Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht/Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Die Berichtigungsveranlagung nach § 222 Abs. 1 Ziff. 3 AO - wie auch diejenige nach Ziff. 4 a. a. O. - setzt voraus, daß die Aufsichtsbehörde vorher einen Fehler aufgedeckt hat. Die Aufdeckung kann im anschließenden Rechtsmittelverfahren nicht nachgeholt werden.
Normenkette
AO § 222 Abs. 1 Nr. 3
Tatbestand
Auf dem dem Bg. gehörigen Grundstück ist zugunsten der Verkäuferin eine Festkaufgeldhypothek von 50.000 RM eingetragen worden. Die Verkäuferin hat diese Post nebst den Zinsen für die Zeit ab 1. April 1941 abgetreten. Dies ist am 12. September 1941 im Grundbuch eingetragen worden. Durch Erbfolge ist die Hypothek dann auf den Sohn des Zessionars übergegangen; sie hat am Währungsstichtage mit 50.000 RM valutiert. Am 28. Dezember 1954 ist die Hypothek gelöscht worden.
Der Bg. hat dieselbe in seiner Hypothekengewinnabgabeerklärung vom 8. Juli 1953 als "Restkaufgeldhypothek" und das Grundstück als am 24. September 1940 erworben angegeben. In der Spalte "Umstellung der Schuld am 24. Juni 1948" hat er das Umstellungsverhältnis 10 : 1 genannt. Ferner ist als Gläubiger der Sohn des Zessionars aufgeführt.
Das Finanzamt hat unter dem 28. September 1954 einen Freistellungsbescheid erteilt. Am 11. September 1956 meldete sich beim Finanzamt ein Notar mit dem Ersuchen, festzustellen, ob der Freistellungsbescheid zu Recht bestehe. Nunmehr wurden aus den Einzelheiten des Grundbuchs und der von dem Bg. vorgelegten Kaufurkunden die Abtretung der Hypothek im Jahre 1941 und ihr erbrechtlicher übergang im Jahre 1947 festgestellt. Laut Aktenvermerk vom 13. September 1956 wurde der Bg., ohne daß er widersprach, darauf hingewiesen, daß bei dieser Sachlage die Hypothek im Verhältnis 10 : 1 umgestellt wurde.
Das Finanzamt hat alsdann durch berichtigten Bescheid vom 17. Oktober 1956 unter Bezugnahme auf § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO Hypothekengewinnabgabe festgesetzt.
Mit seinem Einspruch hat sich der Bg. gegen die Zulässigkeit der Berichtigung gewandt. Es habe an neuen Tatsachen oder Beweismitteln gefehlt. Es liege lediglich eine neue rechtliche Beurteilung vor. Auch habe er, im Vertrauen auf den ursprünglichen Hypothekengewinnabgabefreistellungsbescheid, an den Hypothekar größere Beträge gezahlt, deren Rückzahlung nicht zu erwarten sei. Das Rechtsmittel ist ohne Erfolg geblieben. Die Einspruchsentscheidung ist auch auf § 222 Abs. 1 Ziff. 3 AO gestützt, nachdem die vom Finanzamt angegangene Oberfinanzdirektion wegen Fehleraufdeckung die Anweisung erteilt hatte, den Freistellungsbescheid durch eine Veranlagung zu ersetzen. Nach der Auffassung des Finanzamts besteht nunmehr der berichtigte Bescheid zu Recht.
