Entscheidungsstichwort (Thema)
Gewerbesteuerzerlegung bei Beschäftigung von Leiharbeitnehmern
Leitsatz (NV)
1. Arbeitnehmer i. S. d. § 29 Abs. 1 Nr. 1 GewStG sind nur die Personen, die in einem Dienstverhältnis i. S. d. § 1 Abs. 2 LStDV zu dem Unternehmen stehen, für das der zu zerlegende Steuermeßbetrag festgesetzt worden ist.
2. Eine Zerlegung führt zu einem offenbar unbilligen Ergebnis, wenn in einer Betriebsstätte von erheblicher Bedeutung auf Dauer und ausschließlich Leiharbeitnehmer eingesetzt werden und dadurch der Gemeinde, in der die Betriebsstätte unterhalten wird, vollständig das Gewerbesteueraufkommen aufgrund dieser Betriebsstätte entgeht.
Normenkette
GewStG § 29 Abs. 1 Nr. 1, § 33; LStDV § 1 Abs. 2
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), die Stadt S, begehrt, an der Zerlegung des einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrags der X-Werke AG (im folgenden: Steuerpflichtige) für das Jahr 1975 beteiligt zu werden. Bei der Steuerpflichtigen handelt es sich um eine AG, die im Streitjahr in den Städten . . . und im Stadtgebiet der Klägerin Betriebsstätten unterhielt. Die Betriebsstätte im Gebiet der Klägerin hatte die Steuerpflichtige zum Beginn des Jahres 1975 unter teilweiser Übernahme eines bestehenden Betriebsteils der Y-GmbH (im folgenden: GmbH) eröffnet. Die Steuerpflichtige war an der GmbH mit 66 v. H. beteiligt. Die Grundfläche der neuen Betriebsstätte betrug 8710 qm. Die Steuerpflichtige beschäftigte dort im Streitjahr - wie auch in der nachfolgenden Zeit - keine eigenen Arbeitnehmer, sondern erhielt sämtliches Personal aufgrund eines Kooperationsvertrages von dem auf dem benachbarten Betriebsgelände gelegenen Unternehmen der GmbH gestellt. Beide im Gebiet der Klägerin ansässigen Produktionsstätten (der Steuerpflichtigen und der GmbH) benötigten jeweils rd. 40 bis 50 Arbeitskräfte. Zwischen der Steuerpflichtigen und der GmbH war durch den Kooperationsvertrag geregelt, daß der Einsatz der Arbeitskräfte durch die GmbH gesteuert wurde. Da sich der Arbeitsanfall in beiden Produktionsstätten zeitweise erheblich voneinander unterschied, setzte die GmbH einmal die überwiegende Anzahl der Arbeitnehmer für die eigene Tätigkeit und ein andermal für die Steuerpflichtige ein. Letztere zahlte an die GmbH für die Gestellung des Personals ein Entgelt, das nur die reinen Lohn- und Gehaltsaufwendungen umfaßte und keinen Gewinnaufschlag enthielt. Die von der Steuerpflichtigen für die Personalgestellung im Jahre 1975 gezahlte Entschädigung betrug . . . DM. In den übrigen Betriebsstätten der Steuerpflichtigen wurden Arbeitslöhne in folgender Höhe gezahlt:
. . .
Dem Antrag der Klägerin, ihr einen Anteil an dem einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrag der Steuerpflichtigen für 1975 zuzuerkennen, entsprach der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) im Zerlegungsbescheid 1975 vom 27. März 1980 nicht. Der dagegen erhobene Einspruch und die Klage blieben erfolglos. Zum Einspruchsverfahren wurden die Steuerpflichtige und die beteiligten Gemeinden hinzugezogen. Das Finanzgericht (FG) hat sie zum Verfahren beigeladen.
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung der §§ 28, 29 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) i. V. m. § 33 GewStG; sie rügt ferner die Verletzung der §§ 76, 79 der Finanzgerichtsordnung (FGO).
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führte zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Entscheidung des erkennenden Senats in der Sache (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO). Aufgrund des § 33 GewStG (in der im Streitjahr gültigen Fassung) war gemäß dem Antrag der Klägerin zu erkennen.
1. Zutreffend ist das FG davon ausgegangen, daß die Klägerin aufgrund des Zerlegungsmaßstabs des § 29 Abs. 1 Nr. 1 GewStG keinen Zerlegungsanteil (§ 28 GewStG) beanspruchen kann. Nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 GewStG ist für die Zerlegung das Verhältnis maßgebend, in dem die Summe der Arbeitslöhne, die an die bei allen Betriebsstätten beschäftigten Arbeitnehmer gezahlt worden sind, zu den Arbeitslöhnen steht, die an die bei den Betriebsstätten der einzelnen Gemeinden beschäftigten Arbeitnehmer gezahlt worden sind.
