Entscheidungsstichwort (Thema)
Erlaß aus sachlichen Billigkeitsgründen: Einordnung von Verlobten in ungünstigste Erbschaftsteuerklasse nach Aufgebotsbestellung, Verfassungsmäßigkeit der Einordnung, Wille des Gesetzgebers, Verfassungsmäßigkeit einer Norm, Normenkontrollverfahren
Leitsatz (amtlich)
Die gesetzlich vorgeschriebene Einziehung der Erbschaftsteuer bei einer Verlobten des Erblassers nach der ungünstigsten Steuerklasse führt auch dann zu keiner unbilligen sachlichen Härte, wenn der Erbfall nach der Bestellung des Aufgebots eingetreten ist.
Orientierungssatz
1. Ein Erlaß wegen sachlicher Unbilligkeit ist nur insoweit durch die Ermächtigungsnorm des § 227 AO 1977 gedeckt, wie angenommen werden kann, der Gesetzgeber würde die im Billigkeitswege zu entscheidende Frage --hätte er sie geregelt-- im Sinne des vorgesehenen Erlasses entscheiden (vgl. BFH-Urteil vom 27.3.1958 V z 181/57 U).
2. Erlaß wegen sachlicher Unbilligkeit: Entspricht die Einziehung einer Steuer dem zum Ausdruck gebrachten Willen des Gesetzgebers, hält dieser aber einer an den Grundrechten ausgerichteten verfassungsrechtlichen Überprüfung nicht stand, ist bereits das Gesetz als solches verfassungswidrig. Dies kann aber nur in den dafür vorgesehenen Verfahren geltend gemacht werden und rechtfertigt keinen Billigkeitserlaß. Zur Wahrung der Grundrechte kann jedoch bei generalisierenden und typisierenden Steuertatbeständen ein Billigkeitserlaß wegen sachlicher Härte geboten sein, wenn die Regelungen nur deshalb einer verfassungsrechtlichen Prüfung standhalten, weil im Einzelfall oder in Gruppen von Einzelfällen die Möglichkeit besteht, auftretenden Härten durch Billigkeitsmaßnahmen Rechnung zu tragen.
3. Verlobte eines Erblassers gehören bewußt nicht zu den durch die Erbschaftsteuerklassen I, II, III begünstigten Erben, und zwar auch dann nicht, wenn die Erbeinsetzung mit Rücksicht auf die bevorstehende Eheschließung erfolgt (vgl. RFH-Urteil vom 12.4.1927).
4. Die Einordnung von Verlobten in die ungünstigste Erbschaftsteuerklasse ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden. Auch der Tatsache, daß zwar geschiedene Ehegatten, nicht aber Verlobte einer günstigeren Steuerklasse zugeordnet worden sind, ergibt sich kein Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG.
Normenkette
AO 1977 § 227 Abs. 1; EheG § 8; ErbStG 1974 § 15 Abs. 1; GG Art. 100 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist kraft letztwilliger Verfügung Alleinerbin des am 18. März 1986 im 82. Lebensjahr verstorbenen Niederländers H. Beide waren verwitwet --die Klägerin seit 1975-- und kannten sich seit 1978. Infolge einer Zuckererkrankung mußte H 1979 ein Bein abgenommen werden. Die Erbeinsetzung erfolgte durch Testament vom August 1981. H hatte damals, abgesehen von einem in den USA lebenden wohlhabenden Bruder, keine näheren Angehörigen.
Nach gelegentlichen Gesprächen über eine Eheschließung beschlossen die Klägerin und H Anfang Januar 1986 zu heiraten. Am 17. Februar 1986 beantragte H deshalb beim zuständigen Konsulat ein Ehefähigkeitszeugnis. Wegen Verzögerungen bei der Ausstellung des Ehefähigkeitszeugnisses konnte das Aufgebot erst am 11. März 1986 bestellt werden. Die Eheschließung war für den 20. März 1986 vorgesehen. H verstarb jedoch zwei Tage vor diesem Termin.
