Entscheidungsstichwort (Thema)
Bewertung, Vermögen-, Erbschaft-, Schenkungsteuer Erbschaft, Schenkung und Steuern
Leitsatz (amtlich)
Die Vorschrift des § 10 Abs. 2 ErbStG ist als echte Tarifvorschrift auch im Falle der Jahresversteuerung nach § 33 ErbStG anzuwenden.
Normenkette
ErbStG § 10 Abs. 2, § 11 Abs. 2, §§ 33, 30
Tatbestand
Alleiniger Erbe der am 5. Januar 1952 verstorbenen Witwe Frieda N., geb. R., ist ihr Adoptivsohn Georg N. geworden. Der Nachlaß, der nach Abzug der Nachlaßverbindlichkeiten einen Nettowert von 275.359,84 DM darstellt, war mit Vermächtnissen im Gesamtwert von 58.500 DM belastet, so daß sich für den Erben ein steuerpflichtiger Erwerb in Höhe von 216.859,84 DM ergab. Das Finanzamt hatte demzufolge in einem vorläufigen Erbschaftsteuerbescheid vom 18. Juni 1952 die Erbschaftsteuer für den Erben selbst unter Berücksichtigung des gesetzlichen Freibetrages auf 21.653,50 DM berechnet. Darüber hinaus hatte das Finanzamt für den Erwerb der Vermächtnisnehmer Hans H. und Bertha R. eine Erbschaftsteuer in Höhe von insgesamt 10.450 DM ermittelt, während die übrigen Vermächtnisse steuerfrei blieben. Als Gesamtbetrag der Erbschaftsteuer für den Nachlaß der Erblasserin war dementsprechend ein Betrag von 32.103,50 DM vorläufig festgesetzt und bei dem Rechtsanwalt Dr. S. als Testamentsvollstrecker angefordert worden.
Dieser stellte nach Empfang des Steuerbescheides am 16. Juli 1952 den Antrag, den Erwerb der Vermächtnisnehmerin Bertha R., bei dem es sich in der Hauptsache um ein Rentenvermächtnis handelt, gemäß § 33 des Erbschaftsteuergesetzes (ErbStG) in der Weise zur Erbschaftsteuer heranzuziehen, daß an Stelle der im Bescheid des Finanzamts durchgeführten Besteuerung nach dem Kapitalwert der Rente die Steuer jährlich nach dem Jahresbetrag der Rente erhoben werden solle.
Das Finanzamt entsprach diesem Antrag und berechnete nunmehr die Steuer für den Erwerb der Vermächtnisnehmerin Bertha R. wie folgt: Es ermittelte den Kapitalwert der Rente, ausgehend von ihrem Jahresbetrag in Höhe von 6.600 DM, unter Anwendung des Vervielfachers 7,5 auf 49.500 DM, so daß sich unter Zurechnung eines Barvermächtnisses in Höhe von 1.000 DM als Gesamterwerb der Vermächtnisnehmerin Bertha R. der Betrag von 50.500 DM ergab. Für Erwerbe in dieser Höhe, nämlich zwischen 50.000 und 100.000 DM, betrug gemäß § 10 Abs. 1 ErbStG zur damaligen Zeit der Steuersatz in der Steuerklasse III 22 v. H. Diesen Steuersatz hat das Finanzamt angewendet und demgemäß den Jahresbetrag der Steuer für das Rentenvermächtnis auf 1.452 DM festgesetzt, zu dem im ersten Jahre der Besteuerung noch ein Betrag von 220 DM für das Barvermächtnis zugunsten der Vermächtnisnehmerin hinzugerechnet worden ist. Diese Berechnung hat das Finanzamt dem von ihm erlassenen "berichtigten vorläufigen Steuerbescheid" vom 1. August 1952 zugrunde gelegt.
über die Höhe und Art dieser Berechnung besteht jedoch insofern Streit, als der beschwerdeführende Testamentsvollstrecker (Bf.) die Ansicht vertritt, daß der sich nach § 10 Abs. 1 ErbStG ergebende Steuersatz entsprechend der Vorschrift des § 10 Abs. 2 ermäßigt werden müsse. Er führt dazu im einzelnen aus, daß die Anwendung dieser Vorschrift bei der Versteuerung nach dem Kapitalwert der Rente nur eine Steuer im Betrage von 11.250 DM ergeben würde, was einem Steuersatz von 20,3 v. H. entspreche. Durch die Wahl der jährlichen Rentenversteuerung dürfe die Stellung der Vermächtnisnehmerin insoweit nicht verschlechtert werden. Der berichtigte vorläufige Steuerbescheid bedürfe deshalb einer änderung in der Weise, daß auch der Berechnung der Jahressteuer für die der Vermächtnisnehmerin angefallene Rente nur ein Hundertsatz von 20,3 v. H. zugrunde gelegt werde.
