Leitsatz (amtlich)
Der Grundsatz, daß Ehegatten das Wahlrecht der Veranlagungsart bis zur Unanfechtbarkeit eines Berichtigungs- oder Änderungsbescheids ausüben und die einmal getroffene Wahl innerhalb dieser Frist --vorbehaltlich eines rechtsmißbräuchlichen oder willkürlichen Verhaltens-- frei widerrufen können, kommt bei Gewährung des Verlustrücktrags jedenfalls dann zum Tragen, wenn infolge des Widerrufs der durch den Verlustabzug eröffnete Korrekturspielraum bei beiden Ehegatten weder über- noch unterschritten wird.
Orientierungssatz
Ist die Sache spruchreif, so kann der BFH in der Sache selbst entscheiden, auch wenn der Revisionskläger nur die Zurückverweisung der Sache beantragt hat (vgl. BFH-Urteil vom 18.12.1970 VI R 313/68).
Normenkette
EStG 1981 §§ 10d, 26; AO 1977 § 172 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. d, § 177; FGO § 126 Abs. 3 Nr. 1
Tatbestand
Für die verheirateten Kläger und Revisionskläger (Kläger) wurden im Streitjahr (*= Abzugsjahr 1980) und im Verlustjahr (1982) folgende Einkünfte ermittelt:
Kläger Klägerin
1980 + 260 596 DM + 38 969 DM
1982 ./. 284 263 DM ./. 27 021 DM.
Die Kläger wurden im Streitjahr (1980) und im Jahre 1981, in dem sie gleichfalls positive Einkünfte erzielten, zur Einkommensteuer zusammen veranlagt, im Verlustjahr (1982) getrennt veranlagt. Die Steuerbescheide für die Jahre 1980 und 1982 wurden bestandskräftig.
Den Antrag der Kläger, im Zusammenhang mit dem Verlustrücktrag (1980) eine getrennte Veranlagung durchzuführen, lehnte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) unter Hinweis auf Abschn.115 Abs.9 Satz 5 der Einkommensteuer-Richtlinien 1981 (EStR) ab. Mit Änderungsbescheid vom 27.September 1984 setzte das FA die Einkommensteuer der zusammenveranlagten Kläger aufgrund des Verlustrücktrags aus dem Jahre 1982 auf 0 DM fest.
Mit der hiergegen erhobenen Sprungklage haben die Kläger geltend gemacht, daß die erneute Ausübung des Wahlrechts nach Treu und Glauben zulässig sei. Zwar würde auch im Falle der getrennten Veranlagung die Einkommensteuerschuld jeweils 0 DM betragen, im Vergleich zur Zusammenveranlagung ergäbe sich jedoch ein um 9 384 DM geringerer Verbrauch des Verlustabzugs aus dem Jahre 1982 mit der Folge, daß das Einkommen des Jahres 1981 um eben diesen Betrag zusätzlich gemindert würde.
Das Finanzgericht (FG) hat die Klage als unzulässig abgewiesen.
Die Kläger hätten eine Beschwer nicht schlüssig geltend gemacht (§ 40 Abs.2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Dies setze die Behauptung voraus, daß der aus Steuerschuldner, Steuerart und Steuerbetrag bestehende "Tenor" des angegriffenen Änderungsbescheids die Kläger in ihren Rechten verletze. Im Streitfall sei dies nicht gegeben, da die Steuerschuld ungeachtet der Veranlagungsart 0 DM betrage. Die Frage, ob die Kläger getrennt oder zusammen zur Einkommensteuer veranlagt würden, sei demgegenüber eine unselbständige Besteuerungsgrundlage, die für das Streitjahr keine Beschwer begründen könne.
Der erkennende Senat hat mit Beschluß vom 29.September 1987 (VIII B 187/86) die Revision zugelassen.
Die Kläger haben im Revisionsverfahren im wesentlichen vorgetragen, daß "Gegenstand des Rechtsstreits" die Veranlagungsart für das Jahr 1980 sei. Nach Bestandskraft dieses Bescheides seien sie an die Wahl der Zusammenveranlagung gebunden. Durch die Ablehnung ihres Antrags auf Durchführung einer getrennten Veranlagung im Zusammenhang mit dem Verlustrücktrag in das Streitjahr seien sie deshalb beschwert, weil sich bei dieser Veranlagungsart ein geringerer Verbrauch des abzugsfähigen Verlustes ergeben würde.
Die Kläger beantragen, das Urteil der Vorinstanz aufzuheben und die Streitsache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Verpflichtung des FA, für das Jahr 1980 eine getrennte Veranlagung der Kläger durchzuführen (§ 101 FGO).
1. Wie der Senat in seinem Urteil vom 27.September 1988 VIII R 432/83, BFHE 155, 83) im einzelnen dargelegt hat, sind die Kläger durch die Ablehnung des Antrags auf Durchführung der getrennten Veranlagung beschwert. Diese Ausführungen gelten für den Streitfall sinngemäß.
2. Der Senat hat in der genannten Entscheidung weiterhin ausgeführt, daß mit der Gewährung des Verlustrücktrags insoweit eine Durchbrechung der Bestandskraft des für das Rücktragsjahr ergangenen Steuerbescheides verbunden ist, als --ausgehend von der bisherigen Steuerfestsetzung und den dafür ermittelten Besteuerungsgrundlagen-- die Steuerschuld durch die Berücksichtigung des Verlustabzugs gemindert würde. Da es sich dabei um einen gesetzlich zugelassenen Fall der Änderung von Steuerbescheiden i.S. von § 172 Abs.1 Nr.2 d der Abgabenordnung (AO 1977) handelt und nur der verfügende Teil des Steuerverwaltungsakts in Bestandskraft erwächst, sind gemäß § 177 Abs.2 AO 1977 innerhalb dieses Korrekturspielraums zugunsten und zuungunsten des Steuerpflichtigen auch solche Rechtsfehler zu berichtigen, die nicht Anlaß der Änderung sind. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat auf die Ausführungen in seinem Urteil VIII R 432/83 Bezug.
