Entscheidungsstichwort (Thema)
Abschluss der Investition: Zeitpunkt der Anschaffung
Leitsatz (NV)
1. Aus dem Einkommensteuerrecht übernommene Begriffe sind auch im Investitionszulagenrecht grundsätzlich nach den für die Einkommensbesteuerung maßgebenden Grundsätzen auszulegen, soweit sich nicht aus dem InvZulG, seinem Zweck oder seiner Entstehungsgeschichte etwas anderes entnehmen lässt.
2. Zeitpunkt der Anschaffung ist ertragsteuerrechtlich der Zeitpunkt der Lieferung. Geliefert ist das Wirtschaftsgut, wenn der Erwerber nach dem Willen der Vertragsparteien darüber wirtschaftlich verfügen kann.
3. Schafft der Investor ein Wirtschaftsgut aufgrund eines Werklieferungsvertrages an, kann er wirtschaftlich ab dem Zeitpunkt über das Wirtschaftsgut verfügen, zu dem nach den vertraglichen Vereinbarungen die Gefahr des zufälligen Untergangs des Wirtschaftsgutes auf ihn übergeht.
Normenkette
BGB § 651; EStDV § 9a; InvZulG 1996 § 3 S. 4
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine Gesellschaft in der Rechtsform einer GmbH & Co. KG, deren Zweck der Besitz, die Verwaltung, die Instandhaltung und die Verpachtung von Kraftwerken sowie die Erzeugung von Strom und Fernwärme ist.
Die Rechtsvorgängerin der Klägerin verhandelte im Jahr 1991 mit der Firma X über den Erwerb einer Dampfturbinenanlage für das Kraftwerk in … Die Firma X gab ein "Angebot auf Abschluss eines Werk- bzw. Werklieferungsvertrages über die Erstellung einer betriebsfertigen Anlage" ab. In einem gemeinsamen Protokoll der Rechtsvorgängerin und der Firma X vom 18. Dezember 1991 wurden als wichtige Eckdaten u.a. der Montagebeginn für den 14. September 1993, das Ende der Inbetriebnahme für den 14. November 1994 und das Ende des Probebetriebs bzw. die vorläufige Übernahme für den 14. Dezember 1994 festgelegt.
In diesem Protokoll ist unter Punkt 10. "Montage" unter anderem geregelt, dass der Anbieter (die Firma X) einen Montagezeitplan zu erstellen und für die Dauer der auf der Baustelle auszuführenden Arbeiten einen verantwortlichen Bauleiter zu bestellen hat (10.1.). Der Anbieter hat sämtliche für die Montage notwendigen Mittel zu stellen mit Ausnahme von Strom, Wasser und Dampf (10.2.). Er hat die Baustelle einzurichten (10.7.). Außerdem hat er alle zur Sicherung der Baustelle nach den gesetzlichen, polizeilichen und Unfallverhütungsvorschriften erforderlichen Maßnahmen in eigener Verantwortung bis zur vorläufigen Übernahme durch die Erwerberin durchzuführen (13.1.) und die erforderlichen Schutzeinrichtungen anzubringen (13.2.). Nach Abschluss der Montagearbeiten unterziehen Anbieter und Erwerber die erbrachten Leistungen einer Montageendkontrolle, deren Ergebnis zu protokollieren ist.
Nach Punkt 11. "Inbetriebnahme, Probebetrieb, Übernahme" wird die Dampfturbinenanlage nach Abschluss der Montagearbeiten zum Nachweis der Funktionsfähigkeit in Betrieb genommen und vier Wochen zur Probe betrieben, um die Betriebstüchtigkeit nachzuweisen. Inbetriebnahme und Probebetrieb werden unter der verantwortlichen Leitung und Gefahr des Anbieters, unter Einschaltung des vereinbarten Betriebspersonals der Erwerberin und mit deren Betriebsmitteln durchgeführt (11.1.). Der Anbieter hat das Betriebspersonal der Erwerberin während der Inbetriebnahme und des Probebetriebs einzuweisen und mit der Bedienung der Anlage vertraut zu machen.
Über den erfolgreichen Abschluss des Probebetriebs fertigen die Vertragspartner ein gemeinsames von ihnen zu unterzeichnendes Protokoll. Mit Unterzeichnung des Protokolls durch beide Vertragspartner hat die Erwerberin die Anlage vorläufig übernommen (vorläufige Übernahme). Zum Zeitpunkt der vorläufigen Übernahme geht die Gefahr für die Anlage auf die Erwerberin über; sie wird verantwortliche Betreiberin der Anlage (11.3.).
