Leitsatz (amtlich)
1. Rückstellungen für Pensionsanwartschaften sind auch nach Inkrafttreten des BetrAVG vom 19. Dezember 1974 (BGBl I 1974, 3610) gemäß § 104 BewG 1965 vorzunehmen.
2. Zur Abgrenzung der Funktion von Gesetzgebung und Rechtsprechung.
Normenkette
BewG 1965 § 104; GG Art. 20 Abs. 3
Verfahrensgang
Tatbestand
Streitig ist die Höhe der Rückstellungen für Pensionsanwartschaften von Arbeitnehmern der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) bei der Einheitsbewertung des Betriebsvermögens auf den 1. Januar 1975.
Die Klägerin, eine AG, hatte in ihrer Steuerbilanz zum 31. Dezember 1974 Rückstellungen für Pensionsanwartschaften in Höhe von X DM gebildet. Bei der Ermittlung des Einheitswerts des Betriebsvermögens der Klägerin auf den 1. Januar 1975 hat der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) gemäß § 104 Abs. 2 des Bewertungsgesetzes (BewG) 1965 Y DM zum Abzug zugelassen.
Die hiergegen erhobene Sprungklage, mit der begehrt wurde, den Einheitswert des Betriebsvermögens der Klägerin um Z DM niedriger festzustellen, blieb ohne Erfolg.
Zur Begründung der in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1980, 217 veröffentlichten Entscheidung führte das Finanzgericht (FG) im wesentlichen aus: Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 104 Abs. 2 BewG sei die Höchstgrenze der Pensionsanwartschaften durch Vervielfältigung der Jahresrente zu berechnen. Der Wortlaut lasse es nicht zu, andere als die dort genannten Vervielfältiger anzuwenden. Es sei auch nicht möglich, durch Auslegung des § 104 Abs. 2 BewG zu höheren Vervielfältigern oder einer anderen Rechenmethode zu kommen. In dem eindeutigen Wortlaut der Bestimmung sei der Wille des Gesetzgebers zum Ausdruck gekommen, gerade diese Methode und diese Vervielfältiger anzuwenden. Aber auch durch richterliche Rechtsfortbildung könne man zu keinem von § 104 Abs. 2 BewG abweichenden Ergebnis kommen. Eine solche Rechtsfortbildung komme nur in Betracht, wenn die gesetzliche Regelung ungerecht sei (Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 14. Februar 1973 1 BvR 112/65, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1973, 1221). Es sei kein Gebot der Gerechtigkeit, bedingte Schulden mit dem Wert anzusetzen, den sie hätten, wenn sie unbedingt wären. Dies hieße einen wesentlichen Gesichtspunkt außer acht zu lassen. Bedingungen zu berücksichtigen, entspreche dem das Bewertungsrecht beherrschenden statischen Prinzip (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 8. September 1961 III 125/61 U, BFHE 74, 42, BStBl III 1962, 19). Zwar sei durch § 104 Abs. 1 BewG dieses für die aufschiebende Bedingung in § 6 BewG niedergelegte Prinzip durchbrochen worden; das besage aber nicht, daß die Bedingtheit nicht dann berücksichtigt werden müsse, wenn die allein nach § 104 Abs. 1 BewG anzuerkennende Abzugsfähigkeit einer Pensionsanwartschaft der Höhe nach zu berechnen sei. Ein Verstoß gegen die Gerechtigkeit sei weder darin zu erblicken, daß § 104 BewG nicht die versicherungsmathematische Teilwertmethode des § 6 a des Einkommensteuergesetzes (EStG) vorschreibe, noch darin, daß der Gesetzgeber die Werte des § 104 Abs. 2 BewG zum 1. Januar 1975 nicht angehoben habe.
Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung materiellen Rechts. Sie bezieht sich zur Begründung ihres Rechtsmittels u. a. auf die Ausführungen von Klüting in Deutsche Steuer-Zeitung/Ausgabe A (DStZ/A) 1979, 139 ff. Danach begehre sie eine Auslegung des § 104 BewG gegen seinen Wortlaut, weil seit Erlaß dieser Bestimmung eine Änderung der Lebensverhältnisse - soziale Wirklichkeit - eingetreten sei. Diese Änderung beruhe auf dem Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung vom 19. Dezember 1974 - BetrAVG - (BGBl I 1974, 3610) und auf der geänderten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) zur Einschränkung und zum Widerruf der Versorgungszusagen aufgrund vorliegender wirtschaftlicher Schwierigkeiten eines Unternehmens. Nach der derzeitigen Rechtslage sei es nicht mehr zulässig, Abschläge wegen allgemeiner Vorbehalte oder wegen des eigenkapitalähnlichen Charakters von Pensionsrückstellungen oder der Verbesserung des Betriebsklimas vorzunehmen, wie es der BFH in seiner Rechtsprechung der Jahre 1957 und 1958 unter Berücksichtigung der damaligen arbeitsrechtlichen Rechtslage getan habe. Dies gebiete eine richterliche Rechtsfortbildung; denn in Form der Abschlagstheorie des BFH (vgl. insbesondere Urteil vom 24. Januar 1958 III 255/56 S. BFHE 66, 376, BStBl III 1958, 146) seien bestimmte Lebensverhältnisse geregelt worden. Diese Abschläge seien dem Grunde nach in die gesetzliche Regelung des § 104 BewG eingegangen, wenn auch ein gleitender Übergang zum versicherungsmathematischen Wert angestrebt worden sei.
Es sei zwar richtig, daß § 104 BewG lex specialis gegenüber § 6 BewG sei. Unzutreffend sei jedoch, wenn das FG § 104 BewG auf den Anspruchsgrund beschränke und bei Ermittlung der Höhe der Verpflichtung § 6 BewG anwende.
Die Vorinstanz übersehe insbesondere, daß sich die Anwartschaft durch die Unverfallbarkeit (§ 1 BetrAVG), das Auszehrungsverbot (§ 5 BetrAVG), die Einführung der flexiblen Altersgrenze auch für Pensionsansprüche (§ 6 BetrAVG) und die Insolvenzsicherung (§ 7 BetrAVG) verstärkt habe.
Im übrigen führe die Übernahme der ertragsteuerlichen Werte, die in den weitaus meisten Fällen ohnehin vorhanden seien, zu einer Arbeitsersparnis, da für die Vermögensaufstellung keine zusätzlichen Berechnungen erforderlich seien. Wenn in wenigen Einzelfällen der Wertansatz nach § 104 BewG über den Teilwert hinausgehe, so beruhe das darauf, daß die Faktoren des § 104 BewG zu grob seien, um eine einwandfreie Bewertung zu gewährleisten. Unerheblich für die Beurteilung des Rechtsstreits sei, daß der Gesetzgeber beabsichtige, § 104 BewG ab 1. Januar 1981 zu ändern und auch in diesem Bereich das Teilwertverfahren zuzulassen.
Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben, bei der Einheitsbewertung des Betriebsvermögens auf den 1. Januar 1975 die Pensionsanwartschaften entsprechend § 6 a Abs. 3 EStG mit dem Teilwert anzusetzen und das Betriebsvermögen um Z DM niedriger zu bewerten.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
1. Der Schuldabzug aufgrund einer Pensionsverpflichtung gegenüber einer Person, bei der der Versorgungsfall noch nicht eingetreten ist (Pensionsanwartschaft), wird für Feststellungszeitpunkte ab 1. Januar 1966 in § 104 BewG und für Feststellungszeitpunkte vor dem 1. Januar 1966 in dem gleichlautenden § 62 a BewG, der erstmals zum Stichtag 1. Januar 1962 galt, geregelt. Der Gesetzgeber sah sich zu dieser Regelung im wesentlichen durch zwei Entscheidungen des erkennenden Senats veranlaßt (Urteil vom 26. Juli 1957 III 161/54 S, BFHE 65, 206, BStBl III 1957, 314; Urteil in BFHE 66, 376, BStBl III 1958, 146), wonach das Gesetz der großen Zahl grundsätzlich bei der Einheitsbewertung des Betriebsvermögens die Bildung einer Rückstellung für Pensionsanwartschaften dem Grunde nach rechtfertige; als große Zahl sah er die Zahl 100 an. Er hielt diese durch die Rechtsprechung entstandene Rechtslage jedoch vor allem deswegen für unbefriedigend, weil kleinere und mittlere Unternehmen benachteiligt wurden (vgl. auch Urteil in BFHE 74, 42, BStBl III 1962, 19). Eine Lösung fand er in § 62 a BewG. Damit war es allen Unternehmen ohne Rücksicht auf die Betriebsgröße und den zahlenmäßigen Umfang der gegebenen Pensionszusagen möglich, einen entsprechenden Schuldposten für Pensionsanwartschaften geltend zu machen (BT-Drucks. zu III/2706 S. 8).
