Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer Verfahrensrecht/Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Auf Grund der Bestimmungen der Verordnungen der britischen Militärregierung Nr. 165 über die Verwaltungsgerichtsbarkeit und Nr. 175 über die Wiedererrichtung der Finanzgerichte ist gegen Beschwerdeentscheidungen der Oberfinanzdirektionen über Vorauszahlungsbescheide die Berufung an die Finanzgerichte gegeben. 2. Die kaufmännische Buchführung verlangt, daß die unbaren Geschäftsvorfälle in Grundbüchern festgehalten werden. Bei Einzelhandelsgeschäften stellt es keinen Verstoß gegen diese Grundsätze dar, wenn kleine Kreditverkäufe im Ladengeschäft in einer Kladde festgehalten werden. 3. Wo ein laufender unbarer Geschäftsverkehr mit Geschäftsfreunden, der im Interesse der erforderlichen übersicht die Führung eines kontenmäßig gegliederten Geschäftsfreundebuches sachlich notwendig macht, nicht gegeben ist, genügt es, wenn die unbaren Geschäftsvorfälle in Tagebüchern zeitfolgemäßig aufgezeichnet und im Kontokorrentbuch lediglich die am Bilanzstichtag bestehenden Forderungen und Schulden ausgewiesen werden.
Normenkette
EStG § 4/1, §§ 5, 10 Abs. 1 Ziff. 3; AO §§ 237, 304/4
Tatbestand
Die Beschwerdeführerin (Bfin.) erklärte für die Einkommensteuervorauszahlungen III und IV/1948 einen geschätzten Gewinn von 7738 DM. Auf Grund einer Betriebsprüfung ermittelte das Finanzamt einen Gewinn von 11 072 DM und setzte die Vorauszahlungen III und IV/1948 entsprechend höher fest. Dabei wurde die Vergünstigung für den nichtentnommenen Gewinn nach § 10 Absatz 1 Ziffer 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) 1949 wegen nicht ordnungsmäßiger Buchführung abgelehnt. Hiergegen legt die Steuerpflichtige (Stpfl.) Beschwerde ein mit dem Antrag, die Vorauszahlungen von 4824 DM auf 4098 DM herabzusetzen, da sie für 1 107 DM nichtentnommenen Gewinn Anspruch auf Steuerfreiheit habe. Sie habe eine einfache kaufmännische Buchführung nach den Richtlinien der früheren Wirtschaftsgruppe Einzelhandel. Ein Geschäftsfreundebuch werde nicht geführt, da die Zahl der nicht sofort beglichenen Rechnungen unbedeutend, und die Lage des Vermögens jederzeit ersichtlich sei. Das Kontokorrent werde durch ordnungsmäßige Aufbewahrung der Rechnungen ersetzt.
Der Oberfinanzpräsident wies die Beschwerde als unbegründet zurück. Nach den Grundsätzen der kaufmännischen Buchführung seien Kreditgeschäfte in gleicher Weise wie Bargeschäfte in den Grundbüchern zeitfolgemäßig darzustellen. Da die Stpfl. diesem Erfordernis nicht entsprochen habe, sei die Buchführung nicht ordnungsmäßig. Gegen die Entscheidung des Oberfinanzpräsidenten legte die Stpfl. Berufung ein, die ohne Erfolg war.
