Entscheidungsstichwort (Thema)
Kein Erlaß von USt wegen Versagung des Vorsteuerabzugs für Unternehmer, dem Leistungserbringung vorgetäuscht worden ist
Leitsatz (NV)
Wird einem Unternehmer die Ausführung einer Leistung vorgetäuscht, kann er mangels Leistung die in der Rechnung gesondert ausgewiesene USt nicht als Vorsteuer abziehen. Ein Erlaß von USt aus sachlichen Billigkeitsgründen i. H. des nicht zum Abzug zugelassenen Vorsteuerbetrags ist selbst dann nicht möglich, wenn der Unternehmer das berechnete "Entgelt" an den Täuschenden gezahlt, dieser die vorgetäuschte Leistung bei seiner Umsatzsteuererklärung berücksichtigt und die darauf entfallende Umsatzsteuer entrichtet hat.
Normenkette
AO 1977 § 227; UStG 1980 § 14 Abs. 3, § 15 Abs. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ließ durch einen Montagebauunternehmer Montagearbeiten für eines ihrer Werke erbringen. Ab 1977 stellte der Montagebauunternehmer neben den tatsächlich erbrachten Leistungen auch Arbeiten in Rechnung, die er nicht ausgeführt hatte. Da der Montagebauunternehmer mit zwei leitenden Mitarbeitern der Klägerin zusammenwirkte, wurden die Rechnungen, in denen Umsatzsteuer offen ausgewiesen war, von der Klägerin bezahlt. Der Montagebauunternehmer meldete die offen ausgewiesene Umsatzsteuer in seinen Umsatzsteuererklärungen an und unterwarf die zu Unrecht eingenommenen Beträge der Einkommen- und Gewerbesteuer.
Nach der Aufdeckung dieses Sachverhalts durch die Klägerin und deren Anzeige, führte der Beklagte und Revisionbeklagte (das Finanzamt -- FA --) bei der Klägerin eine Außenprüfung durch, als deren Ergebnis die von der Klägerin geltend gemachten Vorsteuerbeträge gekürzt und entsprechende Steuerbescheide erlassen wurden. Das FA verminderte die von der Klägerin in den Streitjahren abgesetzten Vorsteuerbeträge. Die Umsatzsteuerbescheide der Streitjahre sind bestandskräftig.
Das FA lehnte den Antrag der Klägerin ab, ihr ... DM Umsatzsteuer aus sachlichen Billigkeitsgründen zu erlassen. Die Beschwerde wurde von der Oberfinanz direktion (OFD) mit Beschwerdeentscheidung vom 18. Oktober 1990 als unbegründet zurückgewiesen. Die Klage blieb ohne Erfolg.
Mit ihrer vom Finanzgericht (FG) zugelassenen Revision bringt die Klägerin vor, die Finanzverwaltung habe ihr Ermessen nicht ausgeübt. Die Steuerfestsetzung der Streitjahre widerspreche ferner dem Grundgedanken des Mehrwertsteuersystems, Wettbewerbsneutralität herzustellen und den Unternehmer von Vorsteuern zu entlasten. Etwas anderes ergebe sich nicht aus § 14 Abs. 3 des Umsatzsteuergesetzes (UStG). Sie, die Klägerin, sei gutgläubig gewesen. Sie sei durch Mitarbeiter getäuscht worden, deren Ziel es gewesen sei, sie im Zusammenwirken mit dem Montageunternehmen zu schädigen.
Die Klägerin beantragt,
1. das angefochtene Urteil aufzuheben,
2. das FA unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 21. Juli 1988 und der Beschwerdeentscheidung der OFD vom 18. Oktober 1990 zu verpflichten, ihr -- der Klägerin -- Umsatzsteuer in Höhe von ... DM für die Jahre 1977 bis 1984 aus sachlichen Billigkeitsgründen zu erlassen,
3. hilfsweise festzustellen, daß der Ablehnungsbescheid des FA vom 21. Juli 1988 und die Beschwerdeentscheidung der OFD vom 18. Oktober 1990 rechtswidrig sind, und das FA zu verpflichten, sie -- die Klägerin -- unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Das FG hat es zu Recht abgelehnt, das FA zu verpflichten, die Umsatzsteuer antragsgemäß zu erlassen. Der Ablehnungsbescheid ist rechtmäßig.