Mit dem Tag der vorläufigen Übernahme beginnt die Gewährleistungsfrist, die 8 000 Betriebsstunden und längstens zwei Jahre beträgt (12.2.). Nach Ablauf der Gewährleistungszeit gilt die Anlage als endgültig übernommen.
Im Januar 1992 erteilte die Rechtsvorgängerin der Klägerin der Firma X den Auftrag für die Dampfturbinenanlage.
Die Firma X begann vereinbarungsgemäß im September 1993 mit der Montage der Anlage. Nach Abschluss der Montagearbeiten im September 1994 wurde mit der Funktionsprüfung der Anlage begonnen. Nach dem ersten Dampfstoß wurde die Anlage an mehreren Tagen über mehrere Stunden bis auf die Nenndrehzahl fehlerfrei hochgefahren.
Zur Prüfung der einwandfreien Funktion war es erforderlich, die Anlage mehrfach herunter zu fahren. Dabei fuhr der im Gehäuse befindliche Läufer mehrmals fest. Ferner traten aus den Stopfbuchsenbereichen stammende Geräusche auf, welche auf Anstreifvorgänge schließen ließen.
Da die Firma X gleichwohl keine Notwendigkeit sah, die Inbetriebsetzung zu unterbrechen, ließ die Klägerin auf eigene Kosten die Turbine aufdecken. Es stellte sich heraus, dass die Anlage beim Betrieb unter Volllast zwar fehlerlos gelaufen wäre. Jedoch kühlte das Gehäuse beim Herunterfahren nicht gleichmäßig ab und verzog sich in der Abkühlungsphase um Millimeter. Durch die häufigen Abkühlphasen während der Testphase war der Läufer derart beschädigt, dass eine Demontage und Reparatur im Unternehmen Firma X erforderlich war.
Am 25. Januar 1995 wurde die Anlage erneut montiert, synchronisiert und am 7. Februar 1995 erstmals an das Stromnetz angeschlossen. Erneute Unregelmäßigkeiten beim Betrieb führten zu weiteren Reparaturmaßnahmen, so dass die Dampfturbinenanlage von der Klägerin erst durch "Protokoll zur Übergabe" der Dampfturbinenanlage vom 2. Juni 1995 vorläufig übernommen wurde.
Die Klägerin beantragte u.a. für die Anschaffung der Dampfturbinenanlage für die Kalenderjahre 1993 bis 1995 eine Investitionszulage. Sie hatte für die Dampfturbinenanlage im Jahr 1993 … DM, im Folgejahr … DM und im Jahr 1995 … DM bezahlt. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) setzte die Investitionszulage für die Kalenderjahre 1993 bis 1995 ohne Berücksichtigung der auf die Anschaffung der Anlage entfallenden Aufwendungen fest, weil die Klägerin die Anlage nicht vor dem 1. Januar 1995 angeschafft habe. Die Einsprüche der Klägerin blieben insoweit ohne Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage, soweit sie die Investitionszulage für die Dampfturbinenanlage betraf, ab. Es führte im Wesentlichen aus, ein Wirtschaftsgut sei investitionszulagenrechtlich erst dann angeschafft, wenn der Erwerber wirtschaftlich darüber verfügen könne und das Wirtschaftsgut objektiv betriebsbereit sei. Vor dem 1. Januar 1995 sei die Anlage aber zumindest nicht betriebsbereit gewesen. Bei den erforderlichen Arbeiten zur Herstellung der Betriebsbereitschaft habe es sich nicht nur um unwesentliche Maßnahmen gehandelt, die innerhalb kurzer Zeit hätten vorgenommen werden können. Unerheblich sei, dass die Klägerin in der Annahme, die Anlage werde Ende 1994 an das Stromnetz angeschlossen, Energielieferungsverträge abgeschlossen und Personal bereitgestellt habe. Ebenso wenig komme es darauf an, ob die Klägerin die Verspätung zu vertreten habe.
Mit ihrer Revision trägt die Klägerin im Wesentlichen vor, sie habe die wirtschaftliche Verfügungsgewalt über die Dampfturbinenanlage bereits nach Abschluss der Montagearbeiten im Jahr 1994 erlangt, da sie ab diesem Zeitpunkt die Verantwortung für das Bedienpersonal gehabt, die Personal- und sonstigen Kosten der Inbetriebnahme getragen und auch das Recht zur Nutzungsziehung gehabt habe. Denn sie habe die während der Funktionstests abgegebene Prozesswärme zur Trocknung der für die Herstellung von Briketts und Braunkohlenstaub eingesetzten Kohle verwendet. Die Firma X sei nach Abschluss der Montagearbeiten von der Einwirkung auf die Dampfturbinenanlage ausgeschlossen gewesen. Die Inbetriebnahme und der Probebetrieb hätten nur dem Nachweis der vertraglich zugesicherten Eigenschaften und der Einweisung des Bedienpersonals gedient. Die zivilrechtliche Abnahme habe lediglich Gewährleistungscharakter. Die Dampfturbinenanlage sei auch betriebsbereit gewesen, da die Anlage problemlos habe hochgefahren werden können, so dass eine Leistungsabgabe an das Stromnetz möglich gewesen wäre.
Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung und die Einspruchsentscheidung vom 15. März 2000 aufzuheben und unter Änderung der Investitionszulagenbescheide für 1993 und 1995 vom 10. September 1998 sowie des Investitionszulagenbescheids für 1994 vom 2. September 2003 die Investitionszulage für 1993 auf … DM, für 1994 auf … DM und für 1995 auf … DM festzusetzen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet und nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen.
Das FG hat im Ergebnis zu Recht keine Investitionszulage für die Dampfturbinenanlage gewährt.
1. Nach § 3 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § 11 Abs. 1 des Investitionszulagengesetzes (InvZulG) 1996 sind Investitionen begünstigt, wenn sie der Anspruchsberechtigte vor dem 1. Januar 1993 begonnen sowie nach dem 30. Juni 1992 und vor dem 1. Januar 1995 abgeschlossen hat. Investitionen sind in dem Zeitpunkt abgeschlossen, in dem die Wirtschaftsgüter angeschafft oder hergestellt werden (§ 3 Satz 4 InvZulG 1996).
Aus dem Einkommensteuerrecht übernommene Begriffe sind auch im Investitionszulagenrecht grundsätzlich nach den für die Einkommensbesteuerung maßgebenden Grundsätzen auszulegen, soweit sich nicht aus dem InvZulG, seinem Zweck und seiner Entstehungsgeschichte etwas anderes entnehmen lässt (ständige Rechtsprechung, Senatsurteil vom 26. Januar 2006 III R 5/04, BFHE 212, 381, BStBl II 2006, 771, m.w.N.).
Unter Anschaffung ist im Ertragsteuerrecht der Erwerb eines bereits bestehenden Wirtschaftsguts zu verstehen, unter Herstellung das Schaffen oder Schaffen lassen eines noch nicht existierenden Wirtschaftsguts auf eigene Rechnung und Gefahr (z.B. Senatsurteile vom 2. September 1988 III R 53/84, BFHE 154, 413, BStBl II 1988, 1009, und vom 5. September 2002 III R 37/01, BFHE 200, 168, BStBl II 2003, 772, unter II. 2. e aa, jeweils m.w.N.; Schmidt/Glanegger, EStG, 25. Aufl., § 6 Rz. 76 f.).
Da die Dampfturbine nicht auf Rechnung und Gefahr der Klägerin hergestellt worden ist, sondern die Firma X die Teile der Dampfturbine produziert, in eigener Verantwortung auf dem Gelände der Klägerin montiert und dort die Funktionsfähigkeit und Betriebstüchtigkeit der Anlage getestet hat, liegt ertragsteuerrechtlich eine Anschaffung aufgrund eines Werklieferungsvertrags (§ 651 des Bürgerlichen Gesetzbuchs --BGB--) vor.
Zeitpunkt der Anschaffung ist ertragsteuerrechtlich der Zeitpunkt der Lieferung (§ 9a der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung). Geliefert ist das Wirtschaftsgut, wenn der Erwerber nach dem Willen der Vertragsparteien darüber wirtschaftlich verfügen kann. Das ist bei der Übertragung eines Grundstücks in der Regel ab dem Zeitpunkt der Fall, ab dem nach den vertraglichen Vereinbarungen Eigenbesitz, Gefahr, Nutzen und Lasten auf den Erwerber übergehen (z.B. Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 7. November 1991 IV R 43/90, BFHE 166, 329, BStBl II 1992, 398, und vom 4. Juni 2003 X R 49/01, BFHE 202, 320, BStBl II 2003, 751, jeweils m.w.N.).
