Normenkette
EStG §§ 18, 49 Abs. 1 Nr. 3; DBA CHE 1931/59 Art. 4 Abs. 1; DBA CHE 1931/59 Art. 7
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger), Schmiedemeister und Erfinder, hatte bis Mitte September 1966 seinen Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik). Anschließend verlegten der Kläger und seine Ehefrau den Wohnsitz nach ... (Schweiz), später nach ... bei Lugano.
Am 11. März 1966 hatte der Kläger mit der M AG in ... (Schweiz) einen "Leibrenten-Vertrag" nach Maßgabe der Art. 516 ff. des schweizerischen Obligationenrechts abgeschlossen (Kläger als sog. Rentenbezüger; M AG als Rentenschuldner), der u. a. bestimmt:
"§ 1 Der Rentenbezüger tritt hiermit sämtliche Rechte aus seinem Patent ... mit Wirkung ab 1. April 1966 an den Rentenschuldner ab und dieser übernimmt ab diesem Zeitpunkt alle Rechte und Pflichten, welche mit dem zitierten Patent verbunden sind.
§ 2 Als Gegenleistung für die Zession gemäß § 1 dieses Vertrages gewährt der Rentenschuldner dem Rentenbezüger, bezw. seinen nachgenannten Erben nach Maßgabe folgender Bedingungen eine lebenslängliche Leibrente, nämlich an den Rentenbezüger ... im Betrage von Fr. 150 000 pro Jahr, auszahlbar je nachhinein für 6 Monate per 1. April und 1. Oktober, erstmals per 1. Oktober 1966, in Raten von Fr. 75 000."
Für den Fall des Ablebens des Klägers soll dessen überlebende Ehefrau eine lebenslängliche Leibrente von 120 000 sfrs pro Jahr erhalten. Nach dem Tode des Klägers und seiner Ehefrau erhält deren Sohn eine lebenslängliche Leibrente von 75 000 sfrs pro Jahr.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) vertrat die Auffassung, daß die laufenden Bezüge des Klägers aus dieser Vereinbarung, die als Veräußerungsrente anzusehen seien, nach der Verlegung des Wohnsitzes in die Schweiz beschränkt steuerpflichtig seien. Das Patent sei bis zur Veräußerung, die noch in die Zeit der unbeschränkten Steuerpflicht des Klägers falle, der freiberuflichen (Erfinder-)Tätigkeit des Klägers zuzuordnen. Die laufenden Bezüge seien deshalb gemäß §§ 24 Nr. 2, 18 Abs. 3, 49 Abs. 1 Nr. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) vom Kläger in den Streitjahren (1966 bis 1970) zu versteuern. Dem stehe das Abkommen zwischen dem Deutschen Reiche und der Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der direkten Steuern und der Erbschaftsteuern vom 15. Juli 1931 in der Fassung des Zusatzprotokolls vom 20. März 1959 - DBA-Schweiz 1931/59 - (BGBl II 1959, 1253, BStBl I 1959, 1006) nicht entgegen.
Das FA ging in den Streitjahren von Rentenbezügen von 75 000 sfrs (1966) und von je 150 000 sfrs in den Jahren 1967 bis 1970 aus.
Für das Jahr 1966 (beschränkte Steuerpflicht) hatte das FA am 27. Juni 1968 eine sog. "Verfügung für nv-Fall" erlassen. Durch Bescheid vom 27. Juni 1972 setzte das FA Einkommensteuer für 1966 (beschränkte Steuerpflicht) unter Ansatz der Rentenbezüge von umgerechnet 68 250 DM fest. Für die Jahre 1967 und 1968 kamen die Renten mit jeweils 136 500 DM zum Ansatz (Bescheide vom 6. Oktober 1970). Für 1969 (Bescheid vom 29. Juni 1972) wurden die Renten mit 133 500 DM und für 1970 (Bescheid vom 29. September 1972) mit 124 500 DM angesetzt.
