Leitsatz (amtlich)
Zwischen einem Rechtsanwalt und einem Rechtsanwalt, der zugleich Notar ist (Notaranwalt), kann eine Anwaltsgemeinschaft bestehen, die umsatzsteuerrechtlich als Unternehmer auftritt.
Normenkette
UStG 1951 § 1 Nr. 1, § 2 Abs. 1, 3
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Steuerpflichtige) ist eine aus zwei Rechtsanwälten bestehende Anwaltsgemeinschaft; der eine der beiden Anwälte, die Brüder sind, ist zugleich Notar. Streitig ist, ob die im Veranlagungszeitraum 1963 im Notariat angefallenen Umsätze der Steuerpflichtigen zuzurechnen sind.
Auf die Anwalts- und Notariatspraxis weisen an der Hauseinfahrt und im Torbogen des Hauses, in dem die Praxis ausgeübt wird, über- bzw. untereinander angebrachte, getrennte Schilder mit dem Vor- und Nachnamen des Anwalts ("Dr. A X ..." bzw. "B X ...") und dem Zusatz "Rechtsanwalt" hin. Unter den Schildern des Notaranwalts (Dr. A X) befindet sich ein Schild mit der Aufschrift "Notar". Am Eingang zum Hausflur trägt ein noch vom verstorbenen Vater der Anwälte stammendes Schild die Aufschrift "Rechtsanwalt X I. Stock" und darunter den Hinweis "zum Anwalt". Am Eingang zur Geschäftsstelle sind über- bzw. untereinander zwei Schilder mit den Aufschriften "Dr. A X Rechtsanwalt" und "X Rechtsanwalt und Notar" angebracht. Das zuletzt erwähnte Schild stammt ebenfalls noch vom Vater der Anwälte.
In Anwalts- und Notarsachen werden Briefbogen mit der Aufschrift "Notar Dr. A X, B X, Rechtsanwälte, zugelassen auch bei dem Landgericht in C, Postscheck ..., Bankverbindung ..." verwendet. Schriftstücke in Anwaltssachen unterschreibt der bearbeitende Anwalt mit seinem Namen und dem maschinenschriftlichen Zusatz "Rechtsanwalt". In Notarsachen zeichnet nur der Notaranwalt (Dr. A X), und zwar mit seinem Namen und der Bezeichnung "Notar". Die Prozeßvollmachtvordrucke werden in Anwaltssachen handschriftlich mit den Namen beider Anwälte ausgefüllt. In Notariatssachen werden keine Vollmachten ausgestellt. Für Rechnungen wird in der Anwaltspraxis und im Notariat derselbe Vordruck verwendet; bei Kostenforderungen im Notariat erhält der Vordruck den Zusatz "Notariatsrechnung". Das laufende Bankkonto lautet auf beide Anwälte, das Postscheckkonto nur auf den Notaranwalt. Notariatsgebühren gehen auf beiden Konten ein; sie werden nur buchmäßig getrennt.
Sämtliche Einkünfte - gleichgültig, ob sie aus der Anwaltspraxis oder aus dem Notariat herrührten - wurden im Jahre 1963 zwischen den beiden Anwälten im Verhältnis 65 : 35 aufgeteilt. Die Umsatzsteuer-Voranmeldungen und die Umsatzsteuer-Jahreserklärung 1963 wurden von der Steuerpflichtigen abgegeben; sie enthielten - unaufgeteilt - die Umsätze aus der Anwaltspraxis und aus dem Notariat.
Unstreitig tritt die Steuerpflichtige in Anwaltssachen als Anwaltsgemeinschaft nach außen hin in Erscheinung. Es besteht kein Streit darüber, daß sämtliche Einnahmen aus der Anwaltspraxis der Steuerpflichtigen zuzurechnen sind. Streitig ist, ob dies auch für die Einnahmen aus dem Notariat zutrifft. Der Beklagte und Revisionskläger (FA) hat die Steuerpflichtige auch mit den Notariatseinnahmen zur Umsatzsteuer herangezogen. Demgegenüber ist die Steuerpflichtige der Ansicht, der Notaranwalt (Dr. A X) sei, soweit seine Tätigkeit als Notar in Betracht komme, gesondert als Unternehmer zu behandeln; die Einnahmen aus dem Notariat seien daher nicht der Steuerpflichtigen, sondern ihm zuzurechnen, wobei (unabhängig von der Steuerpflichtigen) ein Freibetrag gemäß § 7a UStG 1951 (= 20 000 DM) in Abzug zu bringen sei.
