Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzungen für eine USt-Befreiung nach § 4 Nr. 16 Buchst. b und c UStG
Leitsatz (amtlich)
Ein Unternehmer kann die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 16 Buchst. b und c UStG nur für die unmittelbar durch den Betrieb der in der Vorschrift bezeichneten Einrichtung selbst bewirkten Umsätze beanspruchen.
Normenkette
UStG 1980 § 4 Nr. 16 Buchst. b, c; EWGRL 388/77 Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine Aktiengesellschaft, deren Gegenstand insbesondere die Verwaltung und Verwertung des Bades in Bad X war. Sie war in den Streitjahren zu 100 % an den folgenden Firmen beteiligt, nämlich an
― der Klinikum-GmbH, die ein anerkanntes Krankenhaus betrieb,
― der Kur-GmbH, deren Gegenstand der Betrieb von Thermalwasserbädern zur ambulanten Durchführung von Heil-, Vorsorge- und Kurbehandlungen jeder Art war, sowie
― der T.-GmbH.
An diese Gesellschaften hatte sie ihren Grundbesitz verpachtet.
Die Beteiligten gehen davon aus, dass die Klägerin in den Streitjahren umsatzsteuerrechtlich Organträgerin ihrer Tochtergesellschaften war.
Das Klinikum und das Kurmittelhaus stellten eine bauliche Einheit dar, die durch eine gemeinsame Cafeteria verbunden war. Die Einrichtungen des Kurmittelhauses wurden von den Patienten des Klinikums, von ambulanten Patienten mit ärztlicher Verordnung und von sonstigen Besuchern gegen Eintrittsgeld genutzt.
Im Anschluss an eine Außenprüfung vertrat der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ―FA―) die Auffassung, nicht nur die an Besucher des Bades ohne ärztliche Verordnung erbrachten Leistungen der Kur-GmbH, sondern auch die der ambulanten Durchführung von "Heil- u.ä. Behandlungen" aufgrund ärztlicher Verordnung dienenden Leistungen seien steuerpflichtig.
Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen fielen unter den Krankenhausbegriff, wenn die in R 82 Abs. 1 Satz 1 oder Abs. 2 der Einkommensteuer-Richtlinien (EStR) genannten Voraussetzungen erfüllt seien. Sei die Einrichtung nur zum Teil Krankenhaus, sei § 4 Nr. 16 Buchst. b des Umsatzsteuergesetzes 1980 (UStG) nur auf die Umsätze dieses Teilbereichs anzuwenden. Nur das von der Kur-GmbH räumlich, organisatorisch und nach seiner Versorgungsaufgabe klar abgrenzbare Klinikum erfülle die Voraussetzungen des § 4 Nr. 16 Buchst. b UStG. Auch im Organkreis könne die Selbständigkeit der beteiligten Gesellschaften im Rahmen von § 4 Nr. 16 UStG nicht negiert werden. Da die Kur-GmbH kein Krankenhaus nach R 82 EStR sei, fielen ihre Umsätze nicht unter § 4 Nr. 16 Buchst. b UStG.
Auch die Voraussetzungen des § 4 Nr. 16 Buchst. c UStG lägen nicht vor, weil die streitigen Leistungen nicht "unter ärztlicher Aufsicht erbracht werden". Nach den tatsächlichen Verhältnissen ―zwei ambulante Ärzte im Kurmittelhaus bei einer täglichen Besucherzahl von mehreren Tausend (in Spitzenzeiten bis zu 6000)― sei eine fachlich-medizinische Verantwortung ausgeschlossen. Es handele sich um eine Großanlage, die ausweislich der Kurzeitung (Ausgabe August 1990) mit dem Slogan "Bäderlandschaft" werbe. Die Klägerin habe für die Behauptung, es würden fundierte Therapie- und Behandlungspläne ausgeführt, keine Nachweise erbracht.
Auf den Erlass des bayerischen Finanzministeriums vom 12. März 1997 (36-S 7172-11/21-55 457/96, Deutsches Steuerrecht ―DStR― 1997, 663) könne sich die Klägerin nicht berufen, denn die dort aufgestellten Kriterien seien im Streitfall nicht erfüllt.
Das FA erfasste deshalb in den geänderten Umsatzsteuerbescheiden für 1985 bis 1989 vom 27. Juli 1995 die streitigen Entgelte für die Durchführung von "Heil- u.ä. Behandlungen" gegenüber ambulanten Patienten mit ärztlicher Verordnung der Umsatzsteuer. Der Einspruch hatte keinen Erfolg.
