Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftung aufgrund einer Steuerhinterziehung trotz Freispruchs im Strafverfahren
Leitsatz (NV)
1. Zur Herstellung von Mineralöl durch Mischen von Olefinen mit Benzinbeständen im Tank einer Tankstelle und zur Entstehung der Mineralölsteuer durch die Entfernung des Gemisches aus dem Tank.
2. Das FG ist bei der Beurteilung, ob eine Steuerhinterziehung vorliegt, an die Entscheidung des Strafgerichts weder in rechtlicher noch in tatsächlicher Hinsicht gebunden.
3. Das HZA handelt nicht schon deshalb ermessensfehlerhaft, weil es den Haftenden in Anspruch nimmt, obwohl dieser im Strafverfahren wegen Steuerhinterziehung freigesprochen worden ist. Auch das HZA wird durch die Entscheidung des Strafgerichts weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht gebunden.
Normenkette
AO §§ 112, 396 Abs. 1; MinöStG § 1 Abs. 2 Nr. 6, § 3
Tatbestand
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Hauptzollamt - HZA -) nahm den Kläger und Revisionskläger (Kläger) durch Bescheid vom 19. Dezember 1969 als Haftenden auf Zahlung von 836 303,60 DM in Anspruch mit der Begründung, der Kläger habe in der Zeit vom August bis Dezember 1968 über die Firma X größere Mengen - insgesamt 1 857 742 Liter - nicht steuerbarer ungesättigter Kohlenwasserstoffe (Olefine, nämlich Diisobutylen und Triisobutylen) an Tankstelleninhaber als Kraftstoff (Benzin oder Superbenzin) geliefert. Bei den Tankstellen seien die Kohlenwasserstoffe mit Vergaserkraftstoff (Benzin), der sich noch in den Tanks befunden habe, vermischt worden. Das Mischen der Olefine mit Benzin stelle eine Mineralölherstellung dar. Es seien steuerbare mineralölhaltige Kraftstoffe hergestellt worden. Die Mineralölsteuer sei nicht entrichtet und folglich verkürzt worden. Die Steuerverkürzung sei durch das Verhalten des Klägers bewirkt worden. Er hafte deshalb für die verkürzten Abgaben nach § 112 der Reichsabgabenordnung (AO).
In der Einspruchsentscheidung wurde die Mineralölsteuer auf 914 660,60 DM festgesetzt. Durch die nachfolgenden Änderungsbescheide vom Januar 1982 und März 1982 wurde der Haftungsbetrag wieder herabgesetzt, und zwar zuletzt auf 610 868,60 DM.
Die Klage führte zur Herabsetzung des Haftungsbetrags auf 610 686,65 DM. Im übrigen wurde die Klage abgewiesen. Zur Begründung seiner Entscheidung führte das Finanzgericht (FG) im wesentlichen folgendes aus:
Der Kläger hafte für die (näher bezeichneten) Mineralösteuern nach § 112 AO. Die Mineralösteuern seien dadurch entstanden, daß - nicht steuerbare - Olefine mit Benzin in Tanks von Tankstellen gemischt und anschließend durch Abgabe an Autofahrer aus den Tanks entfernt worden seien. Durch das Mischen sei ein Erzeugnis entstanden, das seinerseits Mineralöl - nämlich mineralölhaltiger Kraftstoff - im Sinne des Mineralölsteuergesetzes (MinöStG) gewesen sei. Insgesamt seien 1968 1 744 819 Liter mineralölhaltige Kraftstoffe abgegeben worden, so daß bei einem Steuersatz von 35 DM je Hektoliter Mineralölsteuern in der Gesamthöhe von 610 686,65 DM entstanden seien. Die Steuern seien nicht entrichtet worden.
Die - dadurch eingetretene - Steuerverkürzung beruhe auf steuerunehrlichem Verhalten des Klägers. Die Tankstelleninhaber hätten keine Kenntnis von der Entstehung der Steuerschulden gehabt. Sie hätten nicht gewußt, daß sie (unversteuerte) Olefine erhalten hätten. Sie hätten Benzin bestellt und geglaubt, Benzin erhalten zu haben. Die Firma X habe die zuvor vom Kläger bei chemischen Werken für sie beschafften Olefine geliefert. Schon durch diese Beschaffungstätigkeit sei das Verhalten des Klägers für die Steuerhinterziehung ursächlich geworden. Der Kläger sei auch wirtschaftlicher Inhaber der Firma X gewesen, er habe sie beherrscht, ihre Geschäfte geführt und insbesondere den Absatz der Olefine als Benzin veranlaßt. Er habe die streitbefangenen Steuern zum eigenen Vorteil verkürzt und vorsätzlich gehandelt.