Entscheidungsgründe
Die Rechtsbeschwerde (Rb.) ergibt folgendes:
Das Finanzgericht führte hinsichtlich seiner Zuständigkeit aus: Das Gericht trete der Auffassung der Stpfl. bei, daß gegen die Beschwerdeentscheidung des Oberfinanzpräsidenten die Berufung zulässig sei. Die Festsetzung von Einkommensteuervorauszahlungen stelle einen Verwaltungsakt dar, der gemäß § 22 der Verordnung der britischen Militärregierung Nr. 165 über die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der britischen Zone (Verordnungsblatt für die Britische Zone 1948 S. 263) der richterlichen Nachprüfung unterworfen sei. Die Zuständigkeit des Finanzgerichts für die Rechtsmittelentscheidung ergebe sich durch die Verordnung Nr. 175 der britischen Militärregierung über die Wiedererrichtung von Finanzgerichten (Verordnungsblatt für die Britische Zone 1948 S. 385), durch die den Finanzgerichten die Angelegenheiten der Finanzverwaltung als Rechtsmittelbehörden übertragen seien. Da die Zuständigkeit des Finanzgerichts in Beschwerdesachen in § 18 der Verordnung Nr. 175 abschließend geregelt sei, komme als Rechtsmittel gegen die Beschwerdeentscheidung des Oberfinanzpräsidenten die Berufung in Frage. Das Finanzgericht ging von der Auffassung aus, daß die Bestimmung des § 304 Absatz 4 der Reichsabgabenordnung (AO) durch die Verordnungen Nr. 165 und Nr. 175 überholt sei.
Die vom Finanzgericht vertretene Ansicht wird von einer Reihe von Finanzgerichten in der Britischen Zone in Rechtsbeschwerdesachen, die dem Bundesfinanzhof vorliegen, geteilt. Der Senat tritt ihr nach Benehmen mit den übrigen Senaten des Bundesfinanzhofs bei.
Nach § 17 der Verordnung Nr. 175 entscheiden die Finanzgerichte über die Steuerbescheide im Berufungsverfahren. In § 27 Absatz 2 der Verordnung wird zwar die Bestimmung des § 237 AO, daß Steuerbescheide, die sich auf die Anforderung von Vorauszahlungen beschränken, lediglich die Beschwerde gegeben sei, nicht aufgehoben. Es ist jedoch zu beachten, daß die Aufzählung der aufgehobenen Paragraphen der AO in § 27 Absatz 2, wie sich aus dem Worte "insbesondere" ergibt, nicht erschöpfend ist. Unter Berücksichtigung der vom Finanzgericht dargestellten Gesichtspunkte spricht diese Fassung dafür, daß das Beschwerdeverfahren nicht vollständig beseitigt werden soll und Vorauszahlungsbescheide erst nach einer abweisenden Beschwerdeentscheidung der Oberfinanzdirektion vor den Finanzgerichten angreifbar sind. Dem steht auch Artikel 19 Absatz 4 des Grundgesetzes nicht entgegen, der den gerichtlichen Rechtsschutz in allen Fällen gewährt, wo jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt wird. Der durch das Grundgesetz festgelegte Rechtsschutz wird nicht dadurch eingeschränkt, daß für seine Inanspruchnahme erst Ausschöpfung des Rechtsweges bei den Verwaltungsbehörden gefordert wird. Wesentliche verwaltungspolitische Gesichtspunkte erfordern es, daß ganz überwiegend die Streitfälle hinsichtlich der Vorauszahlungen bei den Verwaltungsbehörden selbst erledigt werden. Die Inanspruchnahme der Gerichte muß sich auf Ausnahmefälle beschränken. Diese Regelung entspricht auch den Interessen der Stpfl. Es ist hier eine ähnliche Lage wie bei