzuführung dann ersetzt, wenn es für Investitionszwecke verwendet wird, es sich um ein mittel- oder langfristiges Darlehen handelt und die Deckung des Investitionsbedarfs der Gesellschaft aus eigenen Mitteln nicht möglich ist. Dabei könne es keinen Unterschied machen, ob das Darlehen für Investitionszwecke aufgenommen und auch dafür verwendet wird oder ob die Investitionen zunächst aus Eigenmitteln (Betriebsmitteln) finanziert werden und die durch die Investitionen knapp gewordenen Eigenmittel (Betriebsmittel) durch Fremdkapital (gemeint sind hier die gesellschafterverbürgten Darlehen) aufgefüllt werden. Die Bfin. könne mit der Behauptung, sie habe das Darlehen angesichts ihrer guten finanziellen Lage überhaupt nicht aufzunehmen brauchen, nicht gehört werden. Denn sie habe das Darlehen als Investitionskredit beantragt und auch als Investitionskredit gewährt erhalten. Es müsse ihr also gelungen sein, der Bank ihre "Investitionsbedürftigkeit" nachzuweisen.
Mit der Rb. beruft sich die Bfin. - wie schon im Berufungsverfahren - u. a. darauf, daß eine Voraussetzung der Steuerpflicht der "Investitionskredite" bei ihr nicht erfüllt sei. Das Erfordernis, daß einer Gesellschaft die Deckung des Investitionsbedarfs aus eigenen Mitteln nicht möglich sein dürfe, sei bei ihr offenkundig nicht gegeben. Die 30.000 DM bzw. auch (bei Einbeziehung der weiteren im Juli 1955 gewährten 100.000 DM) die 130.000 DM seien angesichts ihrer Investitionen von mehreren Millionen DM aus eigenen Mitteln ein viel zu geringer Betrag, um die Frage nach dem gebotenen Ersatz von Eigenkapital durch Fremdmittel überhaupt aufkommen zu lassen. Der Bundesfinanzhof habe die Steuerpflicht von Investitionen auch nur in aller Regel bejaht und damit zum Ausdruck gebracht, daß es Fälle gäbe, die eine Ausnahme darstellen; eine Ausnahme sei in ihrem Falle gegeben. Sie habe am 31. Dezember 1954 ihrerseits über Geldkonten von 321.000 DM, am 31. Dezember 1955 über ein Bankguthaben von 660.000 DM verfügt, so daß sie die im Juli 1955 erhaltenen Darlehen der Bank nicht für die Nachfinanzierung der Investitionen benötigt habe. Sie habe die besonders günstigen Kredite nur deshalb aufgenommen, um sich langfristige Bewegungsfreiheit zu verschaffen.
Entscheidungsgründe
Die Rb., deren Entscheidung u. a. mit Rücksicht auf das beim Bundesverfassungsgericht unter dem Az. 2 BvL 1/59 anhängig gewesene, durch Beschluß vom 10. Oktober 1961 (Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bd. 13 S. 153 ff., BStBl 1961 I S. 716 ff.) abgeschlossene Normenkontrollverfahren zurückgestellt war, hat im Ergebnis keinen Erfolg.
