Entscheidungsstichwort (Thema)
Regelmäßige Arbeitsstätte eines Rechtspflegeranwärters
Leitsatz (NV)
Wird ein Rechtspflegeranwärter im Rahmen seiner Ausbildung im Wege der Abordnung, d.h. zu einem vorübergehenden Aufenthalt, einer Fachhochschule zugewiesen, hat er dort keine regelmäßige Arbeitsstätte.
Normenkette
EStG § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4, Abs. 5 S. 1, § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 5
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) bezog für seine Tochter (T) zunächst Kindergeld.
T wurde mit Wirkung vom 1. September 2002 unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Widerruf des Landes Baden-Württemberg zur Rechtspflegeranwärterin ernannt. Der dreijährige Vorbereitungsdienst gliedert sich nach § 4 Abs. 2 der Verordnung des Justizministeriums Baden-Württemberg über die Ausbildung und Prüfung der Rechtspfleger (APrORpfl) vom 15. September 1994 (Gesetzblatt 1994, 561) in folgende Ausbildungsabschnitte:
1. Studium I 12 Monate
2. Studienpraxis I 13 Monate
3. Studium II 9 Monate
4. Studienpraxis II 2 Monate.
Das Studium I und II findet an der Fachhochschule für Rechtspflege in A (FH A) statt (§ 5 Abs. 1 APrORpfl), die Studienpraxis I bei einem Amtsgericht und die Studienpraxis II bei einer Staatsanwaltschaft (§ 6 Abs. 2 APrORpfl). Die Rechtspflegeranwärter werden einem Amtsgericht als Ausbildungsgericht zugewiesen (Stammdienststelle), an dem sie die Studienpraxis I verbringen und an dem der Vorbereitungsdienst nach Abschluss der Studienpraxis II bis zum Tag der mündlichen Prüfung fortgesetzt wird (vgl. Ziffer IV.3. der Verwaltungsvorschrift des Justizministeriums vom 3. Dezember 2001 2321/0457, Die Justiz 2001, S. 537, zur Durchführung der APrORpfl --VV--); für das Studium I und II werden sie an die FH A abgeordnet. Der Präsident des Oberlandesgerichts (OLG) leitet die Ausbildung der Rechtspflegeranwärter (§ 7 Abs. 1 APrORpfl). Erholungsurlaub wird nach Maßgabe der Ziffer VI.2. VV von der Stammdienststelle bewilligt.
Im Rahmen ihres bis Oktober 2005 dauernden Vorbereitungsdienstes nahm T von September 2002 bis August 2003 am Studium I an der FH A teil und befand sich von September 2003 zur weiteren Ausbildung bei dem Amtsgericht B. Im Anschluss daran kehrte sie ab Oktober 2004 wieder an die FH A zurück. Zum 1. Dezember 2003 war sie aus C in eine Mietwohnung nach B gezogen.
Mit Bescheid vom 13. April 2004 hob die Beklagte und Revisionsbeklagte (Familienkasse) die Kindergeldfestsetzung mit Wirkung vom 1. Januar 2004 auf, da der Jahresgrenzbetrag von 7.680 € nach § 32 Abs. 4 Satz 2 in der für das Streitjahr 2004 geltenden Fassung des Einkommensteuergesetzes (EStG) voraussichtlich überschritten werde. Der Einspruch des Klägers hatte keinen Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) entschied durch Urteil vom 14. November 2006 12 K 5060/04 (Entscheidungen der Finanzgerichte 2008, 957), T habe sowohl bei dem Amtsgericht B als auch bei der FH A eine regelmäßige Arbeitsstätte, sodass keine Verpflegungsmehraufwendungen zu berücksichtigen seien und Aufwendungen für die Fahrten zwischen ihrer Wohnung und dem Amtsgericht B bzw. der FH A nicht nach Reisekostengrundsätzen, sondern nur mit der Entfernungspauschale nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG als Werbungskosten abgezogen werden könnten. Danach überschritten die Einkünfte und Bezüge der T den maßgeblichen Jahresgrenzbetrag.
Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung materiellen Rechts sowie Verfahrensfehler.
