Leitsatz (amtlich)
1. Schon vor Inkrafttreten der Finanzgerichtsordnung konnte das Finanzgericht keine Grunderwerbsteuer für einen Erwerb festsetzen, über den das Finanzamt noch keinen Steuerbescheid erlassen hatte.
2. Eine Vereinigung aller Anteile erzeugt so viele Grunderwerbsteuerfälle, wie der Gesellschaft Grundstücke gehören.
2. Ein Grundstück gehört im Sinne des § 1 Abs. 3 GrEStG zum Vermögen der Gesellschaft, wenn es ihr im Zeitpunkt der Entstehung der Steuerschuld auf Grund eines unter § 1 Abs. 1 bis 3 GrEStG fallenden Erwerbsvorgangs zuzurechnen ist.
2. Erwerben bei Gründung der Gesellschaft alle anderen Gesellschafter ihre Anteile als Treuhänder des Hauptgesellschafters, tritt die Anteilsvereinigung im Sinne des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG mit dem Entstehen der Gesellschaft ein. Die Steuerpflicht entsteht dadurch bezüglich der Grundstücke, welche unter Beachtung des § 3 Abs. 5 Nr. 5 StAnpG zu diesem Zeitpunkt der Gesellschaft gehören.
2. Der Anspruch des Auftraggebers gegen den Beauftragten, das aus der Geschäftsbesorgung Erlangte herauszugeben (§ 667 BGB), entsteht nicht erst mit dem Herausgabeverlangen des Auftraggebers (entgegen BFH 76, 409 [413], BStBl III 1963, 150), sondern bereits durch den bürgerlich-rechtlichen Erwerb des Beauftragten, selbst wenn zusätzlich vereinbart ist, daß dieser den erworbenen Gegenstand vorläufig im Interesse des Auftraggebers behalten solle.
2. Der Anwendung des § 1 Abs. 3 GrEStG steht nicht entgegen, daß das Grundstück aus dem Vermögen des Gesellschafters kommt, in dessen Hand alle Anteile vereinigt werden.
Normenkette
GrEStG 1940 § 1 Abs. 3; StAnpG § 3 Abs. 5 Nr. 5; AO a.F. § 243 Abs. 3
Tatbestand
Die Klägerin und zwei ihrer Vorstandsmitglieder gründeten eine Vertriebsgesellschaft mit beschränkter Haftung. Die zwei Vorstandsmitglieder erwarben ihre Anteile als Treuhänder der Klägerin mit deren Mitteln.
Treuhandvertrag und Gesellschaftsvertrag wurden am 24. März 1959 beurkundet. Auf das Stammkapital von 1 600 000 DM hatten die Treuhänder ihre Stammeinlagen von je 15 000 DM bar zu leisten. Die Klägerin hatte ihnen zum Erwerb je 15 000 DM als zinsloses Darlehen mit der Verpflichtung zur Verfügung gestellt, die treuhänderisch erworbenen Stammanteile auf Verlangen umgehend auf die Klägerin oder auf andere Personen zu übertragen. Die Klägerin hatte auf ihre Stammeinlage u. a. vier in verschiedenen Bezirken gelegene Grundstücke einzubringen. Deren Auflassung ist mit dem Gesellschaftsvertrag beurkundet worden. Die Gesellschaft wurde am 29. April 1959 in das Handelsregister eingetragen.
In diesem Zeitpunkt hatten die Grundstücke Einheitswerte von 293 400 DM, 496 900 DM, 136 000 DM und 92 000 DM. Die Übereignung des dritten Grundstücks bedurfte der Genehmigung nach dem Wohnsiedlungsgesetz; sie ist am 19. Mai 1959 erteilt worden. Am 13. April 1959 kaufte die Gesellschaft ein weiteres Grundstück.
Auf den 1. Januar 1961 wurden der Einheitswert von 136 000 DM auf 276 000 DM, der von 92 000 DM auf 185 000 DM fortgeschrieben. Für das später hinzuerworbene Grundstück wurde ein Einheitswert von 46 900 DM festgestellt.
Am 27. Juni 1961 übertrug einer der Treuhänder seinen Geschäftsanteil an die Klägerin. Dadurch erlangte der Beklagte Kenntnis von dem Treuhandvertrag vom 24. März 1959. Er sah in diesem eine Vereinigung aller Anteile an der Gesellschaft und setzte gegen die Klägerin aus den zunächst erwähnten vier Einheitswerten gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG eine Grunderwerbsteuer von 71 323 DM fest.
Am 19. Dezember 1961 übertrug der andere Treuhänder seinen Geschäftsanteil an die Klägerin. Am 20. Juni 1963 wurden beide Anteile an die Treuhänder unter gleichzeitiger Wiederherstellung des Treuhandverhältnisses zurückübertragen.