Durch Bescheid vom 23. Januar 1987 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 30. November 1988 setzte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) gegen die Klägerin bei einem steuerpflichtigen Erwerb von ... DM unter Anrechnung ausländischer Erbschaftsteuer von ... DM nach der Steuerklasse IV die Erbschaftsteuer auf ... DM fest.
Nach erfolgloser Klage gegen diese Steuerfestsetzung beantragte die Klägerin im Januar 1991, die Steuer insoweit zu erlassen, als sie über eine nach Steuerklasse I berechnete Steuer hinausgeht. Insoweit sei die Einziehung der Steuer sachlich unbillig, weil H nach Bestellung des Aufgebots verstorben sei. Den Antrag lehnten das FA durch Verfügung vom 11. März 1993 und auf Beschwerde der Klägerin hin die Oberfinanzdirektion (OFD) durch Entscheidung vom 24. Februar 1994 ab. Die danach erhobene Klage, die die Klägerin während des Verfahrens auf einen Erlaß in Höhe der Differenz zu einer nach Steuerklasse III berechneten Steuer eingeschränkt hatte, war dagegen erfolgreich.
Mit in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1996, 732 veröffentlichtem Urteil verpflichtete das Finanzgericht (FG) das FA, die Steuer in Höhe eines Teilbetrages von ... DM zu erlassen. Die Ablehnung des Erlasses stelle einen Ermessensfehlgebrauch dar. Die Einziehung einer höheren als der nach Steuerklasse III berechneten Steuer wäre eine ungerechtfertigte Härte, die auch aus verfassungsrechtlichen Gründen und im Hinblick auf den Zweck der Erbschaftsbesteuerung nicht mehr zu rechtfertigen sei. Dadurch sei das Ermessen der Steuerbehörden so eingeengt, daß nur noch eine Entscheidung rechtens sei. Sowohl diese Rechtslage als auch die entscheidungserheblichen Besonderheiten des Streitfalles hätten die Behörden verkannt. Die Besonderheiten bestünden darin, daß der Erblasser und die Klägerin seit 1978 in nichtehelicher Lebensgemeinschaft zusammengelebt und sich im Januar 1986 endgültig entschlossen hätten, zu heiraten. Wegen der Verzögerung bei der Beschaffung der erforderlichen Papiere habe das Aufgebot erst am 11. März 1986 bestellt und ein ursprünglich geplanter früherer Heiratstermin nicht eingehalten werden können. Der Beklagte sei dem Vorbringen der Klägerin, H sei überraschend gestorben, nicht entgegengetreten. Die Verzögerung bei der Beschaffung des Ehefähigkeitszeugnisses hätten weder die Klägerin noch H zu vertreten gehabt.
Mit der vom FG zugelassenen Revision rügt das FA mangelnde Sachaufklärung sowie einen Verstoß gegen den Inhalt der Akten. Außerdem macht es geltend, die Vorentscheidung verletze die §§ 5, 163 und 227 der Abgabenordnung (AO 1977) sowie die §§ 11 und 15 des Erbschaftsteuergesetzes (ErbStG) in der bis zum Jahressteuergesetz 1997 geltenden Fassung.
Materiell-rechtlich habe das FG zu Unrecht einen Ermessensfehler angenommen. Die Steuerklassen knüpften an die familienrechtlichen Verhältnisse zum Todeszeitpunkt an. Die Nichtbegünstigung der Verlobten führe deshalb auch dann zu keinem Gesetzesüberhang, wenn am Stichtag bereits das Aufgebot bestellt gewesen sei. Denn am rechtlichen Status der Verlobten ändere sich dadurch nichts. Die Annahme, das Aufgebot bewirke ein rechtlich verdichtetes persönliches Verhältnis zwischen den Verlobten sei daher verfehlt. Es laufe auf eine unzulässige Korrektur des Gesetzgebers hinaus, immer dann eine sachliche Härte zu bejahen, wenn beim Tod eines Verlobten bereits das Aufgebot bestellt gewesen sei. Auch die Höhe der festgesetzten Steuer führe vorliegend zu keiner unbilligen Härte, und zwar auch nicht unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten, wie der Beschluß des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 15. November 1989 1 BvR 171/89 (BStBl II 1990, 103) zeige.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin ist der Revision entgegengetreten. Der Tod des H sei überraschend gewesen. Noch am Morgen des Todestages habe der Hausarzt bei einer Routineuntersuchung nichts festgestellt, was auf den nahen Tod habe schließen lassen. Im übrigen rechneten auch betagte Menschen nicht ständig damit, am nächsten Tag zu sterben.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
1. Die geltend gemachten Verfahrensrügen greifen nicht durch. Insoweit wird gemäß Art. 1 Nr. 8 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs von einer Begründung abgesehen. Die Vorentscheidung ist jedoch aus materiell-rechtlichen Gründen aufzuheben. Eine sachliche Härte dergestalt, daß sich das Ermessen der Steuerbehörden auf einen Erlaß als einzig rechtmäßige Entscheidung verengt hätte, liegt nicht vor.