Gegen die Einkommensteuerbescheide 1966 bis 1970 wurden Einsprüche eingelegt, mit denen im wesentlichen geltend gemacht wurde, die umstrittenen Rentenbeträge seien gemäß Art. 7 DBA-Schweiz 1931/59 nur in der Schweiz, dem Wohnsitzstaat des Klägers, zu versteuern. Die Einsprüche hatten keinen Erfolg.
Die Klagen, die das Finanzgericht (FG) zu gemeinsamer Verhandlung und Entscheidung verbunden hatte, blieben erfolglos.
Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung materiellen Rechts.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
I. Das FA konnte für das Streitjahr 1966 den angefochtenen Einkommensteuerbescheid erlassen, ohne daß es auf die Voraussetzungen des § 222 Abs. 1 der Reichsabgabenordnung (AO) ankam. Die am 27. Juni 1968 ergangene sog. "Verfügung für nv-Fall" ist kein Steuerbescheid i. S. des § 222 AO, der nur unter den dort genannten Voraussetzungen geändert werden kann. Es wurde kein auf null DM lautender Steuerbescheid erlassen, es wurde vielmehr von einer Veranlagung abgesehen, weil sich nach der Höhe des erklärten Einkommens keine Einkommensteuer ergab (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 12. Dezember 1963 IV 171/62 S, BFHE 78, 567, BStBl III 1964, 215; vom 4. Juni 1964 IV 234/61, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR 1964, 431, und vom 13. November 1979 VIII R 175/77, BFHE 129, 240, BStBl II 1980, 193). Auf die von der Revision angegriffene sog. Willenstheorie kommt es nicht an, weil gewollter und bekanntgegebener Inhalt der streitigen Verfügung übereinstimmen.
II. Die streitigen Einkünfte sind nach dem inländischen Steuergesetz - dem EStG - steuerpflichtig (vgl. zur Prüfungsreihenfolge BFH-Urteil vom 12. Oktober 1978 I R 69/75, BFHE 126, 209, BStBl II 1979, 64).
1. Das FG hat die Erfindertätigkeit des Klägers zu Recht als selbständige Arbeit i. S. des § 18 EStG angesehen (vgl. BFH-Urteil vom 1. Juni 1978 IV R 152/73, BFHE 125, 280, BStBl II 1978, 545, mit weiteren Nachweisen). Zwischen den Beteiligten ist nicht streitig - und das FG hat keine Feststellungen dazu getroffen -, daß diese Tätigkeit des Erfindens nicht der gewerblichen Betätigung des Klägers im Schmiedehandwerk zuzuordnen ist. Damit war das umstrittene Patent bis zur Veräußerung Wirtschaftsgut des notwendigen Betriebsvermögens der selbständigen Tätigkeit des Klägers (vgl. BFH-Urteile vom 2. Juni 1976 I R 20/74, BFHE 119, 410, BStBl II 1976, 666, und vom 11. September 1969 IV R 160/67, BFHE 98, 144, BStBl II 1970, 317).
2. Zwischen den Beteiligten ist ferner unstreitig, daß das Patent von der M AG gegen Gewährung einer Veräußerungsrente erworben worden ist. Das FG hat nicht festgestellt, ob es sich hierbei um die Veräußerung des ganzen Vermögens, das der selbständigen Arbeit dient (§ 18 Abs. 3 EStG), oder eines einzelnen Wirtschaftsgutes dieses Vermögens gehandelt hat. Das FG hat auch nicht festgestellt, auf welche Weise der Kläger den Gewinn ermittelt hat (§ 5 oder § 4 Abs. 3 EStG). Dies kann jedoch dahinstehen. Zwar ist nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats (Urteil vom 20. Januar 1971 I R 147/69, BFHE 101, 218, BStBl II 1971, 302) bei Veräußerung eines einzelnen Wirtschaftsguts durch einen bilanzierenden Steuerpflichtigen gegen Gewährung einer Leibrente eine Besteuerung der laufenden Rentenzahlungen nicht möglich. Diese Entscheidung geht von der Veräußerung eines Wirtschaftsguts bei fortbestehendem Betrieb aus und hält für diesen Fall die Gedanken des Urteils des Reichsfinanzhofs (RFH) vom 14. Mai 1930 VI A 706/28 (RStBl 1930, 580) nicht für anwendbar.