Einspruch und Berufung des Beschwerdeführers (Bf.) sind jedoch erfolglos geblieben, da die Vorinstanzen übereinstimmend die Auffassung vertreten, die Vorschrift des § 10 Abs. 2 ErbStG sei im Falle einer nach § 33 ErbStG durchgeführten Versteuerung von Renten nach ihrem Jahreswert nicht anwendbar.
Der Bf., der die gegenteilige Auffassung vertritt, rügt in der Rechtsbeschwerde (Rb.) Verletzung des geltenden Rechts und trägt insbesondere vor, daß in § 33 Satz 2 ErbStG ganz allgemein auf den § 10 ErbStG Bezug genommen werde und damit auch auf dessen Abs. 2, der von der Bezugnahme nicht ausgeschlossen sei. Die Vorinstanzen hätten deshalb zu Unrecht die Anwendung des § 10 Abs. 2 ErbStG abgelehnt.
Entscheidungsgründe
Die Rb. ist begründet.
In formeller Hinsicht wird zunächst bemerkt, daß es sich bei dem vom Finanzamt als "berichtigter vorläufiger Steuerbescheid" bezeichneten Bescheid vom 1. August 1952 in Wirklichkeit um nichts anderes als einen Bescheid gemäß § 33 ErbStG handelt. Denn der Bescheid unterscheidet sich inhaltlich von dem vorher ergangenen eigentlichen Erbschaftsteuerbescheid nur dadurch, daß er dem vom Bf. nach § 33 ErbStG gestellten Antrag Rechnung trägt. Derartige Bescheide sind an sich selbständige Bescheide, die den eigentlichen Steuerbescheid unberührt lassen. Für den Streitfall hat die fehlerhafte Bezeichnung des Bescheids keine Bedeutung, da der Bescheid gemäß § 33 ErbStG in gleicher Weise wie der eigentliche Erbschaftsteuerbescheid im Berufungsverfahren anfechtbar ist, soweit es die durch § 33 veranlaßten Besteuerungsmaßnahmen anlangt. Da im Streitfalle nicht der Inhalt des ursprünglichen Steuerbescheids, sondern lediglich die gemäß § 33 durchgeführte Rentenbesteuerung angegriffen wird, so war die Nachprüfung des "berichtigten vorläufigen Steuerbescheids" im Berufungsverfahren jedenfalls insoweit für zulässig zu erachten.
Die Vorschrift des § 33 Satz 2 ErbStG bestimmt, daß im Falle der Versteuerung von Renten nach ihrem Jahreswert die Steuer nach dem Hundertsatz erhoben wird, der sich nach § 10 für den gesamten Kapitalbetrag ergibt. Die Vorinstanzen wollen nun diese auch für die Berechnung der Jahressteuer vorgeschriebene Anwendung des § 10 ErbStG auf die im Abs. 1 des § 10 vorgesehenen Steuersätze beschränken, lehnen aber die Anwendung des § 10 Abs. 2 im Rahmen der nach § 33 vorgesehenen Jahresversteuerung von Renten ab. Mit Recht weist die Rb. darauf hin, daß diese Handhabung der Erbschaftsteuer zumindest dem Gesetzeswortlaut insoweit nicht entspricht, als § 33 Satz 2 ErbStG ohne Einschränkung auf den gesamten § 10 ErbStG Bezug nimmt. Auch haben die Vorinstanzen jedenfalls keine Bedenken getragen, der herrschenden Meinung folgend bei der Ermittlung des anzuwendenden Steuersatzes für die Erhebung der Jahressteuer vom Gesamtbetrag der Bereicherung einschließlich des angefallenen Barvermächtnisses auszugehen, und haben damit, wenn auch nicht ausdrücklich, so doch der Sache nach der Vorschrift des § 10 Abs. 3 ErbStG auch in diesem Zusammenhang Geltung verschafft.