3. Diese Grundsätze gelten auch für den durch das Zweite Gesetz zur Verbesserung der Haushaltsstruktur vom 22.Dezember 1981 (BGBl I 1981, 1523, BStBl I 1982, 235) eingeführten zweijährigen Verlustrücktrag.
a) Dieser führt im Streitfall dazu, daß die im Veranlagungszeitraum 1982 entstandenen Verluste in Höhe von 284 263 DM und 27 021 DM (zur erstmaligen Anwendbarkeit vgl. § 52 Abs.18 a des Einkommensteuergesetzes --EStG-- 1981) nach § 10d Satz 1 1.Halbsatz i.V.m. Sätze 2 und 3 EStG 1981 und § 26a Abs.3 EStG 1981 i.V.m. § 62d Abs.2 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) vom Gesamtbetrag der Einkünfte des Veranlagungszeitraumes 1980 (299 565 DM) abzuziehen und die hierfür ergangenen Steuerbescheide auch dann zu ändern sind, wenn sie bereits Bestandskraft erlangt haben. Hierdurch vermindert sich die Einkommensteuer 1980 von bisher 132 878 DM auf 0 DM.
b) Ob die im Zusammenhang mit dieser Punktänderung vorzunehmende Berichtigung von Rechtsfehlern (§ 177 Abs.2 AO 1977; vgl. zum Begriff des Rechtsfehlers Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 5.August 1986 IX R 13/81, BFHE 148, 394, BStBl II 1987, 297) den Steuerpflichtigen allgemein dazu berechtigt, nicht fristgebundene Anträge nachzuholen und Wahlrechte erneut auszuüben, wird in der Literatur nicht einheitlich beantwortet (bejahend: Woerner/Grube, Die Aufhebung und Änderung von Steuerverwaltungsakten (AO 1977), 8.Aufl., 1988, S.154; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 12.Aufl., § 177 AO 1977 Rz.3, unter Berufung auf das Urteil des BFH vom 13.Februar 1974 I R 114/72, BFHE 111, 420, BStBl II 1974, 317; verneinend: u.a. Kulla, Gedanken zur Auswirkung der § 177 und § 351 AO auf geänderte Steuerbescheide, Deutsche Steuer-Zeitung 1980, 51).
Der Senat braucht hierzu im Rahmen des anhängigen Verfahrens nicht abschließend Stellung zu nehmen. Denn nach dem Urteil des BFH vom 28.August 1981 VI R 139/78 (BFHE 134, 412, BStBl II 1982, 156) können Ehegatten das Wahlrecht der Veranlagungsart bis zur Unanfechtbarkeit eines Berichtigungs- oder Änderungsbescheids ausüben und die einmal getroffene Wahl innerhalb dieser Frist --vorbehaltlich eines rechtsmißbräuchlichen oder willkürlichen Verhaltens-- frei widerrufen. Da, wie oben ausgeführt, die Gewährung des Verlustabzuges im Streitfall zu einer Durchbrechung der Bestandskraft und somit zum Erlaß eines Änderungsbescheides für das Rücktragsjahr (1980) führt, kommen diese Grundsätze auch im anhängigen Rechtsstreit zum Tragen. Dabei bedarf es keiner Entscheidung, ob --wozu der VI.Senat in seinem Urteil in BFHE 134, 412, BStBl II 1982, 156 nicht Stellung genommen hat-- die Kläger das Veranlagungswahlrecht auch dann erneut ausüben könnten, wenn sich bei Beachtung dieser Wahlentscheidung eine Steuerfestsetzung ergebe, die außerhalb der durch den Verlustabzug eröffneten Änderungsspanne läge (vgl. hierzu Schmidt/Glanegger, Einkommensteuergesetz, Kommentar, 7.Aufl., 1988, § 26 Anm.13). Denn vorliegend wird dieser Korrekturspielraum durch die von den Klägern begehrte getrennte Veranlagung weder unter- noch überschritten, weil --unter Berücksichtigung des Verlustabzugs-- die dabei festzusetzende Einkommensteuer der Kläger jeweils 0 DM betragen würde und im Falle der Zusammenveranlagung die nämliche Folge einträte.
4. Die Sache ist spruchreif.
Der Senat hat deshalb nach den §§ 101, 126 Abs.3 Nr.1 FGO die Verpflichtung der Finanzbehörde auszusprechen, die getrennte Veranlagung der Kläger für das Jahr 1980 durchzuführen (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 2.Aufl., 1987, § 126 Anm.9, m.w.N.). Dies gilt auch dann, wenn --wie im Streitfall-- die Revisionskläger nur die Zurückverweisung der Sache beantragen (Urteil des BFH vom 18.Dezember 1970 VI R 313/68, BFHE 102, 202, BStBl II 1971, 591).
Fundstellen
Haufe-Index 62234 |
BFH/NV 1989, 5 |
BStBl II 1989, 229 |
BFHE 155, 91 |
BFHE 1989, 91 |
BB 1989, 609-610 (LT1) |
HFR 1989, 252 (LT) |