Das FG hat durch Urteil vom 16. Januar 1964 unter Ablehnung des Antrags, die Grunderwerbsteuer gemäß § 17 Abs. 2 GrEStG nicht zu erheben, die Steuerfestsetzung auf 90 616 DM erhöht. Es ging davon aus, die Vereinigung der Anteile sei nicht bei Begründung der Treuhandverhältnisse, sondern erst am 27. Juni 1961 im Sinne des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG erfolgt; demzufolge seien sowohl das hinzuerworbene Grundstück wie auch die übrigen vier Grundstücke mit den zu diesem Zeitpunkt maßgebenden Einheitswerten anzusetzen.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision der Klägerin ist zum Teil begründet.
Die Klägerin meint, eine Steuer aus § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG 1940 sei nicht entstanden, weil sie zufolge der Treuhandverhältnisse von vornherein das wirtschaftliche Eigentum an den Grundstücken behalten habe. Dieser Standpunkt trifft nicht zu. Der Revision war jedoch aus anderen Gründen (§ 118 Abs. 3 Satz 2 FGO) insoweit stattzugeben, als das FG über den durch den Steuerbescheid erfaßten Lebenssachverhalt hinausgegriffen und eine höhere Steuer festgesetzt hatte, und ferner insoweit, als sich bereits dieser Bescheid auch auf ein Grundstück bezog, dessen Erwerb (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG) durch die Gesellschaft bei deren Entstehen (§ 11 GmbHG) noch nicht - wie nach dem Wohnsiedlungsgesetz geboten - behördlich genehmigt war (§ 3 Abs. 5 Nr. 5 Buchst. b StAnpG).
Gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG 1940 unterliegt der Grunderwerbsteuer ein Rechtsgeschäft, das den Anspruch auf Übertragung eines oder mehrerer Anteile der Gesellschaft begründet, wenn zum Vermögen dieser Gesellschaft ein inländisches Grundstück gehört und durch die Übertragung des oder der Anteile alle Anteile der Gesellschaft in der Hand des Erwerbers vereinigt würden. Im Sinne dieser Vorschrift "gehört" ein Grundstück zum Vermögen der Gesellschaft, wenn es ihr im Zeitpunkt der Entstehung der Steuerschuld auf Grund eines unter § 1 Abs. 1 bis 3 GrEStG fallenden Erwerbsvorganges zuzurechnen ist (Urteil des BFH II 70/63 vom 16. März 1966, BFH 86, 158 [161], BStBl III 1966, 378). Die bei der Anteilsvereinigung entstehenden Steuern beziehen sich jeweils auf das einzelne Grundstück (§ 2 GrEStG) und sind jeweils nach den für dieses maßgebenden Verhältnissen (vgl. Urteil des BFH II 165/62 vom 22. Juni 1966, BFH 86, 520 [524], BStBl III 1966, 554) aus dessen Wert (§ 12 GrEStG) zu bemessen (§ 10 Abs. 2 Nr. 2 GrEStG).
Die Grunderwerbsteuer lastet auf dem Grundstücksverkehr. Auch § 1 Abs. 3 GrEStG erfaßt die dort beschriebenen Vorgänge - wenn auch durch eine nicht auf den Grundstücksverkehr bezogene Tatbestandsbeschreibung und damit fiktiv - als Rechtsvorgang mit Bezug zu Grundstücken. Bei § 1 Abs. 3 GrEStG handelt es sich um eine Steuer auf einen gedachten Grundstückserwerb. Eine Anteilsvereinigung erzeugt demnach so viele Grunderwerbsteuerfälle, als die Gesellschaft Grundstücke (§ 2 GrEStG) hat. Daraus folgt, daß das FG nicht über die Besteuerung einer etwaigen Anteilsvereinigung in bezug auf das von der Gesellschaft hinzuerworbene Grundstück befinden durfte; § 243 Abs. 3 a. F. AO ermächtigte das FG nicht, erstmals die Steuer für einen Vorgang festzusetzen, über den das FA noch keinen Bescheid erlassen hatte. Das hinzuerworbene Grundstück war durch den angefochtenen Steuerbescheid schon deshalb nicht erfaßt, weil das FA - anders als das FG eine Anteilsvereinigung im Sinne des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG bereits im Zeitpunkt des Entstehens der Gesellschaft (§ 11 GmbHG) angenommen hatte. Dieser Standpunkt des FA war richtig.
An der im Urteil II 112/59 vom 29. August 1962 (BFH 76, 409 [413], BStBl III 1963, 150) nur beiläufig geäußerten, die Entscheidung nicht tragenden Ansicht, daß bei einer Gesellschaftsgründung eines Hauptgesellschafters mit einem Treuhänder die Steuer aus der Anteilsvereinigung erst dann entstehe, wenn der Treugeber die Übertragung vom Treuhänder verlange, kann nicht festgehalten werden. Die Herausgabepflicht des Treuhänders folgt aus § 667 BGB. Sie ist nicht aufschiebend bedingt; das Verlangen der Herausgabe ist kein Rechtsgeschäft, das den Anspruch auf Übertragung "begründet". Der Anspruch aus § 667 BGB entsteht vielmehr von Anfang an mit der Entstehung der Gesellschaft (§ 11 GmbHG); er wirkt sich nur deshalb nicht aus, weil der Auftraggeber den Beauftragten zusätzlich zu dem Auftrag, den Geschäftsanteil zu erwerben, noch den weiteren Auftrag erteilt hat, den Anteil bis auf weiteres treuhänderisch in eigenem Namen für ihn zu verwalten.
