Leitsatz (amtlich)
Es ist mit dem Wortlaut und dem Sinn und Zweck des § 21 Abs. 2 EStG zu vereinbaren, den dinglich Wohnberechtigten solchen Steuerpflichtigen gleichzustellen, die eine Wohnung im eigenen Haus nutzen (Bestätigung der bisherigen Rechtsprechung).
Normenkette
EStG § 21 Abs. 2
Tatbestand
Es ist streitig, ob die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung für ein von ihnen erworbenes dingliches Wohnrecht beziehen.
Mit Vertrag vom 25. Mai 1962 mieteten die Kläger - im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses 61 und 63 Jahre alt - gegen sofortige Zahlung von 39 600 DM und Entrichtung laufender Nebenkosten eine abgeschlossene Wohnung auf Lebenszeit. Am 28. Juni 1962 wurde für die Kläger dann ein lebenslängliches unentgeltliches Wohnrecht hinsichtlich dieser Räume in das Grundbuch eingetragen. Der Jahreswert des Wohnrechtes war im Vertrag mit 3 600 DM angegeben. Die Kläger bezogen die Wohnung im Oktober 1964, nachdem sich der Kläger zur Ruhe gesetzt hatte.
Bei der Einkommensteuerveranlagung für 1967 erhöhte der Beklagte und Revisionskläger (FA) unter Hinweis auf das Urteil des BFH vom 6. Juli 1966 VI 148/65 (BFHE 86, 676, BStBl III 1966, 622) die von den Klägern erklärten Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung auf 3 960 DM, wobei das FA von einem monatlichen Mietwert der Wohnung einschließlich Garage in Höhe von 330 DM ausging. Werbungskosten wurden nicht angesetzt. Auf den Einspruch der Kläger setzte das FA die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung auf 3 600 DM jährlich herab, weil es nunmehr den auf die Garage entfallenden Wert herausnahm.
Die Klage, mit der die Kläger die Anwendung des § 21 Abs. 2 EStG auf ein dingliches Wohnrecht grundsätzlich verneinten, hatte Erfolg. Das FG verwies im wesentlichen auf sein Urteil vom 10. Mai 1968 VII 341/67 E (EFG 1968, 572), wo es ausgesprochen habe, daß die vom BFH durchgeführte Gleichstellung des Grundstückseigentums mit anderen dinglichen Rechten nicht dem System des bürgerlichen Rechts entspreche.
Mit seiner Revision macht das FA geltend: Grundsätzlich sei in rechtlicher Hinsicht der Wohnberechtigte dem Nießbraucher gleichgestellt (§ 1093 BGB). Das habe zur Folge, daß der Wohnberechtigte steuerlich wie ein Nießbraucher anzusehen sei. Beide bezögen, falls das Recht an einem Grundstück oder Grundstücksteil bestehe, kraft eigenen Rechts eigene Einkünfte im Sinne des § 21 Abs. 2 EStG, wobei eine Unterscheidung zwischen entgeltlichem und unentgeltlichem Erwerb ohne Bedeutung sei. Aus § 21 Abs. 2 Halbsatz 1 EStG sei nicht ersichtlich, daß lediglich dem Grundstückseigentümer, der sein eigenes Grundstück nutze, fiktive Mieteinkünfte zuzurechnen seien. Vielmehr besage diese Vorschrift, daß bei Steuerpflichtigen, die kraft eigenen Rechts ein Wohnrecht nutzten, die ersparten Mieten als Mieteinkünfte zu berücksichtigen seien.
Dem FG könne auch nicht darin gefolgt werden, daß es Absetzungen für Abnutzung auf das Wohnrecht für zulässig erachtet habe, wenn entgegen seiner Auffassung doch Mieteinkünfte bei den Klägern angesetzt werden müßten. Wie auch der Nießbraucher könne der Wohnberechtigte eine Abschreibung auf das genutzte Wirtschaftsgut nicht vornehmen, da der Wertverzehr allein den Eigentümer und nicht den Berechtigten treffe (§ 1050 BGB). Ebenso entfalle eine Abschreibung auf das erworbene Recht, da es sich hierbei nicht um ein der Abnutzung unterliegendes Wirtschaftsgut handele.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Zurückverweisung der Sache an das FG.