Wenn die Vorinstanzen trotzdem im Falle der Rentenversteuerung nach § 33 ErbStG die Vorschrift des § 10 Abs. 2 von der Anwendung ausschließen wollen, so läßt sich dies nur dann rechtfertigen, wenn erhebliche sachliche Gründe, die sich aus der Systematik des Erbschaftsteuerrechts oder aus dem Zusammenhang der gesetzlichen Einzelbestimmungen ergeben könnten, der Anwendung des § 10 Abs. 2 im Rahmen des § 33 entgegenstehen würden. Die Vorinstanzen haben ihre Ansicht mit dem Hinweis zu begründen versucht, daß § 33 Satz 2 von dem zu erhebenden Hundertsatz spricht, daß aber im § 10 ErbStG nur die Steuersätze des Abs. 1 in Hundertsätzen ausgedrückt seien, während die im Abs. 2 vorgesehene Ermäßigung der Steuer nach anderen Maßstäben berechnet werde, ohne den eigentlichen Hundertsatz der Erbschaftsteuer zu berühren; der Gebrauch des Wortes "Hundertsatz" im § 33 Satz 2 ErbStG stehe daher der Anwendung des § 10 Abs. 2 ErbStG im Rahmen der erstgenannten Vorschrift entgegen. Aber auch die unter Anwendung des § 10 Abs. 2 ermittelte Steuer entspricht einem bestimmten Hundertsatz des Erwerbs, und dieser Hundertsatz kann ohne weiteres ermittelt werden, wie es auch im Streitfalle geschehen ist. Denn das Finanzgericht hat in seiner Urteilsbegründung selbst ausgeführt, daß die nach der Kapitalisierung der Rente unter Hinzurechnung des Barvermächtnisses ermittelte Steuer, die zunächst unter Außerachtlassung des § 33 nach dem Kapitalwert der Rente errechnet worden war, bei Anwendung des § 10 Abs. 2 einem Steuersatz von 20,3 v. H. entspricht. Der Ermittlung eines Hundertsatzes stehen demnach auch bei Anwendung des § 10 Abs. 2 keine Hindernisse im Wege.
Der auf die Anwendung des § 10 (heutiger Fassung) nicht genügend abgestimmte Wortlaut des § 33 Satz 2 erklärt sich zwanglos aus der Entstehungsgeschichte des Gesetzes. § 33 in seiner heutigen Fassung entspricht - von einer sachlich belanglosen Wortänderung abgesehen - dem § 50 ErbStG vom 10. September 1919. Diese Vorschrift war im ursprünglichen Regierungsentwurf nicht enthalten, wurde aber in den Ausschußberatungen des 10. Ausschusses der Deutschen Nationalversammlung zunächst als § 46 a ergänzend eingefügt und in der 2. und 3. Lesung des Gesetzes mitbeschlossen. In dem damaligen ErbStG war jedoch eine dem heutigen § 10 Abs. 2 entsprechende Vorschrift nicht enthalten. Es bedurfte einer solchen Vorschrift zunächst auch nicht, weil der damalige Tarif der Erbschaftsteuer in der Weise gestaffelt war, daß die Steuersätze auch im einzelnen Steuerfalle von Wertgrenze zu Wertgrenze stiegen. Je nach der Höhe des Erwerbs fanden deshalb in jedem einzelnen Besteuerungsfalle eine Anzahl verschiedener Steuersätze Anwendung, so daß die Progression der Steuer in jedem Falle eine kontinuierlich fortschreitende war. Das ErbStG von 1919 sah aber im § 28 Abs. 3 unter bestimmten Voraussetzungen Tarifermäßigungen anderer Art als die des heutigen § 10 Abs. 2 vor. Alle diese damaligen Tarifabweichungen vom Regeltarif des § 28 Abs. 1 waren in Hundertsätzen ausgedrückt, so daß der Wortlaut des § 50 (46 a des Entwurfes) zur Zeit seiner Entstehung durchaus eindeutig gefaßt war und sich zweifelsfrei auch auf die in der Tarifvorschrift des § 28 vorgesehenen Tariferhöhungen und Tarifermäßigungen erstreckte. Die Neufassung des ErbStG im Jahre 1922 führte nun zu einer Neuforderung der Tarifvorschriften auch insofern, als nunmehr die Besteuerung des einzelnen Steuerfalles nach einem einzigen bestimmten und nach der Höhe des Erwerbs im Einzelfalle bemessenen Steuersatz, also im Wege des Stufentarifs erfolgte. Diese änderung in den Tarifbestimmungen hatte zur Folge, daß an den Schnittpunkten des Tarifs die Steuer jeweils erheblich höher sprang, weil jetzt nicht nur der die Tarifgrenze übersteigende Erwerb dem höheren Steuersatz unterlag, sondern der gesamte steuerpflichtige Erwerb. Das hätte in gewissen Fällen dazu führen können, daß ein Erwerb, der die Wertgrenze nur geringfügig überstieg, infolge des erhöhten Steuersatzes dem Erwerber weniger Vorteil brachte als ein Erwerb, der wertmäßig unter der Grenze lag. Um diesem übelstand abzuhelfen, wurde während der Ausschußberatungen zur änderung