a) Gemäß § 227 Abs. 1 AO 1977 können Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen werden, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Dabei handelt es sich um eine Ermessensentscheidung, bei der Inhalt und Grenzen des Ermessens durch den Begriff der Unbilligkeit bestimmt werden (vgl. Beschluß des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Oktober 1971 GmS-OGB 3/70, BFHE 105, 101, BStBl II 1972, 603). Die Entscheidung darf gemäß § 102 FGO gerichtlich (nur) daraufhin überprüft werden, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder ob von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist. Soll sich die Unbilligkeit aus sachlichen Gründen ergeben, muß die Einziehung der Steuer zwar dem Gesetz entsprechen, aber infolge eines Gesetzesüberhangs den Wertungen des Gesetzgebers derart zuwiderlaufen, daß sie unbillig erscheint (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 26. Mai 1994 IV R 51/93, BFHE 174, 482, BStBl II 1994, 833, sowie vom 26. Oktober 1994 X R 104/92, BFHE 176, 3, BStBl II 1995, 297 unter II. 3.). Dies setzt voraus, daß der Gesetzgeber die mit der Einziehung der Steuer verbundene Härte nicht bewußt in Kauf genommen hat. § 227 AO 1977 stellt keine Ermächtigung zur Korrektur des Gesetzes dar. Die Billigkeitsmaßnahme darf nicht auf Erwägungen gestützt werden, die die vorgesehene Besteuerung allgemein außer Kraft setzen würden (so BFH-Urteil vom 5. Oktober 1966 II 111/64, BFHE 88, 382, BStBl III 1967, 415). Ein Erlaß wegen sachlicher Unbilligkeit ist daher nur insoweit durch die Ermächtigungsnorm des § 227 AO 1977 gedeckt, wie angenommen werden kann, der Gesetzgeber würde die im Billigkeitswege zu entscheidende Frage --hätte er sie geregelt-- im Sinne des vorgesehenen Erlasses entscheiden (BFH-Urteil vom 27. März 1958 V z 181/57 U, BFHE 66, 647, BStBl III 1958, 248).
Entspricht die Einziehung der Steuer zwar dem zum Ausdruck gebrachten Willen des Gesetzgebers, hält dieser aber einer an den Grundrechten ausgerichteten verfassungsrechtlichen Überprüfung nicht stand, ist bereits das Gesetz als solches verfassungswidrig. Dies kann aber nur in den dafür vorgesehenen Verfahren geltend gemacht werden und rechtfertigt keinen Billigkeitserlaß (vgl. BFH-Urteil vom 23. November 1994 X R 124/92, BFHE 177, 246, BStBl II 1995, 824). Zur Wahrung der Grundrechte kann jedoch bei generalisierenden und typisierenden Steuertatbeständen ein Billigkeitserlaß wegen sachlicher Härte geboten sein, wenn die Regelungen nur deshalb einer verfassungsrechtlichen Prüfung standhalten, weil im Einzelfall oder in Gruppen von Einzelfällen die Möglichkeit besteht, auftretenden Härten durch Billigkeitsmaßnahmen Rechnung zu tragen (so BVerfG-Beschluß vom 5. April 1978 1 BvR 117/73, BVerfGE 48, 102, BStBl II 1978, 441, 445, m.w.N.).