Die Berufung des Bg. hat zur Aufhebung der vorangegangenen Berichtigungsveranlagung und Einspruchsentscheidung geführt. Das Finanzgericht hat ausgeführt, die Berichtigung des ursprünglichen Freistellungsbescheides sei weder nach Ziff. 1 noch nach Ziff. 3 von § 222 Abs. 1 AO zulässig gewesen. Das Finanzamt habe aus der Hypothekengewinnabgabeerklärung entnehmen können, daß die ursprüngliche Restkaufgeldforderung gegenüber der Verkäuferin bestanden habe, und daß am Währungsstichtage eine andere Person Gläubiger gewesen sei. Hieraus habe das Finanzamt auf einen Gläubigerwechsel für die Zeitspanne zwischen Kauf und Währungsstichtag schließen können. Hätte es die erforderliche Sachaufklärung vorgenommen, so hätte es die Abtretung der Hypothek und alsdann ihren übergang auf den Sohn des Zessionars im Wege der Erbfolge feststellen können. Daher habe es die frühere Entscheidung nicht unter Berufung auf Ziff. 1 von § 222 Abs. 1 AO berichtigen dürfen. Auch auf Ziff. 3 a. a. O. könne sich das Finanzamt nicht berufen, weil die Fehleraufdeckung erst nach Vornahme der Berichtigungsveranlagung stattgefunden habe. Schließlich entfalle mangels Zustimmung des Bg. auch die Anwendung des § 94 AO.
In der Rb. wird die Zulässigkeit der Berichtigung nur noch auf Ziff. 3 des § 222 Abs. 1 AO gestützt.
§ 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO kann nicht angewandt werden. Die Tatsache der Abtretung der Restkaufgeldhypothek an eine andere Person ist für das Umstellungsverhältnis 10 : 1 statt 1 : 1 nach § 6 des Gesetzes über die Umstellung von Grundpfandrechten und über Aufbaugrundschulden vom 9. Januar 1951 in der Fassung des Gesetzes vom 15. Januar 1953 (Verordnungsblatt für Berlin 1951 I S. 71 bzw. Gesetz- und Verordnungsblatt für Berlin 1953 S. 61) in Verbindung mit Art. 16 Ziff. 36 Abs. a, 3 der Zweiten Verordnung zur Neuordnung des Geldwesens (Umstellungsverordnung) vom 4. Juli 1948 (Verordnungsblatt für Groß-Berlin I S. 374) und damit für die Entstehung der Hypothekengewinnabgabepflicht rechtserheblich. Das Finanzamt hätte aus der Hypothekengewinnabgabeerklärung einen Gläubigerwechsel entnehmen können. Angesichts dieser Möglichkeit war es zur Aufklärung des Sachverhaltes verpflichtet (ß 205 AO). Hat es diese Aufklärung unterlassen, so hat es die letztere nach Erlaß des Freistellungsbescheides nicht mit der Wirkung nachholen können, daß es auf das Ergebnis eine Berichtigungsveranlagung wegen "neuer" Tatsachen stützte (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs III 383/57 U vom 23. Mai 1958 - BStBl 1958 III S. 326, Slg. Bd. 67 S. 137 -).
§ 94 AO ist ebenfalls nicht anwendbar, weil eine Zustimmung des Bg. fehlt.
Was § 222 Abs. 1 Ziff. 3 AO betrifft, so hat der erkennende Senat bereits für die Vermögensabgabe (Urteil III 165/57 U vom 18. April 1958 - BStBl 1958 III S. 250, Slg. Bd. 66 S. 654 -) und für die Kreditgewinnabgabe (Urteil III 273/57 S vom 7. Februar 1958 - BStBl 1958 III S. 157, Slg. Bd. 66 S. 407 -) ausgesprochen, daß auf diese Lastenausgleichsabgaben als nicht laufend veranlagte Abgaben von Vermögen § 222 Abs. 1 Ziff. 3 AO anzuwenden ist. Für die Hypothekengewinnabgabe gilt Entsprechendes. Die Vorschrift setzt Aufdeckung eines Fehlers durch die Aufsichtsbehörde voraus. Der Berichtigungsbescheid ist nicht auf diese Vorschrift gestützt. Es hat auch zur Zeit der Berichtigungsveranlagung eine Fehleraufdeckung nicht vorgelegen, diese ist vielmehr erst während des Einspruchsverfahrens erfolgt. Die verfahrensmäßigen Voraussetzungen der Berichtigungsveranlagung müssen jedoch bereits vorliegen, wenn sie erfolgt.