Der Kläger begründet seine Revision wie folgt: Obwohl er im Strafverfahren nach mehrtägiger Hauptverhandlung vom Vorwurf der Steuerhinterziehung freigesprochen worden sei, habe das FG in der Beschaffung der Olefine die Ursache für eine Steuerhinterziehung gesehen und die Voraussetzungen für eine Haftung nach § 112 AO bejaht. Da die Zollbehörde zur Feststellung einer Steuerhinterziehung ein Strafverfahren eingeleitet und bis zur rechtskräftigen Entscheidung durch das Strafgericht durchgeführt habe, sei sie an die rechtliche und tatsächliche Beurteilung des Strafgerichts gebunden. Die Entscheidung des Strafgerichts sei ein Akt der richterlichen Gewalt, der einer wie immer gearteten Korrektur durch den Träger der vollziehenden Gewalt entzogen sei. Für das HZA sei damit der Ermessensspielraum für den Erlaß des Haftungsbescheids so stark eingeschränkt gewesen, daß nur noch die Aufhebung des Haftungsbescheids ermessensfehlerfrei gewesen sei. Das FG verkenne, daß es an einer kausalen Verknüpfung zwischen der Beschaffung der Olefine und der Herstellung von mineralölhaltigem Kraftstoff fehle. Er, der Kläger, habe darauf keinen Einfluß gehabt. Ihm sei im finanzgerichtlichen Verfahren über Jahre hinaus der Eindruck vermittelt worden, die Entscheidung sei wesentlich vom Ausgang des Strafverfahrens abhängig. Es sei deshalb nicht Rechtens, daß die Entscheidung im Strafverfahren ignoriert werde. Er, der Kläger, habe im finanzgerichtlichen Verfahren keine Stellungnahme zu der Beweisfrage mehr abgeben können, wer Inhaber der Firma X gewesen sei. Insoweit werde mangelndes rechtliches Gehör gerügt.
Der Kläger beantragt, das Urteil des FG und den geänderten Haftungsbescheid vom März 1982 aufzuheben.
Das HZA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Das FG hat ohne Rechtsfehler entschieden, daß der Haftungsbescheid rechtmäßig ist, soweit der Kläger jetzt noch als Haftender für Mineralösteuern in Anspruch genommen wird.
1. Das FG hat zutreffend ausgeführt, daß über die Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheids nach § 112 AO zu entscheiden ist, da der haftungsbegründende Tatbestand nicht nach dem 31. Dezember 1976 verwirklicht worden ist (vgl. Art. 97 § 11 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung - EGAO 1977 -).
2. Auch die Entscheidung des FG, daß der Kläger hinsichtlich der Mineralölsteuern, die dem Haftungsbescheid noch zugrunde liegen, eine Steuerhinterziehung i. S. des § 112 AO durch Bewirken einer Steuerverkürzung zum eigenen Vorteil (§ 396 Abs. 1 AO in der Fassung bis zum Inkrafttreten des Zweiten Gesetzes zur Änderung strafrechtlicher Vorschriften der Reichsabgabenordnung und anderer Gesetze vom 12. August 1986, BGBl I 1968, 953 am 1. Oktober 1968, § 392 Abs. 1 AO in der Fassung nach dem Inkrafttreten des vorgenannten Gesetzes) begangen hat, ist rechtlich nicht zu beanstanden.
Das FG ist insbesondere zutreffend davon ausgegangen, daß durch das Mischen der Olefine mit den Benzinbeständen in den Tanks der Tankstellen Mineralöl i. S. des § 1 Abs. 2 Nr. 6 MinöStG in der Fassung vom 20. Dezember 1963 (BGBl I 1963, 1003) hergestellt worden ist und daß durch die Entfernung der Gemische aus den Tanks nach § 3 MinöStG Mineralölsteuerschulden entstanden sind (vgl. dazu Urteil des erkennenden Senats vom 26. Juli 1977 VII R 90/75, BFHE 123, 250).
Im Streitfall kann auch nicht zweifelhaft sein, daß eine Steuerverkürzung im Sinne der vorgenannten Straftatbestände (§ 396 oder § 392 AO) eingetreten ist, da die Mineralölsteuer trotz Fälligkeit (§ 6 MinöStG) nicht bezahlt worden ist.
Den Feststellungen des FG ist auch zu entnehmen, daß der Kläger die Verkürzung der Steuer zum eigenen Vorteil bewirkt und daß er vorsätzlich gehandelt hat.
3. Die Einwendungen des Klägers gegen die Darlegungen des FG zur Ursächlichkeit seines Verhaltens für die Steuerverkürzung greifen schon deshalb nicht durch, weil sie gegen tatsächliche Feststellungen des FG gerichtet sind, an die der Senat nach § 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gebunden ist. Zulässige und begründete Revisionsgründe hat der Kläger insoweit nicht vorgebracht.
