Leitsatz (amtlich)
Die vor Bewilligung der vorübergehenden Zollgutverwendung zu treffende Entscheidung, ob die Vorteile für den Verwender gegenüber den für andere durch den Zoll geschützte Wirtschaftskreise zu befürchtenden Nachteilen erheblich überwiegen, ist keine Ermessensentscheidung, sondern eine reine Rechtsentscheidung der Verwaltung.
Normenkette
ZG § 24 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2, § 55 Abs. 2; AZO § 64
Tatbestand
Der Klägerin war für einen gebrauchten Schutenspüler und eine gebrauchte Spülschute, die sie von einer mit ihr geschäftlich verbundenen ausländischen Firma gemietet hatte, die vorübergehende Zollgutverwendung zunächst für die Dauer der Prüfung der Antragsangaben bis zum 20. Mai 1965, dann bis zum 10. Juli 1965, sodann bis zum 25. Juli 1965 und schließlich bis zum 10. August 1965 bewilligt worden. Nachdem das Zollamt (ZA) festgestellt hatte, daß die Geräte seit 24. Mai 1962 bzw. 14. Mai 1963 mit Unterbrechungen an anderen Orten des Zollgebiets zollfrei verwendet worden waren, lehnte es mit Verfügung vom 4. August 1965 die weitere Bewilligung der vorübergehenden Zollgutverwendung mit der Begründung ab, daß die wirtschaftlichen Voraussetzungen des § 64 AZO nicht gegeben seien. Baggergeräte der benötigten Art würden im Zollgebiet hergestellt und seien auch beim deutschen Naßbaggergewerbe als Freigut vorhanden.
Die gegen die Ablehnung der weiteren Bewilligung erhobene Beschwerde sowie die Klage blieben erfolglos. Das Finanzgericht (FG) führte aus, daß auf die Bewilligung der abgabenfreien Verwendung kein Rechtsanspruch bestehe.
Mit der Revision macht die Klägerin geltend, daß das FG zu Unrecht einen Rechtsanspruch auf die Zollfreiheit abgelehnt habe. Der Verwaltung dürfe nur ein Ermessen im Hinblick auf die Rechtsfolge, nicht aber auch für die Feststellung der Tatbestandsvoraussetzungen eingeräumt werden. Ein Ermessensspielraum bestehe bei wirtschaftspolitisch bedingten steuerrechtlichen Normen nur dann, wenn das Gesetz einen solchen hinreichend deutlich zum Ausdruck bringe. § 64 AZO bestimme aber eindeutig, daß Waren unter den dort genannten Voraussetzungen zollfrei sind. Der Anspruch der Klägerin sei nur insoweit vom Ermessen der Verwaltung abhängig, als es um ihre Vertrauenswürdigkeit gehe, was aber im Streitfall keine Rolle spiele. Daß die Verwaltung die Möglichkeit der Zollgutverwendung näher bestimmen und sie von einer Sicherheitsleistung abhängig machen könne, betreffe nur die Ausgestaltung der Bewilligung, nicht aber die Frage, ob sie erteilt werden müsse. Auch das Widerrufsrecht nach § 117 AZO spreche nicht gegen den Rechtsanspruch, weil die Verwaltung selbst bei freiem Widerrufsvorbehalt ihr Ermessen im Sinne des Gesetzes ausüben müsse. Bei der Anwendung von unbestimmten Rechtsbegriffen stehe der Verwaltung bestenfalls ein Beurteilungsspielraum zu. Die Zollbefreiung als solche habe für die Mitbewerber und die Herstellerindustrie keine Nachteile bewirken können, da die vom FG in Betracht gezogenen Nachteile auch eingetreten wären, wenn die Klägerin in ihren Angebotspreis die volle Abgabenbelastung hätte aufnehmen müssen. Da sich von den sechs inländischen Naßbaggerunternehmen nur zwei um den Auftrag beworben haben, seien die anderen vier Firmen durch die Verwendung der Bagger der Klägerin nicht geschädigt worden. Die Geräte der beiden anderen Unternehmen seien augenscheinlich für die Ausführung der Arbeiten nicht geeignet gewesen, was sich aus dem erheblichen Preisunterschied zu dem Angebot der Klägerin ergebe. Die Frage, ob die Vorteile gegenüber den Nachteilen überhaupt überwiegen, könne nicht im Ermessen der Verwaltung stehen. Daher hätte das FG hierzu Feststellungen treffen müssen. Es hätte sich ergeben, daß die Weiterverwendung der ausländischen Geräte in der Zeit vom 10. August bis 14. Oktober 1965 für die Klägerin erhebliche Vorteile gebracht habe. Denn wenn sie die ausländischen Baggergeräte am 10. August 1965 ins Ausland zurückgebracht hätte, um dann für die kurze Zeit bis zum 14. Oktober 1965 deutsche Geräte anzumieten, so wäre dies für sie unwirtschaftlich gewesen. Hätte das FG diese Tatsachen geklärt, so wäre es auf die Wertungsfrage, ob das überwiegen erheblich gewesen sei, nicht angekommen. Diese Frage könne im übrigen nicht im Ermessen der Verwaltung liegen, weil sie Partei sei und nicht über die innere Unabhängigkeit verfüge, die gerade bei Wertungen notwendig sei.