Dieser Zerlegungsmaßstab kann zu keinem Anteil der Klägerin führen, da die Steuerpflichtige in ihrer Betriebsstätte in der klagenden Gemeinde keine Arbeitnehmer beschäftigte, die maßgeblichen Arbeitslöhne somit mit null anzusetzen sind. Arbeitnehmer i. S. des § 29 Abs. 1 Nr. 1 GewStG sind nur die Personen, die in einem Dienstverhältnis i.S. des § 1 Abs. 2 der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung (LStDV) zu dem Unternehmen stehen, für das der zu zerlegende Steuermeßbetrag festgesetzt worden ist (Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 9. November 1965 I B 4/63, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1966, 124, Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK -, Gewerbesteuergesetz bis 1977, § 29, Rechtsspruch 22; Hofmeister in Blümich, Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz, Gewerbesteuergesetz, Kommentar, § 29 GewStG Rdnr. 6; Lenski / Steinberg, Kommentar zum Gewerbesteuergesetz, § 29 Rdnr. 4; Glanegger / Güroff, Gewerbesteuergesetz, Kommentar, 2. Aufl., 1991, § 29 Rdnr. 5; vgl. auch § 31 i. V.m. § 24 Abs. 2 GewStG 1974). Keine Zahlungen von Arbeitslöhnen an Arbeitnehmer i. S. der §§ 29, 31 GewStG sind aber Vergütungen, die - wie im Streitfall - an andere Unternehmen für die Überlassung von Arbeitskräften gezahlt werden (BFH-Beschlüsse vom 3. Juli 1956 I B 114/54, unveröffentlicht, zitiert bei Lenski / Steinberg, a. a. O., § 29 Rdnr. 6, und vom 11. Februar 1958 I 23/57 U, BFHE 66, 469, BStBl III 1958, 182; Abschn. 115 Abs. 2 der Gewerbesteuer-Richtlinien - GewStR - 1974 bis 1990; Hofmeister, a. a. O., § 29 GewStG Rdnr. 6; Lenski / Steinberg, a. a. O., § 29 Rdnr. 6; Glanegger / Güroff, a. a. O., § 29 Rdnr. 5). Nach den Feststellungen des FG wurde der Steuerpflichtigen sämtliches Personal aufgrund eines Kooperationsvertrags von der GmbH gestellt. Anders als im Falle des BFH-Beschlusses in BFHE 66, 469, BStBl III 1958, 182 können die Arbeitnehmer nicht wirtschaftlich eindeutig und ausschließlich der Betriebsstätte der Steuerpflichtigen zugeordnet werden; denn sie wurden nicht von vornherein von der GmbH für die Tätigkeit in der Betriebsstätte der Steuerpflichtigen und für deren Rechnung eingestellt. Der Einsatz der Arbeitskräfte wurde vielmehr von Fall zu Fall durch die GmbH gesteuert. Daran ändert auch nichts, daß die Steuerpflichtige zu 66 v. H. an der GmbH beteiligt war. Ebensowenig hat die Steuerpflichtige die Löhne unmittelbar an die geliehenen Arbeitnehmer, sondern vielmehr direkt an den Entleiher für die Überlassung gezahlt (Glanegger / Güroff, a. a. O., Rdnr. 5). Daß die Höhe der Vergütung der Steuerpflichtigen an die GmbH nur die reinen Lohn- und Gehaltsaufwendungen umfaßte, rechtfertigt nicht die Annahme von Lohnansprüchen der Arbeitnehmer an die Steuerpflichtige (BFH-Beschluß in StRK, Gewerbesteuergesetz bis 1977, § 29, Rechtsspruch 22).
2. Die Klägerin ist aber gemäß § 33 Abs. 1 GewStG am einheitlichen Steuermeßbetrag der Steuerpflichtigen für 1975 zu beteiligen, da die Zerlegung nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 GewStG zu einem offenbar unbilligen Ergebnis führt. Der Begriff ,,unbillig" wird in § 33 GewStG als unbestimmter Rechtsbegriff verwendet und ist deshalb von den Gerichten in vollem Umfang zu überprüfen (Hofmeister, a. a. O., § 33 GewStG Rdnr. 5 m. w. N.).
