Entscheidungsstichwort (Thema)
Vermessungs- und Katasteramt als Hoheitsbetrieb; Abgrenzung zum Betrieb gewerblicher Art
Leitsatz (amtlich)
1. Die Ausübung öffentlicher Gewalt durch eine juristische Person des öffentlichen Rechts umfasst Tätigkeiten, die dieser eigentümlich und vorbehalten sind. Kennzeichnend dafür ist die Erfüllung spezifisch öffentlich-rechtlicher Aufgaben, die aus der Staatsgewalt abgeleitet sind; die Mitwirkung mit hoheitlichen Aufgaben betrauter (beliehener) Unternehmer steht dem nicht entgegen.
2. Die Auslegung einschlägiger landesrechtlicher Vorschriften obliegt dem FG.
Normenkette
KStG § 1 Abs. 1 Nr. 6, § 4 Abs. 1, 5 S. 1; VermKatG NW § 1 Abs. 1-2, § 5 Abs. 1 Nr. 2, § 21 Abs. 1; ÖbVermIngBO NW § 1 Abs. 1; FGO § 118 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine kreisfreie Stadt. Als solche verfügt sie über ein Vermessungs- und Katasteramt (§ 21 Abs. 1 des Gesetzes über die Landesvermessung und das Liegenschaftskataster des Landes Nordrhein-Westfalen ―VermKatG NW― i.d.F. der Bekanntmachung vom 30. Mai 1990, Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Nordrhein-Westfalen ―GVBl NW― 1990, 360). Gesetzliche Aufgabe von Vermessungs- und Katasterämtern ist neben der Führung und Neueinrichtung von Liegenschaftskatastern u.a. die Durchführung von Teilungsvermessungen, Grenzfeststellungen und Gebäudeeinmessungen. Aus diesen Tätigkeiten erzielte die Klägerin (gerundet) im Jahr 1993 76 000 DM, 1994 259 000 DM, 1995 133 000 DM, 1996 295 000 DM, 1997 206 000 DM und im Jahr 1998 92 000 DM. Diese Einnahmen entfielen zu mehr als 70 % auf Gebäudeeinmessungen, zu 25 % auf Teilungsvermessungen und zu weniger als 5 % auf Grenzfeststellungen. Entgelte aus ingenieurtechnischen Vermessungsleistungen gegenüber privaten Dritten, die nicht zu den gesetzlich übertragenen Aufgaben des Kataster- und Vermessungsamts gehören (Absteckungen, baubegleitende Vermessungen sowie die Anfertigung nichtamtlicher Lagepläne), wurden in den Streitjahren nicht erzielt.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ―FA―) hat das Vermessungs- und Katasteramt der Klägerin als Betrieb gewerblicher Art (BgA) der Körperschaftsteuer unterworfen. Bei dessen Tätigkeiten handele es sich um solche, die in gleicher Weise von öffentlich bestellten Vermessungsingenieuren ausgeführt würden, daher sei die Klägerin zu privaten Unternehmern in Konkurrenz getreten. Er erließ für die Streitjahre entsprechende Bescheide.
Das Finanzgericht (FG) gab der hiergegen gerichteten Klage statt. Es entschied, die Tätigkeit des Vermessungs- und Katasteramts der Klägerin stelle keinen BgA dar, da sie überwiegend der Ausübung öffentlicher Gewalt (Hoheitsbetrieb) diene. Im Einzelnen wird auf die in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2003, 1333 abgedruckten Entscheidungsgründe verwiesen.
Mit seiner Revision rügt das FA Verletzung von Bundesrecht. Es beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet und war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―). Die Entscheidung des FG, dass die Klägerin mit den Tätigkeiten ihres Vermessungs- und Katasteramts nicht körperschaftsteuerpflichtig ist, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
1. Juristische Personen des öffentlichen Rechts sind mit ihren BgA unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig (§ 1 Abs. 1 Nr. 6 des Körperschaftsteuergesetzes ―KStG―). BgA sind alle Einrichtungen, die einer nachhaltigen wirtschaftlichen Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen außerhalb der Land- und Forstwirtschaft dienen und die sich innerhalb der Gesamtbetätigung der juristischen Person wirtschaftlich herausheben (§ 4 Abs. 1 Satz 1 KStG). Die Absicht, Gewinn zu erzielen, und die Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr sind nicht erforderlich (§ 4 Abs. 1 Satz 2 KStG).