T habe eine Einsatzwechseltätigkeit ausgeübt, da keine der verschiedenen Ausbildungsstätten als Mittelpunkt ihrer Ausbildungstätigkeit angesehen werden könne. Allenfalls liege eine regelmäßige Arbeitsstätte bei dem Amtsgericht B vor, von der aus T im Rahmen von Dienstreisen dem Ausbildungsplan gemäß zur FH A habe fahren müssen. Dementsprechend würden die Rechtspflegeranwärter zur FH A abgeordnet und hätten Anspruch auf Trennungsgeld und Reisekostenerstattung nach beamtenrechtlichen Grundsätzen. Auch in diesem Fall werde der Jahresgrenzbetrag aber unterschritten, da die Fahrten zur FH A dann nach Dienstreisegrundsätzen zu berücksichtigen seien.
Der Kläger beantragt sinngemäß, das Urteil des FG, den Aufhebungsbescheid vom 13. April 2004 und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 15. Oktober 2004 aufzuheben.
Die Familienkasse beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angegriffenen Urteils, des Aufhebungsbescheids vom 13. April 2004 und der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 15. Oktober 2004 (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Der Kläger hat für das Streitjahr 2004 einen Anspruch auf die Festsetzung von Kindergeld für T.
1. Für ein Kind, das --wie T im Streitjahr 2004-- das 18., aber noch nicht das 27. Lebensjahr vollendet hat und sich in Ausbildung befindet, besteht nach § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG ein Anspruch auf Kindergeld nur, wenn das Kind Einkünfte und Bezüge, die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind, von nicht mehr als 7.680 € im Kalenderjahr hat. Der Begriff der Einkünfte entspricht dem in § 2 Abs. 2 EStG gesetzlich definierten Begriff und ist je nach Einkunftsart als Gewinn oder als Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten zu verstehen. Erzielt das Kind Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, sind daher von den Bruttoeinnahmen die Werbungskosten abzuziehen (ständige Rechtsprechung, z.B. Senatsurteil vom 29. Mai 2008 III R 33/06, BFH/NV 2008, 1664).
2. Das FG hat zutreffend entschieden, dass T für die Kalendertage, die sie am Amtsgericht B tätig war, keine Pauschbeträge für Verpflegungsmehraufwendungen nach § 9 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 EStG zustehen, da sie am Amtsgericht B eine regelmäßige Arbeitsstätte hatte und daher keine Einsatzwechseltätigkeit ausgeübt hat.
a) Verpflegungsmehraufwendungen können als Werbungskosten nach § 9 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 EStG nur Steuerpflichtige geltend machen, die vorübergehend von ihrer Wohnung und dem Mittelpunkt ihrer dauerhaft angelegten beruflichen Tätigkeit entfernt beruflich tätig werden (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 2 EStG - Dienstreise) oder die bei ihrer individuellen beruflichen Tätigkeit typischerweise nur an ständig wechselnden Tätigkeitsstätten tätig werden (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 3 EStG - Einsatzwechseltätigkeit).
Als Arbeitnehmer wird typischerweise nur an ständig wechselnden Tätigkeitsstätten tätig, wer im Betrieb seines Arbeitgebers keine regelmäßige Arbeitsstätte innehat, die für ihn den (ortsgebundenen) Mittelpunkt seiner dauerhaft angelegten beruflichen Tätigkeit darstellt. Eine Einsatzwechseltätigkeit i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 3 EStG ist daher nur anzunehmen, wenn es an einem solchen Tätigkeitsmittelpunkt im Sinne des Satzes 2 der Vorschrift fehlt (z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 11. Mai 2005 VI R 16/04, BFHE 209, 518, BStBl II 2005, 789).
Der Begriff des Tätigkeitsmittelpunkts i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 2 EStG entspricht dem Begriff der (regelmäßigen) Arbeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG (z.B. BFH-Urteil in BFHE 209, 518, BStBl II 2005, 789). Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist hierunter jede ortsfeste dauerhafte betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers zu verstehen, der der Arbeitnehmer zugeordnet ist und die er nicht nur gelegentlich, sondern mit einer gewissen Nachhaltigkeit, d.h. fortdauernd und immer wieder aufsucht (z.B. BFH-Urteile vom 18. Dezember 2008 VI R 39/07, BFHE 224, 111, BStBl II 2009, 475, m.w.N., und VI R 47/07, BFH/NV 2009, 751). Liegt eine auf Dauer und Nachhaltigkeit angelegte (regelmäßige) Arbeitsstätte vor, so kann sich der Arbeitnehmer auf die immer gleichen Wege einstellen und so auf eine Minderung der Wegekosten hinwirken, z.B. durch Bildung von Fahrgemeinschaften und die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel sowie ggf. durch eine entsprechende Wohnsitznahme (z.B. BFH-Urteile vom 10. April 2008 VI R 66/05, BFHE 221, 35, BStBl II 2008, 825, und in BFHE 224, 111, BStBl II 2009, 475).
