Leitsatz (amtlich)
1. Eine Rückstellung wegen der mit einer Geschäftsverlegung verbundenen Risiken ist erst in dem Wirtschaftsjahr zulässig, in dem einzelne Geschäftsverlegungsmaßnahmen tatsächlich in Angriff genommen werden.
2. Das gilt auch, wenn die Geschäftsverlegung durch die Kündigung der gemieteten Räume notwendig wird, in denen der Steuerpflichtige seinen Betrieb führt.
Normenkette
EStG § 6 Abs. 1 Nr. 3
Tatbestand
Zu entscheiden ist, ob der Revisionskläger (Steuerpflichtiger) eine Rückstellung wegen der Kosten einer späteren Betriebsverlegung bilden kann.
Der Steuerpflichtige betreibt eine Fabrik in gemieteten Geschäfts- und Fabrikationsräumen. In der Bilanz 1961 bildete er erstmals eine Rückstellung von 20 000 DM für "neue Betriebsräume, Aus- und Umbauten sowie Montagen". Die Rückstellung erhöhte er im Jahre 1962 um weitere 20 000 DM auf 40 000 DM und im Jahre 1964 nochmals um 10 000 DM auf insgesamt 50 000 DM.
Bei den Veranlagungen 1961 und 1962 hatte das FA die Rückstellungsbildungen nicht beanstandet. Im Zuge der Veranlagungen 1963, 1964 und 1965, bei denen der Steuerpflichtige Einkommensteuererklärungen erst im Einspruchsverfahren gegen die Schätzungen dieser Jahre einreichte, dabei auch die Rückstellungsbildung auf Beanstandung durch das FA dahingehend erläuterte, daß er seit 1961 infolge Kündigungsdrohung des Vermieters jederzeit mit der Geschäftsverlegung habe rechnen müssen, strich das FA in der Einspruchsentscheidung die Rückstellungen und erhöhte die erklärten Gewinne des Jahres 1963 um 40 000 DM, des Jahres 1964 um 10 000 DM.
Die Klage des Steuerpflichtigen hiergegen blieb erfolglos. Das FG führte im wesentlichen aus: Rückstellungen könnten für ungewisse Schuldverbindlichkeiten, wegen drohender Verluste sowie für selbständig bewertungsfähige Betriebslasten gebildet werden. Die vom Steuerpflichtigen gebildeten Rückstellungen fielen unter keinen der genannten Rückstellungstatbestände. Ungewisse Schuldverbindlichkeiten lägen nicht vor, da an den jeweiligen Bilanzstichtagen noch keine Grundlagen bestanden hätten, aus denen die endgültigen Verbindlichkeiten des Klägers aus der Geschäftsverlegung erwuchsen. Vor Erteilung der Aufträge zu den einzelnen Betriebsverlegungsmaßnahmen sei der hierdurch erwachsene Aufwand noch nicht so konkretisiert, daß das Betriebsgeschehen schon durch die künftigen Ausgaben belastet gewesen sei. Rückstellungen wegen drohender Verluste kämen nicht in Betracht, weil die Verträge über die Durchführung der Betriebsverlegung erst nach den Bilanzstichtagen 1963 und 1964 abgeschlossen worden seien, so daß in den Streitjahren hieraus noch keine drohenden Verluste zu erwarten gewesen seien. Auch für eine Rückstellung auf Grund einer selbständig bewertungsfähigen Betriebslast lägen keine Anhaltspunkte vor. Hier kämen schon nach der bisherigen Rechtsprechung nur Rückstellungen wegen unterlassener Instandhaltung, wegen Abraumbeseitigung sowie wegen ohne rechtliche Verpflichtung gewährte Gewährleistungen in Betracht. Keiner dieser Sachverhalte läge vor.
Der Umstand, daß das FA für 1961 und 1962 die Bildung der Rückstellungen nicht beanstandet habe, hindere es nicht an der Nichtanerkennung in späteren Jahren. Das FA habe weder bindende Zusagen gemacht noch habe der Steuerpflichtige auf Grund des Verhaltens Dispositionen getroffen, die er nicht rückgängig machen könne und die ihn finanziell schädigten. Das FA habe daher die Frage der Rückstellungen unabhängig von der früheren Sachbehandlung in den Streitjahren anders beurteilen können als in den früheren Besteuerungsabschnitten.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision des Steuerpflichtigen ist nicht begründet. Die Vorentscheidung gibt weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht Anlaß zu Beanstandungen.
Die Vorinstanz hat die für den Streitfall in Betracht kommenden Rückstellungstatbestände zutreffend beschrieben und aufgezählt. Der Senat weist ergänzend hierzu auf die Rechtsprechung des BFH in dessen Urteilen I R 15/68 vom 24. Juni 1969 (BFH 96, 101, BStBl II 1969, 581), I R 184/67 vom 16. September 1970, (BFH 100, 443, BStBl II 1971, 85), I R 121/69 vom 17. Februar 1971 (BFH 101, 513, BStBl II 1971, 391) hin. Die Rückstellung kann auch für eine am Bilanzstichtag rechtlich noch nicht bestehende Verbindlichkeit gebildet werden, wenn mit der künftigen Entstehung ernsthaft zu rechnen ist und die Ereignisse, die zu ihrem Entstehen führen, wirtschaftlich dem laufenden Geschäftsjahr zuzurechnen sind (Urteil des BFH IV R 58/70 vom 26. Mai 1971, BFH 102, 504, BStBl II 1971, 704; vgl. auch Entscheidungen I R 50/67 vom 24. April 1968, BFH 92, 224, BStBl II 1968, 544; I R 22/66 vom 23. September 1969, BFH 97, 164, BStBl II 1970, 104).