2. Zu den BgA gehören nach § 4 Abs. 5 Satz 1 KStG allerdings nicht Betriebe, die überwiegend der Ausübung öffentlicher Gewalt dienen (Hoheitsbetriebe). Unter Ausübung öffentlicher Gewalt sind Tätigkeiten zu verstehen, die der juristischen Person des öffentlichen Rechts eigentümlich und vorbehalten sind (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 8. Januar 1998 V R 32/97, BFHE 185, 283, BStBl II 1998, 410; vom 23. Oktober 1996 I R 1-2/94, BFHE 181, 322, BStBl II 1997, 139; vom 14. März 1990 I R 156/87, BFHE 161, 46, BStBl II 1990, 866). Kennzeichnend dafür ist die Erfüllung spezifisch öffentlich-rechtlicher Aufgaben (BFH-Urteil vom 21. September 1989 V R 89/85, BFHE 158, 177, BStBl II 1990, 95), die aus der Staatsgewalt abgeleitet sind, staatlichen Zwecken dienen (BFH-Urteil vom 21. November 1967 I 274/64, BFHE 91, 98, BStBl II 1968, 218, m.w.N.; Abschn. 5 Abs. 13 Satz 3 der Körperschaftsteuer-Richtlinien 1995 ―KStR 1995―) und zu deren Annahme der Leistungsempfänger aufgrund gesetzlicher oder behördlicher Anordnung verpflichtet ist (vgl. auch Abschn. 5 Abs. 14 Satz 1 KStR 1995). Eine Ausübung öffentlicher Gewalt ist allerdings insoweit ausgeschlossen, als sich die Körperschaft durch ihre Einrichtungen in den allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr einschaltet und eine Tätigkeit entfaltet, die sich ihrem Inhalt nach von der Tätigkeit eines privaten gewerblichen Unternehmens nicht wesentlich unterscheidet (vgl. BFH-Urteile in BFHE 185, 283, BStBl II 1998, 410; in BFHE 181, 322, BStBl II 1997, 139; in BFHE 161, 46, BStBl II 1990, 866; vgl. auch Abschn. 5 Abs. 13 Satz 7 KStR 1995). Dann bewegt sich auch die juristische Person des öffentlichen Rechts in Bereichen der privatunternehmerischen Berufs- und Gewerbeausübung, in denen private Unternehmer durch den Wettbewerb mit (grundsätzlich nicht steuerpflichtigen) Körperschaften des öffentlichen Rechts ihrerseits nicht benachteiligt werden dürfen.
Von einer privatunternehmerischen Berufs- und Gewerbeausübung ist allerdings nicht bereits dann auszugehen, wenn eine der öffentlich-rechtlichen Körperschaft zugewiesene Aufgabe durch oder aufgrund Gesetzes auch dazu öffentlich bestellten (beliehenen) Personen des Privatrechts (Unternehmen oder Angehörigen eines freien Berufs) übertragen werden kann und diese in Ausübung dieser Tätigkeiten ebenfalls hoheitlich tätig werden, somit ebenfalls als Behörden im verfahrensrechtlichen Sinne (vgl. dazu beispielhaft § 1 Abs. 4 des Verwaltungsverfahrensgesetzes ―VwVfG―) gelten. Bei Ausübung gleichermaßen hoheitlicher Tätigkeiten kann zwischen der juristischen Person des öffentlichen Rechts und den beliehenen Unternehmern keine der Privatwirtschaft eigene Wettbewerbssituation eintreten. Ob der jeweilige Beliehene seinerseits ―im Innenverhältnis zum jeweiligen Auftraggeber― unternehmerisch und entgeltlich tätig wird (vgl. BFH-Urteile vom 18. Januar 1995 XI R 71/93, BFHE 177, 154, BStBl II 1995, 559, m.w.N.; in BFHE 158, 177, BStBl II 1990, 95), ist für die Beurteilung der Tätigkeit der öffentlich-rechtlichen Körperschaft nicht erheblich.
3. Unter Zugrundelegung der vorstehenden Rechtsgrundsätze hat das FG im Streitfall die Tätigkeiten des Vermessungs- und Katasteramtes der Klägerin als hoheitlich eingestuft. Dabei hat es seine Prüfung auf das einschlägige VermKatG NW gestützt. Die Folgerungen des FG betreffen daher Bestand und Inhalt landesrechtlicher Vorschriften. An diese Rechtsauslegung ist der Senat im Revisionsverfahren ―wie an tatsächliche Feststellungen des FG― gebunden, nachdem ihm gemäß § 118 Abs. 1 Satz 1 FGO die Prüfung des angefochtenen Urteils nur im Hinblick auf die Verletzung von Bundesrecht erlaubt ist (BFH-Urteile in BFHE 185, 283, BStBl II 1998, 410; vom 19. Mai 1983 IV R 205/79, BFHE 139, 41, BStBl II 1983, 670, m.w.N.; vgl. auch Gräber/ Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 118 Rz. 60).