des ErbStG der Antrag eingebracht, eine dem heutigen § 10 Abs. 2 entsprechende Vorschrift als § 28 Abs. 4 dem Gesetz hinzuzufügen. Die änderung wurde dem Antrag entsprechend zunächst im Ausschuß und späterhin im Plenum des Reichstags beschlossen, ohne daß ihre Auswirkungen auf den damaligen § 50, den heutigen § 33 ErbStG zur Erörterung gelangt wären. Offenbar ist ihre Bedeutung im Zusammenhang mit der Vorschrift des § 33 dem damaligen Gesetzgeber nicht zum Bewußtsein gekommen, so daß er eine änderung der Fassung dieser Vorschrift überhaupt nicht in Erwägung ziehen konnte. Man wird unter diesen Umständen der nach heutigen Verhältnissen ungenauen Formulierung des § 33 jedenfalls keine übergroße Bedeutung beimessen dürfen.
Viel entscheidender kommt es darauf an, ob es sich bei der Vorschrift des § 10 Abs. 2 um eine eigentliche Tarifvorschrift handelt oder um einen Härteausgleich, der weniger der Regulierung des Steuertarifs als der Milderung von Härten bei der Einziehung der Steuer dient. Wenn das letztere der Fall wäre, würde man vielleicht die Bedenken teilen können, die das Finanzamt gegen die Anwendung einer Vorschrift im Rahmen des § 33 hegt, die nicht unmittelbar als eine die Steuersätze des § 10 Abs. 1 regulierende Tarifbestimmung zu betrachten wäre und die im übrigen inhaltlich der Fassung des § 33 Satz 2 ErbStG nicht gänzlich entsprechen würde. Stellt dagegen der § 10 Abs. 2 ErbStG eine echte, die Vorschriften des § 10 Abs. 1 unmittelbar ergänzende Tarifvorschrift dar, so wird man nach der Systematik des geltenden Erbschaftsteuerrechts nicht umhin können, seine Anwendung auch im Rahmen des § 33 Satz 2 ErbStG zuzulassen. Denn Wissenschaft und Rechtsprechung vertreten übereinstimmend und mit Recht die Meinung, daß die Besteuerung von Renten im Rahmen des § 33 nicht zur Anwendung höherer oder niedrigerer Steuersätze führen darf, als sie sonst im Regelfalle anzuwenden wären. So wird von der herrschenden Meinung die früher von Finger (Anm. 4 zu § 33 ErbStG) und anderen Schriftstellern vertretene Ansicht, im Rahmen des § 33 sei der Steuersatz lediglich nach dem Anfall der Renten zu bemessen, für die der Antrag gemäß § 33 ErbStG gestellt sei, mit der Begründung abgelehnt, daß der § 33 nicht zu einer Steuerermäßigung führen dürfe, die aber bei einer getrennten Berechnung der Steuer vom Rentenerwerb und von dem sonstigen Erwerb eintreten würde, weil in diesem Falle infolge der nicht auf den vollen Erwerb zur Auswirkung kommenden Progression ein niederer Steuersatz zur Anwendung kommen würden als im Falle der Zusammenrechnung des Gesamterwerbs (vgl. Stölzle, Erbschaftsteuergesetz, 2. Auflage 1932 Bem. 4 zu § 33; ähnlich Brecht, Erbschaftsteuergesetz, Bem. 3 zu § 33). Andererseits hat der Reichsfinanzhof in einem ähnlich gelagerten Falle die getrennte Berechnung der Steuer vom Rentenerwerb deshalb abgelehnt, weil sie in dem besonderen Falle zur Anwendung eines höheren Steuersatzes geführt hätte als im Falle der Besteuerung des Gesamterwerbs (vgl. Urteil des Reichsfinanzhofs V e A 1061/31 vom 13. Oktober 1933, Reichssteuerblatt 1934 S. 149). Man wird aus dieser Behandlung des hier angeschnittenen Problems den Schluß ziehen müssen, daß die Durchführung einer Besteuerung nach § 33 ErbStG grundsätzlich nicht zur Anwendung eines höheren oder niedrigeren Tarifsatzes führen darf, als dies sonst der Fall wäre. Diese Auffassung erhält ihre Rechtfertigung, wenn man die Entstehungsgeschichte des § 33 ErbStG berücksichtigt. Denn der im Ausschuß der Nationalversammlung gestellte Antrag Nr. 120 (Dr. Becker, Hessen, und Genossen) ist ausschließlich damit begründet worden, daß die neue Vorschrift dazu dienen soll, bei Zuwendung von Renten und verwandten Leistungen dem Bedachten die Möglichkeit zu geben, die Steuer in Raten zu entrichten (vgl. Materialien zum ErbStG, Bericht des 10. Ausschusses Drucksachen-Nr. 941 der Verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung S. 17). Da hinsichtlich des Steuertarifs selbst zu dem Antrag nichts bemerkt ist, soll er offenbar der gleiche bleiben, gleichgültig ob die Besteuerung nach dem Kapitalwert oder nach dem Jahreswert einer Rente durchzuführen ist.