b) Danach hatte T beim Amtsgericht B eine regelmäßige Arbeitsstätte. Hier leistete sie die 13-monatige Studienpraxis I ab. An diesem Amtsgericht ist nach Abschluss der Studienpraxis II der Vorbereitungsdienst bis zum Tag der mündlichen Prüfung fortzusetzen (vgl. IV.3. VV). T musste nicht damit rechnen, dass sie ihre Arbeitsleistung an immer wieder anderen Arbeitsstätten zu erbringen hatte; vielmehr konnte sie sich auf das Amtsgericht B als regelmäßige Arbeitsstätte einstellen und so auf eine Minderung der Wegekosten hinwirken, wie nicht zuletzt der Umstand zeigt, dass sie im Dezember 2003 von C nach B zog und in den Monaten ihrer Ausbildung bei dem Amtsgericht B für die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte jeweils den öffentlichen Nahverkehr nutzte.
Handelt es sich bei dem Amtsgericht B mithin um eine regelmäßige Arbeitsstätte der T, so können für die Kalendertage, die T am Amtsgericht B tätig war, keine Pauschbeträge für Verpflegungsmehraufwendungen nach § 9 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 EStG berücksichtigt werden.
3. Entgegen der Auffassung des FG handelt es sich danach bei der FH A um keine (weitere) regelmäßige Arbeitsstätte der T. Ihre Stammdienststelle war das Amtsgericht B. Demgegenüber wurde sie der FH A jeweils im Wege der Abordnung, d.h. zu einem vorübergehenden Aufenthalt zugewiesen. Dies rechtfertigt es, das Amtsgericht B für die gesamte Ausbildungszeit als dauerhaften Mittelpunkt der beruflichen Tätigkeit --hier: der Ausbildung-- der T und damit als ihre (einzige) regelmäßige Arbeitsstätte anzusehen.
Für die Kalendertage, an denen sich T ausbildungsbedingt an der FH A aufgehalten hat, sind daher Verpflegungsmehraufwendungen nach Maßgabe des § 9 Abs. 5 i.V.m. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 2 EStG anzusetzen. Diese hat der Kläger, von der Familienkasse nicht bestritten, mit (6 € x 11 Tage =) 66 € angegeben.
4. Handelt es sich danach zwar bei dem Amtsgericht B, nicht aber auch bei der FH A um eine regelmäßige Arbeitsstätte der T, ergibt sich daraus zugleich, dass die Fahrten von der Wohnung der T in B zum Amtsgericht B als solche zwischen Wohnung und Arbeitsstätte nur nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 EStG mit … € (höhere Aufwendungen für die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel) zu berücksichtigen sind und für die Fahrten zur FH A nach § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG die tatsächlichen Aufwendungen angesetzt werden können; die tatsächlichen Aufwendungen hat der Kläger zulässigerweise mit den in H 38 der Lohnsteuer-Richtlinien 2004 vorgesehenen Pauschalen von 0,30 € je Fahrtkilometer, mithin mit insgesamt … € berechnet.
5. Die Einkünfte und Bezüge der T im Streitjahr 2004 übersteigen danach den in diesem Jahr maßgeblichen Jahresgrenzbetrag von 7.680 € nicht. Zieht man von den zu berücksichtigenden Einnahmen in Höhe von … € die anzusetzenden Werbungskosten ab, ergeben sich zu berücksichtigende Einkünfte und Bezüge der T von … €. Abzuziehen sind ferner nach Maßgabe der Gründe des Senatsurteils vom 14. Dezember 2006 III R 24/06 (BFHE 216, 225, BStBl II 2007, 530) Beiträge der T für eine private Kranken- und Pflegeversicherung. Dass diese im Streitjahr weniger als … € betragen haben --belegt wurden in 2004 gezahlte Beiträge für eine Kranken- und Pflegeversicherung bei der … von … €--, ist nicht ersichtlich.
6. Da die Revision schon aus den dargestellten Gründen Erfolg hat, kommt es auf die erhobenen Verfahrensrügen des Klägers nicht mehr an.
Fundstellen
Haufe-Index 2266562 |
BFH/NV 2010, 200 |
HFR 2010, 168 |