4. Dass das FG bei dieser Auslegung von Landesrecht Denkgesetze verletzt oder gegen allgemeine Erfahrungssätze verstoßen hat, ist nicht erkennbar.
a) Es stützt seine Beurteilung vornehmlich auf § 1 Abs. 1 VermKatG NW, wonach die Landesvermessung und die Führung des Liegenschaftskatasters öffentliche Aufgaben seien, die u.a. von den Landesvermessungsämtern und den kreisfreien Städten als Katasterbehörden wahrgenommen würden.
Auch bei den Aufgaben der Landesvermessung, die im Einzelnen in § 5 Abs. 1 VermKatG NW bezeichnet seien, handele es sich ausschließlich um solche, die öffentlichen Stellen vorbehalten seien. Private Unternehmer könnten sie nicht erfüllen. Bei den Vermessungstätigkeiten handele es sich zudem um Leistungen, zu deren Inanspruchnahme der Leistungsempfänger aufgrund gesetzlicher oder behördlicher Anordnung verpflichtet sei.Werde ein Gebäude errichtet oder in seinem Grundriss verändert, sei der Eigentümer nach § 14 Abs. 2 VermKatG NW verpflichtet, das Grundstück einmessen zu lassen. Die Nichterfüllung dieser Verpflichtung könne durch Ersatzvornahme (§ 14 Abs. 3 VermKatG NW) durchgesetzt werden.
b) Weiter hat das FG festgestellt, dass die Klägerin mit ihrer Tätigkeit nicht in Konkurrenz zu privaten Unternehmern tritt. Zwar seien gemäß § 1 Abs. 2 VermKatG NW auch öffentlich bestellte Vermessungsingenieure befugt, Aufgaben der Landesvermessung wahrzunehmen. Diese seien jedoch ebenfalls als Organe des öffentlichen Vermessungswesens berufen, an den ―hoheitlichen― Aufgaben der Landesvermessung i.S. des § 5 VermKatG NW mitzuwirken (§ 1 Abs. 1 der Berufsordnung für die Öffentlich bestellten Vermessungsingenieure/Öffentlich bestellten Vermessungsingenieurinnen in Nordrhein-Westfalen ―ÖbVermIng BO NW― vom 15. Dezember 1992, GVBl NW 1992, 524 i.d.F. des Änderungsgesetzes vom 22. November 1994, GVBl NW 1994, 1058). Dabei würden sie ebenfalls hoheitlich tätig. Hierzu verfügten die öffentlich bestellten Vermessungsingenieure über zahlreiche, in den §§ 4 Abs. 1, 8 Abs. 1, 12 Abs. 2, 16 VermKatG NW festgelegte (hoheitliche) Befugnisse.
In diesem Zusammenhang hat das FG den Streitfall auch zutreffend von den BFH-Urteilen in BFHE 161, 46, BStBl II 1990, 866; in BFHE 158, 177, BStBl II 1990, 95 abgegrenzt, in denen Blutalkoholuntersuchungen eines Rechtsmedizinischen Instituts einer Universität bzw. eines chemischen Untersuchungsamtes einer Gemeinde im Auftrag von Strafverfolgungsbehörden nicht als hoheitliche Tätigkeit beurteilt worden sind. Dem lag die Auffassung zugrunde, dass die Durchführung derartiger Blutuntersuchungen der Art nach privatunternehmerische Leistungen darstellten, die zugleich auch von einer Vielzahl privater Institutionen vorgenommen würden. Auch eine gutachterliche Tätigkeit erlange durch die Anhörung der Gutachter in gerichtlichen Verfahren keinen hoheitlichen Charakter.
Für das Fehlen einer Wettbewerbssituation zwischen der Klägerin und den öffentlich bestellten Vermessungsingenieuren spricht letztlich der Umstand, dass gemäß § 21 Abs. 1 und 2 VermKatG NW neben der Führung des Liegenschaftskatasters auch die Katastervermessung i.S. des § 5 Abs. 1 Nr. 2 VermKatG NW den Kreisen und kreisfreien Städten als Katasterbehörden selbst zugewiesen ist, dahin gehende Tätigkeiten der öffentlich bestellten Vermessungsingenieure diesen Behörden daher funktionell zuzurechnen sind.
5. Ingenieurtechnische Vermessungsleistungen gegenüber privaten Dritten, die nicht zu den vorstehend bezeichneten gesetzlich übertragenen Aufgaben gehören, hat die Klägerin nach den Feststellungen des FG im Streitzeitraum nicht erfüllt.
6. Somit war die Vorentscheidung zu bestätigen, die Revision war zurückzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 1343315 |
BFH/NV 2005, 984 |
BStBl II 2005, 501 |
BFHE 2005, 195 |
BFHE 209, 195 |
BB 2005, 1098 |
DB 2005, 1091 |
DStRE 2005, 651 |
DStZ 2005, 358 |
HFR 2005, 676 |