Der erkennende Senat hat bereits in seinem nicht veröffentlichten Urteil vom 20. November 1973 VIII R 51/68 zu der Frage Stellung genommen, ob § 21 Abs. 2 EStG nur auf die vom Eigentümer eigengenutzte Wohnung anwendbar ist oder aber auch auf den Fall, daß ein Nießbraucher die Wohnung aus eigenem Recht nutzt. Er hat dort darauf hingewiesen, daß der BFH bereits vor seinem Urteil VI 148/65 (vgl. die dort angegebene Rechtsprechung) und danach wiederholt (Entscheidungen vom 12. September 1969 VI R 336/67, BFHE 96, 527, BStBl II 1969, 727; vom 12. September 1969 VI R 333/67, BFHE 96, 523, BStBl II 1969, 706; vgl. auch Urteil vom 8. August 1969 VI R 299/67, BFHE 96, 473, BStBl II 1969, 683) ausgesprochen hat, daß die Rechtsstellung des Nießbrauchers, soweit es um die Besteuerung des Nutzungswertes seiner kraft Nießbrauchs eigengenutzten Wohnung nach § 21 Abs. 2 EStG geht, mit der des Eigentümers (wirtschaftlichen Eigentümers) zwar nicht identisch ist, dieser jedoch wirtschaftlich in einer Weise gleichkommt, die eine steuerliche Gleichbehandlung rechtfertigt. Die Eigennutzung des Nießbrauchers und auch des dinglich Wohnberechtigten ist nach § 21 Abs. 2 erste Alternative EStG zu erfassen. Hieran hält der erkennende Senat fest.
Die Auffassung des FG, der Steuergesetzgeber habe - abgesehen vom Fall der unentgeltlichen Überlassung einer Wohnung - die Anwendung des § 21 Abs. 2 EStG auf den Fall der vom Eigentümer eigengenutzten Wohnung beschränkt oder beschränken wollen, läßt sich aus der genannten Vorschrift bei Beachtung ihres Wortlauts, Sinnes und Zwecks sowie des gesetzlichen Zusammenhangs, in den sie gestellt ist, nicht herleiten.
Entgegen der Ansicht des FG hindert insbesondere der Umstand, daß nach dem Wortlaut der Vorschrift der Nutzungswert der Wohnung im eigenen Haus als steuerpflichtig bestimmt ist, nicht bereits ihre gebotene Ausdehnung auf den Fall der vom dinglich Wohnberechtigten eigengenutzten Wohnung. Der Begriff "eigenes Haus" enthält nicht ohne weiteres eine dieser Beurteilung entgegenstehende Anknüpfung an das bürgerliche Recht, insbesondere den Begriff des dem Wohnungsinhaber zuzurechnenden Grundstückseigentums, wovon das FG ausgegangen ist. Abgesehen davon, daß der Steuergesetzgeber in § 21 Abs. 2 EStG den Begriff Grundstückseigentum nicht verwendet hat, ist nicht zu ersehen, daß er mit dem Begriff eigenes Haus das Grundstückseigentum im Sinne des bürgerlichen Rechtes als allein entscheidendes Merkmal behandelt und insoweit eine Gleichstellung dinglicher Rechte (dingliches Wohnrecht, Nießbrauch) von vornherein ausgeschlossen hat oder ausgeschlossen wissen wollte. Es ist deshalb nach dem Wortlaut des Gesetzes - in Ermangelung sonstiger ihm zu entnehmender Anhaltspunkte - davon auszugehen, daß § 21 Abs. 2 EStG einer ausdehnenden Anwendung grundsätzlich fähig ist (ebenso BFH-Urteil VI R 333/67).
