Entscheidungsstichwort (Thema)
Umsatzsteuer Sonstiges Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Zu der Frage, unter welchen Voraussetzungen trotz Verschaffung der Verfügungsmacht im Ausland eine steuerbare Inlandslieferung angenommen werden kann.
Normenkette
UStG § 1/1, § 3/1; UStDB §§ 1-2, 4; StAnpG §§ 1, 6; UStG § 1/2, § 3/6
Tatbestand
Die Beschwerdegegnerin (Bgin.) ist mit der Lieferung zweier ausgedienter Hochseefischdampfer, die zum Abwracken bestimmt waren, zur Umsatzsteuer herangezogen worden. Die Liegeplätze der Schiffe sowohl vor der Lieferung bei der Bgin. als auch nach dem Tage der Lieferung beim Abnehmer, der seinen Sitz im umsatzsteuerlichen Inland hat, befanden sich im Inland. Zwischen beiden Liegeplätzen gibt es keinen anderen Wasserweg als den durch den Freihafen. Die Bgin. ließ am Lieferungstage durch ein Schleppunternehmen die Schiffe in den Freihafen schleppen, wo sie festgemacht wurden. An Bord eines der Schiffe wurden nach einigen Stunden durch einen Kapitän der Bgin. an einen Angestellten des Abnehmers die Schiffe in schriftlicher übergabeverhandlung übergeben und sodann durch ein anderes Schleppunternehmen im Auftrage des Abnehmers zu einem Liegeplatz im umsatzsteuerlichen Inland weitergeschleppt. Das Finanzamt hat die streitigen Lieferungen wie Inlandslieferungen behandelt und die Verschaffung der Verfügungsmacht im Freihafen als Steuerumgehung im Sinne des § 6 des Steueranpassungsgesetzes (StAnpG) angesehen.
Die hiergegen gerichtete Berufung hatte Erfolg. Das Finanzgericht ist der Auffassung, daß ein "Mißbrauch" nur in der Wahl "von Formen und Gestaltungsmöglichkeiten des bürgerlichen Rechts" bestehen könne, in denen ein Rechtsgeschäft vorgenommen werde, nicht aber in der Wahl des Ortes, an dem das Rechtsgeschäft stattfinde.
Entscheidungsgründe
Die gegen die Freistellung von der Umsatzsteuer für die streitigen Lieferungen gerichtete Rechtsbeschwerde (Rb.) des Vorstehers des Finanzamts führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
Wie das Finanzgericht so geht auch die Bgin. davon aus, daß es ihr nicht verwehrt werden könne, zwischen mehreren möglichen Wegen den zu beschreiten, der ihr steuerlich günstiger erscheine. Wenn das Finanzgericht unter diesem Gesichtspunkt die Voraussetzungen des § 6 StAnpG verneint, so übersieht es dabei, daß einer uneingeschränkten Anwendbarkeit des von ihm in den Vordergrund gerückten Satzes seit je nicht nur § 6 StAnpG, sondern auch § 1 Abs. 2 und 3 StAnpG (ß 9 der Reichsabgabenordnung in der Fassung 1931) entgegenstehen. Die Steuerpflichtigen können zwar durchaus ihre wirtschaftlichen Verhältnisse nach freiem Willen gestalten und dabei auch steuerliche Gesichtspunkte berücksichtigen. Diese freie Gestaltung findet aber ihre Grenze durch den auf der wirtschaftlichen Betrachtungsweise beruhenden und im Gesetz durch § 1 StAnpG zum Ausdruck gekommenen Auslegungsgrundsatz, daß wirtschaftlich gleichliegende Tatbestände in gleicher Art steuerlich erfaßt werden müssen (vgl. Urteil des Reichsfinanzhofs VI A 229/37 vom 5. Mai 1937, Steuerrechtskartei, StAnpG § 1 Allgemeines, Rechtsspruch 39). Eine Prüfung und Beurteilung des Tatbestandes in dieser Richtung ist in der Vorentscheidung unterblieben. Der erkennende Senat ist, wie schon Becker (AO, 7. Auflage, Einleitende Vorschriften zu § 4 S. 43 und 48), der Auffassung, daß diese allgemeinen Auslegungsregeln auch für die Beurteilung von Tatbeständen zu gelten haben (ebenso Hübschmann-Hepp-Spitaler, StAnpG § 1 Anmerkung 19 Ziff. 1). Auch der Tatbestand muß steuerlich auf seine wirtschaftliche Bedeutung hin untersucht werden. Ein Festhalten an der starren Tatbestandsmäßigkeit hätte zur Folge, daß durch den Wortlaut des § 6 StAnpG nicht gedeckte Umgehungen eine Lücke in der Erforschung des wirklichen Sachverhalts eröffneten, die den Steuerpflichtigen einen Weg böte, durch wirtschaftlich belanglose Veränderungen des Tatbestands einen wirtschaftlichen Erfolg unter Vermeidung der Steuerpflicht zu erreichen, der ohne jene unbedeutende Veränderung bei gleicher wirtschaftlicher Bedeutung des Vorganges die Steuerpflicht auslöste (vgl. auch Wacke, Steuer und Wirtschaft 1947 Spalte 21 ff., Spalte 46/47).