Nicht jede offenbare Unbilligkeit, die sich aus dem Maßstab gemäß § 29 i. V. m. § 31 GewStG ergibt, rechtfertigt es jedoch, den einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrag nach einem abweichenden Maßstab zu zerlegen. Vielmehr darf dies nur geschehen, wenn die offenbare Unbilligkeit von erheblichem Gewicht ist (ständige Rechtsprechung, zuletzt BFH-Urteil vom 26. August 1987 I R 376/83, BFHE 151, 452, BStBl II 1988, 201; Hofmeister, a. a. O., § 33 GewStG Rdnr. 3 m. w. N.). Ein besonderer Fall i. S. des § 33 GewStG liegt deshalb nur dann vor, wenn aufgrund der - atypischen - Umstände des Einzelfalles die sich aus dem groben Maßstab des § 29 GewStG allgemein ergebende Unbilligkeit offensichtlich übertroffen wird (vgl. BFH-Beschlüsse vom 24. Januar 1968 I B 87/64, BFHE 91, 52, BStBl II 1968, 185, und in BFHE 151, 452, BStBl II 1988, 201 - dazu nachfolgend a), die (nachteiligen) Auswirkungen einer Zerlegung nach den §§ 28 bis 31 GewStG also von wesentlicher Bedeutung sind (vgl. auch Lenski / Steinberg a. a. O., § 33 Rdnr. 3 - nachfolgend b).
a) Im Streitfall führen atypische Umstände zur Unbilligkeit, weil die Steuerpflichtige in der Betriebsstätte auf Dauer und ausschließlich Leiharbeitnehmer (in wesentlicher Zahl) einsetzt, anstatt - wie sonst im allgemeinen üblich - die eingesetzten Arbeitskräfte selbst zu beschäftigen. Durch dieses Verhalten der Steuerpflichtigen, das die Klägerin nicht beeinflussen kann und auch sonst nicht zu verantworten hat, entgeht ihr vollständig das Gewerbesteueraufkommen aufgrund dieser Betriebsstätte. Dabei ist zu berücksichtigen, daß die eingesetzte Arbeit unabhängig vom Rechtsverhältnis der Arbeitskräfte zum Betrieb auf den (vor allem für die Gewerbesteuer maßgebenden) Gewerbeertrag von Einfluß ist (vgl. BFH in BFHE 66, 469, BStBl III 1958, 182, und Lenski / Steinberg, a. a.O., § 33 Rdnr. 3). Dementsprechend ist gemäß § 31 Nr. 2 GewStG bei Unternehmen, die nicht von einer juristischen Person betrieben werden, ein Unternehmerlohn anzusetzen, obwohl die in einem gewerblichen Unternehmen tätigen Unternehmer (Mitunternehmer) in keinem Arbeitsverhältnis zu ihrem Unternehmen stehen (vgl. hierzu Beschluß des Reichsfinanzhofs - RFH - vom 22. März 1939 VI B 1/39, RStBl 1939, 730, und BFH-Urteil vom 5. November 1987 IV R 153/84, BFHE 151, 484, BStBl II 1988, 191).
b) Die (nachteiligen) Auswirkungen einer Zerlegung nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 GewStG sind für die Klägerin von Gewicht, denn die Betriebsstätte, die die Steuerpflichtige auf ihrem Gebiet unterhielt, ist nach Art und Umfang von erheblicher Bedeutung. Insoweit unterscheidet sich der Sachverhalt wesentlich von dem, der den Entscheidungen des Senats vom 12. Juli 1960 I 47/59 S (BFHE 71, 363, BStBl III 1960, 386), vom 21. März 1961 I B 151/60, (StRK, Gewerbesteuergesetz bis 1977, § 29, Rechtsspruch 12), vom 5. Oktober 1965 I B 387/62 U (BFHE 83, 468, BStBl III 1965, 668), in StRK, Gewerbesteuergesetz bis 1977, § 29, Rechtsspruch 22 und vom 9. Februar 1966 I B 189/63 (StRK, Gewerbesteuergesetz bis 1977, § 29, Rechtsspruch 23) zugrunde lag, wo es jeweils nur um Betriebsstätten von geringer Bedeutung ging. Bei der streitigen Betriebsstätte handelt es sich dagegen um Fabrikanlagen auf einer Grundfläche von 8700 qm. Es wurden dabei 40 bis 50 Arbeitskräfte mit Lohnkosten von 1 370 423 DM im Streitjahr eingesetzt. Es ist deshalb davon auszugehen, daß deren Einsatz in der Betriebsstätte wesentlich zur Erzielung des Gewerbeertrags der Steuerpflichtigen beigetragen hat (vgl. BFH in BFHE 66, 469, BStBl III 1958, 182). Ebensowenig kann die Betriebsstätte in ihrer Bedeutung für das Gewerbekapital als vernachlässigbare Größe angesehen werden.