Die OFD trägt vor, daß mindestens sechs inländische Naßbaggerunternehmen über geeignete Geräte verfügen und zwei dieser Unternehmen um den zu vergebenden Auftrag sich beworben hätten. Nach den Feststellungen des FG sei es außerdem möglich gewesen, solche Geräte durch rechtzeitige Bestellung bei der deutschen Herstellerindustrie zu beschaffen. Damit seien Nachteile im Sinn von § 64 AZO gegeben gewesen. Eine Beeinträchtigung des Zollschutzes sei schon dann zu befürchten, wenn geeignete Geräte im Inland vorhanden oder zu beschaffen sind. Diese Geräte seien gegenüber der Konkurrenz der ausländischen Geräte bis zur Höhe der im DZT vorgesehenen Zollbelastung geschützt. Es komme nicht darauf an, daß die Zollfreiheit keine Nachteile habe bewirken können, weil es aus anderen Gründen möglich gewesen sei, den Zollschutz zu unterlaufen. Der Begriff „soweit die Vorteile gegenüber den Nachteilen erheblich überwiegen” enthalte eine Wertung, deren Auslegung zwangsläufig ein Beurteilungsspielraum innewohne. Deshalb sei auch die Abwägung der Vor- und Nachteile beim aktiven Veredelungsverkehr nur innerhalb eines Ermessensspielraums möglich. Ein „gerichtsfreier” Beurteilungsspielraum könne bei Begriffen, mit denen ein Gesetz die Voraussetzungen des behördlichen Handelns vorschreibe, insbesondere dann in Betracht kommen, wenn der Begriff Elemente des Abschätzens künftiger Geschehensabläufe oder Verhaltensweisen enthalte. Derartige Elemente ergäben sich schon aus dem Wortlaut des § 64 AZO.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat keinen Erfolg.
Im Streitfall geht es darum, ob das ZA die weitere Bewilligung der vorübergehenden Zollgutverwendung der beiden Geräte deshalb ablehnen konnte, weil es die in § 64 AZO verlangten wirtschaftlichen Voraussetzungen nicht als gegeben ansah. Ob die Verwaltungsbehörde im Einzelfall das Vorliegen dieser Voraussetzungen zu Recht bejaht oder verneint hat, unterliegt der vollen gerichtlichen Nachprüfung. Das FG hat zwar die in dieser Vorschrift verwendeten Begriffe „Vorteile für den Verwender” und „Nachteile für andere durch den Zoll geschützte Wirtschaftskreise” als sogenannte unbestimmte Rechtsbegriffe und insoweit ihre Auslegung und Anwendung als gerichtlich nachprüfbar angesehen. Es ist jedoch – allerdings ohne Begründung – der Ansicht gewesen, daß die Beantwortung der Frage, ob die festgestellten Vorteile gegenüber den Nachteilen überwiegen, eine Ermessensentscheidung der Verwaltung sei. Dem kann nicht gefolgt werden. Bei der Abwägung der Vorteile gegenüber den Nachteilen kann sich die Verwaltung nicht innerhalb eines lediglich durch Ermessensschranken abgegrenzten Spielraums bewegen. Vielmehr muß sie, wenn sie diese Vorteile und Nachteile festgestellt hat, die Rechtsentscheidung treffen, ob die Vorteile erheblich überwiegen. Bejaht sie dies, so muß sie auch die vorübergehende Zollgutverwendung bewilligen. In diesem Fall hat der Antragsteller einen Rechtsanspruch auf die Erteilung der Bewilligung. Andernfalls gibt es für die Verwaltungsbehörde nur eine Entscheidung, nämlich die Bewilligung abzulehnen. Dies besagt auch der in § 64 AZO gebrauchte Wortlaut „Zollfrei sind Waren, soweit …”. Zwar hat der erkennende Senat zu dem ebenfalls mit den Worten „Zollfrei sind …” beginnenden § 72 AZO in dem Urteil VII 285/64 vom 28. Oktober 1966, Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Bd. 87 S. 261, 264 (BFH 87, 261, 264), Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern 1967 S. 81 (ZfZ 1967, 81), entschieden, daß daraus allein kein Rechtsanspruch hergeleitet werden könne. Dies betraf aber die abgabenfreie, bleibende Zollgutverwendung von Betriebsstoffen für Schiffe. Diese Stoffe werden im Zollgebiet abgabenbegünstigt verwendet und treten, soweit sie nicht verbraucht werden, mit der zweck- und fristgerechten Verwendung in den freien Verkehr (§ 55 Abs. 4 ZG). In diesen Fällen „erfordert es die zollamtliche Überwachung” in der Regel, daß der Antragsteller ordnungsgemäß kaufmännische Bücher führt, regelmäßig Abschlüsse macht und nach dem Ermessen der Zollverwaltung vertrauenswürdig ist (§ 55 Abs. 2 Satz 2 ZG; siehe Bail-Schädel-Hutter, Kommentar zum Zollgesetz, § 55 III 3 b, S. 