Mit der Sprungberufung (jetzt Sprungklage) hatte die Steuerpflichtige Erfolg. Das FG stellte die Steuerpflichtige mit den Notariatseinnahmen von der Umsatzsteuer frei. Andererseits erhöhte es im Hinblick darauf, daß das Büro der Anwaltsgemeinschaft für das Notariat mitbenutzt wird und die Einnahmen daraus zusammen mit den Einnahmen aus der Anwaltspraxis unter die beiden Sozien verteilt werden, die Einnahmen der Steuerpflichtigen entsprechend dem Verhältnis der Einnahmegruppen zueinander um einen geschätzten Betrag von ... DM.
Das FG vertritt die Auffassung, daß ein Notaranwalt als Notar nicht innerhalb einer mit einem Rechtsanwalt gebildeten Anwaltsgemeinschaft, sondern nur außerhalb dieser Gemeinschaft tätig werden könne. Durch das Ansuchen des Klienten und seine Entgegennahme durch den Notar komme nicht ein Vertrag im Sinne des bürgerlichen Rechts zustande, sondern werde ein Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit in Gang gebracht, das der Notar als Amtsträger, weitgehend unabhängig von den Weisungen der Parteien, nach den gesetzlichen Vorschriften persönlich durchzuführen habe. Die Rechtsbeziehungen zwischen dem Notar und dem Klienten seien öffentlichrechtlicher Natur. Zwischen der Anwaltsgemeinschaft und dem Klienten des Notars könnten unmöglich Rechtsbeziehungen im Sinne des bürgerlichen oder des öffentlichen Rechts zur Entstehung gelangen. Es würde den rechtlichen Gegebenheiten widersprechen, wollte man neben dem vom öffentlichen Recht beherrschten Verhältnis zwischen Klient und Notar ein privatrechtliches Auftrags-(Dienst-)Verhältnis unterstellen, in dessen Erfüllung der Notar das öffentlich-rechtliche Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit durchführe (Hinweis auf Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 13. Aufl., 1964, § 439 Anm. 15). Bei einer Sozietät mit einem Notar könne es sich nur um eine umsatzsteuerlich unbeachtliche Innengesellschaft handeln. Auch sei das alleinige Auftreten des Notars bei der Vornahme des Notariatsaktes, insbesondere die Eingangsformel in den Notariatsurkunden ("Vor mir, dem unterzeichneten Notar ... erscheint ...") und die Unterzeichnung der Urkunden durch den Notar, zu beachten. Hierdurch werde der Notaranwalt in Notariatssachen zwangsläufig außerhalb der Anwaltsgemeinschaft gestellt. Im Streitfalle könnten nur die Verwendung von Briefbogen mit den Namen und Berufsbezeichnungen beider Sozien und das Bestehen einer gemeinsamen Bankverbindung auch für das Notariat als Merkmale für eine Außengesellschaft auch hinsichtlich der Notariatssachen angeführt werden. Wenn man es für möglich halte, daß ein Notaranwalt als Anwalt im Rahmen einer Anwalts(Notar-) gemeinschaft tätig wird, so komme das FG bei Abwägung aller Umstände zu dem Ergebnis, daß im Streitfalle der Notaranwalt als Notar nach außen erkennbar generell außerhalb der Anwaltsgemeinschaft aufgetreten sei.