Nun wollen allerdings die Vorinstanzen dem Anschein nach übereinstimmend die Auffassung vertreten, daß der § 10 Abs. 2 ErbStG keine Tarifvorschrift im eigentlichen Sinne sei, und daß er die Steuersätze des § 10 Abs. 1 unberührt lasse. Demgegenüber ist zunächst festzustellen, daß die Vorschrift ihren Platz in dem Abschnitt 3 des Gesetzes mit der überschrift "Berechnung der Steuer" gefunden hat, also unter den Tarifbestimmungen im eigentlichen Sinne. Die Vorinstanzen verweisen auf den Wortlaut des § 10 Abs. 2, der nicht von der Berechnung der Steuer, sondern von ihrer Erhebung spreche. Dem muß entgegengehalten werden, daß auch eine andere, allerdings inzwischen weggefallene Vorschrift, nämlich der § 11 ErbStG, an dessen Tarifcharakter nie gezweifelt worden ist, in nahezu wörtlicher übereinstimmung mit § 10 Abs. 2 ErbStG dahin lautete, daß nur die Steuer zu erheben sei, die bei Gültigkeit der Verfügung des Erblassers zu entrichten gewesen wäre. Entscheidend aber kommt es darauf an, daß der ausgesprochene Zweck der Vorschrift des § 10 Abs. 2 darin besteht, die Steuersätze beim übergang auf höhere Wertgrenzen einander anzupassen und allzu starke Sprünge in der Staffelung der Steuer zu vermeiden. So lautet jedenfalls die Begründung, die zu dem Antrag auf Einführung der Bestimmung im zuständigen Ausschuß des Reichstags gegeben worden ist (Materialien zum ErbStG 1922, Bericht des 11. Ausschusses, Reichstagsdrucksachen-Nr. 4856 S. 5). Sie läßt erkennen, daß es sich hier nicht um die Milderung bestimmter steuerlicher Härtefälle, sondern um eine gewisse allgemeine Korrektur des Steuertarifs überhaupt handelt, der sonst beim übergang auf höhere Wertstufen allzu sprunghaft steigen würde. Daß der Gesetzgeber diese Korrektur vollzogen hat, ohne die Tarifsätze des § 10 Abs. 1 an den Schnittpunkten des Tarifs durch geeignete Zwischenstufen zu ergänzen, ist eine Frage der Gesetzestechnik. Sie ändert nichts daran, daß es auf Grund des § 10 Abs. 2 ohne weiteres möglich ist, die Tariftabelle des § 10 Abs. 1 entsprechend zu ergänzen und unter Kombination der beiden Vorschriften die Steuer für jeden in Betracht kommenden Erwerb - gleich welcher Höhe - nicht nur der absoluten Höhe nach, sondern auch nach ihrem Hundertsatz vom Gesamtwert des Erwerbs im voraus genau festzulegen. Tatsächlich muß auch die Steuer in jedem Falle unter Beachtung beider Vorschriften berechnet werden, ohne daß es auf etwa zur Steuermilderung Anlaß gebende Umstände des Einzelfalles ankäme. Der Senat ist daher der Auffassung, daß es sich bei der Vorschrift des § 10 Abs. 2 um eine echte Tarifvorschrift handelt, die trotz des vielleicht mißverständlichen Wortlauts Anweisungen für die Berechnung der Steuer gibt, nicht nur für ihre Erhebung. Bei der Anwendung dieser Vorschrift läßt sich ohne weiteres auch der gegenüber § 10 Abs. 1 ErbStG modifizierte Hundertsatz errechnen.
