Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsanwalt als Treuhänder bei Bauherrenmodellen
Leitsatz (NV)
1. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist i. d. R. zu gewähren, wenn eine Revisionsbegründungsschrift rechtzeitig im Hinblick auf die Postlaufzeit lt. Postaushang aufgegeben wird.
2. Treuhändertätigkeit im Rahmen sog. Bauherrenmodelle gehört nicht zur berufstypischen Tätigkeit als Rechtsanwalt.
Normenkette
UStG 1973 § 12 Abs. 2 Nr. 5; EStG § 18 Abs. 1 Nr. 1; FGO § 56
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war in den Streitjahren 1975 bis 1979 als Rechtsanwalt selbständig tätig. Unter anderem war er Treuhänder im Rahmen sogenannter Bauherrenmodelle (wirtschaftliche und technische Baubetreuung waren ausgenommen). Auf die Umsätze aus der Tätigkeit als Treuhänder wandte der Kläger den ermäßigten Steuersatz an (§ 12 Abs. 2 Nr. 5 des Umsatzsteuergesetzes - UStG 1973 -).
Im Anschluß an eine Außenprüfung setzte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) die Umsatzsteuer auf die Treuhänderumsätze mit dem allgemeinen Steuersatz fest.
Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg.Der Kläger legte gegen das Urteil des Finanzgerichts - FG - (in den Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1986, 316 veröffentlicht) Revision ein.
Seine Revisionsbegründung vom 29. April 1986 ging beim Bundesfinanzhof (BFH) am 2. Mai 1986 - nach Ablauf der bis zum 30. April 1986 verlängerten Revisionsbegründungsfrist - ein. Nach Hinweis der Geschäftsstelle des erkennenden Senats auf die Verspätung beantragte der Kläger Wiedereinsetzung unter Hinweis auf die Postlaufzeit lt. Aushang beim Postamt. Nach den dortigen Angaben hätte das am 29. April 1986 zur Post gegebene Schreiben am nächsten Tag in München zugestellt werden können.
Die Revision stützt der Kläger auf die Rüge einer Verletzung des § 12 Abs. 2 Nr. 5 UStG 1973. Nach seiner Auffassung gehört die Ausübung der Treuhändertätigkeit bei Bauherrenmodellen zum Rahmen der berufstypischen Anwaltstätigkeit. Mit dem FG sei davon auszugehen, es komme im Einzelfall darauf an, warum gerade ein Rechtsanwalt mit der Treuhändertätigkeit betraut werde. Stehe bei der Entscheidung die berufliche Stellung und der Rückgriff auf die Rechtskenntnisse der gewählten Person im Vordergrund, spreche dies dafür, daß die übernommene Funktion berufstypisch sei. Im Fall seiner Auswahl als Treuhänder hätten die Rechtskenntnisse als Anwalt im Vordergrund der konkreten Aufträge gestanden. Entgegen der Beurteilung des FG sei er nicht in ein zuvor vom Initiator ausgearbeitetes Konzept eingebunden gewesen. Der Abschluß der wichtigsten Verträge, nämlich des Grundstückskaufvertrags und des Generalunternehmervertrags oder die Vergabe von Einzelaufträgen an Bauunternehmen und Handwerker, habe einzig und allein den durch den Treuhänder vertretenen Bauherren oblegen. Das gelte z. B. auch für den Abschluß der Zwischen- und Endfinanzierung sowie die Auswahl eines Hausverwalters, wobei im Treuhandvertrag ausdrücklich festgelegt gewesen sei, daß der Treuhänder ein ,,geeignetes" Unternehmen auszusuchen habe. Unschädlich sei auch, daß der Treuhänder daneben Einzeltätigkeiten ausgeführt habe, die üblicherweise keine typische Rechtsanwaltstätigkeit seien. Vielmehr gehöre es zu den Pflichten des sorgfältigen Treuhänders, nach Abschluß seiner Tätigkeit eine detaillierte Rechnungslegung aufzustellen. Ferner dürfe nicht nur auf die Anfangsphase eines Bauherrenmodells abgestellt werden. Er habe mit dem Vortrag, daß er im Zusammenhang mit dem wirtschaftlichen Zusammenbruch des Initiators tatsächlich in erheblichem Umfang rechtsberatend tätig geworden sei, verdeutlichen wollen, daß auf einen Treuhänder Aufgaben zukommen könnten, die bei Abschluß des Treuhandvertrags noch nicht vorhersehbar seien, aber dennoch gegebenenfalls zum Aufgabengebiet des Treuhänders gehörten.
Das FA hält Wiedereinsetzung für möglich, die Revision aber für unbegründet.
Die Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung verzichtet.
