Entscheidungsstichwort (Thema)
Kostenbeteiligung an Investitionen: kein Vorsteuerabzug, keine Selbstverbrauchsteuerpflicht; neue rechtliche Gesichtspunkte
Leitsatz (NV)
1. Wer sich an den Kosten der Herstellung eines Wirtschaftsguts beteiligt, kann keinen anteiligen Vorsteuerabzug hinsichtlich der auf ihn entfallenden Herstellungskosten geltend machen. Er unterliegt insoweit auch nicht der Selbstverbrauchsteuer.
2. Hat das FG in der mündlichen Verhandlung auf einen neuen rechtlichen Gesichtspunkt hingewiesen, ist es Angelegenheit des sich überfordert fühlenden Klägers, Unterbrechung oder Vertagung der mündlichen Verhandlung zu beantragen.
Normenkette
UStG 1967, § 2 Abs. 1, § 15 Abs. 1, § 30 Abs. 2; FGO § 96 Abs. 1, § 155; ZPO § 278
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine AG, erwarb von der Stadt X ein Gelände in der Stadtmitte. Es war vorgesehen, auf dem Gelände ein Tiefparkhaus, einen Omnibusbahnhof und ein Gebäude für Geschäfts- und Wohnzwecke zu errichten. Die Klägerin räumte der Stadt in dem Vertrag ein Dauernutzungsrecht gemäß § 31 Abs. 2 des Wohnungseigentumsgesetzes (WEG) an folgenden Baulichkeiten ein: an dem Tiefparkhaus, dem Omnibusbahnhof und den Räumlichkeiten im Erdgeschoß des Geschäftshauses, die für Betriebszwecke der Straßenbahn-AG benötigt wurden (Fahrkartenverkauf usw.). Die Baupflicht oblag der Stadt hinsichtlich der baulichen Anlagen, an denen ihr das Dauernutzungsrecht eingeräumt war, im übrigen der Klägerin. Die Klägerin wurde Baubetreuer für die baulichen Anlagen der Stadt, die in den Hochbauten der Klägerin lagen.
Mit dem Bau des dreigeschossigen Tiefparkhauses war 1969 begonnen worden. Ende 1971 konnten die meisten der vorgesehenen 542 Einstellplätze in Betrieb genommen werden. Die Bauarbeiten wurden 1972 abgeschlossen. Die Klägerin beteiligte sich an den Baukosten des Tiefparkhauses im Verhältnis 97 : 542; hierdurch kam sie ihrer Verpflichtung nach der Bauordnung nach, 97 Einstellplätze zu errichten.
Die Stadt und die Klägerin verpachteten das Tiefparkhaus an die Straßenbahn-AG. Der Pachtzins betrug die Hälfte der von der Straßenbahn-AG vereinnahmten Parkgelder. Er war an ,,die Verpächter" zu zahlen und von der Straßenbahn-AG nebst Umsatzsteuer monatlich ,,an die Stadtkasse" zu überweisen. Den Mietern der Klägerin sollten vorrangig maximal 30 Dauerstellplätze überlassen werden.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) erließ nach einer Umsatzsteuersonderprüfung geänderte Umsatzsteuerbescheide für 1971 und 1972, in denen er die auf die Klägerin entfallenden Baukosten des Tiefparkhauses der Selbstverbrauchsteuer unterwarf. Der Einspruch blieb erfolglos.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage für 1971 statt und wies sie für 1972 ab. Es führte aus: Eine Selbstverbrauchsteuer sei nicht zu erheben. Die Klägerin habe die Einstellplätze nicht ,,als Unternehmer" einer Nutzung zugeführt. Aus den vorgelegten Verträgen ergebe sich, daß nicht die Klägerin, sondern ,,allenfalls die Stadt und die Klägerin gemeinsam, wenn nicht die Stadt allein" das Tiefparkhaus betrieben hätten. Aus den gleichen Gründen müsse aber auch der Vorsteuerabzug hinsichtlich der von der Klägerin getragenen Baukosten für 97 Einstellplätze entfallen. Für 1971 sei die Klägerin antragsgemäß von der Selbstverbrauchsteuer freizustellen, da in diesem Jahr keine Vorsteuer angefallen sei. Für 1972 sei indessen die Klage abzuweisen, weil der zu Unrecht in Anspruch genommene erheblich höhere Vorsteuerabzug mit der zu Unrecht angeforderten Selbstverbrauchsteuer zu saldieren sei. Ein darüber hinausgehender Wegfall des Vorsteuerabzugs komme wegen des Verböserungsverbots nicht in Betracht.
