Leitsatz (amtlich)
Eine aus 99,89 % D-Sorbit und 0,11 % Saccharin bestehende Ware (Zuckeraustauschstoff) ist keine Lebensmittelzubereitung i. S. der Tarifst. 21.07 G, sondern gehört als Zubereitung der chemischen Industrie zur Tarifst. 38.19 T.
Normenkette
ZG § 23; GZT Tarifnr. 21.07; GZT Tarifnr. 29.04; GZT Tarifnr. 38.19; GZT Vorschrift 1 a zu Kap. 29; GZT Vorschrift 1 b zu Kap. 38
Tatbestand
Die Oberfinanzdirektion – OFD – München erteilte der Klägerin am 4. Januar 1978 eine verbindliche Zolltarifauskunft (vZTA) 29/1978 über eine als „S” bezeichnete Ware, die aus 99,89 % Sorbit und 0,11 % Saccharin bestand. Sie wies die Ware als Lebensmittelzubereitung, anderweit weder genannt noch inbegriffen, sog. Diabetikerzucker, der Tarifst. 21.07 G I a 1 des Gemeinsamen Zolltarifs (GZT) zu. Als angewendete Rechtsvorschrift i. S. von § 23 Abs. 3 des Zollgesetzes (ZG) bezeichnete die OFD München allein die vorgenannte Tarifstelle.
Mit Verordnung (EWG) Nr. 3149/81 (VO Nr. 3149/81) der Kommission vom 30. Oktober 1981 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften – ABlEG – L 314/5 vom 4. November 1981) wurde eine Ware, bestehend aus D-Sorbit mit Zusatz von 0,1 % Saccharin der Tarifst. 38.19 T zugewiesen (chemische Erzeugnisse und Zubereitungen der chemischen Industrie oder verwandter Industrien – einschließlich Mischungen von Naturprodukten –, anderweit weder genannt noch inbegriffen; …: D-Sorbit, ausgenommen solcher der Tarifst. 29.04 C III). Bei dem Erlaß der Verordnung stützte sich die Kommission auf die Verordnung (EWG) Nr. 97/69 (VO Nr. 97/69) des Rates vom 16. Januar 1969 über die zur einheitlichen Anwendung des Schemas des Gemeinsamen Zolltarifs erforderlichen Maßnahmen (ABlEG L 14/1 vom 21. Januar 1969). Daraufhin teilte die OFD Düsseldorf – Zentralstelle Zolltarifauskünfte – der Klägerin mit Schreiben vom 25. November 1981 mit, daß die vZTA 29/78 aufgrund der erwähnten Verordnung gemäß § 23 Abs. 3 ZG außer Kraft getreten sei. Auf einen am 29. März 1982 bei der Beklagten (OFD Hamburg) bezüglich einer gleichen Ware gestellten Antrag mit dem Zusatz, daß der Gehalt an D-Mannit in der Ware stets unter 2 % liege, wies die OFD Hamburg die Ware mit vZTA vom 16. Juni 1982 214/1982 der Tarifst. 38.19 T II a GZT zu. Den Einspruch wies die OFD Hamburg mit Entscheidung vom 9. November 1982 in erster Linie unter Hinweis auf die VO Nr. 3149/81 zurück.
In ihrer Klage führt die Klägerin aus, die vZTA vom 4. Januar 1978 sei nicht außer Kraft getreten und die vZTA vom 16. Juni 1982 sei unzutreffend. Die vZTA vom 4. Januar 1978 sei nicht gemäß § 23 Abs. 3 ZG außer Kraft getreten, weil die in ihr angewendete Tarifst. 21.07 G I a 1 GZT nicht geändert worden sei. In der VO Nr. 3149/81 gehe es nur um die Tarifnrn. 38.19 und 29.04. Deshalb bedeute die später ergangene vZTA vom 16. Juni 1982 eine Änderung oder Aufhebung der zuvor ergangenen vZTA. Für eine solche Änderung schieden § 23 Abs. 2 Satz 2 ZG und § 31 der Allgemeinen Zollordnung (AZO) als Rechtsgrundlagen aus. Dem zu einem anderen Ergebnis kommenden Urteil des erkennenden Senats vom 22. August 1978 VII K 2/78 (BFHE 125, 477) könne nicht gefolgt werden. Auch die Voraussetzungen für eine Änderung der ersten vZTA gemäß § 131 Abs. 2 der Reichsabgabenordnung (AO), die den §§ 23 Abs. 2 Satz 2 ZG und 31 AZO vorgingen, lägen nicht vor. Die angefochtene vZTA sei daneben deshalb rechtswidrig, weil die OFD Hamburg erkennbar kein Ermessen ausgeübt habe.