Entscheidungsgründe
1. Die Revision ist zulässig.
Die Revisionsbegründungsschrift des Klägers ging zwar ausweislich des Eingangsstempels erst am 2. Mai 1986 beim BFH ein (1. Mai; gesetzlicher Feiertag), nachdem die Revisionsbegründungsfrist am Mittwoch, den 30. April 1986 abgelaufen war. Dem Kläger ist jedoch antragsgemäß Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 56 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zu gewähren. Er hat durch Vorlage einer Kopie des Postausgangsbuchs über die Absendung am 29. April 1986 und eine eidesstattliche Versicherung seiner Mitarbeiterin glaubhaft gemacht, daß diese den Brief an diesem Tag gegen 19.00 Uhr in den Briefkasten des Hauptpostamts eingeworfen hat. Ferner hat er durch Vorlage der Abschrift des Aushangs beim Hauptpostamt über die Brieflaufzeiten glaubhaft gemacht, daß der mitgeteilte Aufgabezeitpunkt ausreiche, daß der Brief am nächsten Tag in München zugestellt werden konnte.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) darf der Bürger darauf vertrauen, daß die von der Post nach ihren organisatorischen und betrieblichen Vorkehrungen für den Normalfall festgelegten Postlaufzeiten eingehalten werden. Werden die Laufzeiten überschritten, darf das dem Bürger, der hierauf keinen Einfluß hat, im Rahmen der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht als Verschulden zur Last gelegt werden (Beschluß des BVerfG vom 4. Mai 1977 2 BvR 616/75, BVerfGE 44, 302, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1977, 1233; ferner BFH-Urteil vom 24. Juni 1988 III R 177/85, BFH/NV 1989, 351).
2. Die Revision des Klägers ist jedoch unbegründet.
Nach § 12 Abs. 2 Nr. 5 UStG 1973 ermäßigt sich die Steuer auf die Hälfte des allgemeinen Steuersatzes für die Lieferungen und sonstigen Leistungen sowie den Eigenverbrauch aus der Tätigkeit als Angehöriger eines freien Berufs i. S. des § 18 Abs. 1 Ziff. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Die Begünstigung setzt zum einen voraus, daß der Unternehmer einen der in § 18 Abs. 1 Ziff. 1 EStG genannten Berufe ausübt. Das ist beim Kläger als Rechtsanwalt der Fall. Zum anderen muß der jeweilige Umsatz als sog. berufstypische Tätigkeit ausgeführt werden (vgl. BFH-Urteil vom 2. Oktober 1986 V R 99/78, BFHE 148, 184, BStBl II 1987, 147).
a) Die letztgenannte Voraussetzung der berufstypischen Tätigkeit entnimmt die Rechtsprechung der Gesetzesformulierung ,,aus der Tätigkeit als . . ." in § 12 Abs. 2 Nr. 5 UStG 1973. Berufstypisch ist eine Tätigkeit, wenn sie zum Berufsbild eines freien Berufs i. S. des § 18 Abs. 1 Ziff. 1 EStG gehört.
Das Berufsbild eines Rechtsanwalts hat der Senat anhand des Berufsrechts nach der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) definiert (BFHE 148, 184, BStBl II 1987, 148 m. w. N.). Der Rechtsanwalt ist Organ der Rechtspflege. Er übt einen freien Beruf aus und ist der berufene unabhängige Berater und Vertreter in allen Rechtsangelegenheiten (§§ 1-3 BRAO). Das Berufsbild wird demanch geprägt von der Aufgabe, in allen Rechtsangelegenheiten eigenverantwortlich Rechtsrat zu erteilen und für Rechtsuchende deren Rechtsangelegenheiten zu besorgen. Wie in der vorbezeichneten Entscheidung im Anschluß an die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) ausgeführt wird, ist nicht jede außerjuristische, auch nicht jede kaufmännische (insbesondere auch nicht jede verwaltende) Tätigkeit mit dem Berufsbild des Rechtsanwalts unvereinbar. Ein gewisser Bereich vermögensverwaltender Tätigkeit ist ohnehin vom Aufgabenbereich des Rechtsanwalts unmittelbar erfaßt. Besorgung von Rechtsangelegenheiten ist nicht auf die Erteilung von Rechtsrat beschränkt, sondern umfaßt auch die Übernahme derjenigen Tätigkeiten für den Mandanten, die der Rechtsanwalt für richtig hält, wie z. B. die Einziehung von Forderungen für einen Dritten oder die Kreditvermittlung, wenn der Rechtsanwalt gerade in dieser Eigenschaft damit beauftragt wurde und sich um Klärung der rechtlichen Voraussetzungen einer Kreditgewährung kümmern muß. Die treuhänderische Tätigkeit des Klägers für Bauherrengemeinschaften im Streitfall gehört nicht zur berufstypischen freiberuflichen Tätigkeit als Rechtsanwalt.
Zur Anwendbarkeit des § 18 Abs. 1 EStG auf Treuhändertätigkeit bei Bauherrengemeinschaften hat der BFH inzwischen bereits mehrfach entschieden.