2. Die Höhe des Schuldabzugs wird gemäß § 104 Abs. 2 BewG in der Weise ermittelt, daß auf einen Jahreswert ein Vervielfältiger angewendet wird, der sich nach dem Lebensalter des Zusageempfängers im Feststellungszeitpunkt bestimmt. Der Senat hat in seiner bisherigen Rechtsprechung dargelegt, daß die Regelung des § 104 BewG von dem Gedanken einer möglichst einfachen Berechnung des Schuldabzugs infolge von Verpflichtungen aus Pensionsanwartschaften getragen ist (vgl. auch BT-Drucks. zu III/2706 S. 8). Er hat deshalb für die Bestimmung der Höhe des auf die Jahresrente anzuwendenden Vervielfältigers entsprechend dem Wortsinn des § 104 BewG ausschließlich auf die Versorgungszusage abgestellt und eine Prüfung abgelehnt, ob und inwieweit aufgrund einer Zusage unter Berücksichtigung versicherungsmathematischer Erwägungen eine Belastung in Höhe des sich so ergebenden Schuldbetrags besteht (vgl. Urteile vom 21. Juli 1972 III R 147/71, BFHE 106, 551, BStBl II 1972, 872; vom 18. Mai 1973 III R 73-75/72, BFHE 109, 373, BStBl II 1973, 676). Damit verbunden war - entgegen der Auffassung der Vorinstanz - durchaus die Erkenntnis des Senats, daß auch die Vervielfältiger des § 104 Abs. 2 und 3 BewG nach versicherungsmathematischen Grundsätzen ermittelt worden waren, ohne allerdings Anspruch darauf zu erheben, versicherungsmathematisch "richtig" zu sein (vgl. BFHE 109, 373, BStBl II 1973, 676, und Heubeck, Betriebs-Berater - BB - 1961, 709, 710, und Troll, DStZ/A 1962, 65, 67). Der Senat folgt der Vorentscheidung auch nicht darin, wenn sie meint, im Geltungsbereich des § 104 BewG sei bei der Ermittlung der Höhe der Verpflichtung § 6 BewG anzuwenden.
3. Er ist jedoch der Auffassung, daß der Gesetzgeber mit § 104 BewG den Normzweck erreicht hat. Dies gilt auch für den streitigen Stichtag, so daß eine Auslegung dieser Vorschrift gegen ihren Wortlaut, wie die Klägerin es begehrt, hier unzulässig ist. Ist eine Gesetzesbestimmung wie § 104 BewG in Wortlaut und Sinn eindeutig, so darf ihr im Wege der Auslegung nicht ein entgegengesetzter Sinn verliehen, der normative Gehalt der auszulegenden Norm nicht grundlegend neu bestimmt, das gesetzgeberische Ziel nicht in einem wesentlichen Punkt verfehlt werden (vgl. BVerfG-Beschluß vom 11. Juni 1980 1 PBvU 1/79, BVerfGE 54, 277, 299). Entgegen seinem klaren Wortlaut kann nach der Rechtsprechung des BFH ein Gesetz nur in Ausnahmefällen ausgelegt werden. Bereits in dem Urteil vom 30. April 1952 IV 10/52 U (BFHE 56, 420, BStBl III 1952, 164) ist gefordert, daß die wörtliche Auslegung zu einem jeder wirtschaftlichen Vernunft widersprechenden Ergebnis führen würde. Im BFH-Urteil vom 6. Dezember 1961 VI 319/60 U (BFHE 74, 328, BStBl III 1962, 126) wurde verlangt, daß "zuverlässige Anhaltspunkte" dafür vorliegen müssen, daß der Gesetzeswortlaut den wirklichen Willen des Gesetzgebers nicht zum Ausdruck bringt, und es wurde hinzugefügt, das sei besonders der Fall, wenn die Auslegung nach dem Wortlaut zu einem offenbar unrichtigen Ergebnis führen würde. Nach dem Urteil vom 21. Februar 1964 IV 26/62 S (BFHE 78, 490, BStBl III 1964, 188) ist ein Abweichen vom Wortlaut geboten, wenn die Auslegung nach dem Wortlaut offensichtlich dem Willen des Gesetzgebers widerspricht, erkennbar zu einem sinnwidrigen Ergebnis führt und allgemein anerkannte Auslegungsgrundsätze eine befriedigende Lösung ermöglichen (vgl. auch BFH-Urteil vom 1. August 1974 IV R 120/70, BFHE 113, 357, BStBl II 1975, 12). Folgt man - wie der erkennende Senat - diesen Kriterien, so ist im Streitfall eine Auslegung gegen den Wortlaut nicht gerechtfertigt; denn der Gesetzgeber verwirklichte in diesem Bereich das auch das Bewertungsrecht beherrschende Prinzip der Einzelbewertung (vgl. jetzt § 98 a BewG). Er nahm mit vertretbaren Grenzwerten Rücksicht auf spezifisch vermögensteuerliche Gesichtspunkte einer statischen Betrachtung, ohne Vernachlässigung des Teilwertbegriffs (vgl. Heubeck, BB 1961, 710, 711), die andere Lösungen vorgeben kann, als sie eine richtige Erfassung und Abgrenzung des Periodengewinns erfordert (vgl. BT-Drucks. 7/1281 S. 39). Er ermöglichte insbesondere, daß Unterscheidungen nach Vorbehalten bei Zusagen, nach Fluktuation und danach, ob Rückstellungen für Pensionsanwartschaften in der Handelsbilanz vorgenommen wurden oder nicht, unterbleiben konnten.