1. Gemäß § 227 der Abgabenordnung (AO 1977) können die Finanzbehörden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren Ein ziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Die Entscheidung ist eine Ermessensentscheidung (Beschluß des gemeinsamen Senats der obersten Gerichts höfe des Bundes vom 19. Oktober 1971 GmS-OGB 3/70, BFHE 105, 101, BStBl II 1972, 603), die durch das Gericht nur nach Maßgabe des § 102 der Finanzgerichtsordnung (FGO) auf Überschreitung der gesetzlichen Grenzen des Ermessens oder auf Ermessensfehlgebrauch überprüft werden kann.
2. Das FG hat nach diesem Prüfungsmaßstab eine Erlaßverpflichtung fehlerfrei verneint. Sachliche Billigkeitsgründe, die hier allein in Betracht kommen, sind nicht gegeben.
a) Unbilligkeit der Einziehung einer Steuer aus sachlichen Gründen -- wie sie von der Klägerin geltend gemacht wurde -- kommt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) in Betracht, wenn die Besteuerung -- unabhängig von den wirtschaftlichen Verhältnissen des Steuerpflichtigen -- im Einzelfall mit Sinn und Zweck des Gesetzes nicht vereinbar ist. Das ist der Fall, soweit nach dem erklärten oder mutmaßlichen -- objektivierten -- Willen des Gesetzgebers angenommen werden kann, der Gesetzgeber würde die Frage -- hätte er sie geregelt -- im Sinne der beantragten Billigkeitsentscheidung beantwortet haben. Erfüllt ein Sachverhalt zwar den gesetzlichen Tatbestand, läuft aber die Besteuerung den Wertungen des Gesetzgebers zuwider, kann ein Erlaß aus sachlichen Billigkeitsgründen gerechtfertigt sein. Umstände, die dem Besteuerungszweck entsprechen oder die der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung eines Tatbestandes bewußt in Kauf genommen hat, stehen jedoch dem Erlaß entgegen (ständige Rechtsprechung des BFH; vgl. Senatsentscheidungen vom 24. September 1987 V R 76/78, BFHE 151, 221, BStBl II 1988, 561 m. w. N.; vom 9. September 1993 V R 45/91, BFHE 172, 237, BStBl II 1994, 131).
b) Die Klägerin ist durch das kollusive Zusammenwirken ihrer zwei Mitarbeiter mit dem Montagebauunternehmer veranlaßt worden, an diesen ohne Gegenleistung Geldbeträge zu zahlen. Ein umsatzsteuerrechtlich erheblicher Tatbestand ergibt sich aus diesem Sachverhalt für die Klägerin nicht; Rechtsfolgen des § 14 Abs. 3 UStG 1973/1980 treffen nur den Rechnungsaussteller. Insbesondere kann die Klägerin die in den Rechnungen, die ihr im Zusammenhang mit der Täuschung überlassen worden sind, gesondert ausgewiesene Umsatzsteuer nicht als Vorsteuerbeträge abziehen, da keine entsprechenden Lieferungen und sonstigen Leistungen ausgeführt worden sind (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1973/1980; vgl. dazu Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften -- EuGH -- vom 13. Dezember 1989 Rs. C 342/87, EuGHE 1989, 4227, Umsatzsteuer-Rundschau -- UR -- 1991, 83).
c) Die Besteuerung in Höhe der nicht zum Abzug zugelassenen "Vorsteuerbeträge" läuft entgegen der Auffassung der Klägerin nicht den Wertungen des § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1973/1980 zuwider.