Wendet man diese Auslegungsgrundsätze auf den vorliegenden Fall an, so ergibt sich daß nach dem Zweck des Umsatzsteuergesetzes (UStG) nur inländische Lieferungen besteuert werden sollen, und daß der Tatbestand, wie er sich durch den von der Steuerpflichtigen gewählten Weg darstellt, den Anforderungen der §§ 1, 3 UStG, §§ 1, 2, 4 der Durchführungsbestimmungen zum Umsatzsteuergesetz an eine Inlandslieferung nicht entspricht, daß es sich im Streitfalle aber um Schiffe handelt, die in der im Ausland ausgeübten Hochseefischerei nicht mehr verwendet werden können und deshalb in das Inland gelangt sind, wo sich der Sitz der Bgin. befindet, und daß die Lieferung schließlich auch ihre Abwrackung im Inland ermöglichen sollte. Es handelt sich also um Lieferungen vom Inland her in das Inland, die nach dem Zweck des UStG und seiner wirtschaftlichen Bedeutung, jeden Umsatz im Inland zu erfassen, der Umsatzsteuer unterliegen sollen (vgl. auch Urteil des Reichsfinanzhofs V 103/38 vom 27. Oktober 1939, Reichssteuerblatt 1940 S. 39). Wenn die Verwaltung bei Neubauten und umfangreichen Umbauten von Seeschiffen in inländischen Werften, für den Fall, daß die Seeschiffe anläßlich einer Probefahrt auf hoher See an die Abnehmer übergeben werden, einen nicht steuerbaren Auslandsumsatz annimmt, so liegt hier, worauf das Finanzamt mit Recht hinweist, der Tatbestand wesentlich anders. Denn einmal ist die übergabe von neuerbauten Seeschiffen im Anschluß an eine Probefahrt auf hoher See üblich, zum anderen sind diese Schiffe für den Einsatz im Ausland bestimmt.
Daß der im Streitfalle gewählte Weg nicht zwangsläufig ist, geht insbesondere daraus hervor, daß Besichtigung und Bezahlung der Schiffe sowie die dingliche Einigung über den Eigentumsübergang unstreitig im umsatzsteuerlichen Inland stattgefunden haben, und daß die Schiffe ursprünglich auch vom Abnehmer von ihrem inländischen Liegeplatz abgeholt werden sollten, daß sie dann aber auf Wunsch der Bgin. durch von dieser beauftragte Schlepper in den Freihafen geschleppt wurden, wo erst die übergabe - Verschaffung der Verfügungsmacht - stattfand. Wenn die Bgin. betont, daß die Fahrt durch den Freihafen unvermeidbar gewesen sei, so übersieht sie, daß durch diese örtlich bedingte Gegebenheit an dem nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu beurteilenden Tatbestand nichts geändert wird. Der wirtschaftliche Erfolg, Lieferung von Gegenständen vom Inland her in das Inland, wird durch den durch die örtlichen Verhältnisse gebotenen Weg durch den Freihafen nicht berührt. Dieser wirtschaftliche Erfolg löst aber in der Regel Steuerpflicht aus und muß daher bei wirtschaftlicher Beurteilung des Tatbestandes auch im Streitfalle das gleiche steuerliche Ergebnis zeitigen.
Hiernach war der Rb. stattzugeben und die Sprungberufung der Steuerpflichtigen gegen den Steuerbescheid des Finanzamts als unbegründet zurückzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 408031 |
BStBl III 1954, 355 |
BFHE 1955, 378 |
BFHE 59, 378 |