Gegen dieses Urteil hat das FA wegen der Absetzung der Notariatseinnahmen von den Einnahmen der Steuerpflichtigen Revision und die Steuerpflichtige wegen der Hinzurechnung des geschätzten Betrages von ... DM Anschlußrevision eingelegt.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
Der Senat hatte sich mit der Streitfrage bereits in zwei ähnlich gelagerten Fällen zu befassen. Was die Zusammensetzung der Anwalts(Notar-)gemeinschaft anbelangt, so unterschieden sich diese Fälle von dem Streitfalle dadurch, daß das eine Mal zwei Notaranwälte und ein Rechtsanwalt (vgl. Urteil V 117/60 U vom 5. September 1963, BFH 77, 550, BStBl III 1963, 520), das andere Mal zwei Notaranwälte (vgl. Urteil V 228/62 U vom 17. Dezember 1964, BFH 81, 435, BStBl III 1965, 155) der Sozietät angehörten. Ein Unterschied in der rechtlichen Beurteilung tritt hierdurch nicht ein. Der BFH ist in den Urteilen, auf deren Gründe zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird, zu dem Ergebnis gelangt, daß eine nach außen auftretende Rechtsanwaltsgemeinschaft auch mit den Notariatsgeschäften ihrer Mitglieder Unternehmer im Sinne des Umsatzsteuerrechts sein kann. Der Senat sieht nach nochmaliger Prüfung der Rechtslage keinen Anlaß, von dieser Rechtsauffassung abzuweichen. Es genügt, auf die vom FG geltend gemachten Bedenken einzugehen.
Der Notar ist, soweit er nicht in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis steht, trotz seiner Eigenschaft als Amtsträger Unternehmer (vgl. Gutachten des RFH Gr. S. D 4/42 vom 24. Oktober 1942, RStBl 1942, 1057). Unternehmer jeglicher Art aber können sich zu Unternehmergemeinschaften zusammenschließen. Diese sind dann selber Unternehmer, sofern sie zur Erzielung von Einnahmen nachhaltig und selbständig nach außen hin am Wirtschaftsleben teilnehmen. Die Prüfung, ob ein Personenzusammenschluß als Unternehmer auftritt, ist, ohne daß es auf die Rechtsform des Zusammenschlusses ankommt, unter Berücksichtigung der im Umsatzsteuerrecht gebotenen wirtschaftlichen Betrachtungsweise allein nach den tatsächlichen Gegebenheiten zu beurteilen.
Die Sozietät tritt im Streitfalle als solche nach außen auf. Der Klient wird schon durch die an mehreren Stellen angebrachten Schilder mit den Namen der beiden Anwälte darauf hingewiesen, daß er es mit einer Sozietät zu tun hat, wenn auch die beiden Schilder aus der Zeit des Vaters der Anwälte und das Fehlen eines Schildes mit dem Vornamen des B X am Eingang zur Geschäftsstelle geeignet sind, bei einem aufmerksamen Betrachter Verwirrung zu stiften. Daß kein gemeinsames Schild mit den Namen der Anwälte vorhanden ist, ist ohne Bedeutung. Dadurch, daß die getrennten Schilder über- bzw. untereinander hängen, wird dieselbe Wirkung erreicht. Spätestens im Anwaltsbüro wird dem Besucher klar, daß die Praxis von zwei Anwälten betrieben wird, von denen der eine zugleich Notar ist. Das Auftreten der Sozietät nach außen wird weiter durch die Verwendung von Briefbogen und Rechnungsvordrucken, die im Kopf die Namen beider Anwälte aufweisen, durch die Benutzung eines gemeinsamen Bankkontos, auf das die Gebühren überwiesen werden, und durch die Abgabe von Umsatzsteuer-Voranmeldungen und -Jahreserklärungen durch die Anwaltsgemeinschaft deutlich. Die Steuerpflichtige bestreitet selbst nicht, als Anwaltsgemeinschaft am Wirtschaftsleben teilzunehmen. Auch das FG geht hiervon aus. Dann aber ist es nicht folgerichtig, wenn die Vorinstanz das Fehlen