b) Nach den genannten Grundsätzen kommt im Streitfall ein Billigkeitserlaß wegen sachlicher Härte nicht in Betracht. Nach den Wertungen des Gesetzgebers, wie sie in den §§ 9, 11, 15 und 16 ErbStG 1974 zum Ausdruck kommen, sollen vor allem familiäre Beziehungen zwischen dem Erblasser und dem Erben im Zeitpunkt des Todes über die Höhe der Steuer entscheiden (vgl. Moench, Erbschaftsteuergesetz, Kommentar, § 15 Anm. 1). Die Erben, die zu diesem Zeitpunkt mit dem Erblasser verwandt oder verschwägert waren, werden in abgestufter Weise gegenüber Erben ohne diese Eigenschaft begünstigt. Dabei handelt es sich um eine rein formale Anknüpfung. Persönliche Vertrautheit, gemeinsames Zusammenleben oder langjährige Fürsorge spielen keine Rolle (so Meincke, Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz, Kommentar, 11. Aufl. 1997, § 15 Anm. 2). Darüber hinaus werden auch geschiedene Ehegatten bevorzugt. Demgegenüber gehören Verlobte des Erblassers bewußt nicht zu den solchermaßen begünstigten Erben, und zwar auch dann nicht, wenn die Erbeinsetzung mit Rücksicht auf die bevorstehende Eheschließung erfolgt (vgl. für den Fall einer Schenkung Urteil des Reichsfinanzhofs --RFH-- vom 12. April 1927 V e 93/27, Deutsche Verkehrsteuer-Rundschau --DVR-- 1927, 110; anders nur bei Schenkung unter aufschiebender Bedingung der Eheschließung RFH-Urteil vom 25. April 1940 III e 3/40, RStBl 1940, 615). Dabei gehört es zum Wesen des Verlöbnisses, daß es --abgesehen von einer vorzeitigen Auflösung aus welchen Gründen auch immer-- erst mit der Eheschließung endet. Daher bewirkt die Einordnung der Verlobten in die ungünstigste Steuerklasse für den Gesetzgeber erkennbar, daß auch solche Erbfälle betroffen sind, die sich kurz vor einem festgelegten Heiratstermin ereignen.
Diese Einordnung der Verlobten in die ungünstigste Steuerklasse ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden. Das Verlöbnis fällt nicht etwa als Vorstufe der Ehe unter den Schutz von Ehe und Familie gemäß Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG). Aus der Tatsache, daß zwar geschiedene Ehegatten, nicht aber Verlobte einer günstigeren Steuerklasse zugeordnet worden sind, ergibt sich auch kein Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Die beiden Personengruppen sind nicht vergleichbar. Anders als zwischen Verlobten besteht zwischen geschiedenen Ehegatten ein besonderes Pflichtverhältnis, zu dem etwa die Unterhaltsregelung gehört (vgl. Jarass/Pieroth, Grundgesetz, 3. Aufl. 1995, Art. 6 Anm. 3). Diese Folgewirkungen einer geschiedenen Ehe sind ebenfalls durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützt (so BVerfG-Entscheidung vom 10. Januar 1984 1 BvL 5/83, BVerfGE 66, 84, 93) und erlauben eine Besserstellung beispielsweise gegenüber Verlobten.
c) Die gesetzlich vorgeschriebene Einziehung der Erbschaftsteuer bei einem Verlobten nach der ungünstigsten Steuerklasse führt auch dann zu keiner unbilligen sachlichen Härte, wenn der Erbfall nach der Bestellung des Aufgebots eingetreten ist. Die Tatsache der Bestellung des Aufgebots nach § 12 des Ehegesetzes (EheG) vermag für sich allein eine sachliche Unbilligkeit der Steuereinziehung nicht zu begründen. Sinn und Zweck des Aufgebots ist entgegen der Ansicht des FG Baden-Württemberg (Urteil vom 4. Oktober 1984 IX 345/82, EFG 1985, 249) nämlich nicht, die persönlichen Bande zwischen den Verlobten rechtlich enger zu knüpfen und ihren Beziehungen eine andere, in die Ehe überleitende Qualität zu verleihen; vielmehr dient das Aufgebot lediglich der Überprüfung der Ehefähigkeit sowie dazu, öffentlich bekannt zu machen, die Ehe eingehen zu wollen (Müller-Gindullis in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch --MünchKomm--, § 12 EheG Anm. 1). Abgesehen davon wäre mit solch einer Sonderbehandlung der Verlobten, die bereits das Aufgebot bestellt hatten, die Trennlinie zwischen der ungünstigsten und der günstigeren Steuerklasse nur vorverlegt; an ihrer systemimmanenten Schärfe änderte sich dagegen nichts.