Im Streitfall liegt keine Veräußerung eines Wirtschaftsguts bei fortbestehendem Betrieb vor. Selbst wenn der Kläger - wie die Revision vorträgt - seine Erfindertätigkeit mit dem Wohnsitzwechsel in die Schweiz nicht aufgegeben hätte, läge in der Verlegung der bisher im Inland ausgeübten Tätigkeit in das Ausland eine Betriebsaufgabe gemäß § 18 Abs. 3 i. V. m. § 16 Abs. 3 EStG, da das Besteuerungsrecht der Bundesrepublik gemäß Art. 4 DBA-Schweiz 1931/59 entfallen würde (vgl. BFH-Urteile vom 28. April 1971 I R 55/66, BFHE 102, 374, BStBl II 1971, 630, und vom 13. Oktober 1976 I R 261/70, BFHE 120, 225, BStBl II 1977, 76). Für den Zeitpunkt der Aufgabe wäre das Betriebsvermögen nach § 5 EStG zu ermitteln (§§ 18 Abs. 3, 16 Abs. 2 Satz 2 EStG).
Die Betriebsaufgabe ist als Entnahmevorgang eigener Art verstanden worden (vgl. BFH-Beschluß vom 7. Oktober 1974 GrS 1/73, BFHE 114, 189, BStBl II 1975, 168). Im Rahmen einer Betriebsaufgabe können Wirtschaftsgüter auch veräußert werden (vgl. BFH-Urteil vom 23. Juni 1977 IV R 81/73, BFHE 122, 505, BStBl II 1977, 721). Selbst wenn es sich bei dem streitigen Patent nur um ein einzelnes Wirtschaftsgut des Betriebsvermögens gehandelt hätte, wäre ein enger zeitlicher und wirtschaftlicher Zusammenhang mit der Entnahme durch Verlegung der Tätigkeit in die Schweiz zu bejahen. Nach den Feststellungen des FG ist davon auszugehen, daß ein solcher Zusammenhang zwischen der Veräußerung des Patents an das Unternehmen in ... und der anschließenden Verlegung des Wohnsitzes nach ... besteht.
3. Kommt somit sowohl eine Besteuerung der mit der Veräußerung des Patents realisierten stillen Reserven im Veranlagungszeitraum 1966 (unbeschränkte Steuerpflicht) als auch eine Versteuerung der laufenden Zahlungen nach Maßgabe des tatsächlichen Zuflusses als nachträgliche Einkünfte aus selbständiger Arbeit (§ 24 Nr. 2 i. V. m. § 18 Abs. 1 EStG) in Betracht, steht dem Veräußerer ein Wahlrecht zu (vgl. BFH-Urteil vom 30. Januar 1974 IV R 80/70, BFHE 111, 477, BStBl II 1974, 452).