reinen Ermessungsmaßnahmen der Verwaltungsbehörden. Auch hier hat z. B. die Zweite Verordnung zur Ausführung des Gesetzes über die Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 30. September 1949 für Bayern (Gesetz- und Verordnungsblatt - GVBl. - 1949 S. 260) gefordert, daß vor der Inanspruchnahme der Verwaltungsgerichte das Beschwerdeverfahren vor den Verwaltungsbehörden durchgeführt wird. Siehe auch die zur Veröffentlichung bestimmte Entscheidung des Bundesfinanzhofs IV 44/50 vom 2. Februar 1951. Gleichartige Erwägungen kommen auch in dem Bericht über die 49. Sitzung des Deutschen Bundesrates vom 9. Februar 1951 hinsichtlich des Bundesverfassungsgerichtes (Sitzungsbericht 1951 S. 87) zum Ausdruck. In übereinstimmung mit dem Finanzgericht ist deshalb der Senat der Auffassung, daß erst gegen die Beschwerdeentscheidungen der Oberfinanzdirektionen die Berufung gegeben ist, wie dies auch im vorliegenden Falle dem Vorgehen der Vorbehörden entspricht. 2. Die Vorbehörden sind zutreffend davon ausgegangen, daß die kaufmännische Buchführung die Aufzeichnung sämtlicher Geschäftsvorfälle nach der Zeitfolge und damit auch der Kreditgeschäfte in Grundbüchern fordert (Entscheidung des Reichsfinanzhofs VI 784, 785/38 vom 21. Dezember 1938, Reichssteuerblatt - RStBl. - 1939 S. 309; Entscheidung des Obersten Finanzgerichtshofs IV 78/49 vom 13. Januar 1950, Ministerialblatt des Bundesministeriums der Finanzen 1950 S. 343). Des weiteren müssen in einem Kontokorrentbuch als Teil der Inventur die am Bilanztag bestehenden Forderungen und Schulden im einzelnen, gegebenenfalls in Verbindung mit Hilfsbüchern ausgewiesen werden. Die Anforderungen hinsichtlich der Ausgestaltung der Buchführung hängen wesentlich von der Größe und der Art des Betriebes ab. Sie sind beim Großunternehmen anders wie beim Minderkaufmann, beim Fabrikationsbetrieb anders wie beim Einzelhändler. Dies kommt auch im Handelsrecht dadurch zum Ausdruck, daß für Aktiengesellschaften im § 132 des Aktiengesetzes (AktG), der die Gliederungen der Verlust- und Gewinnrechnungen regelt, im Gegensatz zu § 38 HGB im Ergebnis die doppelte Buchführung, d. h. eine Buchführung, die nicht nur die Geschäftsvorfälle nach der Zeitfolge, sondern auch systematisch nach Konten geordnet zur Darstellung bringt, gefordert wird. Umgekehrt hat der Reichsfinanzhof wiederholt Vereinfachungen in der Buchführung bei kleinen Betrieben anerkannt, und hierbei, so in der Entscheidung VI A 560/37 vom 29. September 1937, RStBl. 1937 S. 1117, ausgesprochen, daß Förmlichkeiten, denen eine sachliche Bedeutung nicht zukommt, für die Beurteilung der Ordnungsmäßigkeit einer Buchführung nicht wesentlich sind. Die Buchführung muß so gestaltet sein, daß sie die zuverlässige Aufzeichnung aller Geschäftsvorfälle und des Vermögens ermöglicht und gewährleistet. Es muß sich für den Kaufmann und einen sachverständigen Dritten jederzeit die erforderliche übersicht über die Geschäfts- und Vermögenslage in angemessener Zeit gewinnen lassen (Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen - RGStr - vom 1. Dezember 1933 I D 1111/33, RStBl. 1934 S. 319; vom 5. Juni 1939 3 D 1041/38, RStBl. 1939 S. 1165).
