Entscheidungsstichwort (Thema)
Halbeinkünfteverfahren bei privaten Veräußerungsgeschäften
Leitsatz (amtlich)
1. § 3 Nr. 40 Satz 1 Buchst. j EStG erfasst auch die Veräußerung eines durch Kapitalerhöhung entstandenen Bezugsrechts.
2. Es verstößt nicht gegen das Nettoprinzip, wenn nach § 3c Abs. 2 Satz 1, 2. Halbsatz EStG dem halben Veräußerungspreis die Anschaffungskosten nur zur Hälfte gegenüberzustellen sind.
Normenkette
EStG § 3 Nr. 40 S. 1 Buchst. j, § 3c Abs. 2, § 22 Nr. 2, § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, Abs. 3
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Beteiligten streiten über die Frage, ob die Hälfte des Veräußerungspreises bei der Veräußerung von Bezugsrechten nach § 3 Nr. 40 Satz 1 Buchst. j des Einkommensteuergesetzes (EStG) steuerfrei ist.
Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind zur Einkommensteuer zusammen veranlagte Eheleute. Der Kläger erwarb im Oktober 2001 350 Aktien eines schwedischen Unternehmens für 1 645 € und im Februar 2002 weitere 800 Aktien für 3 728 €. Am 31. Juli 2002 erhielt er aus einer Kapitalerhöhung 1 150 Bezugsrechte zugeteilt, die ihn zum Bezug junger Aktien berechtigten. Im August des Streitjahres (2002) verkaufte der Kläger seine Bezugsrechte für je 2,96719 SEK und erlöste daraus insgesamt 371,24 €; im September veräußerte der Kläger zudem die Aktien für 816,50 €.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) berücksichtigte in dem angefochtenen, durch Einspruchsentscheidung vom 26. August 2004 verböserten Bescheid vom 3. März 2004 einen Verlust von 2 122 €. Dabei stellte es den Einnahmen aus der Veräußerung der Aktien und Bezugsrechte (ohne Veräußerungskosten) die Anschaffungskosten der Aktien gegenüber und halbierte das Ergebnis im Hinblick auf das Halbeinkünfteverfahren.
Die Klage war erfolgreich. Das Finanzgericht (FG) vertrat die Auffassung, die Einnahmen aus der Veräußerung der Bezugsrechte seien nicht nach § 3 Nr. 40 Satz 1 Buchst. j EStG steuerfrei. Die in § 17 Abs. 1 Satz 3 EStG enthaltene Legaldefinition des Anteilsbegriffs sei für die Auslegung des § 3 Nr. 40 Satz 1 Buchst. j EStG nicht heranzuziehen. Im Wert des Bezugsrechts seien keine den Werten im Anteil selbst entsprechenden Vorbelastungen enthalten. Der Wert des Bezugsrechts sei gerade nicht mit dem definitiven Körperschaftsteuersatz vorbelastet, so dass es keiner "Milderung" der Besteuerung bedürfe.
Hiergegen richtet sich die Revision des FA, die es auf die Verletzung des § 3 Nr. 40 Satz 1 Buchst. j EStG stützt. Das Tatbestandsmerkmal "Anteile" in dieser Vorschrift sei entsprechend § 17 Abs. 1 Satz 3 EStG auszulegen.
Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet. Die Vorentscheidung ist aufzuheben und die Klage abzuweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat auf den Verlust aus der Veräußerung der Bezugsrechte zu Unrecht nicht das Halbeinkünfteverfahren angewendet und damit § 3 Nr. 40 Satz 1 Buchst. j EStG verletzt.
1. Der Verlust, den der Kläger aus der Veräußerung der Bezugsrechte erlitten hat, ist nach § 22 Nr. 2, § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG steuerbar. Mit Veräußerungsgeschäften über Wirtschaftsgüter erfasst diese Vorschriften auch die Veräußerung von Bezugsrechten aus einer Kapitalerhöhung innerhalb der mit dem Erwerb der Altaktie beginnenden Spekulationsfrist (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 22. Mai 2003 IX R 9/00, BFHE 202, 309, BStBl II 2003, 712).