Unabhängig davon sei die angefochtene vZTA auch deshalb rechtswidrig, weil sich die OFD Hamburg jedenfalls in der Einspruchsentscheidung zu Unrecht auf die VO Nr. 3149/81 gestützt habe. Diese habe ein Erzeugnis bestehend aus D-Sorbit mit einem Zusatz von 0,1 % 1,2-Benzisothiazol-3-on-1,1-dioxid (Saccharin) zum Gegenstand gehabt, während der Zuckeraustauschstoff „S” eine andere chemische Zusammensetzung, nämlich neben dem D-Sorbit einen Zusatz von 0,11 % Saccharin, enthalte. Die streitige Ware falle damit nicht in den Regelungsbereich der genannten Verordnung. Daneben regle die genannte Verordnung lediglich das Verhältnis der Tarifnr. 29.04 und 38.19 GZT zueinander. Die getroffene Regelung sei nicht ausschließlicher Natur, weil die Tarifnr. 38.19 GZT nur dann eingreife, wenn D-Sorbit „anderweitig weder genannt noch inbegriffen” sei. Die zu tarifierende Ware „S” sei aber in der Tarifst. 21.07 G I a 1 genannt und inbegriffen. Diese Stelle erfasse Lebensmittelzubereitungen. Das treffe für „S” zu, weil diese Ware in der Ernährung des Diabetikers die gleiche Rolle erfülle wie Zucker für den Normalverbraucher.
Die Klägerin beantragt, die Einspruchsentscheidung vom 9. November 1982 und die vZTA der OFD Hamburg vom 16. Juni 1982 aufzuheben sowie festzustellen, daß die vZTA der OFD München vom 4. Januar 1978 nicht außer Kraft getreten sei, hilfsweise, die OFD Hamburg zu verurteilen, den Zuckeraustauschstoff „S” verbindlich nach Tarifst. 21.07 G I a 1 zu tarifieren.
Die OFD Hamburg beantragt, die Klage abzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet.
Die OFD Hamburg hat die streitige Ware zutreffend der Tarifst. 38.19 T zugewiesen. Maßgebend für die Tarifierung von Waren sind der Wortlaut der Nummern, die Vorschriften zu den Abschnitten oder Kapiteln sowie die Allgemeinen Tarifierungs-Vorschriften (ATV), letztere jedoch nur subsidiär (vgl. ATV 1). Die streitige Ware ist ein feinkörniges Pulver. Sie enthält nach den Angaben der Klägerin im Antrag auf Erteilung der vZTA 99,0 % D-Sorbit und 0,11 % Saccharin-Na (Natrium). In ihrem Klageschriftsatz hat die Klägerin den Anteil an D-Sorbit mit 99,89 % bei einem unveränderten Anteil an Saccharin angegeben (zusammen mit 0,11 % Saccharin = 100 %). Das stimmt mit ihrer vorher im Antrag abgegebenen Erklärung überein, daß über die gleiche Ware bereits die vZTA 29/1978 erteilt worden sei. Die Zusammensetzung der Ware entspricht damit genau der Ware, die Gegenstand der vZTA 29/1978 war. Der Gehalt an D-Mannit, bezogen auf den Gehalt an D-Sorbit, liegt unbestritten unter 2 GHT.
D-Sorbit (ohne Saccharin) mit diesen Merkmalen (also nicht in wäßriger Lösung) wird von den Tarifst. 29.04 C III b 1 und 38.19 T II a erfaßt. Letztere Tarifposition enthält den Zusatz: Ausgenommen solche der Tarifst. 29.04 C III. Welche Bedeutung dieser Zusatz hat, ergibt sich aus der Vorschrift 1 a zu Kap. 29, nach der zu diesem Kapitel und damit auch zur Tarifnr. 29.04 nur „isolierte chemisch einheitliche organische Verbindungen” gehören, „auch wenn sie” – was hier nicht zutrifft – „Verunreinigungen enthalten”. Da dem Anteil D-Sorbit im Streitfalle unbestritten 0,11 % Saccharin zugesetzt worden ist, scheidet, wovon auch die VO Nr. 3149/81 zutreffend ausgegangen ist, eine Zuweisung des zu tarifierenden Erzeugnisses „S” zur Tarifst. 29.04 C III aus. Das räumt auch die Klägerin ein.
