Leitsatz (amtlich)
1. Die Beschränkung der Rechtsbeschwerde an den Bundesfinanzhof in § 6 der Zweiten IHDV auf die Fälle, bei denen das Finanzgericht sie wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Angelegenheit zugelassen hat, ist rechtsunwirksam.
2. Die Finanzämter sind nach § 20 Abs. 4 IHG als erste Instanz zur Ablehnung eines Stundungsantrags ohne Rücksicht auf die Höhe der beantragten Stundung zuständig.
Normenkette
GG Art. 19 Abs. 4, Art. 80 Abs. 1; IHG § 20 Abs. 4; Zweite IHDV § 6; AO § 229
Tatbestand
Die Beschwerdegegnerin (Bgin.) hat einen Antrag auf Erlaß des Aufbringungsbetrages der Investitionshilfe gestellt. Gleichzeitig hat sie beantragt, ihr die fällige Rate zu stunden. Das Finanzamt hat den Stundungsantrag abgelehnt und hierbei mitgeteilt, der beim Finanzamt gebildete Stundungsausschuß (§ 20 Abs. 2 des Gesetzes über die Investitionshilfe der gewerblichen Wirtschaft -- IHG --) sei gehört worden. Die Beschwerde wies die Oberfinanzdirektion als unbegründet zurück. Die Bgin. wandte sich gegen diese Entscheidung mit der Berufung an das Finanzgericht. Das Finanzgericht verwarf die Berufung als unzulässig und begründete das wie folgt:
Bei Ermessensentscheidungen der Finanzverwaltungsbehörden gemäß Artikel 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) sei Voraussetzung der Anrufung der Steuergerichte Ausschöpfung der Rechtsmittel bei den Verwaltungsbehörden. Im Streitfall sei das Finanzamt zur Entscheidung über den Stundungsantrag sachlich nicht zuständig gewesen. Über ihn hätte die Oberfinanzdirektion in erster Instanz entscheiden müssen (vgl. Kötter -- Ziemer -- Dr. Siara, Kommentar zur Investitionshilfe, Anmerkung zu § 20). Die Bgin. hätte sich deshalb im Beschwerdeweg zuerst an den Finanzminister wenden müssen. Dem Erlaß des Finanzministers des Landes Nordrhein-Westfalen vom 10. Oktober 1952 Inv 1016 -- 10068/V B -- 1, nach dem das Finanzamt zur Ablehnung eines Stundungsantrages stets, ohne Rücksicht auf den Aufbringungsbetrag, zuständig sei, vermöge sich das Finanzgericht nicht anzuschließen. Das IHG habe die Stundung abweichend von den Bestimmungen des § 127 der Reichsabgabenordnung (AO) geregelt. Die Möglichkeit, im Wege der Sprungberufung sofort das Finanzgericht anzurufen statt die Beschwerdeentscheidung einzuholen, sei nicht gegeben, da in den Fällen der Ermessensentscheidungen der Verwaltungsbehörden die Beschwerdeentscheidung nicht durch die gleiche Dienststelle, sondern durch die vorgesetzte Dienststelle zu fällen sei.
Die Oberfinanzdirektion wendet sich gegen die Entscheidung des Finanzgerichts mit folgender Begründung:
Nach dem Wortlaut des Gesetzes könnten keine Bedenken dagegen bestehen, daß die Finanzämter bereits in erster Instanz Stundungsanträge ohne Rücksicht auf den Umfang der beantragten Stundung ablehnten, da im § 20 Abs. 4 IHG nur eine Begrenzung der Stundungen, also der tatsächlich ausgesprochenen Stundung bestimmt sei.