Eine entgegenstehende Einschränkung kann dann auch nicht dem Sinn und Zweck des Gesetzes entnommen werden, wenn, wie hier, wirtschaftlich gleichliegende Sachverhalte (Nutzungswerte kraft Eigentums bzw. kraft dinglichen Rechtes eigengenutzter Wohnungen) unter dem Gesichtspunkt einer Gleichmäßigkeit der Besteuerung steuerlich gleichbehandelt werden. Die Rechtsstellung des dinglich Berechtigten kommt der des Eigentümers hinsichtlich der eigengenutzten Wohnung im wesentlichen gleich. Letzterer hat nach dem Willen des Steuergesetzgebers, wie die Vorinstanz nicht verkennt, unabhängig von der Frage der Entgeltlichkeit oder Unentgeltlichkeit seines Eigentumserwerbes den Nutzungswert der von ihm selbst genutzten Wohnung als Einkunft aus Vermietung und Verpachtung gemäß § 21 Abs. 2 EStG zu versteuern, weil ihm - nach gesetzlicher Fiktion - dieser Wert als Einkunft zufließt (Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 3. Dezember 1958 1 BvR 488/57, BStBl I 1959, 68, 70; Herrmann-Heuer, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, § 21 EStG Anm. 20, Lieferung 102, März 1973; Littmann, Das Einkommensteuerrecht, 10. Aufl., 1972, § 21 EStG Rdnr. 16, 17, 18; Blümich-Falk, Einkommensteuergesetz, 10. Aufl., § 21 Anm. 10, Abschn. a; Strutz, Einkommensteuergesetz 1925, § 6 Anm. 36, § 14 Anm. 17, § 38 Anm. 9). Diese Regelung beruht nach der Rechtsprechung auf der Erwägung, die durch Fehlen normalerweise anfallenden Mietaufwandes entstehende Ersparnis zur Gleichstellung aller Steuerpflichtigen insoweit einer Besteuerung zuzuführen (Herrmann-Heuer, a. a. O.). Der BFH hat wiederholt ausgesprochen, daß bei wirtschaftlicher Betrachtung (§ 1 StAnpG) der Nießbraucher einen Eigentumsausschnitt vom Eigentümer übertragen erhält (vgl. Urteil VI R 333/67; Littmann, a. a. O., § 21 Rdnr. 16), also im Umfange der so erlangten Rechtstellung den Eigentümer von seinem Eigentum, insbesondere seiner Nutzung, weitgehend ausschließt und zugleich an seine Stelle tritt. Der in der Eigennutzung einer Wohnung durch Eigentümer oder dinglich Berechtigten diesen zufließende Nettovorteil ist wirtschaftlich dann ebenfalls gleich. Er liegt in beiden Fällen im Fehlen von Mietaufwendungen begründet, wie sie üblicherweise der Vielzahl von Steuerpflichtigen ohne entsprechende eigene Einkunftsquelle entstehen, die zur Nutzung ihrer Wohnung nur gegen Mietaufwendungen berechtigt sind.
Aus dem Vorhandensein gewisser schuldrechtlicher Nebenabreden bei einem dinglichen Wohnrecht kann entgegen der Ansicht der Vorinstanz nichts Gegenteiliges hergeleitet werden. Mietverhältnis und dingliches Wohnrecht sind zwei verschiedenartige Rechtsfiguren, die nicht vergleichbar sind. Wie der BGH in seinem Urteil vom 10. Mai 1968 V ZR 221/64 (BB 1968 S. 767) ausgeführt hat, entstehen bei einem Mietvertrag schuldrechtliche Beziehungen zwischen den Vertragsparteien, die sich in Gebrauchsüberlassung und Mietzinszahlung dokumentiert, während bei dem dinglichen Wohnrecht durch Einigung und Eintragung in das Grundbuch (§ 873 BGB) ein das Grundstück selbst ergreifendes und gegen jedermann wirkendes Wohnungsrecht entsteht. Das dingliche Wohnrecht ist keine Verdinglichung eines Mietverhältnisses und dient auch nicht einer Sicherung der Ansprüche des Mieters in der Art, daß es von einem Mietvertrag abhängig gemacht werden kann.
Es ist deshalb nach Wortlaut, Sinn und Zweck des Gesetzes gerechtfertigt, den dinglich Berechtigten wie den Eigentümer nach § 21 Abs. 2 EStG mit dem Nutzungswert der von ihm aufgrund seines dinglichen Rechtes genutzten Wohnung zur Besteuerung heranzuziehen.
Fundstellen
Haufe-Index 70881 |
BStBl II 1974, 424 |
BFHE 1974, 162 |