Entscheidungsstichwort (Thema)
Sanierungseignung auch bei schuldenfreier Liquidation
Leitsatz (NV)
Die Sanierungseignung besteht auch dann, wenn der Forderungserlaß einem Einzelunternehmer ermöglicht, das von ihm betriebene Unternehmen aufzugeben, ohne von weiterbestehenden Schulden beeinträchtigt zu sein (Anschluß an BFH-Urteile vom 14. März 1990 I R 64/85, BFHE 161, 28, BStBl II 1990, 810; I R 106/85, BFHE 161, 34, BStBl II 1990, 813).
Normenkette
EStG § 3 Nr. 66
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) betrieb ein Einzelhandelsgeschäft, das er zum 31. Dezember 1978 aufgab. Nach langjährigen Verhandlungen erklärten sich seine Lieferanten bereit, auf einen Teil ihrer Forderungen zu verzichten. Für das Streitjahr 1978 hat der Kläger einen Schulderlaß in Höhe von . . . DM (abzüglich Umsatzsteuer) ausgewiesen. Seit dem Jahre 1979 ist er als Arbeitnehmer beschäftigt. Bei der Veranlagung für 1978 beantragte er vergeblich, einen Gewinn in Höhe von . . . DM, der ausschließlich aus dem Schulderlaß herrührt, als Aufgabegewinn (§ 16 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes - EStG -) zu behandeln. Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte aus, der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) habe den erklärten Gewinn zu Recht als laufenden Gewinn besteuert. Es handle sich nicht um einen Betriebsaufgabegewinn, da der Schulderlaß nicht im Rahmen der Aufgabe des Betriebs, sondern der seit dem Jahre 1974 geführten außergerichtlichen Vergleichsverhandlungen vereinbart worden sei; insoweit fehle der erforderliche enge zeitliche und wirtschaftliche Zusammenhang mit der Betriebsaufgabe. Der Gewinn sei auch nicht als Sanierungsgewinn nach § 3 Nr. 66 EStG steuerfrei. Diese Befreiungsvorschrift greife - unter weiteren Voraussetzungen - dann ein, wenn der Schulderlaß geeignet sei, das sanierungsbedürftige Unternehmen vor einem Zusammenbruch zu bewahren und wieder ertragsfähig zu machen. Der Kläger habe seinen Gewerbebetrieb aufgegeben; der Schulderlaß, soweit er das Streitjahr betreffe, sei daher nicht geeignet gewesen, die Ertragskraft des Gewerbebetriebs wieder herzustellen. Außerdem habe der Kläger den für das Streitjahr 1978 ausgewiesenen Schulderlaß nicht nachgewiesen.
Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung des § 3 Nr. 66 und § 16 Abs. 3 und 4 EStG und mangelnde Sachaufklärung. Das FG habe den Sachverhalt nur unzureichend aufgeklärt. Sein Bevollmächtigter habe in der mündlichen Verhandlung verschiedene Schriftstücke überreicht, aus denen die Gläubigerverzichte ersichtlich gewesen seien; auch das FA habe zwei Hefter mit entsprechenden Schriftstücken überreicht. Soweit das FG einen steuerbegünstigten Aufgabegewinn verneint habe, habe es den eindeutigen Inhalt der Akten unberücksichtigt gelassen: Aus diesen habe sich ergeben, daß ein enger zeitlicher und sachlicher Zusammenhang zwischen der Betriebsaufgabe und den Gläubigerverzichten bestanden habe.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
1. Zu Unrecht hat das FG die Anwendbarkeit des § 3 Nr. 66 EStG wegen fehlender Sanierungseignung verneint. Für das Tatbestandsmerkmal der Sanierungseignung genügt es, wenn der Forderungserlaß es dem Einzelunternehmer ermöglicht, das von ihm betriebene Unternehmen aufzugeben, ohne mit weiterbestehenden Schulden belastet zu sein. Der I. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) hat mit Urteil vom 14. März 1990 I R 106, 85, BFHE 161, 34, BStBl II 1990, 813 entschieden, daß diese Auslegung dem Wortlaut und dem Sinn des § 3 Nr. 66 EStG entspricht. Der erkennende Senat schließt sich dieser Auffassung an.
2. Das angefochtene Urteil ist auch nicht deshalb im Ergebnis zutreffend, weil der Grund und die Höhe des für die Anwendung des § 3 Nr. 66 EStG entscheidungserheblichen Schulderlasses nicht nachgewiesen sind. Zwar hat das FG festgestellt, in dem Betrag von . . . DM seien Forderungen enthalten, deren Erlaß trotz einer nach Art. 3 § 3 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit vom Gericht gesetzten Ausschlußfrist nicht nachgewiesen bzw. glaubhaft gemacht worden sei. Das FG hat aber nicht dargelegt, worauf es seine Überzeugung gründet, weshalb insbesondere die von den Beteiligten in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Unterlagen nicht geeignet gewesen seien, Forderungsverzichte und ihre zeitliche Zuordnung zum Streitjahr - zumindest teilweise - nachzuweisen. Insoweit enthält das Urteil einen materiell-rechtlichen Mangel, der auch ohne diesbezügliche Revisionsrüge von Amts wegen zu beachten ist (vgl. hierzu zuletzt BFH-Urteil vom 4. April 1989 VII R 12/87, BFH/NV 1989, 713, m. w. N.; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 115 Rdnr. 27, § 119 Rdnr. 23, m w. N.).
Das FG wird im zweiten Rechtsgang zu prüfen haben, ob die sonstigen Voraussetzungen des § 3 Nr. 66 EStG erfüllt sind. Ggf. wird der Kläger nochmals mit seiner Behauptung gehört werden können, der Schulderlaß habe zu einem Aufgabegewinn geführt.
Fundstellen
Haufe-Index 417416 |
BFH/NV 1991, 372 |