Daß die gegenteilige Rechtsansicht der Vorinstanzen im übrigen schon deshalb nicht aufrechterhalten werden kann, weil sie zu unmöglichen Ergebnissen führt, beweist am eindringlichsten der vorliegende Fall, bei dem ein Rentenerwerb mit einem Erwerb anderer Art zusammengetroffen ist. Bei der ursprünglichen Versteuerung des Erwerbs der Vermächtnisnehmerin hat nämlich das Finanzamt der Steuerberechnung in zutreffender Weise den Wert des Gesamterwerbs, bestehend aus dem Kapitalwert der Rente und dem Wert des Barvermächtnisses, zugrunde gelegt. Es hat ferner, da dieser Erwerb die Wertgrenze von 50.000 DM nur geringfügig um 500 DM überstieg, die Vorschrift des § 10 Abs. 2 ErbStG zur Anwendung gebracht. Diese Tarifmilderungsbestimmung, die gemäß § 10 Abs. 3 ErbStG auf den Gesamterwerb anzuwenden ist, wirkt sich eben aus diesem Grunde gleichmäßig auf alle Teile des Gesamterwerbs aus, im vorliegenden Falle also auch auf den das überschreiten der Wertgrenze von 50.000 DM bedingenden Barerwerb. Da aber ein nach § 33 gestellter Antrag immer nur zu einer anderweiten Berechnung der Steuer für den Rentenerwerb führen kann, so hätte das Finanzamt bei zutreffender Behandlung des Falles, wenigstens für die Besteuerung des Barerwerbs, die bisher gewährte Tarifermäßigung gemäß § 10 Abs. 2 ErbStG aufrechterhalten müssen. Denn zu einer "Berichtigung" der Erbschaftsteuer lag zumindest insoweit nicht der geringste Grund vor. Dann aber wäre auch ohne weiteres klar geworden, daß die vom Finanzamt in Ansehung des Rentenerwerbs für richtig gehaltene Besteuerungsmethode im Ergebnis zur Anwendung verschieden hoher Steuersätze für den Rentenerwerb und für den sonstigen Erwerb der Vermächtnisnehmerin führt. Ein solches Ergebnis kann aber aus grundsätzlichen Erwägungen nicht gebilligt werden, weil nach dem System des geltenden Erbschaftsteuerrechts die Steuer sich gleichmäßig auf alle Teile des Gesamterwerbs erstreckt, und weil deshalb die Anwendung verschieden hoher Steuersätze für den gleichen Steuerfall nicht in Betracht kommt. Daß aber der Antrag auf Rentenversteuerung nach § 33 ErbStG keinen neuen Steuerfall auslöst, steht außer Frage, ist im übrigen schon früher vom Reichsfinanzhof selbst bestätigt worden, der in der Entscheidung III e 37/38 vom 23. Juni 1938, Reichssteuerblatt 1938 S. 751, festgestellt hat, daß die in einem rechtskräftigen Erbschaftsteuerbescheid festgestellten Besteuerungsgrundlagen durch einen später gestellten Antrag nach § 33 ErbStG nicht berührt werden. Da aber die Rechtskraft einer Entscheidung immer nur für einen bestimmten Steuerfall eintritt, so ergibt sich, daß auch nach der Ansicht des Reichsfinanzhofs der Antrag des § 33 keinen neuen Steuerfall veranlaßt.
Der Senat kommt daher zu dem Ergebnis, daß die Vorschrift des § 10 Abs. 2 ErbStG auch im Rahmen des § 33 ErbStG angewendet werden muß. Dies bedeutet, damit im Einzelfalle die gleichmäßige Auswirkung der Tarifmilderung auf alle Teile des Gesamterwerbs gewährleistet ist, die Anwendung des sich nach § 10 Abs. 2 ErbStG ergebenden Hundertsatzes sowohl auf den Jahresbetrag der Rente als auch auf die übrigen Teile des Gesamterwerbs.
Der Rb. war demgemäß stattzugeben, und nach Aufhebung der Vorentscheidung war, wie geschehen, zu erkennen.
Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 309 der Reichsabgabenordnung.
Fundstellen
Haufe-Index 408281 |
BStBl III 1955, 321 |
BFHE 1956, 317 |
BFHE 61, 317 |