Ein solches Verfahren diene auch der Verwaltungsvereinfachung und der Arbeitsbeschleunigung bei den Finanzbehörden. Nach Abschnitt 10 des Organisationsstatuts für die Bildung der Ausschüsse gemäß § 20 Abs. 2 IHG sei bei jeder Entscheidung eines Stundungsantrages in erster Instanz (also auch bei Zuständigkeit der Oberfinanzdirektionen oder des Landesfinanzministeriums) der bei dem örtlichen Finanzamt gebildete Ausschuß zu hören. Die Anhörung des Ausschusses erfolge durch das Finanzamt ohne Rücksicht auf die Höhe des dem Stundungsantrag zugrunde liegenden Aufbringungsbetrages (Hinweis in Abschnitt 10 auf Abschnitt 6 des Organisationsstatuts). Falls der Ausschuß eine Stundung nicht befürworte, sei der Stundungsantrag kraft ausdrücklicher gesetzlicher Bestimmung in der Regel abzulehnen (vgl. § 20 Abs. 2 Satz 2 IHG). Es würde deshalb eine sachlich nicht gerechtfertigte Verzögerung des Verfahrens bedeuten, wenn das Finanzamt nicht bereits selbst die von ihm in Übereinstimmung mit dem Ausschuß gebilligte Ablehnung aussprechen könnte, sondern den Antrag erst zur Entscheidung an die Oberfinanzdirektion weitergeben müßte; es könne wohl davon ausgegangen werden, daß die Oberfinanzdirektion in einem derartigen Fall den Antrag im allgemeinen ebenfalls ablehnen werde. Wenn der Aufbringungspflichtige sich jedoch mit dem ablehnenden Bescheid des Finanzamts nicht zufriedengeben wolle, könne er immer noch durch eine Beschwerde erreichen, daß die Oberfinanzdirektion über seinen Antrag entscheide. Gegen die Beschwerdeentscheidung der Oberfinanzdirektion sei zwar keine formelle Beschwerde mehr zulässig (§ 304 Abs. 4 AO), der Pflichtige könne aber Dienstaufsichtsbeschwerde an den Landesfinanzminister (§ 46 AO) einlegen. Der Bundesminister der Finanzen habe in einem Rundschreiben an die Landesfinanzverwaltungen vom 28. Oktober 1952 -- IV -- Inv 1200 12/52 -- (Abschnitt I Ziff. 3a) den gleichen Standpunkt eingenommen und ihn auch in einem kürzlich an den Finanzminister des Landes Nordrhein-Westfalen gerichteten Schreiben aufrechterhalten.
Entscheidungsgründe
Die Prüfung der Rechtsbeschwerde ergibt folgendes:
Es ist zunächst die Frage ihrer formellen Zulässigkeit zu entscheiden.
Nach § 6 der Zweiten Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Investitionshilfe der gewerblichen Wirtschaft (Zweite IHDV) vom 23. August 1952 (Bundesgesetzblatt I S. 587) ist gegen die Beschwerdeentscheidung in Stundungssachen der Rechtsweg (Art. 19 Abs. 4 GG) an das Finanzgericht und, wenn das Finanzgericht ihn wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Angelegenheit zugelassen hat, an den Bundesfinanzhof gegeben.
Im vorliegenden Falle hat das Finanzgericht lediglich folgende Rechtsmittelbelehrung erteilt: "Gegen dieses Urteil ist die Rechtsbeschwerde zulässig...." Die Sache wurde somit nicht als grundsätzlich erklärt.
Der Bundesfinanzhof ist in seiner Rechtsprechung davon ausgegangen, daß für den gegenüber der AO erweiterten Rechtsschutz des Artikels 19 Abs. 4 GG durch die Steuergerichte verfahrensmäßig die Vorschriften des § 229 AO entsprechend anzuwenden seien, daß also die Berufungsentscheidungen der Finanzgerichte durch Rechtsbeschwerde an den Bundesfinanzhof angegriffen werden können, so Entscheidung des Bundesfinanzhofs IV 15/51 S vom 23. Februar 1951, Bundessteuerblatt (BStBl.) III S. 75, Slg. Bd. 55 S. 199; Gutachten des Großen Senats D 1/51 S vom 17. April 1951, BStBl. III S. 107, Slg. Bd. 55 S. 277, Entscheidungen des Bundesfinanzhofs IV 47/51 S vom 25. Juli 1951, BStBl. III S. 173, Slg. Bd. 55 S. 432; IV 187/52 U vom 21. August 1952, BStBl. III S. 306, Slg. Bd. 56 S. 797; II 113/52 U vom 1. Oktober 1952, BStBl. III S. 319, Slg. Bd. 56 S. 832. Der Senat kat keine Veranlassung, von dieser Rechtsprechung abzuweichen. Es muß somit angenommen werden, daß der Gesetzgeber die Möglichkeit der Rechtsbeschwerde in derartigen Streitsachen gewährt hat.
