Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Rückstellung für künftige Herstellungskosten
Leitsatz (NV)
1. Bei Aufwendungen für die Ablösung der Verpflichtung zur Errichtung von Stellplätzen nach den Bauordnungen der Länder handelt es sich um Herstellungskosten eines Gebäudes; denn die Verpflichtung zur Errichtung von Stellplätzen steht grundsätzlich mit der Errichtung von baulichen Anlagen im Zusammenhang (Anschluß an BFH-Urteil vom 8. März 1984 IX R 45/80, BFHE 141, 237, BStBl II 1984, 702).
2. Für Aufwendungen, die als Herstellungskosten aktiviert werden müssen, ist die Bildung von Rückstellungen nicht zulässig (Anschluß an BFH-Urteil vom 1. April 1981 I R 27/79, BFHE 133, 386 BStBl II 1981, 660).
3. Besagt die Rechtsmittelbelehrung des FG-Urteils fälschlicherweise, daß die Revision zulässig ist, wenn der Streitwert 10 000,- DM übersteigt, so wird durch die Zustellung dieses Urteils eine Rechtsmittelfrist nicht in Lauf gesetzt.
Normenkette
EStG §§ 5-6; FGO § 55
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine KG. Sie ist Alleingesellschafterin einer GmbH. Mit der GmbH besteht ein Organschaftsvertrag mit Ergebnisabführung.
Am 21. November 1975 erwarb die GmbH zur Rettung von Grundpfandrechten im Wege der Zwangsversteigerung Teileigentum bzw. Wohnungseigentum an Geschäfts- und Wohnräumen in einem in W gelegenen Grundstück (Grundstück B).
Nach dem Baugenehmigungsbescheid vom 4. Juli 1973 für das Grundstück B waren 56 Kfz-Stellplätze zu schaffen. Davon errichtete der frühere Eigentümer (E) 12 auf dem Grundstück. Die restlichen 44 Stellplätze sollten in einer von der Stadt W geplanten Tiefgarage untergebracht werden. E verpflichtete sich mit Vertrag vom 5. Juni 1973, der Stadt W für die erwachsenden Kosten der Herstellung, Unterhaltung und Verwaltung der Gemeinschaftsanlage in Höhe der tatsächlich anfallenden Kosten mindestens aber in Höhe von 352 000 DM Ersatz zu leisten. Mit Erklärung vom 12. Juni 1973 übernahm die Klägerin für diese Verpflichtung gegenüber der Stadt W die Bürgschaft bis zum Höchstbetrag von 400 000 DM.
Mit Schreiben vom 16. Dezember 1980 legte die Stadt W der GmbH den Entwurf eines Garagenablösungsvertrags vor, wonach die GmbH zur Ablösung ihrer Stellplatz- und Garagenablösungsverpflichtung 440 000 DM zu leisten habe. Der Vertrag ist bisher nicht abgeschlossen worden. Auch eine anderweitige Errichtung der Stellplätze erfolgte nicht.
Die GmbH bildete in ihrer Bilanz zum 31. Dezember 1975 eine Rückstellung in Höhe von 150 000 DM für die zu erwartende Ablösesumme bezüglich der 44 Stellplätze. Aufgrund des Ergebnisabführungsvertrags übernahm die Klägerin den Verlust der GmbH für das Streitjahr (1975). Das Finanzamt (- FA -) erkannte die Rückstellung nicht an und verminderte den Verlust der GmbH entsprechend.
Einspruch und Klage blieben erfolglos.
Das Urteil des Finanzgerichts (FG) ist der Klägerin am 12. August 1985 zugestellt worden. Nach der dem Urteil beigefügten Rechtsmittelbelehrung ist die Revision auch zulässig, wenn der Wert des Streitgegenstandes der Revision 10 000 DM übersteigt.
Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 10. September 1985 - beim FG eingegangen am 11. September 1985 - Revision eingelegt. Sie rügt die Verletzung materiellen Rechts und mangelnde Sachaufklärung.
Die Klägerin beantragte, die Vorentscheidung aufzuheben und den festgestellten Gewinn für 1975 um 150 000 DM zu mindern.
Das FA beantragte zunächst, die Revision als unzulässig zu verwerfen.
Es wies darauf hin, daß im Zeitpunkt der Revisionseinlegung die Streitwertrevision nicht mehr zulässig gewesen und Zulassung der Revision nicht erfolgt sei.
Die Klägerin hat daraufhin unter dem 20. März 1986 (beim FG eingegangen am 21. März 1986) Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt. Das FG hat der Beschwerde abgeholfen und die Revision mit Beschluß vom 7. April 1986 zugelassen.
Die Klägerin hat daraufhin mit Schriftsatz vom 17. April 1986 (beim FG am 18. April 1986 eingegangen) erneut Revision eingelegt und ihr Vorbringen sowie ihren Antrag wiederholt.