Das FG hat nicht festgestellt, ob und ggf. in welcher Weise der Kläger dieses Wahlrecht ausgeübt hat. Dies war nicht erforderlich, weil das Klagebegehren dahin ging, die Renten nach Art. 7 DBA-Schweiz 1931/59 im Wohnsitzstaat zu versteuern. Der Kläger hat die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide nicht mit der Begründung in Abrede gestellt, daß er die sofortige Besteuerung wähle oder gewählt habe. Erst mit der Revision wird das Wahlrecht "vorsorglich" dahin gehend ausgeübt, "den Veräußerungsgewinn sofort zu besteuern". Dies ist ein Antrag des sachlichen Steuerrechts, der als tatsächliches Vorbringen zu werten ist (vgl. BFH-Urteil vom 3. Mai 1957 VI 48/55 U, BFHE 64, 604, BStBl III 1957, 227; Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, § 2 EStG Anm. 102). Neues tatsächliches Vorbringen kann im Revisionsverfahren nicht berücksichtigt werden (§ 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
4. Der Kläger ist seit der Verlegung seines Wohnsitzes in die Schweiz beschränkt steuerpflichtig. Der Steuer unterliegen nur noch seine inländischen Einkünfte (§ 1 Abs. 2 i. V. m. § 49 EStG). Zu den inländischen Einkünften gehören Einkünfte aus selbständiger Arbeit (§ 18 EStG), die im Inland ausgeübt oder verwertet wird oder worden ist (§ 49 Abs. 1 Nr. 3 EStG). Die Vorschrift umfaßt nicht nur gegenwärtige, sondern auch nachträgliche Einkünfte, die aus einer in der Vergangenheit im Inland ausgeübten freiberuflichen Tätigkeit herrühren (vgl. BFHE 126, 209, BStBl II 1979, 64). Hierzu rechnen die Zahlungseingänge aus der Leibrente des Klägers, die jeweils im Jahr ihres Zuflusses (§ 11 Abs. 1 EStG) als nachträgliche freiberufliche Einkünfte (§ 18 Abs. 1 Nr. 1, § 24 Nr. 2 EStG) zu versteuern sind.
III. Das DBA-Schweiz 1931/59 schließt eine Besteuerung durch die Bundesrepublik nicht aus.
1. Der Auffassung des Senats steht nicht entgegen, daß das vom Kläger - anscheinend vor über 13 Jahren - beantragte Verständigungsverfahren noch nicht abgeschlossen ist (vgl. BFHE 126, 209, BStBl II 1979, 64).
2. Nach Art. 4 Abs. 1 Satz 1 DBA-Schweiz 1931/59 werden Einkünfte aus Arbeit einschließlich der Einkünfte aus freien Berufen, soweit nicht in anderen Bestimmungen etwas Abweichendes bestimmt ist, nur in dem Staate besteuert, in dessen Gebiet die persönliche Tätigkeit ausgeübt wird, aus der die Einkünfte herrühren. Für die Besteuerung gilt somit das Ursprungsprinzip; der Wohnsitzstaat des Steuerpflichtigen tritt zurück (vgl. Korn/Dietz/Debatin, Doppelbesteuerung, DBA-Schweiz 1931/59, Art. 4 Anm. 1). Soweit der Kläger unter Hinweis auf Korn/Dietz/Debatin (a. a. O., Art. 7 Anm. 1) ausführt, zwischen Leibrente und Lizenzgebühr sei wirtschaftlich gesehen kein Unterschied zu machen, verkennt er, daß sich die Auswertung seiner Erfindung durch Vergabe von Lizenzen rechtlich und wirtschaftlich von der Veräußerung eines Patents gegen Gewährung einer Leibrente unterscheidet. Der Senat braucht nicht zu entscheiden, wie Lizenzgebühren steuerrechtlich zu behandeln wären. Die Einkünfte aus der Leibrente rühren aus der Veräußerung des Patents im Inland her (vgl. Art. 4 Abs. 1 DBA-Schweiz 1931/59; BFHE 126, 209, BStBl II 1979, 64; Locher, Das schweizerisch-deutsche Doppelbesteuerungsabkommen, Basel 1972, Bd. 3, B § 9, II Nr. 11; Locher/Meier/von Siebenthal, Doppelbesteuerungsabkommen Schweiz-Deutschland 1971 und 1978, Basel 1983, Bd. 3, B 21 Nr. 7 a), während die Ausübung von Rechten aus Lizenzverträgen eine fortdauernde Betätigung ist (vgl. BFHE 120, 225, BStBl II 1977, 76).
3. Da die streitigen Einkünfte des Klägers gemäß Art. 4 Abs. 1 DBA-Schweiz 1931/59 in der Bundesrepublik steuerpflichtig sind, greift Art. 7 dieses Abkommens nicht ein, der für die in den vorhergehenden Artikeln nicht bezeichneten Einkünfte das Besteuerungsrecht dem Wohnsitzstaat zuweist.
Fundstellen
Haufe-Index 75058 |
BStBl II 1984, 664 |
BFHE 1985, 244 |