Mit der Klage machte die Klägerin geltend, auch hinsichtlich der Leistungen der Kur-GmbH an ambulante Patienten in Höhe von
1985 |
12 233 456 DM |
1986 |
13 179 316 DM |
1987 |
13 950 295 DM |
1988 |
15 306 200 DM |
1989 |
11 828 801 DM |
lägen die Voraussetzungen der Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 16 Buchst. b bzw. Buchst. c UStG vor.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2002, 231 abgedruckt. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, als Organträgerin sowohl der Kur-GmbH als auch der Klinikum-GmbH erziele umsatzsteuerrechtlich die Klägerin die Umsätze; ohne Bedeutung sei, ob die Klägerin bloße Holdinggesellschaft oder eine Gesellschaft mit eigener geschäftlicher Tätigkeit sei; es genüge, wenn die Voraussetzungen der Organschaft erfüllt seien.
Die Organschaft habe auch Folgen für die Außenbeziehungen. Zu den Umsätzen, die mit dem Betrieb eines Krankenhauses eng zusammengehörten, zähle auch die ambulante Behandlung von Patienten. Die Klägerin erbringe ―vergleichbar einem Einzelunternehmer mit verschiedenen Tätigkeitsbereichen― durch ihre Organgesellschaft Klinikum-GmbH die Umsätze aus einem Krankenhaus und durch die Organtochter Kur-GmbH damit eng verbundene Umsätze. Die Organschaft sei nicht vergleichbar mit einer Betriebsaufspaltung, bei der für die voneinander unabhängigen Unternehmen auch jeweils die Steuerbefreiungen getrennt zu prüfen seien. Für die Prüfung der weiteren Voraussetzungen des § 4 Nr. 16 Buchst. b UStG ―ob es sich um ein Krankenhaus handele, das im vorangegangenen Kalenderjahr die in § 67 Abs. 1 oder 2 der Abgabenordnung (AO 1977) bezeichneten Voraussetzungen erfüllt habe― sei dagegen nur auf das Krankenhaus abzustellen; insoweit müssten auch die Entgelte für die ambulanten Behandlungen unberücksichtigt bleiben.
Mit der Revision rügt das FA Verletzung des § 4 Nr. 16 Buchst. b UStG. Es macht im Wesentlichen geltend, der Begriff des Krankenhauses dürfe nicht mit dem des Unternehmens des Organträgers gleichgesetzt werden. Ohne Bedeutung sei, ob der Krankenhausbetrieb auch Teil des Tätigkeitsbereiches eines Unternehmers sei. Soweit das FA selbst rechtsfehlerhaft die Leistungen der Kur-GmbH an stationär untergebrachte Patienten steuerfrei belassen habe, sei dies lediglich wegen des Verböserungsverbots nicht mehr zu korrigieren.
Selbst wenn man die Auffassung des FG teile, seien die streitigen Leistungen nicht eng mit dem Betrieb eines Krankenhauses verbunden und die Klägerin könne allenfalls die Steuerermäßigung nach § 12 Abs. 2 Nr. 9 UStG beanspruchen. Die Auffassung des FG führe im Übrigen zu Wettbewerbsverzerrungen.
Die Voraussetzungen der Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 16 Buchst. c UStG lägen mangels ärztlicher Aufsicht für die Leistungen nicht vor.
Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt die Zurückweisung der Revision.
Sie trägt im Wesentlichen vor, die Leistungen seien eng mit der Krankenhausbehandlung verbunden, wie die Verabreichung von Heilbädern an stationär untergebrachte Patienten belege. Man könne dieselben Leistungen nicht unterschiedlich beurteilen je nachdem, ob sie an stationär untergebrachte oder ambulante Patienten erbracht würden. Die streitigen Leistungen würden aufgrund ärztlicher Verordnung erbracht und seien deshalb Leistungen im Rahmen der Heilbehandlung; der Hinweis auf die Wettbewerbsneutralität gehe deshalb fehl. Hilfsweise lägen die Voraussetzungen des § 4 Nr. 16 Buchst. c UStG vor, da die Kur-GmbH unter der Leitung von Ärzten stehe; das genüge für die Annahme einer anderen Einrichtung ärztlicher Heilbehandlung. Dass im Einzelfall das Kriterium "unter ärztlicher Aufsicht" nicht erfüllt sei, sei unerheblich.
Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) ist nach § 122 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) dem Verfahren beigetreten und trägt vor, die Kur-GmbH erfülle selbst nicht die Voraussetzungen des § 4 Nr. 16 Buchst. b UStG, weil diese kein Krankenhaus sei. Selbst wenn die Kur-GmbH ein Krankenhaus wäre, handele es sich bei ihren Umsätzen nicht um eng mit dem Betrieb eines solchen verbundene Umsätze, weil diese für eine solche Einrichtung weder typisch noch unerlässlich seien. Die Kur-GmbH stehe im Wettbewerb zu anderen, nicht befreiten Kurmittelhäusern; das Gebot der Wettbewerbsneutralität stehe deshalb der Steuerbefreiung der Leistungen entgegen.
Die Voraussetzungen des § 4 Nr. 16 Buchst. c UStG seien deswegen nicht erfüllt, weil die Kur-GmbH keine ärztlichen Leistungen erbringe und es im Übrigen an der erforderlichen ärztlichen Aufsicht fehle. Auch fehlten Feststellungen zu den weiteren Voraussetzungen dieser Vorschrift.
Entgegen der Auffassung des FG ergäben sich aus dem Umstand, dass die Kur-GmbH eine Organgesellschaft sei und der Organträger durch eine andere Organgesellschaft auch ein Krankenhaus betreibe, keine Besonderheiten. Die Steuerfreiheit bestimmter Leistungen färbe nicht auf die anderen Leistungen eines Unternehmers mit verschiedenen Tätigkeitsbereichen ab.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet; sie führt zur Aufhebung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).
Ob eine Holdinggesellschaft ohne eigene wirtschaftliche Tätigkeit Organträger sein kann, kann offen bleiben. Die Voraussetzungen für die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 16 Buchst. b UStG lagen entgegen der Auffassung des FG nicht vor, weil die streitigen Leistungen jedenfalls nicht durch ein Krankenhaus bewirkt worden sind. Der Senat konnte in der Sache nicht entscheiden, weil das FG keine ausreichenden Feststellungen zum Inhalt der streitigen Leistungen getroffen hat, und deshalb nicht beurteilt werden kann, ob und inwieweit die Voraussetzungen für eine andere Steuerbefreiung oder eine Steuerermäßigung vorliegen.
1. Das FG ist bei seiner Entscheidung vom Vorliegen der Voraussetzungen einer Organschaft ausgegangen und hat im Zusammenhang damit lediglich ausgeführt, es spiele keine Rolle, ob der Organträger eine bloße Holdinggesellschaft oder eine Gesellschaft mit eigener operativer Tätigkeit sei.
Ob eine Holdinggesellschaft ohne eigene wirtschaftliche Tätigkeit Organträger sein kann, ist zweifelhaft (bejahend z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 19. Oktober 1995 V R 71/93, BFH/NV 1996, 273; BFH-Beschluss vom 14. Januar 1988 V B 115/87, BFH/NV 1988, 471; Heidner, Umsatzsteuergesetz, 7. Aufl., § 2 Rz. 112; a.A. Birkenfeld, Umsatzsteuer-Handbuch, § 37 UStG Rz. 31; Klenk in Sölch/Ringleb, Umsatzsteuergesetz, § 2 Rz. 97; Reiß in Reiß/Kraeusel/Langer, Umsatzsteuergesetz, § 2 Rz. 109). Mit Urteil vom 9. Oktober 2002 V R 64/99 (BFHE 200, 119, BStBl II 2003, 375) hat der erkennende Senat entschieden, dass eine juristische Person des öffentlichen Rechts nur Organträger sein kann, wenn und soweit sie unternehmerisch tätig ist, wobei die Eigenschaft als Unternehmer durch eine bloße Beteiligung, durch eine unentgeltliche Tätigkeit und durch die Tätigkeit der mit ihr verbundenen Gesellschaften nicht erlangt werden kann. Im Streitfall kann der Senat offen lassen, ob er hiernach noch an der früheren für juristische Personen des Privatrechts vertretenen Auffassung festhält, denn nach den Feststellungen des FG hatte die Klägerin ihren Grundbesitz an die drei Beteiligungsgesellschaften verpachtet und war deshalb Unternehmerin. Für die Erreichung der Unternehmereigenschaft ist es unerheblich, an wen die entgeltlichen Leistungen erbracht werden. Sie können auch an eine Gesellschaft erbracht werden, mit der als Folge dieser Leistungstätigkeit eine enge finanzielle, organisatorische und wirtschaftliche (organschaftliche) Verbindung besteht (vgl. z.B. Senats-Urteil in BFHE 200, 119, BStBl II 2003, 375, m.w.N.).