weiterer Merkmale für ein Auftreten nach außen zum Anlaß nimmt, die Unternehmereigenschaft der Steuerpflichtigen hinsichtlich der Notariatsgeschäfte zu verneinen: Die Praxisschilder weisen außer auf die Anwalts- auch auf die Notarpraxis hin. Bei beiden Tätigkeiten werden dieselben Briefbogen und Rechnungsvordrucke benutzt. Die anfallenden Gebühren werden ohne Unterscheidung zwischen Anwalts- und Notargebühren auf dieselben Konten überwiesen. Hieraus muß der Klient schließen, daß die Sozietät das Notariat mitumfaßt. Aus der Vollziehung des Notariatsaktes allein durch den Notar (u. a. Verwendung von Beurkundungsvordrucken mit der erwähnten Eingangsformel, Unterzeichnung der Urkunden) kann er abweichende Schlüsse ebensowenig ziehen wie auf dem Sektor der Anwaltspraxis aus dem alleinigen Tätigwerden des einzelnen Rechtsanwalts bei der Erledigung der Anwaltsgeschäfte (anwaltliche Beratung und Betreuung, Wahrnehmung von Gerichtsterminen, Unterzeichnung von Schriftstücken usw.). Der Eindruck, daß die Sozietät das Notariat mitumfaßt, wird dadurch noch verstärkt, daß sich beim Notaranwalt die Tätigkeiten des Notars und des Anwalts, insbesondere auf den Gebieten der Beratung und Betreuung, vielfach überschneiden und oft nicht erkennbar ist, wo die eine Tätigkeit aufhört und die andere beginnt.
Tritt aber - wie im Streitfalle - die Anwalts- und Notarsozietät nach außen auf und betätigt sich in ihrem Rahmen der Notaranwalt als Notar und zahlt andererseits der Klient die Notariatsgebühren an die Sozietät, so müssen zwischen Sozietät und Klient zwangsläufig Rechtsbeziehungen entstehen. Da die Sozietät nicht Amtsträger ist, können diese Rechtsbeziehungen nur zivilrechtlicher Natur sein (Dienstvertrag §§ 611 ff. BGB, Werkvertrag §§ 631 ff. BGB, Geschäftsbesorgung § 675 BGB). Die Sozietät veranlaßt den ihr angehörenden Notar, in Erfüllung des Vertrages die angesuchte Amtshandlung (Beurkundung, Beglaubigung, notarielle Rechtsbetreuung usw.) vorzunehmen. Der Notar seinerseits tritt bei der Amtshandlung in ein öffentlich-rechtliches Verhältnis zu den Parteien, die seine Dienste in Anspruch nehmen. Warum die Annahme eines privatrechtlichen Auftragsverhältnisses zwischen Sozietät und Klient neben der hoheitlichen Tätigkeit des Notars bei der Vornahme der notariellen Amtsgeschäfte den "rechtlichen Gegebenheiten widersprechen" soll, wird in der Vorentscheidung nicht gesagt. Der Klammerhinweis in der Vorentscheidung auf den BGB-Kommentar von Palandt (13. Aufl., 1964, § 839 Anm. 15) geht fehl. Ein solcher Widerspruch wird dort weder behauptet, geschweige denn begründet.
Einer Vertiefung dieser Fragen bedarf es im Streitfalle nicht. Das Vorhandensein von Rechtsverhältnissen zwischen dem Unternehmer und dem Leistungsempfänger ist keine Voraussetzung für die Annahme steuerbarer Umsätze. Bewirkt ein Unternehmer selbst oder unter Inanspruchnahme eines Erfüllungsgehilfen im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens Leistungen, so sind diese gemäß § 1 Nr. 1 UStG 1951 zur Umsatzsteuer heranzuziehen. Dieser Tatbestand ist hier gegeben. Als Unternehmer ist - wie dargelegt - die Steuerpflichtige aufgetreten.
Auf die Revision des FA war daher die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage der Steuerpflichtigen abzuweisen.
Infolge der Abweisung der Klage war die Anschlußrevision der Klägerin als unbegründet zurückzuweisen.
Fundstellen
BStBl II 1970, 833 |
BFHE 1971, 146 |
DNotZ 1971, 557 |