Die Klägerin rügt mit der Revision Verletzung formellen und materiellen Rechts. Ihr sei nicht ausreichend rechtliches Gehör gewährt worden. Sie sei von der Entscheidung des FG überrascht worden. Der Vorsitzende des FG habe erstmals in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, daß auch die bisher unerörterte Frage der Unternehmereigenschaft entscheidungserheblich sein könne. Sie habe sich nicht auf diesen Gesichtspunkt einstellen können. Das FG habe überdies ,,gegen den klaren Inhalt der Akten" entschieden. Das Tiefparkhaus enthalte 97 von ihr ,,selbst" erstellte Einstellplätze. Sie habe der Baufirma die Aufträge erteilt und den Architektenvertrag ohne Mitwirkung der Stadt abgeschlossen. Die Baufirma habe ihr gegenüber abgerechnet. Im übrigen könne es nicht zweifelhaft sein, daß sie Unternehmer i. S. des § 2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) sei. Sie sei nach außen in Erscheinung getreten. Wenn auch eine Saldierung grundsätzlich zulässig sei, müsse hier nach den Grundsätzen von Treu und Glauben im Hinblick auf die lange Verfahrensdauer etwas anderes gelten. Andernfalls ergäben sich für die Steuerpflichtigen irreparable Folgen.
Die Klägerin beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben und die Umsatzsteuerschuld 1972 herabzusetzen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
1. Das FG hat der Klägerin ausreichend rechtliches Gehör gewährt. Es mag zu ihren Gunsten unterstellt werden, daß sie von den rechtlichen Erwägungen des FG (Unternehmerbegriff, Saldierung mit entfallendem Vorsteuerabzug) überrascht wurde. Es war zuvor lediglich darum gestritten worden, ob das Tiefparkhaus ein selbständiges Wirtschaftsgut war und wann es der Nutzung zugeführt wurde. Gemäß § 278 Abs. 3 der Zivilprozeßordnung (ZPO) i. V. m. § 155 der Finanzgerichtsordnung (FGO) darf das FG seine Entscheidung nur dann auf einen rechtlichen Gesichtspunkt stützen, den ein Beteiligter erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hat, wenn es Gelegenheit zur Äußerung gegeben hat.
Das FG ist entgegen der Auffassung der Revision der Hinweispflicht nachgekommen. Schon die Anfragen des Berichterstatters an die Beteiligten vom 28. August 1980 zielten in diese Richtung, wenn u. a. Unterlagen erbeten wurden, aus denen sich ergeben könnte, ob Sonderrechte oder eine Rechtsgemeinschaft an dem Tiefparkhaus bestanden. In der mündlichen Verhandlung vom 27. Januar 1981 ist dann nach dem schriftlichen Protokoll, dessen Richtigkeit die Klägerin nicht anzweifelt, darauf hingewiesen worden, ,,daß es fraglich sein kann, ob die Klägerin bezüglich der Errichtung der auf sie entfallenden Einstellplätze Unternehmerin i. S. d. UStG war". Wenn sich die Klägerin, die in der mündlichen Verhandlung durch einen Steuerberater vertreten war, überfordert fühlte - auch im Hinblick auf die lange Verfahrensdauer -, zu diesen Gesichtspunkten sogleich Stellung zu nehmen, hätte sie beantragen können, die Verhandlung zu unterbrechen oder zu vertagen oder ihr schriftsätzliche Ausführungen zu gestatten (Thomas/Putzo, Zivilprozeßordnung mit Nebengesetzen, 14. Aufl., § 278 Anm. 3c). Derartige Anträge sind ausweislich des Protokolls nicht gestellt worden.
2. Auf die sonstigen Verfahrensrügen kommt es nicht an. Der von der Klägerin gerügte Verstoß ,,gegen den klaren Inhalt der Akten" mag damit eine Rüge der Verletzung des § 96 Abs. 1 FGO oder des § 76 Abs. 1 FGO gemeint sein - zielt darauf ab, daß die Klägerin selbst die auf sie entfallenden 97 Einstellplätze in Auftrag gegeben und abgerechnet hat. Die Klage kann aber selbst dann nicht durchdringen, wenn dieses Vorbringen zugunsten der Klägerin als richtig unterstellt wird.
3. Das FG hat zutreffend entschieden, daß die Klägerin hinsichtlich der 97 Einstellplätze weder der Selbstverbrauchsteuer unterliegt noch insoweit zum Vorsteuerabzug berechtigt ist. Die Selbstverbrauchsteuerpflicht ist gemäß § 30 Abs. 2 UStG 1967 davon abhängig, daß der Unternehmer Wirtschaftsgüter der Verwendung oder Nutzung als Anlagevermögen zuführt; das Anlagevermögen ist ein Teil des Betriebsvermögens und des Unternehmens. Werden Wirtschaftsgüter nicht seinem eigenen, sondern einem fremden Unternehmensvermögen zugeführt, entfällt für ihn die Selbstverbrauchsteuerpflicht. Auch der Vorsteuerabzug eines Unternehmers ist davon abhängig, daß die empfangene Leistung für sein, nicht für ein fremdes Unternehmen ausgeführt worden ist (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1967).
