Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufgriffsgrenzen für den Ansatz der Kostenmiete
Leitsatz (NV)
1. Die von der Finanzverwaltung für den Ansatz der Kostenmiete gemäß §21 Abs. 2 EStG zugrunde gelegten sog. Aufgriffsgrenzen binden die Gerichte nicht.
2. Aus Art. 3 Abs. 1 GG folgt kein Anspruch des Steuerpflichtigen auf Anwendung der Aufgriffsgrenzen.
Normenkette
EStG § 21 Abs. 2; GG Art. 3 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) werden als Eheleute zur Einkommensteuer zusammen veranlagt. Sie erwarben 1981 ein Einfamilienhaus für insgesamt rd. 1,4 Mio. DM. Die Grundstücksfläche betrug 2 891 qm. Im Erdgeschoß ließen die Kläger eine abgeschlossene Einliegerwohnung von 42 qm und im Obergeschoß ein zweites Bad einbauen. Außerdem ließen sie Modernisierungs- und Instandsetzungsarbeiten durchführen. Auf dem Anwesen befindet sich ein offenes Schwimmbad im Garten, ferner ein selbständiges Nebengebäude mit drei Garagen. Das Wohnhaus ist mit einem Solarium und einer Sauna ausgestattet. 1982 bezogen die Kläger die Hauptwohnung. Die Einliegerwohnung vermieteten sie an die Mutter der Klägerin. In ihren Steuererklärungen für die Streitjahre bezifferten die Kläger den Mietwert für die selbstgenutzte Wohnung, deren Fläche einschließlich eines Arbeitszimmers 248 qm betrug, mit 10 DM/qm Wohnfläche und Monat. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -- FA --) legte hingegen die nach einem Vomhundertsatz der gesamten Aufwendungen ermittelte Kostenmiete zugrunde. Außerdem kürzte er die auf zehn Jahre verteilten Modernisierungsaufwendungen. Im Klageverfahren fand eine tatsächliche Verständigung über die Höhe der nach §82 a der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung zu berücksichtigenden Modernisierungsaufwendungen statt. Aufgrund eines entsprechenden Hinweises des Finanzgerichts (FG) schränkten die Kläger ihr Rechtsschutzbegehren ein und beantragten, für die Jahre 1982 bis 1985 eine Marktmiete von 12,50 DM, für 1986 eine Marktmiete von 15 DM und für 1987 eine Marktmiete von 18 DM/qm und Monat als Mietwert anzusetzen.
Das FG gab der Klage statt und setzte als Mietwert die Marktmiete entsprechend dem Klageantrag an. Die Finanzverwaltung habe durch den Erlaß des Bundesministers der Finanzen (BMF) vom 2. Oktober 1986 (BStBl I 1986, 486) sowie durch ergänzende Erlasse des Finanzministers des Landes Nordrhein-Westfalen einen Grenzbetrag der Anschaffungskosten benannt, ab dem von einem besonders aufwendig gestalteten oder ausgestatteten Zweifamilienhaus ausgegangen werden kann. Bei unter dieser sog. Aufgriffsgrenze liegenden Anschaffungskosten sei nach dem Erlaß regelmäßig die ortsübliche Miete anzusetzen. Im Streitfall werde die Aufgriffsgrenze nicht erreicht. Die durch diese Verwaltungsregelungen eingetretene Selbstbindung der Verwaltung sei auch von den Gerichten zu beachten. Da andere Steuerpflichtige bei Unterschreiten der Aufgriffsgrenze allgemein nicht darauf überprüft würden, ob ihr Zweifamilienhaus aufwendig gestaltet oder ausgestattet ist, sei nach den Prinzipien steuerlicher Gerechtigkeit und Gleichbehandlung auch im Streitfall von einer solchen Prüfung abzusehen.
Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen sinngemäß, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Das FA hat während des Revisionsverfahrens Änderungsbescheide für 1983 und 1985 vom 3. Mai 1995 und für 1984 vom 12. April 1995 erlassen, die auf Antrag der Kläger nach §§68, 121 Satz 1, §123 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) Gegenstand des Revisionsverfahrens geworden sind.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Nach §126 Abs. 3 Nr. 2 FGO ist das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen. Das FG hat zu Unrecht den Mietwert der von den Klägern selbst genutzten Wohnung allein deshalb nicht anhand der Kostenmiete ermittelt, weil es die von der Finanzverwaltung nach den genannten Verwaltungsvorschriften zugrunde gelegten Aufgriffsgrenzen als bindend angesehen hat.
1. Zur Ermittlung des Nutzungswerts der Wohnung im eigenen (Zweifamilien-)Haus nach §21 Abs. 2 1. Alternative des Einkommensteuergesetzes (EStG) ist die Rohmiete grundsätzlich anhand der am Wohnungsmarkt für vergleichbare Objekte erzielbaren Miete, der sog. Marktmiete, zu schätzen. Dies gilt jedoch dann nicht, wenn der Zweck des §21 Abs. 2 EStG den Ansatz der sog. Kostenmiete erfordert (Senatsurteil vom 22. Oktober 1993 IX R 35/92, BFHE 174, 51, 53, BStBl II 1995, 98). Hinsichtlich der Voraussetzungen für den Ansatz der Kostenmiete hat der Senat seine frühere Rechtsprechung teilweise aufgegeben und nunmehr die Schätzung des Rohmietwerts anhand der Kostenmiete im Interesse der Praktikabilität auf Wohnungen in solchen Zweifamilienhäusern beschränkt, bei denen es aufgrund bestimmter Gestaltungs- oder Ausstattungsmerkmale offensichtlich ist, daß sie nicht zum Zweck der Vermietung errichtet und in der Regel auch tatsächlich nicht vermietet werden. Danach sind an die besondere Gestaltung und Ausstattung, die den Ansatz der Kostenmiete rechtfertigt, strengere Anforderungen als in der älteren Rechtsprechung zu stellen (Senatsurteil in BFHE 174, 51, 56, BStBl II 1995, 98). Hinsichtlich der Einzelheiten wird insoweit auf das vorgenannte Senatsurteil verwiesen.
2. Entgegen der Auffassung des FG ist als Rohmietwert gemäß §21 Abs. 2 EStG nicht allein deshalb die Marktmiete statt der Kostenmiete anzusetzen, weil die nach dem Schreiben des BMF vom 2. Oktober 1986 IV B 1 -- S 2253 -- 103/86 (BStBl I 1986, 486) und den entsprechenden Verwaltungsanweisungen der Länder für den Ansatz der Kostenmiete maßgebenden sog. Aufgriffsgrenzen nicht erreicht sind.
Es kann offenbleiben, ob das Schreiben des BMF in BStBl I 1986, 486 von der Finanzverwaltung dahin verstanden wird, daß immer dann, wenn die Aufgriffsgrenzen nicht erreicht sind, die Marktmiete anzusetzen ist. Jedenfalls ergäbe sich daraus keine Bindung für die rechtliche Beurteilung durch die FG.
Verwaltungsvorschriften gelten grundsätzlich nur verwaltungsintern aufgrund der beamtenrechtlichen Weisungsgebundenheit, entfalten jedoch keine Außenwirkung; sie binden die Gerichte grundsätzlich nicht. Der vom FG seiner Entscheidung zugrunde gelegte Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung, der aus Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) abzuleiten ist, gilt nur für solche Verwaltungsvorschriften, die die Ermessensausübung regeln, weil die Verwaltung im Bereich der Ermessensentscheidungen einen Entscheidungsfreiraum hat, der gerichtlich nur beschränkt überprüfbar ist (§102 FGO; Tipke/Lang, Steuerrecht, 15. Aufl. 1996, §5 Rz. 26, m. w. N.). Um eine derartige Ermessensentscheidung handelt es sich im Streitfall indessen nicht.