4. Auch der Einwand des Klägers, das FG habe den für die Steuerhinterziehung maßgebenden Sachverhalt anders beurteilt als das Strafgericht, ist nicht geeignet zu begründen, daß die Vorentscheidung rechtsfehlerhaft sei. Das FG war weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht an die Entscheidungen des Strafgerichts gebunden (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 18. Oktober 1961 VIII 129/60, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1962, 140, und Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG - vom 25. September 1975 V B 9/75, Buchholz, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, 427.3, § 360 LAG Nr. 52). Das FG war zumindest befugt, den Sachverhalt eigenständig zu erforschen (§ 76 FGO) und über die Frage der Steuerhinterziehung nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung zu entscheiden (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO).
Eine andere Auffassung wird auch nicht in dem Schrifttum vertreten, auf das der Kläger hinweist. Tipke/Kruse (Abgabenordnung - Finanzgerichtsordnung, 12. Aufl., April 1986, § 70 AO 1977 Tz. 6) führen lediglich aus, es liege für das FG nahe, sich die vom Strafgericht tatsächlich getroffenen Feststellungen, Beweiswürdigungen und rechtlichen Beurteilungen zu eigen zu machen, weisen aber unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) nachdrücklich darauf hin, daß das FG nicht gehindert sei, - insbesondere - die Beweise anders zu würdigen und die Rechtslage anders zu beurteilen.
5. Entgegen der Auffassung des Klägers kann auch ein Ermessensfehler des HZA nicht damit begründet werden, das Strafgericht habe dem Sachverhalt keine Steuerhinterziehung entnommen und den Kläger freigesprochen. Auch das HZA ist durch die Entscheidung des Strafgerichts weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht gebunden worden (vgl. Urteile des erkennenden Senats in HFR 1962, 140, und vom 12. Februar 1963 VII 144/61, HFR 1964, 23; Tipke/Kruse, a.a.O.).
Ob es entsprechend den Ausführungen von Tipke/Kruse (a.a.O.) für die Finanzbehörde naheliegt, den vom Strafgericht festgestellten Sachverhalt zu übernehmen, braucht nicht entschieden zu werden. Auch wenn der Senat davon ausgeht, daß das zutrifft, so folgt daraus noch nicht, daß die Finanzbehörde im Einzelfall auch verpflichtet wäre, den Feststellungen des Strafgerichts zu folgen und daß, wenn die Finanzbehörde den Feststellungen des Strafgerichts nicht gefolgt ist, ein Haftungsbescheid schon deshalb rechtswidrig sei.
Die Frage, ob die Finanzbehörde den Feststellungen des Strafgerichts folgen darf oder muß, ist nach den Grundsätzen über die Erforschung oder Ermittlung des Sachverhalts vom Amts wegen zu beurteilen (§ 204 Abs. 1 Satz 1 AO, § 88 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung - AO 1977 -). Diese Grundsätze werden nicht dadurch verletzt, daß die Finanzbehörden den Sachverhalt eigenständig erforschen oder ermitteln. Ihnen kann lediglich die Befugnis der Finanzbehörden entnommen werden, Feststellungen von Strafgerichten zu übernehmen. Diese Befugnis mag so selbstverständlich sein, daß es als naheliegend anzusehen ist, die Feststellungen eines Strafgerichts zu übernehmen, und daß die Übernahme im Einzelfall keiner besonderen Begründung bedarf. Das rechtfertigt aber nicht die Folgerung, Finanzbehörden seien zur Übernahme der Feststellungen eines Strafgerichts verpflichtet. Denn eine solche Folgerung wäre mit dem Grundsatz über die Erforschung zur Ermittlung des Sachverhalts durch die Finanzbehörden in eigener Verantwortung nicht mehr vereinbar.
6. Mit der Rüge, ihm sei das rechtliche Gehör versagt worden, weil er zur Inhaberschaft der Firma X nicht mehr habe Stellung nehmen können, kann der Kläger schon deshalb nicht durchdringen, weil er nicht dargelegt hat, was er in einer Stellungnahme vorgetragen hätte, und weil schon deshalb nicht erkennbar ist, ob der Kläger zu der Beweisfrage überhaupt etwas vorgetragen hätte. Zur wirksamen Rüge der Verletzung des Rechts auf Gehör wäre das aber erforderlich gewesen (vgl. Gräber, Finanzgerichtsordnung, § 119 Anm. 6 B).
Ob der Schriftsatz vom 6. Dezember 1982 Ausführungen darüber enthält, was der Kläger insoweit vorgetragen hätte, braucht nicht entschieden zu werden. Denn dieser Schriftsatz ist erst nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist am 23. September 1982 beim BFH eingegangen. Tatsachen zur Begründung von Verfahrensmängeln müssen aber bis zum Ablauf der Revisionsbegründungsfrist vorgebracht werden (§ 120 Abs. 2 Satz 2 FGO).
Fundstellen