Entscheidungsstichwort (Thema)
Rückerwerb wegen Nichtigkeit des dem Erwerbsvorgang zugrundeliegenden Rechtsgeschäfts
Leitsatz (NV)
1. Tatbestandsmäßige Voraussetzung des §16 Abs. 2 Nr. 2 GrEStG 1983 ist, daß das betreffende Rechtsgeschäft -- objektiv -- nichtig ist. Es ist nicht ausreichend, wenn die Parteien das Rechtsgeschäft für nichtig halten.
2. Aus Indizien abgeleitet werden können nur die tatsächlichen Umstände, die die Annahme der Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts begründen oder dieser Annahme entgegenstehen. Die Rechtsfolge selbst kann daraus nicht hergeleitet werden. Sie ist keine Tatsache, sondern ein Werturteil, das nicht Gegenstand eines Beweises, also auch nicht eines Indizienbeweises sein kann.
Normenkette
BGB § 138; FGO § 81; GrEStG 1983 § 16 Abs. 2 Nr. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) beauftragte die X-GmbH (GmbH) mit der Errichtung eines Alten- und Pflegeheims auf einem von ihm 1982 erworbenen Grundbesitz.
Vor Fertigstellung des Objekts ergaben sich erhebliche Finanzierungsschwierigkeiten, die Anlaß zu (erneuten) Verhandlungen zwischen dem Kläger und der GmbH waren. Im Juli 1983 bot die GmbH dem Kläger an, das Grundstück mit der teilfertigen Bebauung selbst zu erwerben, den Kläger von allen Verpflichtungen gegenüber Dritten freizustellen und ihm das Projekt nach Fertigstellung entweder über einen Pachtvertrag oder durch Bestellung eines Nießbrauchs gegen Entgelt zu überlassen. Durch notariell beurkundeten Vertrag vom November 1983 veräußerte der Kläger das Grundstück mit teilfertiger Bebauung an die GmbH. 1984 schloß der Kläger mit der GmbH einen Pachtvertrag über das Grundstück auf die Dauer von 75 Jahren. Später wurden einige Grundstücksparzellen von der GmbH weiterveräußert.
In der Folgezeit kam es hinsichtlich der Anerkennung des Pachtvertrags durch den überörtlichen Sozialhilfeträger zu Schwierigkeiten. Der Kläger zahlte daraufhin an die GmbH nur noch einen geringeren Pachtzins. Die GmbH verklagte deswegen den Kläger auf Zahlung der vereinbarten Pacht. Mit der Widerklage verfolgte der Kläger im selben Verfahren u. a. die Rückauflassung des Grundstücks an ihn und machte geltend, der Grundstückskaufvertrag vom November 1983 sei wegen Sittenwidrigkeit nichtig. Das Landgericht wies die Widerklage des Klägers ab und gab der Klage der GmbH statt. Gegen dieses Urteil legte der Kläger Berufung zum Oberlandesgericht (OLG) ein. Zur Begründung seines Begehrens trug er u. a. vor, es habe ein auffälliges Mißverständnis zwischen Leistung und Gegenleistung beim Pachtvertrag bestanden, wobei die Verträge (Pachtvertrag und Kaufvertrag) als Einheit zu sehen seien. Die GmbH habe eine Verzinszung des von ihr eingesetzten Kapitals von 42 v. H. erlangt. Für den Kläger hätte sich hingegen ein jährlicher Verlust von ... DM ergeben.
Aufgrund eines Vergleichsvorschlags des OLG erwarb der Kläger durch notariell beurkundeten Vertrag 1990 die noch im Eigentum der GmbH stehenden Grundstücksteile mit aufstehendem Altenwohnheim zurück. Der Kläger verpflichtete sich zur Übernahme von Verbindlichkeiten der GmbH sowie zur Zahlung von ... Mio. DM zuzüglich Zinsausgleich. Für diesen Erwerb setzte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -- FA --) durch Bescheid vom 12. März 1991 nach einer Gegenleistung von ... DM Grunderwerbsteuer in Höhe von ... DM gegen den Kläger fest. Der Bescheid wurde bestandskräftig.
Mit Schreiben vom 31. Mai 1991 beantragte der Kläger die Aufhebung des vorgenannten Grunderwerbsteuerbescheids nach §16 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) 1983. Diesen Antrag lehnte das FA mit Bescheid vom 29. Mai 1992 ab. Der Einspruch blieb erfolglos.
Mit der dagegen gerichteten Klage machte der Kläger geltend, der Aufhebungsanspruch bestehe alternativ nach §16 Abs. 2 Nr. 2 oder Nr. 3 GrEStG 1983.
Das Finanzgericht (FG) hat der Klage stattgegeben und das FA verpflichtet, unter Aufhebung des ablehnenden Bescheids vom 29. Mai1992 und der diesen bestätigenden Einspruchsentscheidung vom 7. Juli 1994 den Grunderwerbsteuerbescheid vom 12. März 1991 aufzuheben. Hierzu hat das FG die Auffassung vertreten, daß ein Rückerwerb wegen Nichtigkeit des dem Erwerbsvorgang zugrundeliegenden Rechtsgeschäfts bereits dann vorliege, wenn die Parteien bei verständiger Würdigung davon ausgingen, daß das Rechtsgeschäft nichtig sei und deshalb eine Rückabwicklung erfolge. Hiervon sei im Streitfall auszugehen. Der von den Beteiligten geschlossene Vergleich sei ein gewichtiges Indiz dafür, daß das dem Erwerbsvorgang zugrundeliegende Rechtsgeschäft nichtig gewesen sei.