Es unterliegt allerdings rechtlichen Bedenken, daß das Finanzgericht die Gesellschaftsteuerpflicht des streitigen Darlehnsbetrags von 30.000 DM entscheidend damit begründet, der Kredit sei als Investitionskredit (richtiger: Kredit zur Nachfinanzierung von Investitionen) beantragt und gewährt worden, es müsse daher der Bfin. gelungen sein, ihre "Investitionskreditbedürftigkeit" der Bank nachzuweisen. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung, daß ein Investitionskredit dann nicht gesellschaftsteuerpflichtig ist, wenn es der Kapitalgesellschaft möglich ist, die Investitionen aus eigenen Mitteln zu bezahlen. Ob diese Voraussetzung gegeben war, mußte das Finanzgericht angesichts des Vorbringens der Bfin. von sich aus prüfen, um die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 KVStG für gegeben erachten zu können. Auch hat der Bundesfinanzhof wiederholt - zuletzt in dem Urteil II 195/58 U vom 14. Januar 1963 (BStBl 1963 III S. 213 ff.) - zum Ausdruck gebracht, daß der Gesetzgeber (nur) grundsätzlich die Zuführung von Anlagekapital im Rahmen des § 3 KVStG steuerlich erfassen wollte. Das bedeutet, daß Ausnahmen möglich sind, worauf die Bfin. insoweit zutreffend hinweist. Die Ausnahmen sind nicht nur bei der Finanzierung von Wohnungs- und Schiffsbauten, wie der Vorsteher des Finanzamts im Berufungsverfahren vorgetragen hat, sondern schlechthin bei Investierungen aller Art in besonderen Fällen möglich. Die Beschränkung der Ausnahmen von dem Grundsatz auf Wohnungsbau- und Schiffsbaugesellschaften sowie den ähnlich gelagerten Fall einer Grundstücks- und Baugesellschaft, die Geschäftshäuser errichtet (vgl. das Urteil des erkennenden Senats II 100/59 U vom 26. Oktober 1962, BStBl 1963 III S. 9, und die dort angeführten Entscheidungen), wäre zu eng. Sie würde auch nicht im Einklang stehen mit den tragenden Gründen des zu der - mit § 3 Abs. 1 KVStG 1934 übereinstimmenden - Vorschrift des § 3 Abs. 1 KVStG 1955 ergangenen, oben erwähnten Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts; danach ist - unbeschadet des Grundsatzes, daß Anlagekapital in erster Linie durch Eigenkapital finanziert werden soll - im Einzelfall nachzuprüfen, ob die Darlehnsgewährung (das gesellschafterverbürgte Darlehen) bei Zugrundelegung der vom Gesetzgeber vorausgesetzten wirtschaftlichen Betrachtungsweise eine durch die Sachlage gebotene Kapitalzuführung ersetzt. Das bedeutet aber, daß Ausnahmen von dem Grundsatz in besonders gelagerten Einzelfällen schlechthin - ohne die gekennzeichnete Beschränkung - möglich sind, wobei allerdings nicht die auf Grund der Entwicklung der Verhältnisse im Wohnungs- und Schiffbau erfolgte gesellschaftsteuerrechtliche Anerkennung einer weitgehenden Fremdfinanzierung verallgemeinert werden kann.
Unter diesen Umständen bedeutet es eine unrichtige Auslegung des Begriffs der "durch die Sachlage gebotenen Kapitalzuführung" im Sinne des § 3 Abs. 1 KVStG, wenn das Finanzgericht entscheidend auf Grund der Bezeichnung des Darlehens als Kredit zur Nachfinanzierung von Investitionen in dem der Kreditgewährung vorangehenden Schreiben der Bank vom 29. Juni 1955 und des unterstellten Nachweises der "Investitionskreditbedürftigkeit" gegenüber der Bank die Gesellschaftsteuerpflicht bejaht.
Die Vorentscheidung müßte wegen dieser unrichtigen Rechtsanwendung aufgehoben werden, wenn sie nicht im Ergebnis auf Grund der dem Senat nunmehr zustehenden freien Tatsachenwürdigung (ß 296 Abs. 3 AO) aus anderen Gründen zu bestätigen wäre. Der Senat hat zuletzt in der Begründung des oben genannten Urteils II 195/58 U ausgesprochen, daß in der Regel Steuerpflicht besteht, wenn der Wert des Eigenkapitals geringer ist als der Wert des vorhandenen Anlagevermögens einschließlich der beabsichtigten oder der schon ganz bzw. teilweise vorgenommenen Investitionen.