Demnach ist mit der Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister am 29. April 1959 die Steuer gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG hinsichtlich der Grundstücke mit den Einheitswerten von 293 400 DM, 496 900 DM und 92 000 DM aus diesem Einheitswert (§ 10 Abs. 2 Nr. 2 GrEStG) entstanden. Denn die Grundstücke "gehörten" zu diesem Zeitpunkt im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG zum Vermögen der GmbH (§ 1 Abs. 3 GrEStG), auch wenn die grunderwerbsteuerrechtliche Zuordnung der Grundstücke zur Gesellschaft und die der Anteile der Treuhänder zur Klägerin im gleichen Zeitpunkt erfolgt sind.
Der Anwendung des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG steht nicht entgegen, daß das Grundstück aus dem Vermögen der Klägerin in das der Gesellschaft kam. Denn die Zurechnung gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG ist anderer Art als die gemäß § 1 Abs. 1 oder Abs. 2 GrEStG. Da die Zurechnung gemäß § 1 Abs. 3 GrEStG kraft gesetzlicher Fiktion nur durch die Anteile an der Gesellschaft vermittelt wird, das gesellschaftsrechtliche Einbringen (§ 5 Abs. 4 GmbHG) aber unmittelbar die Gesellschaft begünstigt, verblieb der Klägerin keine wirtschaftliche Verwertungsbefugnis im Sinne des § 1 Abs. 2 GrEStG; die die Zurechnung gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG begründenden Rechtsverhältnisse sind vielmehr - wenn auch gleichzeitig - neu entstanden. Die Klägerin hat demnach das "wirtschaftliche Eigentum" (zur Mehrdeutigkeit dieses Ausdrucks vgl. Urteil des BFH II 72/65 vom 27. Oktober 1970, BFH 101, 126 [130], BStBl II 1971, 278) nicht "behalten", sondern in anderer Form und von anderer Seite wiedererlangt. Wegen der unterschiedlichen Art der Zurechnung greift auch der Rechtsgedanke des § 17 GrEStG nicht ein.
Das Grundstück im Einheitswert von 136 000 DM (später 276 000 DM) war der Gesellschaft im Zeitpunkt ihres Entstehens noch nicht zuzurechnen, da am 29. April 1959 die grunderwerbsteuerrechtlich erhebliche (§ 3 Abs. 5 Nr. 5 Buchst. b StAnpG) Genehmigung nach dem Wohnsiedlungsgesetz noch nicht vorlag. Der Zeitpunkt dieses Erwerbs kann, obschon die Genehmigung zurückwirkt, nicht auf den Zeitpunkt des Abschlusses des Gesellschaftsvertrages zurückbezogen werden; es "gehörte" demzufolge in dem hier maßgebenden Sinne bei der obligatorischen Vereinigung aller Anteile der Gesellschaft (§ 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG) noch nicht zum Gesellschaftsvermögen. Denn wenn und soweit die steuerrechtliche Zuordnung (hier gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG) über die bürgerlich-rechtliche (§ 173 Abs. 1 BGB) hinausgreift, wird sie auch durch die steuerrechtlichen Schranken der Zuordnung - hier durch § 3 Abs. 5 Nr. 5 Buchst. b StAnpG - begrenzt. Die Steuerpflicht ist auch nicht bei Eingang der Genehmigung am 19. Mai 1959 entstanden. Denn den Anspruch auf Übertragung der beiden Treuhandanteile hatte die Klägerin bereits am 29. April 1959 erworben.
Ob nach Übertragung des zweiten Treuhändergeschäftsanteils (Urteil des BFH II 26/63 vom 16. März 1966, BFH 85, 117, BStBl III 1966, 254) an die Klägerin am 19. Dezember 1961 eine Steuer auch hinsichtlich dieses Grundstücks angefallen ist, muß dahingestellt bleiben; denn dieser Vorgang konnte keinesfalls durch den Steuerbescheid vom 18. Oktober 1961 erfaßt sein.
Demnach ist die Besteuerung aus Erwerbern mit Einheitswerten von 293 400 DM, 496 900 DM und 92 000 DM begründet. Die Steuer hieraus beträgt 61 761 DM. In dem letztgenannten Falle ist § 17 Abs. 1 und Abs. 2 (je Nr. 1) GrEStG deshalb nicht anwendbar, weil die Zweijahresfrist überschritten ist. Insoweit ist die Revision daher zurückzuweisen.
Das angefochtene Urteil war dagegen insoweit aufzuheben, als es das hinzuerworbene Grundstück und das Grundstück im Einheitswert von 136 000 DM (Steuerbescheid: 136 600 DM) in die Besteuerung einbezogen und höhere Einheitswerte zugrunde gelegt hat. Bezüglich des zweiterwähnten Grundstücks ist auch der Steuerbescheid aufzuheben.
Fundstellen
Haufe-Index 413284 |
BStBl II 1972, 719 |
BFHE 1972, 138 |