d) Auch die vom FG aufgeführten weiteren Umstände führen zu keiner anderen Beurteilung. Der Verlust des der Klägerin nahestehenden Erblassers durch Tod rechtfertigt als solcher keine Billigkeitsmaßnahme. Er ist als schicksalhafter Umstand für den gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG 1974 der Steuer unterliegenden Tatbestand des Erwerbs von Todes wegen schlechthin konstitutiv und kann daher nicht gegenüber der daran nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes anknüpfenden Steuer als Milderungsgrund geltend gemacht werden. Die mehrjährige Beziehung der Klägerin mit dem Erblasser wäre selbst dann unbeachtlich, wenn sie als nichteheliche Lebensgemeinschaft anzusprechen wäre. Das ErbStG begünstigt nichteheliche Lebensgemeinschaften nicht, ohne daß dies verfassungswidrig wäre (Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 6 Anm. 15 a). Der Gesetzgeber kann eheliche und nichteheliche Lebensgemeinschaften unterschiedlich behandeln, weil und insoweit es sich um unterschiedliche Lebensformen handelt (so Urteil des Bundessozialgerichts vom 6. August 1992 10 RKg 7/91, Neue Juristische Wochenschrift 1993, 1159; siehe auch BVerfG-Beschluß in BStBl II 1990, 103). Daher kann die nichteheliche Lebensgemeinschaft unter erbschaftsteuerlichen Gesichtspunkten auch dem Verlöbnis keine besondere Qualität verleihen. Da sowohl die Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft als auch Verlobte der ungünstigsten Steuerklasse angehören, ist nicht ersichtlich, weshalb beides zusammen eine bessere Eingruppierung erzwingen soll. Der Verzögerung bei der Beschaffung der für die Eheschließung erforderlichen Unterlagen kommt im Rahmen des § 227 AO 1977 ebenfalls keine Bedeutung zu.
2. Die Sache ist spruchreif; die Klage ist abzuweisen. Auf die Grundsätze des Beschlusses des BVerfG vom 22. Juni 1995 2 BvR 552/91 (BStBl II 1995, 671) kann sich die Klägerin nicht berufen, da nach dem Beschluß das bis dahin geltende Erbschaftsteuerrecht auf Erbfälle vor 1996 weiterhin anwendbar ist. Diese Anordnung kann nicht im Billigkeitswege unter Rückgriff auf die in dem Beschluß erörterten verfassungsrechtlichen Gesichtspunkte unterlaufen werden. Im übrigen gehört die Klägerin gerade nicht zu den Familienangehörigen im Sinne der Steuerklasse I des § 15 Abs. 1 ErbStG 1974. Auch wurden keine zu einem Betrieb gehörigen Wirtschaftsgüter vererbt. Anderweitiger Ermessensfehlgebrauch der Steuerbehörden läßt sich nicht feststellen. Sie haben weder die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten noch von ihrem Ermessen in einer dem Zweck des Gesetzes nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht.
Fundstellen
Haufe-Index 67195 |
BFH/NV 1998, 1152 |
BFH/NV 1998, 1152-1153 (Leitsatz und Gründe) |
BStBl II 1998, 396 |
BFHE 185, 270 |
BFHE 1998, 270 |
BB 1998, 1250 |
BB 1998, 1250 (Leitsatz) |
BB 1998, 2148 |
DB 1998, 1215 |
DB 1998, 1215 (Leitsatz) |
DStRE 1998, 487 |
DStRE 1998, 487-489 (Leitsatz und Gründe) |
HFR 1998, 626 |
StE 1998, 376 |