Diesen Standpunkt hat bereits der Reichsfinanzhof in seinem Urteil V e A 454/26 vom 22. Oktober 1926 (Slg. Bd. 19 S. 328) eingenommen (vgl. auch Klaus Vogel in "Der Rechts- und Steuerdienst", Heft 41 - "Die Berichtigungsveranlagung" -, 1959, S. 64). Der erkennende Senat tritt dieser Rechtsauffassung des Reichsfinanzhofs grundsätzlich bei. Im Falle des § 222 Abs. 1 Ziff. 3 AO müssen die darin geforderten Voraussetzungen vorliegen, bevor das Finanzamt den Fall neu aufrollt. Es muß demnach zunächst ein Fehler von der Aufsichtsbehörde aufgedeckt worden sein; es ist nicht angängig, daß das Finanzamt, ohne daß diese Voraussetzung erfüllt ist, die Berichtigungsveranlagung vornimmt und erst alsdann die Fehleraufdeckung durch die Aufsichtsbehörde herbeiführt.
Entsprechend ist auch eine Berichtigungsveranlagung zugunsten des Abgabepflichtigen nach § 222 Abs. 1 Ziff. 4 AO erst zulässig, wenn die Aufsichtsbehörde einen Fehler aufgedeckt hat.
Den dieser Regelung zugrunde liegenden Rechtsgedanken hat der Reichsfinanzhof darin erblickt, daß der Abgabepflichtige, wenn über seinen Steuerfall entschieden worden sei, beanspruchen könne, daß eine Neuaufrollung nur unter den Voraussetzungen des § 222 AO erfolge. Dieser Rechtsgedanke kann indessen, weil Ziff. 3 und 4 von § 222 Abs. 1 AO gleichmäßig nebeneinander bestehen und eine Berichtigungsveranlagung bei Fehleraufdeckung durch die Aufsichtsbehörde - in einem Falle zuungunsten, im anderen Falle zugunsten des Abgabepflichtigen - zulassen, nicht der tragende Gedanke für diese Vorschriften sein; denn er versagt im Falle der Ziff. 4 a. a. O., weil die Belange des Abgabepflichtigen nicht als beeinträchtigt angesehen werden können, wenn die Berichtigung zu seinen Gunsten erfolgt. Der tragende Rechtsgedanke für das Erfordernis der vorherigen Erfüllung der besonderen Voraussetzungen einer Berichtigungsveranlagung ist für beide Berichtigungsfälle wegen Fehleraufdeckung durch die Aufsichtsbehörde vielmehr der der Rechtssicherheit, dem die Rechtskraftidee zu dienen bestimmt ist.
Hiernach ist grundsätzlich daran festzuhalten, daß eine Berichtigungsveranlagung nach § 222 Abs. 1 Ziff. 3 und 4 AO erst vorgenommen werden darf, nachdem vorher die Aufsichtsbehörde einen Fehler aufgedeckt hat. Steht hinter dieser Regelung der Gedanke der Wahrung der Rechtssicherheit, so ist dadurch eine Gewähr für eine unbeeinflußte Prüfung gegeben; außerdem wird zugleich einer übereilten Abänderung der früheren Entscheidung durch das Finanzamt vorgebeugt.
Hiernach konnte das Finanzamt die Berichtigungsveranlagung weder auf neue Tatsachen noch auf § 222 Abs. 1 Ziff. 3 AO stützen; diese war ungesetzlich und daher unzulässig. Die Verfahrensvoraussetzung der Fehleraufdeckung konnte auch nicht nachträglich im Einspruchsverfahren wirksam geschaffen werden. Vielmehr hätte der Einspruch zur Beseitigung der Berichtigungsveranlagung führen müssen. Das Finanzgericht hat die Einspruchsentscheidung und die Berichtigungsveranlagung daher mit Recht aufgehoben.
Entscheidungsgründe
Demgemäß ist die Rb. als unbegründet zurückzuweisen.
Eine andere, in dem vorliegenden Verfahren nicht zu prüfende Frage ist die, ob das Finanzamt auf Grund der bestehenden Fehleraufdeckung in einem neuen Verfahren die Berichtigungsveranlagung wirksam vornehmen kann.
Fundstellen
Haufe-Index 409694 |
BStBl III 1960, 298 |
BFHE 1961, 134 |
BFHE 71, 134 |