4. Auch das BetrAVG, in dem der bis zum Inkrafttreten des Gesetzes gültige § 6 a EStG 1974 i. d. F. vom 15. August 1974 (BGBl I 1974, 1993, BStBl I 1974, 578) neu gefaßt wurde, zwingt zu keiner anderen Auffassung. Der wesentlichste Unterschied zu der abgelösten Vorschrift besteht in dem Verfahren, mit dem die Pensionsverpflichtung im Anwartschaftsstadium zu bewerten ist (Höfer, Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung, Kommentar, S. 624). Während bisher das Gegenwartsverfahren anzuwenden war (§ 6 a EStG i. V. m. § 9 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung - EStDV -), gilt nunmehr das Teilwertprinzip. Damit soll insbesondere eine periodengerechte Verteilung des Versorgungsaufwands erreicht werden (vgl. Höfer, a. a. O., S. 624; BT-Drucks. 7/1281 S. 37 ff.).
Aus der Begründung zum Entwurf dieses Gesetzes wird ersichtlich, daß im Gesetzgebungsverfahren die spezifisch bewertungsrechtliche Problematik einer etwaigen Änderung auch des § 104 BewG in die Überlegungen einbezogen wurden. Es wird dort ausgeführt: "§ 6 a EStG regelt nur die ertragsteuerliche Berücksichtigung der Pensionsverpflichtungen. Ob und welche Anpassungen bei den bewertungsrechtlichen Vorschriften über den Abzug von Pensionsverpflichtungen (§ 104 BewG) notwendig sind, soll im Laufe des weiteren Gesetzgebungsverfahrens, ggf. auch im Zusammenhang mit den Beratungen der im Entwurf eines Zweiten Steuerreformgesetzes vorgesehenen Änderungen des BewG geprüft werden" (BT-Drucks. 7/1281 S. 40).
Eine Änderung der Faktoren des § 104 BewG unterblieb jedoch bis zum Inkrafttreten des Steuerentlastungsgesetzes 1981 - StEntlG 1981 - (BGBl I 1980, 1381, BStBl I 1980, 534), das mit Wirkung vom 1. Januar 1981 erstmals zuläßt, Pensionsverpflichtungen von Steuerpflichtigen, die ihren Gewinn nach § 4 Abs. 1 oder § 5 EStG ermitteln, höchstens mit dem Teilwert nach § 6 a Abs. 3 EStG anzusetzen (Art. 2 Nrn. 1 und 2 StEntlG 1981, §§ 104 Abs. 3, 124 BewG). Zugleich sieht dieses Gesetz in § 104 Abs. 4 BewG davon ab, generell die Bewertung mit dem Teilwert anzuordnen, da sonst Steuerpflichtige, die nicht unter § 104 Abs. 3 BewG fallen, gezwungen würden, allein für Zwecke der Vermögensteuer versicherungsmathematische Gutachten erstellen zu lassen (vgl. Nolte in Betriebliche Altersversorgung im Umbruch, S. 284; BT-Drucks. 8/3701 zu Art. 6).
Der Gesetzgeber machte damit auch bei der Neufassung des § 104 BewG von einer ihm in § 109 Abs. 1 BewG zur Verfügung stehenden Regelungsmöglichkeit Gebrauch. Nach dieser Bestimmung sind die zu einem gewerblichen Betrieb gehörenden Wirtschaftsgüter in der Regel mit dem Teilwert anzusetzen. Dem Normgeber blieb es demgemäß im Bereich des § 104 BewG unbenommen, für welchen Bewertungsmaßstab er sich entschied, zumal das statische Prinzip es sachgerecht erscheinen läßt, Bewertungsgrundlagen für die Substanzbewertung anders auszugestalten, als dies für die ertragsteuerliche Periodenabgrenzung erforderlich ist. Eine Sinnwidrigkeit vermag der Senat hierin nicht zu erkennen.