2. Die Voraussetzungen für eine Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 16 Buchst. b UStG lagen entgegen der Auffassung des FG nicht vor, weil die streitigen Leistungen nicht durch den Betrieb der Einrichtung selbst, der Klinik-GmbH, bewirkt worden sind. Der Senat konnte in der Sache nicht entscheiden, weil das FG keine ausreichenden Feststellungen zum Inhalt der streitigen Leistungen getroffen hat, für die die Klägerin die Steuerbefreiung beansprucht.
a) Nach § 4 Nr. 16 Buchst. b und Buchst. c UStG sind ―soweit hier entscheidungserheblich― von den unter § 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 fallenden Umsätzen steuerfrei,
"die mit dem Betrieb der Krankenhäuser, Diagnosekliniken und anderen Einrichtungen ärztlicher Heilbehandlung, Diagnostik oder Befunderhebung … eng verbundenen Umsätze, wenn
―(Buchst. b) bei Krankenhäusern im vorangegangenen Kalenderjahr die in § 67 Abs. 1 oder 2 der Abgabenordnung bezeichneten Voraussetzungen erfüllt worden sind oder
―(Buchst. c) bei Diagnosekliniken und anderen Einrichtungen ärztlicher Heilbehandlung, Diagnostik oder Befunderhebung die Leistungen unter ärztlicher Aufsicht erbracht werden und im vorangegangenen Kalenderjahr mindestens 40 vom Hundert der Leistungen den in Nummer 15 Buchst. b genannten Personen zugute gekommen sind."
b) Befreit sind nach § 4 Nr. 16 Buchst. b und Buchst. c UStG unter weiteren Voraussetzungen nur die mit dem Betrieb der jeweils bezeichneten Einrichtung ärztlicher Heilbehandlung eng verbundenen Umsätze. Die Steuerbefreiung dieser Umsätze soll nicht den Träger der Einrichtung ―z.B. des Krankenhauses― begünstigen. Sie dient ―ebenso wie die Befreiungsvorschriften in Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b und c der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG; vgl. hierzu Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften ―EuGH―, Urteil vom 10. September 2002 Rs. C-141/00 ―Ambulanter Pflegedienst Kügler GmbH―, Slg. 2002, I-6833 Rz. 29, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften ―ABlEG― 2002, Nr. C 274, 8 bis 9, Umsatzsteuer-Rundschau ―UR― 2002, 513 Rdnr. 36, m.w.N.)― dem Zweck, die Kosten ärztlicher Heilbehandlung zu senken. Damit entlasten sie die Sozialversicherungsträger als Kostenträger für ihre Versicherten und, typisierend, die selbstzahlenden Privatpatienten (vgl. z.B. Senatsurteile vom 25. November 1993 V R 64/89, BFHE 173, 242, BStBl II 1994, 212; vom 18. Oktober 1990 V R 35/85, BFHE 162, 502, BStBl II 1991, 157, unter 1.).
c) Eine "Einrichtung ärztlicher Heilbehandlung" i.S. von § 4 Nr. 16 UStG setzt jedenfalls eine durch die Zusammenfassung sachlicher und persönlicher Mittel abgegrenzte Einheit voraus, die eine der konkret beschriebenen Funktionen (Krankenhaus etc.) erfüllt; sie ist deshalb entgegen der Auffassung des FG jedenfalls grundsätzlich nicht mit dem Unternehmer gleichzusetzen (Birkenfeld, Umsatzsteuer-Handbuch, § 109 UStG Rz. 478; vgl. BFH-Urteil vom 28. Juni 2000 V R 72/99, BFHE 191, 463, BStBl II 2000, 554). Nur die Umsätze sind steuerbefreit, die mit dem Betrieb einer Einrichtung, die die im entsprechenden Tatbestand beschriebene Funktion erfüllt, eng verbunden sind. Andere Umsätze desselben Unternehmers, die nicht unmittelbar durch die bezeichnete Einrichtung selbst ausgeführt werden, sind von der Steuerbefreiung nicht erfasst. Diese Beurteilung folgt aus einer richtlinienkonformen Auslegung des § 4 Nr. 16 Buchst. b und c UStG.
d) Für die Steuerbefreiung für Heilbehandlungen enthält Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b und c der Richtlinie 77/388/EWG abschließende Regelungen (EuGH-Urteil in Slg. 2002, I-6833, ABlEG 2002, Nr. C 274, 8 bis 9, UR 2002, 513 Rdnr. 36).