2. Dieser Verlust unterfällt aber nur zur Hälfte der Einkommensteuer.
a) Nach § 3 Nr. 40 Satz 1 Buchst. j EStG ist die Hälfte des Veräußerungspreises i.S. des § 23 Abs. 3 EStG bei der Veräußerung von Anteilen an einer Körperschaft steuerfrei, deren Leistungen beim Empfänger zu Einnahmen i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG gehören (im Streitjahr anwendbar, vgl. Bundesministerium der Finanzen, Schreiben vom 25. Oktober 2004, BStBl I 2004, 1034, Tz. 51). Zu den Anteilen zählen auch Bezugsrechte.
aa) So rechnet § 17 Abs. 1 Satz 3 EStG zu den Anteilen auch Anwartschaften auf Beteiligungen an einer Kapitalgesellschaft. Zwar umschreibt diese Vorschrift den Anwendungsbereich des § 17 Abs. 1 EStG. Das hindert aber nicht, den dort formulierten Anteilsbegriff auch zur Auslegung des § 3 Nr. 40 Satz 1 Buchst. j EStG heranzuziehen. Denn die mit Steueränderungsgesetz 1965 vom 14. Mai 1965 (BGBl I 1965, 377, BStBl I 1965, 217) eingeführte Legaldefinition (§ 17 Abs. 1 Satz 3 EStG) hat nur klarstellenden Charakter und sollte der Rechtssicherheit dienen (BTDrucks IV/2400, S. 69 f. zu § 17 Abs. 1 EStG). Schon unter Geltung des EStG 1961 --also zu einer Zeit, als es noch keine im Gesetz enthaltene Umschreibung des Anteilsbegriffs unter Einschluss von Bezugsrechten gab-- zählte der BFH zu den Anteilen an einer Kapitalgesellschaft auch Bezugsrechte, um dadurch die Realisierung einer Wertsteigerung zu erfassen, zu der es bei der Veräußerung eines Bezugsrechts wegen des Substanztransfers von der Altaktie auf das Bezugsrecht kommt (BFH-Urteil vom 20. Februar 1975 IV R 15/71, BFHE 115, 223, BStBl II 1975, 505 zum EStG 1961; vgl. auch BFH-Urteil vom 21. Januar 1999 IV R 27/97, BFHE 188, 27, BStBl II 1999, 638, m.w.N.). Weil auch § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG derartige Wertsteigerungen erfasst (BFH-Urteile in BFHE 202, 309, BStBl II 2003, 712, und vom 21. September 2004 IX R 36/01, BFHE 207, 543), ist es geboten, den auf § 23 EStG Bezug nehmenden § 3 Nr. 40 Satz 1 Buchst. j EStG entsprechend auszulegen.
bb) Hinzu kommt, dass § 3 Nr. 40 Satz 1 Buchst. j EStG auch nach seinem Sinn und Zweck die Veräußerung von Bezugsrechten umfasst. Der Gesetzgeber unterwirft den Gewinn (und entsprechend auch den Verlust) aus der Veräußerung von Beteiligungen bei Kapitalgesellschaften dem Halbeinkünfteverfahren, weil die Veräußerung einer Beteiligung einer Totalausschüttung wirtschaftlich gleichkommt. Er sieht es als sachgerecht an, unter Berücksichtigung "der Verhaftung der stillen Reserven auf der Ebene der Kapitalgesellschaft den Gewinn aus der Veräußerung einer Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft nur zur Hälfte zu besteuern" (so BTDrucks 14/2683, S. 96). Der Steuergesetzgeber hat sich also von der Überlegung leiten lassen, dass Veräußerungsgewinne des Anteilseigners regelmäßig offene Reserven, stille Reserven oder einen Geschäftswert und damit zukünftige Dividenden der Gesellschaft repräsentieren (vgl. dazu auch Crezelius, Der Betrieb --DB-- 2005, 1924, 1926, m.w.N.). Wird das Kapital erhöht, so verkörpern die dadurch entstehenden Bezugsrechte die bisher allein durch die alten Aktien repräsentierte Substanz (und damit auch das Gewinnbezugsrecht sowie offene und stille Reserven) der Kapitalgesellschaft (vgl. die Ausführungen zu aa, m.w.N.). Ihre Veräußerung ist steuerrechtlich wie die Veräußerung von Anteilen zu behandeln und nur zur Hälfte zu besteuern.