Mangels abweichender Regelung im KVStG entsteht auch im Gesellschaftsteuerrecht die Steuerschuld, sobald der Tatbestand verwirklicht ist, an den das Gesetz die Steuerpflicht knüpft (ß 3 Abs. 1 StAnpG). Bei Gewährung eines Gesellschafterdarlehens (gesellschafterverbürgten Darlehens) ist dies der Tag der Hingabe (des Zufließens) des Darlehens. Dieser Zeitpunkt ist allein für die Beantwortung der Frage bedeutsam, ob und ggf. in welchem Umfang im Einzelfall eine Steuerpflicht entstehen kann. Dies gilt auch für Fälle, in denen ein Darlehen nach den vertraglichen Bestimmungen zur Nachfinanzierung bereits vorgenommener Investitionen gewährt wird. Es kann also insoweit nicht auf den Beginn der Investierungen, der im Streitfall in das Jahr 1954 (ECA-Kredite für Wirtschaftsförderung 1954) fallen würde, sondern auf den Zeitpunkt der Darlehnsgewährung (Juli 1955) ankommen. Andernfalls würde auf einen Zeitpunkt abgestellt werden, der vor Entstehung der Steuerpflicht liegt, was rechtssystematisch nicht vertretbar erscheint. Soweit der Senat bisher in besonders gelagerten Einzelfällen einen abweichenden Standpunkt vertreten hat, wird daran nicht mehr festgehalten.
Nach dem Kapitalverkehrsteuer-Prüfungsbericht, den die durch einen vereidigten Buchprüfer schon vor dem Finanzamt vertretene Bfin. insoweit nicht beanstandet hat, hatte die Bfin. am 31. Dezember 1954 einschließlich der 1954 vorgenommenen Investitionen ein Anlagevermögen von mindestens 3.174.877,09 DM. (Dabei sind zu ihren Gunsten die Beteiligungen, kleine Geräte, Maschinen, Gerüste und Inventarien nicht dem Anlagevermögen zugerechnet, obwohl jedenfalls die vier letzteren Posten dazu gehören). Nach ihrem eigenen Vortrag verfügte sie im Jahre der Darlehnsgewährung (1955) nur über ein Eigenkapital von fast 2.000.000 DM. Bei dieser weitgehenden Unterdeckung des Anlagevermögens sieht der Senat keine Veranlassung, von dem oben gekennzeichneten Grundsatz abzugehen. Die Steuerpflicht des Darlehens ist vielmehr im Ergebnis in übereinstimmung mit dem Finanzgericht angesichts des Umfangs der Unterdeckung zu bejahen, zumal die Bfin. selbst vorträgt, im Jahre 1955 weitere Investitionen von 1.500.000 DM getätigt zu haben.
Der Umstand, daß angesichts der Höhe der Investitionen von etwa 1 Million DM im Jahre 1954 es sich bei dem Darlehen von 30.000 DM um einen verhältnismäßig kleinen Betrag handelte, kann die rechtliche Beurteilung nicht entscheidend beeinflussen. Abgesehen davon, daß die Bfin. im Juli 1955 ein weiteres Darlehen "zur Nachfinanzierung von Investitionen" in Höhe von 100.000 DM aufgenommen hat, können auch kleinere Darlehen zur Schließung von Finanzierungslücken Kapitalersatz darstellen.
Zuzustimmen ist dem Finanzgericht darin, daß die Vorfinanzierung aus Betriebsmitteln einem Investitionsdarlehen nicht den kapitalersetzenden Charakter nimmt (vgl. Rechtssatz 4 des Urteils des erkennenden Senats II 207/57 U vom 30. August 1962, BStBl 1962 III S. 445, Slg. Bd. 75 S. 489). Wie das Finanzgericht im Ergebnis zutreffend ausgeführt hat, kann die erst am 25. August 1955 in Kraft getretene Befreiungsvorschrift des § 3 Abs. 2 Satz 1 zweiter Halbsatz KVStG 1955 - nach der Steuerpflicht nicht eintritt, wenn ein Gesellschafter für Kredite aus öffentlichen Kreditprogrammen Sicherheit leistet - mangels Rückwirkung im Streitfall keine Anwendung finden (vgl. das Urteil des erkennenden Senats II 156/57 U vom 1. August 1962, BStBl 1962 III S. 472 ff., Slg. Bd. 75 S. 560 ff. unter 1. der Gründe).
Fundstellen
Haufe-Index 410839 |
BStBl III 1963, 367 |
BFHE 1964, 136 |
BFHE 77, 136 |