Diese lauten:
"Unbeschadet sonstiger Gemeinschaftsvorschriften befreien die Mitgliedstaaten unter den Bedingungen, die sie zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der nachstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Missbräuchen festsetzen, von der Steuer:
(Buchst. b)
die Krankenhausbehandlung und die ärztliche Heilbehandlung sowie die mit ihnen eng verbundenen Umsätze, die von Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder unter Bedingungen, welche mit den Bedingungen für diese Einrichtungen in sozialer Hinsicht vergleichbar sind, von Krankenanstalten, Zentren für ärztliche Heilbehandlung und Diagnostik und anderen ordnungsgemäß anerkannten Einrichtungen gleicher Art durchgeführt beziehungsweise bewirkt werden.
(Buchst. c)
die Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der von dem betreffenden Mitgliedstaat definierten ärztlichen oder arztähnlichen Berufe erbracht werden."
aa) Nach Art. 13 Teil A Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG können die Mitgliedstaaten die Gewährung der unter Abs. 1 Buchst. b vorgesehenen Befreiungen für Einrichtungen, die keine Einrichtungen des öffentlichen Rechts sind, von Fall zu Fall von der Erfüllung von näher bezeichneten Bedingungen abhängig machen.
Nach Art. 13 Teil A Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG sind von der in Abs. 1 Buchst. b vorgesehenen Steuerbefreiung ausgeschlossen Dienstleistungen und Lieferungen, wenn sie zur Ausübung der Tätigkeiten, für die die Steuerbefreiung gewährt wird, nicht unerlässlich sind bzw. wenn sie dazu bestimmt sind, der Einrichtung zusätzliche Einnahmen zu verschaffen, die in unmittelbarem Wettbewerb mit Tätigkeiten von der Mehrwertsteuer unterliegenden Unternehmen durchgeführt werden.
Diese Steuerbefreiungen sind autonome Begriffe des Gemeinschaftsrechts, die im Gesamtzusammenhang zu sehen und ―wie alle Steuerbefreiungsvorschriften― eng auszulegen sind (EuGH-Urteil in Slg. 2002, I-6833 Rdnr. 25 und 28, m.w.N.).
bb) Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG setzt voraus, dass die erwähnten Umsätze von Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder von ―in sozialer Hinsicht mit den öffentlich-rechtlichen Einrichtungen vergleichbaren― Krankenanstalten, Zentren für ärztliche Heilbehandlung und Diagnostik "und anderen ordnungsgemäß anerkannten Einrichtungen gleicher Art" bewirkt werden. Eine in Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG erwähnte Einrichtung ist nach dem EuGH-Urteil vom 7. September 1999 Rs. C-216/97 ―Gregg―, Slg. 1999, I-4939, UR 1999, 419 Rdnr. 18 zu Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g) vorhanden, wenn eine abgegrenzte Einheit eine der bezeichneten Funktionen erfüllt, wobei es allerdings auf die Rechtsform des Unternehmers nicht ankommt (EuGH-Urteil vom 3. April 2003 Rs. C-144/00 ―Matthias Hoffmann―, UR 2003, 286, Rdnr. 24).