In § 38 Ziff. 2 zu c IHG wird die Bundesregierung ermächtigt, mit Zustimmung des Bundesrates unter bestimmten Voraussetzungen Rechtsverordnungen zur Durchführung des Aufbringungsverfahrens zu erlassen. Es handelt sich somit lediglich um eine Ermächtigung zum Erlaß von Verordnungen, die sich im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen halten und um keine verfassungsrechtlich bedenkliche Ermächtigung zum Erlaß einer gesetzesvertretenden Verordnung. Im einzelnen siehe hierzu Art. 80 und Art. 129 Abs. 3 GG sowie die eingehenden Ausführungen in dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichtes vom 10. Juni 1953 -- 1 BvF 1/53, Neue Juristische Wochenschrift 1953 S. 1177. Siehe auch Entscheidung des Bundesfinanzhofs I 103/51 U vom 29. Januar 1952, BStBl. 1952 S. 57, Slg. Bd. 56 S. 137, die von den gleichen Grundsätzen ausgeht. Der Verordnungsgeber war nicht berechtigt, das gesetzlich gegebene Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde einzuschränken. § 6 der Zweiten IHDV ist insoweit rechtsunwirksam.
Die Rechtsbeschwerde der Oberfinanzdirektion ist zulässig.
In der Sache selbst trägt der Senat keine Bedenken, der Rechtsauffassung, wie sie von der Oberfinanzdirektion dargestellt wird, beizupflichten. Sie entspricht, soweit dem Senat bekannt, der allgemeinen Auffassung auch bei den Erlaßanträgen nach § 131 AO, wo ebenfalls nur eine begrenzte Zuständigkeit der Finanzämter gegeben ist. Siehe hierzu auch den zur Veröffentlichung in Teil II des BStBl. vorgesehenen Erlaß des Finanzministers des Landes Nordrhein-Westfalen vom 30. Juli 1953 (S 1148 -- (8065)/(VC) -- 2)/(S 1153) unter B 4. Die von der Verwaltung vertretene Ansicht ist mit dem Gesetz vereinbar und wird den praktischen Bedürfnissen besser gerecht.
Die Vorentscheidung wird aufgehoben und die Sache zur nochmaligen Würdigung an das Finanzgericht zurückverwiesen.
Nach dem Wortlaut des § 6 der Zweiten IHDV könnte man der Auffassung sein, daß die Steuergerichte allgemein in Stundungssachen zuständig seien, also nicht begrenzt auf Rechtsverstöße, die bei der Durchführung des Verfahrens auftreten (z. B. Verstöße gegen § 2 des Steueranpassungsgesetzes, Art. 3 GG). Bei dieser Ansicht wäre das Finanzgericht auch berechtigt, die Stundung auszusprechen. Auch zu einer derartigen verfahrensrechtlichen Bestimmung wäre der Verordnungsgeber nicht berechtigt gewesen. Der Gesetzgeber hat das Recht der Stundung in § 20 IHG ausschließlich den Verwaltungsbehörden übertragen. Es müssen deshalb auch die hier in Rechtsatz 5 des Gutachtens des Bundesfinanzhofs Großer Senat D 1/51 S vom 17. April 1951 ausgesprochenen Grundsätze beachtet werden. Im übrigen wird die Beifügung "(Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes)" in der Vorschrift dafür sprechen, daß der Verordnungsgeber von den Grundsätzen des Gutachtens ausgehen wollte. Siehe hierzu auch Rechtsatz 4 des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 7. Mai 1953 -- 1 BvL 104/52 -- Deutsches Verwaltungsblatt 1953 S. 501.
Fundstellen
Haufe-Index 407746 |
BStBl III 1953, 1953 S. 293 |
BFHE 1954, 4 |