Aus dem Wortlaut der beiden für D-Sorbit in Betracht kommenden Tarifstellen i.V. m. der Vorschrift 1 a zu Kap. 29 ergibt sich somit zwingend, daß es sich bei dem von der Tarifst. 38.19 T II a erfaßten D-Sorbit nicht um eine isolierte chemisch einheitliche organische Verbindung handeln darf, mit anderen Worten, daß D-Sorbit auch dann von dieser Tarifstelle erfaßt wird, wenn es mit anderen Erzeugnissen vermischt ist. Handelt es sich bei diesem zweiten Erzeugnis, wie im Streitfalle, um Saccharin, so stellt diese Mischung eine Zubereitung der chemischen Industrie i. S. der Tarifnr. 38.19 dar. Denn auch bei Saccharin, das zur Tarifst. 29.26 A I gehört, handelt es sich ebenso wie beim D-Sorbit (ohne Zusätze) um eine isolierte chemisch einheitliche organische Verbindung des Kap. 29. Eine Zubereitung aus 99,89 % D-Sorbit und 0,11 % Saccharin muß im übrigen auch bei Anwendung der ATV 3 b, wonach bei Mischungen nach dem charakterbestimmenden Bestandteil zu tarifieren ist, der für D-Sorbit (nicht als isolierte chemisch einheitliche organische Verbindung) vorgesehenen Tarifst. 38.19 T zugewiesen werden.
Der Senat kommt danach bei Zugrundelegung des maßgebenden Wortlauts der Tarifst. 29.04 C III und 38.19 T i.V. m. der Vorschrift 1 a zu Kap. 29 bei der Tarifierung einer Zubereitung (Mischung) von 99,89 % D-Sorbit und 0,11 % Saccharin zum gleichen Ergebnis wie die Kommission in der VO Nr. 3149/81. Der Umstand, daß der Anteil an Saccharin im Streitfall 0,11 % und bei der von der Kommission tarifierten Ware 0,10 % beträgt, fällt tariflich nicht ins Gewicht. Denn er ändert nichts an der Nichtanwendung der Tarifst. 29.04 C III im Hinblick auf die Vorschrift 1 a zu Kap. 29. Der geringfügig höhere Anteil des dem D-Sorbit zugefügten Anteils Saccharin führt im Gegenteil dazu, daß das Vorliegen einer isolierten chemisch einheitlichen organischen Verbindung, wie sie Voraussetzung für die Zuweisung zur Tarifst. 29.04 C III ist, in noch stärkerem Maße verneint werden muß.
Die Klägerin könnte mit ihrer Auffassung, daß das Erzeugnis „S” der Tarifst. 21.07 G I a 1 (Lebensmittelzubereitungen, anderweit weder genannt noch inbegriffen – andere: …) zuzuordnen sei, nur dann Erfolg haben, wenn sie sich zu Recht auf die Vorschrift 1 b zu Kap. 38 berufen könnte. Nach dieser Vorschrift gehören zu diesem Kapitel nicht „Mischungen von chemischen Erzeugnissen und Nährstoffen, die zum Zubereiten von Lebensmitteln für die menschliche Ernährung verwendet werden (im allgemeinen Tarifnr. 21.07)”. Sie greift im Streifalle aber nicht ein. „S” besteht, wie bereits ausgeführt, aus 99,89 % D-Sorbit und 0,11 % Saccharin. Bei beiden Erzeugnissen handelt es sich im Reinzustand um isolierte chemisch einheitliche organische Erzeugnisse des Kap. 29. D-Sorbit wird von der Tarifst. 29.04 C III und Saccharin von der Tarifst. 29.26 A I erfaßt. Aus der Gegenüberstellung von chemischen Erzeugnissen einerseits und Nährstoffen andererseits in der Vorschrift I b zu Kap. 38 folgt, daß Nährstoffe tariflich etwas anderes sein müssen als chemische Erzeugnisse.