5. Er sieht sich aus diesen und den weiteren Überlegungen auch zu einer gesetzesändernden Rechtsfortbildung - wegen des Zuwartens des Gesetzgebers, eine Neuregelung der Bewertung von Pensionsverpflichtungen gemäß § 104 BewG erst zu einem Zeitpunkt nach dem 1. Januar 1975 vorzunehmen - nicht berechtigt. Zwar steht die Rechtsprechung in dem Spannungsverhältnis zwischen "Gesetz und Recht", wie es in Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG) normiert ist. Damit ist sie grundsätzlich "legitimiert, das geschriebene Recht weiterzubilden und hierbei die in der Gemeinschaft herrschenden Gerechtigkeitsvorstellungen ... zum Maßstab zu nehmen" (Maunz/Zippelius, Deutsches Staatsrecht, 25. Aufl., § 12 III, 4). Nach der Rechtsprechung des BVerfG ist jedoch vom Vorrang des Gesetzes auszugehen (vgl. Beschluß vom 28. Oktober 1975 2 BvR 883/73 und 379, 497, 526/74, BVerfGE 40, 237, 249) und das Spannungsverhältnis zwischen Gesetz und Recht nach der inzwischen klassisch gewordenen Formulierung zu lösen (vgl. Herzog in Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 20 S. 229): "Der Konflikt zwischen der Gerechtigkeit und der Rechtssicherheit dürfte dahin zu lösen sein, daß das positive, durch Satzung und Macht gesicherte Recht auch dann den Vorrang hat, wenn es inhaltlich ungerecht und unzweckmäßig ist, es sei denn, daß der Widerspruch des positiven Gesetzes zur Gerechtigkeit ein so unerträgliches Maß erreicht, daß das Gesetz als unrichtiges Recht der Gerechtigkeit zu weichen hat" (Radbruch, Rechtsphilosophie, 4. Aufl., 1950 S. 347 f., 353; BVerfG-Urteil vom 18. Dezember 1953 1 BvL 106/53, BVerf-GE 3, 225, 233).
Der erkennende Senat vermag einen solchen Widerspruch nach den Erwägungen, die er oben angestellt hat, nicht zu erkennen. Der Klägerin ist es nach der speziellen Regelung des § 104 BewG möglich, den Rückstellungsbetrag für Pensionsanwartschaften auf den streitigen Stichtag zu ermitteln. Der Senat räumt ein, daß eine nach versicherungsmathematischer Methode bewertete Pensionsrückstellung, wie sie § 6 a EStG n. F. für Ertragsteuern vorsieht, den durch das BetrAVG rechtlichen und tatsächlichen wirtschaftlichen Gegebenheiten zum Stichtag 1. Januar 1975 eher Rechnung trägt, als eine solche, deren Höhe unter Anwendung der Vorschriften des BewG zu ermitteln ist. Hat aber die politisch verantwortliche Gesetzgebung eine - wie der Senat meint - vertretbare gesetzliche Regelung getroffen und in Kenntnis der rechtlichen Auswirkungen beibehalten, so können die politisch nicht verantwortlichen Gerichte nicht auf dem Weg über Auslegung oder "schöpferische Rechtsfindung" (vgl. BVerfG-Beschluß vom 14. Februar 1973 1 BvR 112/65, BVerfGE 34, 269, 287) ihre Vorstellungen von Gerechtigkeit oder Zweckmäßigkeit der Gesetzgebung aufzwingen (BFH-Urteil vom 28. August 1959 VI 111/58 U, BFHE 69, 507, BStBl III 1959, 449).
Der Senat braucht daher auf die weiteren Ausführungen der Klägerin, wonach insbesondere auch § 1 BetrAVG - Unverfallbarkeit -, § 5 BetrAVG - Auszehrungsverbot -, § 6 BetrAVG - flexible Altersgrenze -, § 7 BetrAVG - Insolvenzsicherung - eine Anpassung der gesetzlichen Bestimmungen für das Bewertungsrecht zum 1. Januar 1975 erfordere, nicht einzugehen, da dieses Vorbringen nicht mehr entscheidungserheblich ist.
6. Die Rechtsanwendung durch das FG verstößt damit - wenn auch aus anderen Erwägungen - nicht gegen den Sinn und Zweck des § 104 BewG.
Fundstellen
Haufe-Index 74847 |
BStBl II 1984, 91 |
BFHE 1984, 416 |