Die Vorinstanz läßt auch insofern keinen Rechtsirrtum erkennen, als sie verneinte, daß die tatsächlichen Voraussetzungen für eine Rückstellungsbildung 1961 bis 1964 beim Steuerpflichtigen gegeben seien. Voraussetzung dafür, daß die Bildung einer Rückstellung als gerechtfertigt anerkannt werden kann, ist, daß spätere Ausgaben wirtschaftlich eine Vermögensminderung bereits eines vorhergehenden Geschäftsjahres darstellen. Das ist nach der ständigen Rechtsprechung des RFH und des BFH anzunehmen, wenn die Ausgaben in dem Geschäftsjahr verursacht sind, d. h. wenn ein klar erkennbarer Geschäftsvorfall des früheren Jahres mit der Ausgabe des späteren Jahres in wirtschaftlichem Zusammenhang steht (vgl. BFH-Entscheidungen IV 115/59 U vom 4. Juni 1959, BFH 69, 167, BStBl III 1959, 325; IV 114/58 vom 2. Juni 1960, StRK, Einkommensteuergesetz, § 5, Rechtsspruch 265; I R 39, 40/70 vom 28. April 1971, BFH 102, 270, BStBl II 1971, 601).
Unter diesem rechtlichen Gesichtspunkt käme allenfalls in Betracht, daß der Steuerpflichtige bereits seit 1961 auf Grund der vom Vermieter der Geschäfts- und Fabrikationsräume in Aussicht gestellten und 1964 tatsächlich ausgesprochenen Kündigung damit rechnen bzw. es ihm zur Gewißheit werden mußte, seinen Betrieb verlegen zu müssen. Hierdurch wurde jedoch für den Steuerpflichtigen nur ein allgemeines Geschäftsrisiko sichtbar, wie es jedem Unternehmen anhaftet, das in gemieteten oder gepachteten Räumen betrieben wird. Für ein solches allgemeines Geschäftsrisiko dürfen Rückstellungen nicht gebildet werden (vgl. BFH-Urteile I 118/55 U vom 3. Juli 1956, BFH 63, 133, BStBl III 1956, 248; I 99/56 U vom 4. Dezember 1956, BFH 64, 43, BStBl III 1957, 16; IV 114/58 vom 2. Juni 1960, a. a. O.; IV 51/62 vom 13. Januar 1966, BFH 84, 517, BStBl III 1966, 189). Das rückstellungsfähige Einzelrisiko hingegen wird erst mit der Inangriffnahme einzelner, zu Verlusten führender Geschäftsverlegungsmaßnahmen hinreichend konkretisiert. Vom Standpunkt der Geschäftsjahre 1961 bis 1964 aus handelte es sich daher bei den erst später erwachsenden Geschäftsverlegungsausgaben des Steuerpflichtigen um Zukunftsausgaben, die im Gegensatz zu den die laufenden Jahre treffenden, wenn auch erst drohenden Ausgaben nicht durch die Bildung von Rückstellungen berücksichtigt werden dürfen (RFH-Urteile VI A 727/25 vom 7. Juli 1926, RFH 19, 201; VI A 477/32 vom 21. Dezember 1932, StuW 1933 Teil II Nr. 275). Dem Umstand, daß die Geschäftsverlegung nach 1964 tatsächlich erfolgt und möglicherweise mit als Betriebsausgaben zu beurteilenden Aufwendungen verbunden war, kommt keine Bedeutung zu. Denn vom Standpunkt der vom Senat vertretenen Rechtsauffassung über das Fehlen einer in den Jahren 1961 bis 1964 rückstellungsfähigen Vermögensminderung aus stellt sich die spätere Geschäftsverlegung als ein nach 1964 eingetretenes, eine Vermögensminderung begründendes, nicht als ein lediglich wertaufhellendes Ereignis dar.
Die Ausführungen der Vorinstanz, nach denen das FA für die Veranlagung der Streitjahre an die als falsch erkannte Beurteilung der Rückstellungsfrage für die Jahre 1961 und 1962 nicht gebunden war, sind einwandfrei. Der Steuerpflichtige anerkennt dies in seiner Revisionsbegründung ausdrücklich.
Fraglich könnte sein, ob das FA für 1963, in dem der Steuerpflichtige die in den Jahren 1961 und 1962 gebildete Rückstellung in Höhe von 40 000 DM nur fortgeführt, jedoch nicht erhöht, seinen Gewinn 1963 also nicht durch die Rückstellungsbildung berührt hat, die Rückstellung von 40 000 DM zugunsten des Gewinns auflösen durfte. Dies war jedoch auf Grund des Grundsatzes des Bilanzenzusammenhangs (vgl. BFH-Beschluß Gr. S. 1/65 S vom 29. November 1965, BFH 84, 392, BStBl III 1966, 142; Urteil I 136/60 S vom 27. März 1962, BFH 75, 10, BStBl III 1962, 273) in Verbindung mit dem Grundsatz, daß eine falsche Bilanz, die einer Veranlagung noch nicht zugrunde liegt, richtigzustellen ist, zulässig und geboten.
Fundstellen
Haufe-Index 413332 |
BStBl II 1972, 943 |
BFHE 1973, 136 |