Daran ändert nichts, daß beide chemischen Erzeugnisse sog. Zuckeraustauschstoffe sind. Es sind daher, ausgehend vom maßgebenden Wortlaut der in Betracht kommenden Tarifstellen und der Vorschrift I b zu Kap. 38, weder D-Sorbit noch Saccharin tariflich Nährstoffe. Was in erster Linie als Nährstoffe im Sinne der Vorschrift I b zu Kap. 38 anzusehen sind, ergibt sich aus den in der Tarifnr. 21.07 (auf die im Klammerzusatz der Vorschrift I b zu Kap. 38 verwiesen wird) aufgeführten Waren. Es handelt sich dabei um Getreide (Position A), Teigwaren (Position B), Speiseeis (Position C), zubereitetes Joghurt, zubereitetes Milchpulver … (Position D), „Käsefondue” genannte Zubereitungen (Position E), Zuckersirupe (Position F) und schließlich andere (Position G). Bei keiner dieser als Mischungskomponente „Nährstoff” in Frage kommenden Waren handelt es sich um ein chemisches Erzeugnis. Das trifft auch für die unter die Tarifposition 21.07 G fallenden Lebensmittelzubereitungen zu, wie sich aus den Erläuterungen zum Zolltarif der Europäischen Gemeinschaften (ErlZT Teil II) ergibt.
Weiter sieht sich der Senat in seiner Auffassung, daß D-Sorbit im Gegensatz zur Auffassung der Klägerin tariflich nicht als Nährstoff behandelt werden kann, durch die Erläuterungen zur Nomenklatur des Rates für die Zusammenarbeit auf dem Gebiete des Zollwesens (ErlNRZZ) Abschnitt B Nr. 16 zur Tarifnr. 21.07 (ErlZT Teil I Rdnr. 22) und Abschnitt A Nr. 1 zur Tarifnr. 29.26 (ErlZT Teil I Rdnr. 4) bestätigt. In beiden Erläuterungen wird als Nährstoff, der mit Saccharin eine Zubereitung bilden kann (bei der Tarifnr. 21.07 eine Lebensmittelzubereitung), Lactose aufgeführt. Lactose aber gehört als anderer Zucker (als Rüben- und Rohrzucker) zur Tarifst. 17.02 A I (Abschnitt IV GZT: Waren der Lebensmittelindustrie; Kap. 17: Zucker und Zuckerwaren). Beide Erläuterungen (Teil I und Teil II) sind nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH bei der Auslegung von Tarifpositionen als maßgebliche Erkenntnismittel heranzuziehen.
Der vorstehenden tariflichen Beurteilung steht schließlich nicht entgegen, daß D-Sorbit im Tarifentscheid zur Tarifnr. 21.07 vom 15. April 1977 – DOK GUD/982/76 – Rev. 2 bei der Tarifierung eines Konditoreihilfsmittels mit einem Anteil von 37 % D-Sorbit als Nährstoff bezeichnet worden ist. Dieser Tarifentscheid der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft ist inzwischen dahin gehend geändert worden, daß D-Sorbit nicht mehr als Nährstoff erwähnt wird (vgl. ErlZT zur Tarifnr. 21.07 Teil III Rdnr. 38 bis 40).
Auf die Ausführungen der Klägerin über die Rolle von „S” bei der Ernährung des Diabetikers, über seine Süßkraft, das Gewichtsverhältnis zum Zucker, den physiologischen Brennwert, die laxierende Nebenwirkung und seinen Preis kommt es, da die Ware, wie bereits ausgeführt, nur nach den tariflichen Vorschriften zu beurteilen ist, nicht an.
Aus den vorstehenden Ausführungen folgt, daß auch der Hilfsantrag der Klägerin unbegründet ist.
Der Senat sieht keine Veranlassung, der Anregung der Klägerin zu folgen und den EuGH um eine Vorabentscheidung der aufgeworfenen Tariffrage zu ersuchen. Der Senat hat keinen Zweifel bei der Auslegung der im Streitfalle in Betracht kommenden Tarifstellen und Vorschriften. Die richtige Anwendung des Zolltarifrechts ist derart offenkundig, daß für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt (vgl. das EuGH-Urteil vom 6. Oktober 1982 Rs. 283/81, Höchstricherliche Finanzrechtsprechung 1983, 175).
Fundstellen
Haufe-Index 510491 |
BFHE 1984, 106 |