Die Klägerin ist, wie gegenüber einer mißverständlichen Äußerung des FG klarzustellen ist, Unternehmer i. S. des § 2 Abs. 1 UStG; sie tritt als Aktiengesellschaft im Geschäftsleben nach außen vielfach in Erscheinung, wie die Abschlußunterlagen belegen. Im Streitfall ist lediglich darüber zu entscheiden, ob dem unzweifelhaft vorhandenen Unternehmen der Klägerin auch die 97 Einstellplätze im Tiefparkhaus mit der umsatzsteuerlichen Wirkung zuzurechnen sind (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG), daß ihr insoweit der Vorsteuerabzug eröffnet ist und sie andererseits der Selbstverbrauchsteuer unterliegt. Diese Frage ist zu verneinen.
Das FG hat die Beteiligung der Klägerin an der Erstellung der 97 Einstellplätze als bloße Kostenbeteiligung an einer Baumaßnahme der Stadt gewertet; der Klägerin hätten keine bestimmten Einstellplätze zugestanden; das Tiefparkhaus gehöre steuerrechtlich als Ganzes der Stadt; das Dauernutzungsrecht habe, wie der Nutzungsvertrag vom 27. Mai/16. August 1974 ausdrücklich bestätige, wirtschaftliches Eigentum der Stadt in den beiden Kellergeschossen begründet. Diese Wertung ist nicht zu beanstanden. Ihr steht nicht entgegen, daß das Tiefparkhaus von der Stadt und der Klägerin gemeinsam an die Straßenbahn-AG verpachtet wurde. Hieraus könnte allenfalls mit dem FG hergeleitet werden, daß die Stadt das Tiefparkhaus einer von der Stadt und der Klägerin gebildeten Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) überlassen hatte und das Tiefparkhaus dem Unternehmen dieser Gesellschaft diente. Das FG konnte offenlassen, wie es sich hiermit im einzelnen verhielt. Sowohl ein Unternehmen (Betrieb gewerblicher Art) der Stadt wie auch das Unternehmen einer von der Stadt und der Klägerin gebildeten GbR waren Unternehmen, die dem Unternehmen der Klägerin fremd waren. Hieran ändert sich nichts, wenn mit der Revision angenommen wird, daß die Klägerin hinsichtlich ,,ihrer" 97 Einstellplätze die Bauaufträge erteilte und insoweit mit dem Bauunternehmer und dem Architekten abrechnete. Das Merkmal ,,für sein Unternehmen" in § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1967 bestimmt sich nicht nach dem Außenverhältnis, sondern nach dem Innenverhältnis (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 11. Dezember 1986 V R 57/76, BFHE 148, 361, BStBl II 1987, 233). Gleiches gilt für die Zuführung gemäß § 30 Abs. 2 UStG 1967. Die von der Klägerin behauptete und hier unterstellte Gestaltung beließ es bei der Kostenbeteiligung der Klägerin; die Klägerin leistete ihren Kostenanteil nicht unmittelbar an die Stadt, sondern an die bauausführenden Unternehmen (mit befreiender Wirkung gegenüber der Stadt). Die Klägerin erlangte durch die Auftragsvergabe an das Bauunternehmen kein Recht auf 97 bestimmte Einstellplätze. Das zu den Revisionsakten eingereichte Auftragsschreiben an das Bauunternehmen nimmt im übrigen mehrfach auf ein Angebot der Firma an die Stadt Bezug; maßgeblich waren die vom Bauaufsichtsamt der Stadt genehmigten und geprüften Zeichnungen und Berechnungen; das Bauaufsichtsamt sollte die Gebrauchsabnahme durchführen. Hierdurch wurde zusätzlich sichergestellt, daß die zwischen Klägerin und Bauunternehmer geknüpften Rechtsbeziehungen keine Wirkungen hatten, die über die beabsichtigte Kostenbeteiligung hinausgingen.
4. Die vom FG vorgenommene Saldierung entspricht der Auffassung des BFH vom Wesen des Streitgegenstandes im finanzgerichtlichen Verfahren (BFH-Beschluß vom 17. Juli 1967 GrS 1/66, BFHE 91, 393, BStBl II 1968, 344). Der Ansicht der Klägerin, nach einer langen Verfahrensdauer müßte eine Saldierung ausgeschlossen sein, kann nicht gefolgt werden. Auch in diesem Fall ist die Durchsetzung des materiell zutreffenden Rechts vorrangige Aufgabe des FG.
Fundstellen