Leitsatz (amtlich)
Zur Abgrenzung Einfamilienhaus/Zweifamilienhaus bei Wohngrundstücken, die vor dem 1.Januar 1973 bezugsfertig errichtet, um- oder ausgebaut wurden und auf die die neue Rechtsprechung des BFH (Urteil vom 5.Oktober 1984 III R 192/83, BFHE 142, 505, BStBl II 1985, 151) noch nicht anzuwenden ist.
Ein im Jahr 1965 umgebautes dreigeschossiges Wohngebäude mit zwei Wohneinheiten ist als Einfamilienhaus zu bewerten, wenn die im Dachgeschoß befindliche Wohneinheit nur über einen zentral gelegenen, zu Wohnzwecken genutzten Raum im Erdgeschoß und die dort beginnende, offene Treppe erreicht werden kann.
Orientierungssatz
Bei der Bewertung von Wohngrundstücken, die vor dem 1.1.1973 errichtet, umgebaut oder ausgebaut wurden, reicht es für die Annahme einer Wohnung aus, daß sich die Zusammenfassung mehrerer Räume zu einer Wohnung aus ihrer Zweckbestimmung und der dieser Zweckbestimmung entsprechenden tatsächlichen Nutzung ergibt (vgl. BFH-Urteil vom 22.6.1979 III R 17/77). Dabei vermögen persönliche und subjektive Umstände bei der Abgrenzung der Grundstücksarten Einfamilienhaus oder Zweifamilienhaus nicht dazu führen, bei der Bestimmung des bewertungsrechtlichen Wohnungsbegriffs auf ein Mindestmaß an räumlicher und baulicher Trennung der Raumeinheiten zu verzichten.
Normenkette
BewG 1965 § 75 Abs. 5-6; BewG 1974 § 75 Abs. 5-6
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist Eigentümerin eines Wohngrundstücks. Bei der Hauptfeststellung auf den 1.Januar 1964 wurde das Grundstück als Einfamilienhaus bewertet. Ende 1965 führte die Klägerin Arbeiten zur Beseitigung von noch bestehenden Kriegsschäden und zur Renovierung des Dachgeschosses durch. Das Gebäude besteht insgesamt aus zwei Vollgeschossen und dem ausgebauten Dachgeschoß. Die Klägerin bewohnt mit ihrem Ehemann die Räume im Erd- und ersten Obergeschoß. Die Wohneinheit im Dachgeschoß umfaßt nach Abschluß der vorerwähnten Arbeiten zwei Zimmer, Küche, Bad mit WC sowie eine kleine Diele. Dazu gehört auch ein Kinderzimmer im Dachfirst, das über eine Wendeltreppe zu erreichen ist. Diese Raumeinheit bewohnte am Stichtag der Sohn der Klägerin mit seiner Ehefrau und einem Kind. Der Zugang zu den einzelnen Wohnbereichen ist wie folgt gestaltet: Der Hauseingang im Erdgeschoß führt zunächst in einen Flur, an den zur linken Seite die Küche angrenzt. Dieser gegenüber befindet sich eine offene Garderobe mit einem unmittelbar anliegenden WC. Durch eine Tür gelangt man geradeaus in einen zentral gelegenen, großen, als Wohndiele ausgestatteten Raum, von dem Glastüren in das Arbeits-, Musik- und Eßzimmer abgehen. Von diesem Raum gelangt man über die offene Treppe im ersten Obergeschoß in einen nicht abgeschlossenen Vorraum, an dem insgesamt vier Schlafzimmer und ein Badezimmer liegen. Von hier aus führt die Treppe offen weiter hinauf in das Dachgeschoß. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) stellte durch Artfortschreibung auf den 1.Januar 1974 die Grundstücksart Zweifamilienhaus fest. Einspruch und Klage, mit denen die Klägerin die Bewertung als Einfamilienhaus begehrte, blieben ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) begründete seine Entscheidungen im wesentlichen wie folgt: Das Wohngrundstück der Klägerin enthalte zum Fortschreibungszeitpunkt zwei Wohnungen. Die Räume im Dachgeschoß seien durch ihre Lage in einem Stockwerk hinreichend zu einer Einheit zusammengefaßt und nach ihrer Größe, Einrichtung und Ausstattung zur Führung eines selbständigen Haushalts geeignet.
Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung von § 75 des Bewertungsgesetzes (BewG) und Verfahrensfehler. Darüber hinaus rügt sie einen Verstoß der Vorentscheidung gegen verfassungsrechtliche Grundsätze. Das Wohngrundstück enthalte keine zwei Wohnungen. Das FG habe übersehen, daß die Räume im Erd- und Obergeschoß nicht als Wohnung im bewertungsrechtlichen Sinne betrachtet werden könnten. In diesen Räumen sei die ungestörte Führung eines Haushalts nicht möglich. Der Zugang zum Dachgeschoß führe durch die offene Diele, die als zentraler Wohnraum ausgestaltet sei und den Mittelpunkt des familiären Lebens aller Hausbewohner darstelle. Der Weg zum Dachgeschoß führe an dem Vorraum im Obergeschoß vorbei, der die dortigen Schlafräume und das Badezimmer miteinander verbindet. Es werde trotz des Vorhandenseins einer zweiten Küche im Dachgeschoß ein einziger Haushalt geführt, da sie --die Klägerin-- auf die Hilfe der Familienmitglieder angewiesen sei. Aus diesem Gesichtspunkt sei die Wohnung im Dachgeschoß als Hauspersonalwohnung gemäß § 75 Abs.5 Satz 2 BewG nicht mitzurechnen.
Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und das Wohngrundstück auf den 1.Januar 1974 als Einfamilienhaus zu bewerten.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
Das Wohngrundstück der Klägerin enthält am 1.Januar 1974 nur eine Wohnung und ist demzufolge gemäß § 75 Abs.5 BewG als Einfamilienhaus zu bewerten.
1. Nach § 75 Abs.5 und 6 BewG ist für die Abgrenzung der Grundstücksarten Ein- und Zweifamilienhaus entscheidend, ob das Wohngrundstück nur eine oder zwei Wohnungen enthält. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist unter einer Wohnung die Zusammenfassung einer Mehrheit von Räumen zu verstehen, die in ihrer Gesamtheit so beschaffen sein müssen, daß sie die Führung eines selbständigen Haushalts ermöglichen. Dazu ist es u.a. erforderlich, daß entsprechende Nebenräume, insbesondere eine Küche oder ein Raum mit Kochgelegenheit und die notwendigen zusätzlichen Einrichtungen vorhanden sind (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 24.November 1978 III R 81/76, BFHE 126, 565, BStBl II 1979, 255). Der erkennende Senat hat allerdings --teilweise abweichend von der bisherigen Rechtsprechung-- in seiner Entscheidung vom 5.Oktober 1984 III R 192/83 (BFHE 142, 505, BStBl II 1985, 151) einzelne Merkmale des bewertungsrechtlichen Wohnungsbegriffs enger gefaßt. Danach ist für die Beurteilung der Frage, ob Räume bewertungsrechtlich als Wohnung anzusehen sind, u.a. wesentlich, daß die Räume eine von anderen Wohnungen und Wohnräumen eindeutig baulich getrennte, in sich abgeschlossene Einheit darstellen. Sie müssen einen eigenen Zugang aufweisen. Diese Rechtsgrundsätze sind erstmalig bei der Bewertung von Wohngrundstücken anzuwenden, die im Laufe des Jahres 1973 bezugsfertig errichtet, aus- oder umgebaut wurden. Dies trifft im Streitfall nicht zu. Das Wohngebäude war bereits früher bezugsfertig. Für die Annahme einer Wohnung reicht es in derartigen Fällen aus, daß sich die Zusammenfassung mehrerer Räume zu einer Wohnung aus der Lage dieser Räume zueinander, aus ihrer Zweckbestimmung und der dieser Zweckbestimmung entsprechenden tatsächlichen Nutzung ergibt (vgl. BFH-Urteil vom 22.Juni 1979 III R 17/77, BFHE 129, 65, BStBl II 1980, 175). Die Bewertung eines Wohngrundstücks als Zweifamilienhaus setzt voraus, daß beide Wohneinheiten diesen Erfordernissen entsprechen.
2. Das streitbefangene Wohngrundstück erfüllt diese Voraussetzungen nicht. Es enthält nur eine Wohnung. In den von der Klägerin und ihrem Ehemann bewohnten Räumen ist wegen deren Anordnung und der baulichen Gestaltung des Zugangs zum Dachgeschoß die Führung eines ungestörten Haushalts nicht möglich. Die Bewohner des Dachgeschosses müssen notwendig den offenen Wohnbereich im Erdgeschoß durchqueren, um von der Wohndiele aus über die nicht abgeschlossene Treppe hinauf in das Dachgeschoß zu gelangen. Die Wohndiele ist nach ihrer zentralen Lage, Funktion und tatsächlichen Nutzung in einem solchen Ausmaß in den Wohnbereich des Erdgeschosses einbezogen, daß die Mitbenutzung dieses Raumes und der sich darin befindlichen Treppe auch als Zugang zum Dachgeschoß der Annahme von zwei selbständigen Wohnungen im bewertungsrechtlichen Sinne entgegensteht. Bei einer derartigen baulichen Gestaltung mag zwar --wie im Streitfall-- das Zusammenleben von Personen möglich sein, die zu einer Familie gehören. Persönliche Verhältnisse und subjektive Umstände vermögen aber bei der Abgrenzung der Grundstücksarten Ein- und Zweifamilienhaus nicht dazu zu führen, bei der Bestimmung des bewertungsrechtlichen Wohnungsbegriffs auf ein Mindestmaß an räumlicher und baulicher Trennung der Raumeinheiten zu verzichten. Die Räume in dem streitbefangenen Wohngrundstück sind nach ihrer Lage zueinander, ihrer Funktion und ihrer tatsächlichen Nutzung so aufeinander bezogen, daß sie insgesamt gesehen nur eine Wohnung darstellen.
Die Frage, ob die Wohnung im Dachgeschoß als Wohnung des Hauspersonals i.S. von § 75 Abs.5 Satz 2 BewG nicht mitzuzählen ist, ist nicht mehr entscheidungserheblich.
Da die Revision der Klägerin aus sachlichen Gründen (vgl. § 75 BewG) zum Erfolg führt, kommt es auf die von der Klägerin vorgebrachten sonstigen Rügen nicht an.
3. Das FG ist von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen; die Vorentscheidung und die Einspruchsentscheidung waren daher aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Für das Grundstück ist die Grundstücksart Einfamilienhaus festzustellen.
Fundstellen
Haufe-Index 60725 |
BStBl II 1986, 278 |
BFHE 145, 425 |
BFHE 1986, 425 |