Wird --wie im Streitfall-- ein Wirtschaftsgut aufgrund eines Werklieferungsvertrags angeschafft, kommt es für die Entscheidung, wann der Erwerber die Verfügungsmacht darüber erlangt, ebenfalls auf die vertraglichen Vereinbarungen an. Nur soweit vertragliche Vereinbarungen fehlen, ist auf die (abdingbaren) zivilrechtlichen Regelungen insbesondere über die Gefahrtragung abzustellen (vgl. für vor dem 1. Januar 2002 abgeschlossene Werklieferungsverträge über eine nicht vertretbare Sache § 651 Abs. 1 Satz 2 BGB in der bis zu diesem Tag geltenden Fassung i.V.m. Art. 229 § 5 Satz 1 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch; danach trägt der Unternehmer die Gefahr bis zur Abnahme des Werkes).
Neben dem Übergang der wirtschaftlichen Verfügungsmacht auf den Erwerber setzt der Begriff der Anschaffung im Investitionszulagenrecht nach bisheriger Rechtsprechung zusätzlich die Betriebsbereitschaft des Wirtschaftsguts voraus (z.B. Senatsurteile in BFHE 154, 413, BStBl II 1988, 1009, und vom 25. September 1996 III R 112/95, BFHE 182, 226, BStBl II 1998, 70, m.w.N.).
2. Nach den vertraglichen Vereinbarungen hat die Klägerin erst im Juni 1995 mit der vorläufigen Übernahme der Dampfturbinenanlage die Verfügungsmacht darüber erlangt, so dass die Investition nicht vor dem 1. Januar 1995 abgeschlossen war. Da die Verfügungsmacht erst nach dem Stichtag übergegangen ist und der Übergang der Verfügungsmacht nach den vertraglichen Vereinbarungen von der Betriebsbereitschaft der Anlage abhing, kann der Senat im Streitfall offen lassen, ob er an seiner Rechtsprechung festhält, dass die Anschaffung im Investitionszulagenrecht --abweichend von den für die Einkommensbesteuerung maßgebenden Grundsätzen-- zusätzlich zum Übergang der Verfügungsmacht die Betriebsbereitschaft des Wirtschaftsguts erfordert.
Der für die Erlangung der wirtschaftlichen Verfügungsmacht erforderliche Gefahrübergang hat erst mit der vorläufigen Übernahme der Dampfturbinenanlage durch die Klägerin am 2. Juni 1995 stattgefunden.
Die Gefahr des zufälligen Untergangs ist nach dem Willen der Beteiligten nicht bereits mit Abschluss der Montagearbeiten und der Unterzeichnung des Protokolls über die Montageendkontrolle übergegangen --wie die Klägerin meint--, sondern erst mit der vorläufigen Übernahme nach erfolgreichem Abschluss des Probebetriebs. Nach Punkt 11.3. des Protokolls vom 18. Dezember 1991 ist die Anlage mit Unterzeichnung des Protokolls über den erfolgreichen Abschluss des Probebetriebs durch beide Vertragspartner vorläufig übernommen. Erst zum Zeitpunkt der vorläufigen Übernahme ist nach der ausdrücklichen Vereinbarung die Gefahr für die Anlage auf die Klägerin übergegangen. Die Firma X trug daher bis zum erfolgreichen Abschluss des Probebetriebs, welcher durch ein gemeinsames Protokoll zu dokumentieren war, die Vergütungsgefahr bzw. die Gefahr des zufälligen Untergangs. Entgegen der Auffassung der Klägerin hat die Abnahme bzw. vorläufige Übernahme somit nicht nur Bedeutung für den Beginn der Gewährleistungsfrist.
Der Probebetrieb ist zwar mit den Betriebsmitteln der Klägerin und mit ihrem Betriebspersonal durchgeführt worden. Auch ist die dabei anfallende Prozesswärme für den Betrieb zur Briketttrocknung verwendet worden. Hieraus ist aber nicht zu schließen, dass die wirtschaftliche Verfügungsmacht über die Anlage bereits zu diesem Zeitpunkt von der Firma X auf die Klägerin übergegangen ist. Denn die Klägerin hat die Dampfturbinenanlage nicht in eigener Verantwortung betrieben. Sie hat nicht als Eigenbesitzerin Nutzen und Lasten der Anlage getragen. Nach den Vereinbarungen der Beteiligten wurden die Inbetriebnahme und der Probebetrieb der Anlage vielmehr unter der verantwortlichen Leitung und auf Gefahr der Firma X durchgeführt. Die Firma X hatte bis zur vorläufigen Übernahme für die Sicherung der Baustelle zu sorgen. Nach ausdrücklicher Regelung unter Punkt 11.3. des Protokolls wurde die Klägerin erst mit der vorläufigen Übernahme verantwortliche Betreiberin der Dampfturbinenanlage.
Fundstellen
Haufe-Index 1707903 |
BFH/NV 2007, 975 |
HFR 2007, 678 |