Entscheidungsstichwort (Thema)
AdV-Verfahren erfordert präsente Beweismittel; lange Verfahrensdauer bei Grundlagenbescheid rechtfertigt keine AdV des Folgebescheids
Leitsatz (NV)
1. Das Verfahren über die Aussetzung der Vollziehung erfordert grundsätzlich präsente Beweismittel, daher auch einen in bezug auf die Zweifel an der Rechtmäßigkeit schlüssigen Vortrag spätestens in der mündlichen Verhandlung.
2. Der bloße Hinweis auf die lange Dauer des Verfahrens über den Grundlagenbescheid rechtfertigt es für sich genommen nicht, die Vollziehung des Folgebescheids auszusetzen.
Normenkette
FGO § 69 Abs. 3
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger), zur Einkommensteuer zusammenveranlagte Eheleute, waren in den Streitjahren 1975 bis 1978 u.a. an den Kommanditgesellschaften A GmbH & Co. KG und B GmbH & Co. KG beteiligt. Entsprechend den ESt-4 B-Mitteilungen des für beide Gesellschaften zuständigen Betriebs-Finanzamts vom 15. und 22. November 1982 erließ der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) am 27. Januar 1983 für die Jahre 1975 bis 1978 berichtigte Einkommensteuerbescheide, in denen er die Verlustanteile der Kommanditgesellschaften in einer geringeren Höhe als von den Klägern beantragt berücksichtigte. Die Kläger legten gegen diese Bescheide Einspruch ein und beantragten Aussetzung der Vollziehung. Beides blieb erfolglos. Auch die Beschwerde gegen die Ablehnung des Antrags auf Aussetzung der Vollziehung hatte keinen Erfolg (Beschwerdeentscheidung der Oberfinanzdirektion - OFD - Hannover vom 16. Januar 1984).
Mit der gegen die ablehnende Beschwerdeentscheidung erhobenen Klage trugen die Kläger vor, mit Schreiben vom 27. Januar 1983 sei die Aussetzung der Vollziehung der angefochtenen Grundlagenbescheide in vollem Umfange beantragt worden. Das Betriebs-FA habe diesen Antrag mit Schreiben vom 6. April 1983 abgelehnt. Über die am 19. April 1983 hiergegen erhobene Beschwerde sei nicht entschieden worden, weshalb mit Schreiben vom 20. Februar 1984 beim Senatsvorsitzenden des für das Betriebs-FA zuständigen Finanzgerichts die Aussetzung der Vollziehung der angefochtenen Gewinnfeststellungsbescheide 1975 bis 1978 beantragt worden sei. Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der Einkommensteuerbescheide sei wegen der überlangen Dauer des Verfahrens betreffend die Grundlagenbescheide gerechtfertigt.
Das FG wies die Klage als unzulässig ab, wobei es im wesentlichen auf eine Entscheidung vom selben Tage im Hauptsacheverfahren Bezug nahm. Könne ein Folgebescheid nicht mit der Begründung angefochten werden, der Grundlagenbescheid sei rechtswidrig, so könne mit dieser Begründung auch nicht die Aussetzung der Vollziehung des Folgebescheids verlangt werden (Niedersächsisches FG vom 15. Dezember 1981 VII 183/81, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1982, 446).
Mit der - vom FG zugelassenen - Revision rügen die Kläger die Verletzung der §§ 42 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. 351 Abs. 2, 361 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977). Sie tragen vor, daß, wenn sich die Rechtsschutzmöglichkeiten des Grundlagenbescheids nur über § 175 Abs. 1 AO 1977 hinsichtlich des Folgebescheides auswirkten, für den Steuerpflichtigen keine Möglichkeit bestehe, hinsichtlich des Grundlagenbescheides effektiven Rechtsschutz zu erlangen.
Die Kläger beantragen die Ablehnungsverfügung vom 7. Juni 1983 und die Beschwerdeentscheidung vom 16. Januar 1984 sowie das Urteil des FG v. 28. Mai 1984 aufzuheben und das FA zu verpflichten, die Vollziehung der Einkommensteuerbescheide 1975 bis 1978 vom 27. Januar 1983 insoweit auszusetzen, als sich . . .
Das FA beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist zulässig, aber unbegründet. Zwar folgt der Senat der Vorinstanz insoweit nicht, als sie die Klage als unzulässig erachtet hat. Das Begehren der Kläger ist vielmehr nach ständiger Rechtsprechung mehrerer Senate des Bundesfinanzhofs (BFH) als zulässig anzusehen.
Die Klage ist indes unbegründet. Diese Rechtsfolge ergibt sich unabhängig davon, daß der Rechtsstreit über den Grundlagenbescheid noch nicht abschließend entschieden ist. Aussetzung der Vollziehung eines Steuerbescheids kann gemäß § 69 FGO erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit bestehen. Umstände, die darauf hindeuten, daß diese Voraussetzungen im vorliegenden Falle gegeben sein könnten, hat das FG nicht festgestellt. Nach den in der Vorentscheidung enthaltenen tatsächlichen Feststellungen haben die Kläger zur Begründung ihrer Klage nicht vorgetragen, aus welchen sachlich rechtlichen Erwägungen nach ihrer Auffassung Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verwaltungsakte bestehen.
Das Verfahren über die Aussetzung der Vollziehung erfordert grundsätzlich präsente Beweismittel (§ 155 FGO i.V.m. § 294 der Zivilprozeßordnung - ZPO -), mithin auch einen in bezug auf die Zweifel an der Rechtmäßigkeit schlüssigen Vortrag spätestens in der mündlichen Verhandlung bzw. zum Zeitpunkt des Verzichts auf eine solche. Dies gilt sowohl für das Antrags-, wie auch für das Klageverfahren (Urteil des BFH vom 14. Juli 1976 I R 138/74, BFHE 119, 373, BStBl II 1976, 682). Der bloße Hinweis auf die lange Dauer des Verfahrens über den Grundlagenbescheid rechtfertigt es für sich genommen nicht, die Vollziehung des Folgebescheides auszusetzen.
Dahinstehen kann, ob das FG auf Grund der Aktenlage im Rahmen seiner Amtsermittlungspflicht Veranlassung gehabt hätte, weitere Erhebungen über mögliche ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Einkommensteuerbescheide 1975 bis 1978 anzustellen. Denn eine etwaige Verletzung der Ermittlungspflicht wäre nur auf entsprechende Verfahrensrüge in der Revision zu beachten. Eine solche wurde nicht erhoben.
Fundstellen
Haufe-Index 414070 |
BFH/NV 1986, 167 |