Entscheidungsstichwort (Thema)
Rückwirkende Einführung des Feststellungsverfahrens nach § 23 Abs. 3 Satz 9 EStG; zur Anwendbarkeit des § 52 Abs. 39 Satz 7 EStG
Leitsatz (NV)
Das FG darf über nicht ausgleichbare Verluste aus den Einkünften i.S. des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG nicht erst in demjenigen Veranlagungszeitraum entscheiden, in dem der Steuerpflichtige positive Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften erzielt, wenn nach § 52 Abs. 39 Satz 7 EStG i.d.F. des JStG 2007 § 23 Abs. 3 Satz 9 2. Halbsatz EStG anzuwenden und ein Feststellungsverfahren über den verbleibenden Verlustvortrag nach § 10d Abs. 4 EStG durchzuführen ist, weil am 1. Januar 2007 die Feststellungsfrist noch nicht abgelaufen ist.
Normenkette
AO § 155 Abs. 2, § 170 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, § 171 Abs. 3a, § 181 Abs. 1 Sätze 1-2, § 182 Abs. 1; FGO § 74; EStG § 23 Abs. 3 S. 9, § 10d Abs. 4, § 52 Abs. 39 S. 7
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) erzielten im Streitjahr (2003) Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften in Höhe von 28 118 €. Sie hatten im Veranlagungszeitraum 2002 --wie im Klageverfahren zwischen den Beteiligten unstreitig geworden ist-- Verluste aus privaten Veräußerungsgeschäften von 8 469 € erlitten und im Veranlagungszeitraum 2001 keine Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften erzielt.
Im bestandskräftigen Einkommensteuerbescheid für 2002 sind keine Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften berücksichtigt. Die Kläger beantragten am 1. Oktober 2004 die gesonderte Feststellung eines verbleibenden Verlustvortrags auf den 31. Dezember 2002. Diesen Antrag lehnte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) wegen der Bestandskraft des Einkommensteuerbescheides 2002 (Verlustentstehungsjahr) ab. Die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage ist noch beim Finanzgericht (FG) anhängig.
Für das Streitjahr (2003) begehrten die Kläger, einen Verlustvortrag aus 2002 zu berücksichtigen. Das lehnte das FA auch im Einspruchsverfahren mangels einer entsprechenden Feststellung ab. Die Klage hatte Erfolg. Das FG verneinte aufgrund des Urteils des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 22. September 2005 IX R 21/04 (BFHE 212, 41, BStBl II 2007, 158) die Notwendigkeit einer gesonderten Feststellung und nahm deshalb die Verlustverrechnung selbst vor.
Hiergegen richtet sich die Revision des FA, die es auf die Verletzung von § 23 Abs. 3 Satz 9 des Einkommensteuergesetzes (EStG) stützt.
Das FA beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben.
Die Kläger beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen, § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Das FG hat § 23 Abs. 3 Satz 9, 2. Halbsatz EStG verletzt, indem es ein Feststellungsverfahren nicht für notwendig hielt.
1. Das FG darf über (im Jahr 2002) nicht ausgleichbare Verluste aus den Einkünften i.S. des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG nicht erst in demjenigen Veranlagungszeitraum entscheiden, in dem der Steuerpflichtige positive Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften erzielt (hier also das Streitjahr; vgl. dazu BFH-Urteil in BFHE 212, 41, BStBl II 2007, 158). Denn nach § 52 Abs. 39 Satz 7 EStG i.d.F. des Jahressteuergesetzes 2007 (JStG 2007) vom 13. Dezember 2006 (BGBl I, 2878) ist § 23 Abs. 3 Satz 9, 2. Halbsatz EStG i.d.F. des JStG 2007 auch in den Fällen anzuwenden, in denen am 1. Januar 2007 die Feststellungsfrist noch nicht abgelaufen ist (so BFH-Urteil vom 22. April 2008 IX R 29/06, BFHE 221, 97, BFH/NV 2008, 1244, unter II. 2.).
Danach gelten die Vorschriften über das Verlustfeststellungsverfahren (§ 10d Abs. 4 EStG) auch im Streitfall. Die Feststellungsfrist war am 1. Januar 2007 noch nicht abgelaufen, weil zu diesem Zeitpunkt über den Rechtsbehelf gegen die am 1. Oktober 2004 fristgerecht (§ 181 Abs. 1 Sätze 1 und 2, § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung --AO--) beantragte, indes abgelehnte Feststellung noch nicht unanfechtbar entschieden worden ist (vgl. § 171 Abs. 3a i.V.m. § 181 Abs. 1 AO).
2. Rechtsgrundlage der Verlustverrechnung des Streitjahres ist auch nicht § 155 Abs. 2 AO. Danach kann ein Steuerbescheid erteilt werden, auch wenn ein Grundlagenbescheid (hier die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags, § 10d Abs. 4 EStG) noch nicht erlassen wurde. Indes wurde im Streitfall ein solcher Grundlagenbescheid bereits erlassen, indem das FA den Antrag auf gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags vom 1. Oktober 2004 abgelehnt hat. Dabei hat es die Legitimation für ein solches Feststellungsverfahren nicht schlechthin in Abrede gestellt, sondern lediglich die Voraussetzungen für eine erstmalige Feststellung nach § 10d Abs. 4 Satz 4 EStG verneint (vgl. dazu aber das BFH-Urteil vom 17. September 2008 IX R 70/06, zur amtlichen Veröffentlichung vorgesehen).
3. Nach diesen Maßstäben ist das --die Rechtsgrundlage für ein gesondertes Feststellungsverfahren verneinende-- Urteil der Vorinstanz aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG hat von seinem Rechtsstandpunkt folgerichtig noch nicht darüber entschieden, ob es nach § 74 FGO anordnet, die Verhandlung bis zur Erledigung des nach § 182 Abs. 1 AO vorgreiflichen Rechtsstreits über den Antrag auf gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags auszusetzen. Dies wird es nachzuholen haben.
Fundstellen
Haufe-Index 2114409 |
BFH/NV 2009, 584 |