Zwar weist die Klägerin zutreffend darauf hin, daß der Vorsteuerabzug der Verwirklichung des Grundsatzes der Steuerneutralität dient. Der Unternehmer kann unter den Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1973/1980 Vorsteuerbeträge aus Leistungsbezügen von der von ihm geschuldeten Umsatzsteuer abziehen (§ 16 Abs. 2 UStG 1973/1980). Wird jedoch an den Unternehmer keine Leistung erbracht und demnach von ihm kein Entgelt für eine Leistung gezahlt, sondern werden lediglich Geldbeträge aufgrund einer Täuschung entrichtet, kommt eine Entlastung von im Preis der Ausgangsumsätze enthaltener Umsatzsteuer nicht in Betracht.
d) Auch aus § 14 Abs. 3 UStG 1973/1980 ergibt sich keine der Besteuerung der Klägerin entgegenstehende Wertung.
Die Klägerin beruft sich für ihre gegenteilige Auffassung zu Unrecht darauf, aus der Anwendung dieser Vorschrift folge im Ergebnis eine den (von ihr begehrten) Erlaß rechtfertigende "Überbesteuerung". Wird der Rechnungsaussteller gemäß § 14 Abs. 2 UStG 1973/1980 in Anspruch genommen, liegt es in der Konsequenz der Regelung, daß der Fiskus mehr an Einnahmen erzielt als er bei Ausführung der in Rechnung gestellten Leistung zu beanspruchen hätte. Diese Folge bewirkt das Gesetz durch die Versagung des Vorsteuerabzugs beim Empfänger der Rechnung. Es besteht kein Anhalt für die Annahme, das Besteuerungsergebnis müsse nach Sinn und Zweck des § 14 Abs. 3 UStG 1973/1980 durch Steuererlaß beim Rechnungsempfänger ausgeglichen werden.
e) Schließlich stützt die Klägerin ihr Erlaßbegehren ohne Erfolg auf den Umstand, daß sie den in Rechnung gestellten "Werklohn" (einschließlich des darin kalkulatorisch enthaltenen Betrages der Umsatzsteuer) an den Rechnungsaussteller gezahlt und diesem möglicherweise allein durch ihre Zahlung die Mittel verschafft hat, die erklärte Umsatzsteuer an das FA abführen zu können. Die Zahlung der Klägerin beruht auf dem Verhalten ihrer zwei Mitarbeiter sowie des Montagebauunternehmers. Die Klägerin kann ihren Vermögensnach teil nur diesen Personen gegenüber durch Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs ausgleichen und nicht durch Minderung ihrer Umsatzsteuerschuld.
3. Das FA ist ferner nicht gemäß Art. 3 Abs. 2 des Grundgesetzes in Verbindung mit den Grundsätzen über die Selbstbindung der Verwaltung verpflichtet, die Umsatzsteuer entsprechend dem Antrag der Klägerin gemäß § 227 AO 1977 zu erlassen. Unbeschadet der fehlenden Geltung für die Streitjahre sehen die Umsatzsteuer- Richtlinien (UStR) 1988 entgegen der Auffassung der Klägerin keine dem Streitfall entsprechende Billigkeitsmaßnahme vor. Vielmehr setzen die von der Klägerin zitierten Abschnitte 202 Abs. 7 UStR 1988 und 190 Abs. 3 UStR 1988 gerade voraus, daß eine steuerbare Leistung ausgeführt worden ist.
4. Auch der Bescheidungsantrag der Klägerin kann mangels sachlicher Billigkeitsgründe keinen Erfolg haben. Überdies ist die Ermessensentscheidung der Verwaltung entgegen der Auffassung der Klägerin nicht bereits wegen Nichtgebrauchs von Ermessen rechtswidrig. In ihrer Beschwerdeentscheidung hat die OFD die von der Klägerin geltend gemachten sachlichen Billigkeitsgründe erörtert und diese abgelehnt.
Fundstellen
Haufe-Index 65173 |
BFH/NV 1995, 358 |