407). Die Entscheidung, ob dies die zollamtliche Überwachung im Einzelfall erfordert, steht im Ermessen der Verwaltungsbehörde. Einer Entscheidung hierüber bedarf es aber dann nicht, wenn das Zollgut nach einer nur vorübergehenden Verwendung im Zollgebiet wieder ausgeführt werden soll. Zwar unterliegt auch die vorübergehende Zollgutverwendung der Bewilligung nach § 55 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit § 24 Abs. 1 Nr. 4 Abs. 2 ZG und § 64 AZO. Die zollamtliche Überwachung erschöpft sich aber in der Regel in der Abfertigung des Zollguts zur vorübergehenden Verwendung, gegebenenfalls in der Einbehaltung einer Sicherheit und in der zollamtlichen Überwachung der Ausfuhr (§§ 118, 120 AZO). Der mit der zollamtlichen Überwachung der inländischen Wirtschaft zu gewährende Schutz wird dadurch gewährleistet, daß etwaige Nachteile nicht zu befürchten sein dürfen oder daß ihnen gegenüber die für den Verwender zu erwartenden Vorteile erheblich überwiegen müssen und die Bewilligung nur bei Vorliegen dieser gesetzlichen Voraussetzungen erteilt werden darf (vgl. Schwarz-Wockenfoth, Kommentar zum Zollgesetz, § 55 Anm. 7). Daß der Antragsteller nach dem Ermessen der Zollverwaltung vertrauenswürdig ist, erfordert hier die zollamtliche Überwachung nicht und ist auch im ZG nicht etwa wie bei der Bewilligung von Veredelungsverkehren nach § 47 Abs. 2 ZG zwingend vorgeschrieben.
Obwohl demnach die Entscheidung darüber, ob die in § 64 AZO verlangten wirtschaftlichen Voraussetzungen gegeben sind, nicht eine Sache des Ermessens der Verwaltungsbehörde ist, braucht die Vorentscheidung, die insoweit unzutreffend eine Ermessensentscheidung angenommen hat, nicht schon deshalb aufgehoben zu werden. Denn das FG hat seine Entscheidung nicht damit begründet, daß die Ablehnung der Weiterbewilligung der vorübergehenden Zollgutverwendung durch das ZA als eine der möglichen Entscheidungen innerhalb der Ermessensgrenzen vertretbar ist, sondern den Sachverhalt in den für eine unbeschränkte gerichtliche Nachprüfung erforderlichen Umfang geprüft und die Entscheidung des ZA bezw. der OFD als die einzig mögliche Entscheidung für Rechtens gehalten.
Das FG hat ohne Verstoß gegen die Denkgesetze und allgemeinen Erfahrungssätze festgestellt, daß der Klägerin zwar wesentliche Vorteile durch die zollfreie Verwendung der angemieteten Geräte entstanden sind, die sogar über die bloße Ersparung der Eingangsabgaben hinausgegangen sind, daß aber diesen Vorteilen erhebliche wirtschaftliche Nachteile der mit der Klägerin im Wettbewerb stehenden inländischen Naßbaggerunternehmen sowie der solche Geräte erzeugenden Industrie gegenüberstehen. Wenn das FG die Ausführungen der Industrie- und Handelskammer in ihrer Stellungnahme, daß nämlich der Wiederaufbau, insbesondere der durch die Kriegsereignisse geschädigten und durch den starken ausländischen Wettbewerb beeinträchtigten inländischen Naßbaggerwerke durch die abgabenfreie Verwendung gemieteter ausländischer Geräte zusätzlich erschwert werde, als einleuchtend angesehen und sich zu eigen gemacht hat, begegnet das keinen Bedenken. Schließlich hat das FG festgestellt, daß die Klägerin den Schutenspüler bereits ab 24. Mai 1962 und die Spülschute seit 14. Mai 1963 mit Unterbrechungen immer wieder eingesetzt und zu keiner Zeit an die Vermieterfirma in (europ. Land) zurückgegeben hatte. Berücksichtigt man auch diese Zeit, wie es § 64 Satz 2 AZO vorschreibt, so hat das FG zutreffend eine nachhaltige Verwendung der Geräte im Inland angenommen, die das ZA zur Ablehnung der weiteren abgabenfreien vorübergehenden Verwendung berechtigte. Denn der mit dem Zoll bezweckte Schutz der inländischen Herstellerindustrie wurde dadurch unterlaufen. Nach den Feststellungen des FG werden geeignete Geräte im Inland hergestellt. Die im DZT vorgesehenen Zollsätze, die zum Schutz dieser Industrie festgesetzt worden sind, würden ihren Sinn verlieren, wenn es möglich wäre, durch Anmietung und zollfreie Verwendung von entsprechenden ausländischen Geräten erhebliche Wettbewerbsvorteile gegenüber anderen Unternehmen zu erzielen, die inländische oder verzollte ausländische Geräte verwenden.
Fundstellen
Haufe-Index 514791 |
BFHE 1970, 568 |