b) Dem halben Veräußerungspreis sind nach § 3c Abs. 2 Satz 1, 2. Halbsatz EStG die Anschaffungskosten nur zur Hälfte gegenüberzustellen. Denn das Gesetz will den Gewinn aus der Veräußerung einer Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft nur zur Hälfte besteuern (BTDrucks 14/2683, S. 96). Statt jedoch --wie in § 8b Abs. 2 des Körperschaftsteuergesetzes-- den Gewinn aus der Veräußerung eines Anteils (zur Hälfte) steuerfrei zu stellen, ordnet das Gesetz in § 3 Nr. 40 Satz 1 Buchst. j EStG die hälftige Steuerfreiheit des Veräußerungspreises an, von dem nur die Hälfte der Anschaffungskosten abgezogen werden dürfen (vgl. dazu Herrmann, in Frotscher, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 3c Rz. 60 Stichwort "Anschaffungs- und Herstellungskosten").
Hierin liegt kein Verstoß gegen das Nettoprinzip. Der Senat kann unerörtert lassen, ob und inwieweit es § 3c Abs. 2 EStG im Übrigen gelingt, die Einnahmen effektiv steuerlich zu entlasten, obschon die Erwerbsaufwendungen nur zur Hälfte zum Abzug zugelassen werden (vgl. zu dieser Problematik z.B. Pezzer, Steuer und Wirtschaft --StuW-- 2000, 144, 150; ders. in Seeger (Hrsg.), Perspektiven der Unternehmensbesteuerung, Deutsche Steuerjuristische Gesellschaft --DStJG--, Band 25, 2002, S. 38 ff. ≪54f.≫, m.w.N; Schön, StuW 2000, 151, 154; ders., Finanz-Rundschau --FR-- 2001, 381, 386; J. Hey, in I. Ebling (Hrsg.), Besteuerung von Einkommen, DStJG, Band 24, 2001, S. 155, 199 ff.). Denn der nur hälftige Abzug der Anschaffungskosten ist vor dem Hintergrund des Halbeinkünfteverfahrens und auch des Nettoprinzips folgerichtig. § 23 EStG erfasst die seit der Anschaffung erzielten Wertsteigerungen des Privatvermögens (BFH-Beschluss vom 16. Dezember 2003 IX R 46/02, BFHE 204, 228, BStBl II 2004, 284 unter B. III. 1., m.w.N.). Wird der Veräußerungspreis nur zur Hälfte steuerrechtlich berücksichtigt, kann ihm auch nur die Hälfte der korrespondierenden Anschaffungskosten gegenübergestellt werden (in diesem Sinne auch von Beckerath in Kirchhof, Einkommensteuergesetz, KompaktKommentar, 5. Aufl., § 3c Rn. 29 a.E.). Bei einem Abzug in vollem Umfang könnten realisierte Wertsteigerungen entgegen dem Normzweck nicht vollständig, sondern nur noch erfasst werden, soweit sie die Anschaffungskosten übersteigen.
3. Weil die Vorentscheidung diesen Grundsätzen nicht entspricht, ist sie aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Die Klage ist abzuweisen. Das FA hat den Veräußerungsverlust nach den obigen Maßstäben zutreffend ermittelt. Die Leistungen der schwedischen Kapitalgesellschaft gehören beim Kläger ersichtlich zu den Einnahmen aus § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG (vgl. dazu z.B. BFH-Urteil vom 23. September 1970 I R 22/67, BFHE 100, 369, BStBl II 1971, 47; Wassermeyer, in: Kirchhof/Söhn/ Mellinghoff, Einkommensteuergesetz, Kommentar, § 20 Rdnr. C. 6., m.w.N.), so dass die Voraussetzungen des § 3 Nr. 40 Satz 1 Buchst. j EStG auch im Übrigen erfüllt sind.
Fundstellen
Haufe-Index 1455567 |
BFH/NV 2006, 191 |
BStBl II 2006, 171 |
BFHE 2006, 273 |
BFHE 211, 273 |
BB 2005, 2789 |
DB 2005, 2724 |
DStR 2005, 2162 |
DStRE 2006, 62 |
DStZ 2006, 1 |
HFR 2006, 125 |