cc) Umsätze durch Heilbehandlungen sind nicht schon deshalb befreit, weil der Unternehmer auch Träger eines Krankenhauses ist. Nach der Rechtsprechung des EuGH sind die Anwendungsbereiche der Befreiungen in Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b und c der Richtlinie 77/388/EWG unterschiedlich und bezwecken eine abschließende Regelung der Steuerbefreiungen für Leistungen der Heilbehandlung im engeren Sinn. Sie unterscheiden nach dem Ort der Leistungen: Nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG sind alle Leistungen befreit, die in Krankenhäusern/Krankenanstalten, Zentren für ärztliche Heilbehandlung und Diagnostik und anderen ordnungsgemäß anerkannten Einrichtungen ähnlicher Art erbracht werden, während nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 77/388/EWG diejenigen Heilbehandlungen steuerfrei sind, die außerhalb eines Krankenhauses im Rahmen einer auf Vertrauen gegründeten Beziehung zwischen Patient und Behandelndem erbracht werden, wobei diese Beziehung normalerweise in dessen Praxisräumen zum Tragen kommt (EuGH-Urteile in Slg. 2002, I-6833; vom 23. Februar 1988 Rs. 353/85 ―Kommission/Vereinigtes Königreich―, Slg. 1988, 817, UR 1989, 313 Rdnr. 33). Werden danach Heilbehandlungen außerhalb einer der bezeichneten, durch eine Zusammenfassung sachlicher und persönlicher Mittel abgegrenzten Einrichtungen erbracht, sind sie nur unter den Voraussetzungen des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 77/388/EWG befreit. Diese Grundsätze sind bei der Auslegung des § 4 Nr. 16 und Nr. 14 zu berücksichtigen. Ärztliche Leistungen, die nicht innerhalb der entsprechenden in § 4 Nr. 16 Buchst. b bezeichneten Einrichtung erbracht werden, sind danach nur unter den Voraussetzungen des § 4 Nr. 14 UStG begünstigt.
dd) Im Streitfall sind hiernach die von der Kur-GmbH ausgeführten Leistungen nicht nach § 4 Nr. 16 Buchst. b UStG befreit, weil diese selbst unstreitig kein Krankenhaus ist.
3. Der Senat kann nicht abschließend entscheiden, weil Feststellungen über die Art der konkreten Leistungen, für deren Entgelt die Klägerin die Steuerbefreiung beansprucht, fehlen.
a) Zum einen ist die Rede davon, die "Einrichtungen des Kurmittelhauses" seien von den Patienten des Klinikums, von ambulanten Patienten mit ärztlicher Verordnung und von sonstigen Besuchern "gegen Eintrittsgeld genutzt" worden. Soweit es sich hierbei um die Entgelte für die Benutzung der Thermalbäder handelt, kommt grundsätzlich nur eine Steuerermäßigung nach § 12 Abs. 2 Nr. 9 UStG in Betracht, wenn es sich bei diesen Umsätzen nicht um eine unselbständige, unerlässliche Nebenleistung zu einer nach § 4 Nr. 16 UStG befreiten Hauptleistung handelt (vgl. Anhang H Kategorie 16 zu Art. 12 Abs. 3 der Richtlinie 77/388/EWG) oder zu einer nicht begünstigten Hauptleistung handelt.
b) An anderer Stelle ist von "Heil- u.ä. Behandlungen" die Rede. Letzteres spricht gegen die Annahme, streitig seien nur die Entgelte für die Benutzung der Thermalbäder. Handelt es sich auch um Umsätze, die die bei der Kur-GmbH beschäftigten Personen steuerfrei hätten erbringen können, wenn sie selbständig tätig gewesen wären, wird das FG die anstehende Entscheidung des EuGH in dem Verfahren vor dem EuGH Rs. C-45/01 ―Christoph-Dornier-Stiftung für Klinische Psychologie― (BFH-Az. V R 54/98, vgl. Vorlagebeschluss des BFH vom 14. Dezember 2000 V R 54/98, BFHE 194, 275) zu berücksichtigen haben.
c) Feststellungen fehlen auch hinsichtlich der Voraussetzungen für eine Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 16 Buchst. c UStG. Was die Anforderungen an die "ärztliche Aufsicht" betrifft, verweist der Senat auf sein Urteil vom 2. April 1998 V R 66/97 (BFHE 185, 543, BStBl II 1998, 632). Mit dem Tatbestandsmerkmal "unter ärztlicher Aufsicht" wollte der Gesetzgeber erkennbar sicherstellen, dass nur solche Leistungen umsatzsteuerlich begünstigt sind, die hinsichtlich ihrer fachlichen Ausführung einem Qualitätsvergleich mit einer ärztlichen Heilbehandlung standhalten. Eine der ärztlichen Heilbehandlung vergleichbare Qualität der Ausführung ist aber nur dann gewährleistet, wenn die ärztliche Aufsicht stetig und situationsangemessen stattfindet.
Fundstellen
Haufe-Index 985738 |
BFH/NV 2003, 1507 |
BStBl II 2003, 954 |
BFHE 2004, 185 |
BFHE 203, 185 |
BB 2003, 2278 |
DB 2003, 2474 |
DStRE 2003, 1275 |
HFR 2003, 1199 |
UR 2003, 541 |
UR 2004, 34 |