Darüber hinaus hat die Rechtsprechung solchen Verwaltungsvorschriften eine begrenzte Bindungswirkung zuerkannt, die die immer wiederkehrende Schätzung bestimmter Besteuerungsgrundlagen der Höhe nach im Interesse der einheitlichen Gesetzesanwendung vereinheitlichen und vereinfachen (Urteile des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 23. April 1991 VIII R 61/87, BFHE 164, 422, BStBl II 1991, 752; vom 18. April 1990 III R 102/87, BFHE 160, 519, BStBl II 1990, 886; vom 5. Mai 1994 VI R 6/92, BFHE 174, 169, BStBl II 1994, 534; vom 12. Februar 1992 II R 113/88, BFHE 167, 170, BStBl II 1993, 268). Dagegen binden norminterpretierende Verwaltungsvorschriften die Gerichte nicht; dazu zählen auch die sog. Aufgriffsgrenzen (BFH-Urteile vom 30. Juli 1991 IX R 123/90, BFHE 165, 253, 255, BStBl II 1992, 30; vom 23. September 1992 X R 10/92, BFHE 169, 331, 335, BStBl II 1993, 338; Beschluß vom 30. August 1995 X B 37/95, BFH/NV 1996, 120, 121).
Auch aus Art. 3 Abs. 1 GG ist kein Anspruch der Kläger auf Anwendung der in den genannten Verwaltungsvorschriften enthaltenen Aufgriffsgrenze für den Ansatz der Kostenmiete zu begründen. Die Nichtanwendung von Verwaltungsvorschriften kann allenfalls dann gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen, wenn die Verwaltungsregelung für sich genommen rechtmäßig ist (Bundesverfassungsgericht, Beschluß der 2. Kammer des I. Senats vom 28. Juni 1993 1 BvR 390/89, Betriebs-Berater 1993, 2068, 2069). An dieser Voraussetzung fehlt es indessen im Streitfall, weil die allein an die Höhe der Anschaffungs- oder Herstellungskosten des Gebäudes anknüpfende Aufgriffsgrenze gegen §21 Abs. 2 EStG verstößt (vgl. Senatsurteile vom 24. September 1985 IX R 143/83, BFHE 145, 331, BStBl II 1986, 287; vom 26. März 1991 IX R 104/86, BFHE 164, 263, BStBl II 1992, 999). Sowohl nach der älteren, inzwischen vom Senat teilweise aufgegebenen Rechtsprechung (Senatsurteil vom 21. Januar 1986 IX R 7/79, BFHE 146, 51, 58, BStBl II 1986, 394) als auch nach der neueren Senatsrechtsprechung (Senatsurteil in BFHE 174, 51, 57, BStBl II 1995, 98) reicht es zur Begründung des Ansatzes der Kostenmiete nicht aus, allein auf die Höhe der Anschaffungs- oder Herstellungskosten abzustellen.
3. Da das FG seiner Entscheidung eine andere Rechtsauffassung zugrunde gelegt hat, ist das angefochtene Urteil aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG hat im zweiten Rechtszug nach den Maßstäben des Senatsurteils in BFHE 174, 51, BStBl II 1995, 98 abzuwägen, ob die Voraussetzungen für die Ermittlung des Mietwerts anhand der Kostenmiete gegeben sind. Aus den Feststellungen des FG ist bisher lediglich zu entnehmen, daß die Voraussetzungen, unter denen stets die Kostenmiete anzusetzen ist (Wohnungsgröße von mehr als 250 qm; Vorhandensein einer Schwimmhalle), nicht erfüllt sind. Darüber hinaus sind aber weitere Merkmale vorhanden (insbesondere Größe und Lage des Grundstücks, offenes Schwimmbad im Garten, Sauna und Solarium, Außenanlagen), für die das FG prüfen muß, ob es sich um besonders gewichtige Gestaltungs- oder Ausstattungsmerkmale handelt, aufgrund deren es offensichtlich ist, daß die am Wohnungsmarkt höchstens erzielbare Miete nicht dem Gebrauchswert des Objekts entspricht (Senatsurteil in BFHE 174, 51, 57 f., BStBl II 1995, 98, unter II. 1. c, cc).
Fundstellen
Haufe-Index 66488 |
BFH/NV 1998, 446 |
HFR 1998, 367 |