Die Entscheidung des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 1997, 556 veröffentlicht.
Mit der Revision rügt das FA die Verletzung von §16 Abs. 2 GrEStG 1983 und beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen. Die Entscheidung des FG stünde im Einklang mit dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 21. Dezember 1960 II 194/57 (BFHE 72, 444, BStBl III 1961, 163).
Entscheidungsgründe
II. Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --).
1. Das Urteil des FG ist aufzuheben. Das FG hat §16 Abs. 2 Nr. 2 GrEStG 1983 unrichtig ausgelegt. Darüber hinaus hat es rechtlich unzutreffend die Nichtigkeit des Grundstückskaufvertrags bzw. das Bestehen eines Rechtsanspruchs auf Rückübertragung des Grundstücks u. a. aus "Indizien" abgeleitet.
a) Nach §16 Abs. 2 Nr. 2 GrEStG 1983 ist der Rückerwerb nur dann begünstigt, wenn das dem Erwerbsvorgang zugrundeliegende Rechtsgeschäft nichtig oder infolge einer Anfechtung als von Anfang an nichtig anzusehen ist. Die Vorschrift erfaßt die Fälle, in denen die (abstrakte) Eigentumsübertragung am Grundstück zivilrechtlich wirksam erfolgt ist, diese Eigentumsübertragung jedoch aufgrund einer nichtigen oder durch Anfechtung nichtig gewordenen (schuldrechtlichen) Verpflichtung vorgenommen wurde. In diesem Fall steht dem Veräußerer nach §§812 f. des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) ein Anspruch auf Rückübertragung des Eigentums zu. §16 Abs. 2 Nr. 2 GrEStG 1983 setzt einen einseitig und gegen den Willen des ursprünglichen Erwerbers durchsetzbaren Anspruch auf Rückerwerb voraus. Dies grenzt die unbefristete Privilegierung nach §16 Abs. 2 Nr. 2 (bzw. Nr. 3) GrEStG 1983 ab von der auf zwei Jahre befristeten Vergünstigung nach Nr. 1 der Vorschrift, von der die einvernehmlich erfolgenden Rückerwerbe erfaßt werden. Allerdings schließt auch ein Rückerwerb aufgrund eines Vertrags oder Vergleichs die Begünstigung nicht grundsätzlich aus (vgl. zu §16 Abs. 2 Nr. 3 GrEStG 1983 = §17 Abs. 2 Nr. 3 GrEStG 1940 BFH-Urteil in BFHE 72, 444, BStBl III 1961, 163). Voraussetzung ist aber auch in diesem Fall, daß der Rückerwerb aufgrund eines zivilrechtlich wirksamen Anspruchs nach §812 BGB einseitig durchsetzbar gewesen wäre.
Tatbestandsmäßige Voraussetzung des §16 Abs. 2 Nr. 2 GrEStG 1983 ist danach in jedem Fall, daß das betreffende zivilrechtliche Rechtsgeschäft -- objektiv -- nichtig ist. Die Auffassung des FG, ein Rückerwerb wegen Nichtigkeit des dem Erwerbsvorgang zugrundeliegenden Rechtsgeschäfts liege dann vor, wenn die Parteien davon ausgehen, daß das Rechtsgeschäft nichtig ist und deshalb eine Rückabwicklung erfolgt, ist daher rechtsfehlerhaft. Es kommt nicht darauf an, ob die Parteien das Rechtsgeschäft für nichtig halten.
b) Soweit das FG davon ausgegangen ist, daß der Grundstückskaufvertrag i. S. von §138 Abs. 2 BGB nichtig sei, hat es die hierfür erforderlichen tatsächlichen Voraussetzungen nicht festgestellt, sondern diese Rechtsfolge -- wie das FG formuliert -- aus dem von den Beteiligten geschlossenen Vergleich als gewichtigem Indiz geschlossen. Dem kann nicht gefolgt werden. Aus Indizien abgeleitet werden können nur die tatsächlichen Umstände, die die Annahme eines Verstoßes gegen die guten Sitten i. S. von §138 Abs. 1 BGB oder eines auffälligen Mißverhältnisses i. S. des Absatzes 2 der Vorschrift begründen oder dieser Annahme entgegenstehen. Die Rechsfolge selbst kann daraus nicht hergeleitet werden. Sie ist keine Tatsache, sondern ein Werturteil, das nicht Gegenstand eines Beweises, also auch nicht eines Indizienbeweises sein kann.
2. Die Sache ist nicht spruchreif. Sie ist daher zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen. Dieses wird im zweiten Rechtsgang die erforderlichen Tatsachenfeststellungen nachzuholen und dann aufgrund eigener Würdigung zu entscheiden haben, ob der Tatbestand des §138 Abs. 2 BGB erfüllt ist oder nicht.
Fundstellen
Haufe-Index 170992 |
BFH/NV 1999, 964 |