Das FA beantragt daraufhin, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist zulässig und begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
1. Die vom FG zugelassene Revision ist rechtzeitig eingelegt worden.
a) Der Beschluß des FG über die Zulassung der Revision ist der Klägerin am 15. April 1986 zugestellt worden. Sie hat daraufhin mit Schriftsatz vom 17. April 1986 (beim FG eingegangen am 18. April 1986) Revision eingelegt. Das ist rechtzeitig (§ 120 Abs. 1 Satz 1 FGO).
b) Dem steht nicht entgegen, daß das FG-Urteil bereits am 12. August 1985 zugestellt und die Nichtzulassungsbeschwerde erst am 21. März 1986 eingelegt worden ist. Denn durch die Zustellung des Urteils ist eine Rechtsmittelfrist nicht in Lauf gesetzt worden, weil das Urteil eine fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung enthielt (vgl. Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 2. Aufl., § 55 Anm. 27) und die Jahresfrist des § 55 Abs. 2 FGO am 21. März 1986 noch nicht abgelaufen war.
c) Die dem FG-Urteil beigegebene Rechtsmittelbelehrung war fehlerhaft, weil nach ihr die Revision auch dann zulässig sei, wenn der Wert des Streitgegenstands der Revision 10 000 DM übersteigt. Diese sog. Streitwertrevision war gegen das am 12. August 1985 an Stelle einer Verkündung zugestellte angefochtene FG-Urteil nicht mehr gegeben. Denn nach Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs i. d. F. des Gesetzes zur Beschleunigung verwaltungsgerichtlicher und finanzgerichtlicher Verfahren vom 4. Juli 1985 (BGBl I 1985, 1274) i. V. m. Art. 3 dieses Gesetzes ist die Streitwertrevision nicht mehr gegen FG-Urteile zulässig, die nach dem 16. Juli 1985 verkündet oder an Stelle einer Verkündung zugestellt worden sind.
2. Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, daß beim Vorliegen eines Organschaftsverhältnisses mit Ergebnisabführungsvertrag Einwendungen gegen die Höhe des zuzuwendenden Organeinkommens im Klageverfahren gegen den Feststellungsbescheid des Organträgers geltend zu machen sind, sofern dieser eine Personengesellschaft ist.
3. Das FG hat im Ergebnis zutreffend die Bildung einer Rückstellung für eine zu erwartende Ablösesumme bezüglich der 44 Kfz-Stellplätze in der Bilanz der GmbH zum 31. Dezember 1975 in Höhe von 150 000 DM abgelehnt.
a) Es kann dahingestellt bleiben, ob die GmbH gegenüber der Stadt W zur Zahlung einer Ablösesumme für Garagenstellplätze verpflichtet war oder nicht. Selbst wenn eine solche Verpflichtung bestanden haben sollte, könnte wegen ihr keine Rückstellung gebildet werden, weil Rückstellungen für Aufwendungen nicht zulässig sind, die als Herstellungskosten aktiviert werden müssen (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 1. April 1981 I R 27/79 unter III. 4. b, BFHE 133, 386, BStBl II 1981, 660).
b) Bei Aufwendungen für die Ablösung der Verpflichtung zur Errichtung von Stellplätzen nach den Bauordnungen der Länder handelt es sich um Herstellungskosten eines Gebäudes; denn die Verpflichtung zur Errichtung von Stellplätzen steht grundsätzlich mit der Errichtung von baulichen Anlagen im Zusammenhang (BFH-Urteil vom 8. März 1984 IX R 45/80, BFHE 141, 237, BStBl II 1984, 702).
4. Das FG hat in seiner Entscheidung ausgeführt, daß auch eine Rückstellungsbildung bei der Klägerin wegen der übernommenen Bürgschaftsverpflichtung zum 31. Dezember 1975 nicht in Betracht komme, weil eine Inanspruchnahme aus der Bürgschaft weder erfolgt noch angedroht worden sei.
Diese Ansicht ist nicht zutreffend; denn eine Rückstellung wegen Bürgschaftsübernahme muß nicht nur dann gebildet werden, wenn eine Inanspruchnahme aus der Bürgschaft erfolgt oder angedroht wird, sondern bereits dann, wenn sie droht, d. h. wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß die Geltendmachung der Forderung gegenüber dem Bürgen ernstlich zu erwarten ist (vgl. BFHUrteil vom 10. April 1987 III R 274/83, BFH/NV 1988, 22; Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, 19. Aufl., § 4 EStG Anm. 62 Stichwort Bürgschaft). Anhaltspunkte dafür sind im Streitfall deshalb vorhanden, weil das Grundstück des Schuldners, zu dessen Gunsten die Klägerin die Bürgschaft übernommen hat, zwangsversteigert worden ist und nach Ansicht des FG die Ablösungsverpflichtung des früheren Grundstückseigentümers (Schuldners) nicht auf die GmbH übergegangen ist.
Fundstellen
Haufe-Index 63041 |
BFH/NV 1990, 504 |