c) Der von der Klägerin beanspruchten Zerlegung gemäß § 33 GewStG kann nicht entgegengehalten werden, die Klägerin erhalte einen Ausgleich der von den bei ihr eingesetzten Arbeitskräften verursachten gemeindlichen Lasten durch die Beteiligung an der vom Verleiher, der GmbH, geschuldeten Gewerbesteuer. Dafür kann es dahinstehen, ob die Klägerin gemäß (dem inzwischen aufgehobenen) § 6 Abs. 2 i. V. m. § 23 GewStG neben der Gewerbeertrag- und Gewerbekapitalsteuer die Lohnsummensteuer erhob. Die Löhne der Leiharbeitnehmer könnten dann zwar in die Bemessungsgrundlage ,,Lohnsumme" der GmbH einfließen, dürften aber im Ausgleich dazu für die Besteuerung der streitigen Betriebsstätte der Steuerpflichtigen nicht herangezogen werden (vgl. Lenski / Steinberg, a. a. O., § 23 Rdnr. 8 a). An einem Ausgleich über die Gewerbeertragsteuer, der sonst nur noch in Betracht kommen könnte, fehlt es aber im Streitfall, weil die GmbH von der Klägerin keinen Gewinnaufschlag verlangte. Es kann dahinstehen, ob darin wegen der Beteiligung der Steuerpflichtigen an der GmbH als Gesellschafterin eine verdeckte Gewinnausschüttung i. S. des § 6 Abs. 1 Satz 2 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) 1975 zu sehen ist, die den Gewerbeertrag der GmbH erhöhen würde. Da § 33 GewStG eine Billigkeitsregel darstellt, ist auf die Umstände des Streitfalles im einzelnen abzustellen. Der Senat geht davon aus, daß der Gewerbesteuermeßbescheid der GmbH für 1975 heute nicht mehr geändert werden kann. Damit fehlt es im Einzelfall an einem solchen Ausgleich. Überdies könnte ein solcher Gewinnaufschlag den Gewerbeertrag der streitigen Betriebssätte, soweit er durch den Produktionsfaktor Kapital erwirtschaftet wurde, nicht ausgleichen. Aufgabe des Zerlegungsmaßstabs ,,Arbeitslöhne" ist es aber ebenso, diesen Teil des Gewerbeertrags zuzuteilen. Wie sich aus den Materialien zum Gewerbesteuerrecht ergibt, ist auch erwogen worden, als Zerlegungsmaßstab das Verhältnis zu wählen, in dem das maßgebende Gewerbekapital und der Gewerbeertrag zu dem Gewerbekapital und dem Gewerbeertrag stehen, wie sie auf die einzelnen Betriebsstätten entfallen. Dieser Zerlegungsmaßstab ist nur deshalb abgelehnt worden, weil es kaum möglich oder zu schwierig sei festzustellen, in welchem Umfang das Gewerbekapital und der Gewerbeertrag auf die einzelnen Betriebsstätten entfällt (vgl. Lenski / Steinberg, a. a. O., § 29 Rdnr. 1). Zudem stellt der auf die Überlassung von Arbeitskräften erhobene Gewinnaufschlag nicht stets den vollständigen Ausgleich für den mit ihrer Hilfe erwirtschafteten Ertrag dar.
d) Als Zerlegungsmaßstab nach § 33 Abs. 1 Satz 1 GewStG, ,,der die tatsächlichen Verhältnisse besser berücksichtigt", hält der Senat die vom FG festgestellten ,,reinen Lohn- und Gehaltsaufwendungen" der überlassenen Arbeitskräfte für geeignet. Er geht insoweit davon aus, daß diese Aufwendungen keine Erstattungen von Lehrlingsvergütungen und steuerfreien Lohn- und Gehaltsanteilen enthalten, die bei sinngemäßer Anwendung der § 31 i. V. m. § 24 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 GewStG bei der Zerlegung nicht zu berücksichtigen wären.
Es ist ferner nicht ersichtlich, daß bei den Betriebsstätten der übrigen an der Zerlegung beteiligten Gemeinden atypische Belastungen von Gewicht entstanden sind, die die Eignung der an die dort beschäftigten Arbeitnehmer gezahlten Arbeitslöhne als Zerlegungsgrundlage beeinträchtigen könnten.
Fundstellen
Haufe-Index 418311 |
BFH/NV 1992, 836 |