Eine der wichtigsten Aufgaben der Buchführung besteht darin, den Kaufmann über den Stand seiner Forderungen und Verpflichtungen gegenüber seinen Geschäftsfreunden auf dem laufenden zu halten. Das Geschäftsfreundebuch mit einer kontenmäßigen Darstellung der unbaren Geschäftsvorfälle, aufgegliedert nach Geschäftsfreunden, hat diese wichtige Aufgabe zu erfüllen und wird deshalb in der einfachen Buchführung als das Hauptbuch bezeichnet. Trotz der Bedeutung dieses Buches hat der Reichsfinanzhof anerkannt, daß dort, wo ein laufender unbarer Geschäftsverkehr mit Geschäftsfreunden, der im Interesse der erforderlichen übersicht die Führung eines kontenmäßig gegliederten Geschäftsfreundebuches sachlich notwendig macht, nicht gegeben ist, es genügt, wenn die unbaren Geschäftsvorfälle in Tagebüchern zeitfolgemäßig aufgezeichnet und im Kontokorrentbuch lediglich die am Bilanzstichtag bestehenden Schulden und Forderungen ausgewiesen werden, so die Entscheidung des Reichsfinanzhofs VI 301/39 vom 21. Juni 1939, RStBl. 1939 S. 955. Darüber hinaus hat der Reichsfinanzhof bei Einzelhändlern eine vereinfachte Buchung der kleineren Kreditverkäufe, die im Ladengeschäft zeitweise in größerer Zahl auftreten, zugelassen. Hierunter fallen z. B. Geschäfte, bei denen Kunden in Kolonialwarenhandlungen geringe Beträge schuldig bleiben und nach kurzer Zeit abdecken. Der Reichsfinanzhof hat anerkannt, daß es bei diesen Vorgängen genüge, sie einschließlich der Zahlung in einer Kladde festzuhalten, die als Teil der Buchführung aufbewahrt werden muß (Entscheidung des Reichsfinanzhofs VI 171/38 vom 27. April 1938, RStBl. 1938 S. 491); siehe auch Schuster-Zieten "Die neue Buchführung des Einzelhändlers" (Verlag Franke & Co.) S. 19 Ziffer 2. Die Eintragung in der Kladde muß den Geschäftsvorfall in einer Weise zum Ausdruck bringen, daß es möglich ist, ihn in seiner Entstehung und Abwicklung zu verfolgen. Es wird also in derartigen Fällen keine weitere Buchung in einem Memorial oder in einem Konto eines Geschäftsfreundebuches gefordert.
Im vorliegenden Falle hat die Stpfl. kein Geschäftsfreundebuch mit Einzelkonten für die Lieferanten und Kunden geführt. Dies kann zu einer Aberkennung der Vergünstigung des § 10 Absatz 1 Nr. 3 EStG 1949 dann nicht führen, wenn die oben dargestellten Grundsätze beachtet sind.
Zweifelhaft ist es, ob die notwendigen Eintragungen der unbaren Geschäftsvorfälle in Grundbüchern erfolgt sind. Das Finanzgericht verneint es. Es ist aber nicht klar, ob dies den tatsächlichen Verhältnissen entspricht. Es wird ein Wareneingangsbuch geführt, das sämtliche Wareneingänge und damit auch die unbaren Warenkäufe aufnimmt. Es muß allerdings zur Erfüllung der obengestellten Bedingungen in einer besonderen Spalte zum Ausdruck kommen, ob es sich um ein bares oder unbares Geschäft handelt. Des weiteren muß der Tag der Begleichung der Rechnung vermerkt sein (siehe Einkommensteuer-Richtlinien - EStR - II/1948 und 1949 Ziffer 107 Absatz 2). Soweit das Wareneingangsbuch die erforderlichen Angaben noch nicht enthält, und es auf Grund der Unterlagen des Kassenbuches zuverlässig und unschwer möglich wäre, es zu ergänzen, bestehen hiergegen keine Bedenken (siehe Entscheidung des Reichsfinanzhofs VI A 12/37 vom 28. Januar 1937, RStBl. 1937 S. 332). Es ist denkbar, daß außer den Warenkäufen noch sonstige unbare Geschäftsvorfälle, die zu Verpflichtungen geführt haben, in Frage kommen. Sie müssen entsprechend den oben dargestellten Grundsätzen in Grundbüchern aufgezeichnet sein. Die Unterlagen lassen nicht erkennen, ob derartige Geschäfte getätigt worden sind.
Desgleichen lassen die Unterlagen nicht ersehen, ob Veräußerungsgeschäfte vorliegen, für die die notwendigen Aufzeichnungen fehlen. In den Prüferbilanzen zum 20. Juni und 31. Dezember 1948 sind keine Forderungen für Warenlieferungen ausgewiesen.
Da die Möglichkeit eines Rechtsirrtums besteht, wird die Sache zur nochmaligen Prüfung an das Finanzgericht zurückverwiesen.
Fundstellen
Haufe-Index 407200 |
BStBl III 1951, 75 |
BFHE 1952, 199 |
BFHE 55, 199 |
BB 1951, 326 |
DB 1951, 339 |