Nach dem Beschluß des Senats vom 3. Oktober 1985 V B 88/84 (BFH/NV 1987, 335) ist die sog. Mittelverwendungskontrolle, die einem Steuerberater im Rahmen eines Bauherrenmodells übertragen wird, keine berufstypische (freiberufliche) Tätigkeit i. S. des § 12 Abs. 2 Nr. 5 UStG 1973. Mit Urteil vom 11. Mai 1989 IV R 43/88 (BFHE 157, 155, BStBl II 1989, 797) hat der IV. Senat entschieden, daß die Treuhändertätigkeit eines Steuerberaters für Bauherrengemeinschaften weder Ausübung eines freien Berufs (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG) noch sonstige selbständige Arbeit i. S. des § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG war. Mit Urteil vom 1. Februar 1990 IV R 42/89 (BFHE 160, 21, BStBl II 1990, 534) verneinte der IV. Senat ferner, daß die Treuhändertätigkeit eines Rechtsanwalts freiberufliche Tätigkeit als Rechtsanwalt i. S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG sei (berufstypische Anwaltstätigkeit nach den Kriterien der eingangs wiedergegebenen Rechtsprechung des Senats). Der IV. Senat ging dabei von folgenden Kriterien aus: Der Inhalt der wichtigsten abzuschließenden Verträge, nämlich der Gesellschaftsvertrag der Bauherrengemeinschaft, der Finanzierungsbeschaffungs- und der Baubetreuungsvertrag waren dem Kläger vorgegeben, so daß die Erteilung von Rechtsrat entfiel. Das gleiche galt für die Annahme des bereits vorliegenden Angebots zum Abschluß des Grundstückskaufvertrags. Auch die Aktivitäten des Klägers im Rahmen der Baufinanzierung, die Mitwirkung im Baugenehmigungsverfahren, die Führung von Treuhänderkonten, die Abwicklung des Zahlungsverkehrs und die Erstellung der Schlußabrechnung waren keine typisch anwaltlichen Tätigkeiten in dem Sinne, daß eine rechtliche Beratung oder auch nur die Prüfung rechtlicher Voraussetzungen im Vordergrund gestanden hätten. Vielmehr handelte es sich im wesentlichen um routinemäßig abzuwickelnde kaufmännisch-verwaltende Tätigkeiten im Rahmen der Abwicklung eines Bauvorhabens, wie sie nicht nur von Rechtsanwälten, sondern erfahrungsgemäß auch von Angehörigen anderer Berufe wahrgenommen werden. Ferner handelte es sich nach dem letztgenannten Urteil des IV. Senats bei der Treuhandtätigkeit um keine einem Katalogberuf i. S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG ähnliche Tätigkeit. Für die tatsächlich ausgeübte Treuhandtätigkeit sei weder eine bestimmte Ausbildung noch eine behördliche Zulassung erforderlich, so daß schon deshalb die Vergleichbarkeit mit den Berufen des Rechtsanwalts, Notars, Wirtschaftsprüfers oder Steuerberaters entfalle. Schließlich ähnele die Tätigkeit auch nicht der eines beratenden Volks- oder Betriebswirts.
Der erkennende Senat schließt sich diesen Beurteilungsmerkmalen an. Das FG, das von entsprechenden Erwägungen ausging, sah danach ohne Rechtsverstoß die Treuhändertätigkeit des Klägers bei Bauherrenmodellen als nicht berufstypische anwaltliche Tätigkeit an. Nach seinen (nicht angegriffenen) Feststellungen unterlag der Kläger bei den Tätigkeiten, die vom Berufsbild des Rechtsanwalts grundsätzlich noch abgedeckt waren - wie etwa Überprüfung abgeschlossener oder noch abzuschließender Verträge -, weitgehend bereits einer Bindung an das zuvor vom Initiator des Bauvorhabens ausgearbeitete Konzept, so daß er letztlich als Treuhänder ,,reines Vollzugsorgan der Bauherren" war. Soweit der Kläger in der Revisionsbegründung dies als unzutreffend bezeichnet, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Der Vortrag des Klägers, der Abschluß der wichtigsten Verträge, nämlich des Grundstückskaufvertrags sowie des Generalunternehmervertrags oder die Vergabe von Einzelaufträgen an Bauunternehmer und Handwerker, habe einzig und allein den durch den Treuhänder vertretenen Bauherren oblegen, ergibt nicht, daß der Kläger insoweit rechtsberatend tätig war. Vielmehr handelt es sich dabei um den Vollzug der in dem Gesamtvertragswerk vorgegebenen - insbesondere dem Kläger vorgegebenen - Tätigkeiten, die, wie das FG revisionsrechtlich bindend festgestellt hat, dem Kläger keinen Auswahlspielraum ließen, weil er auch nur auf die vom Initiator vorgeschlagenen Unternehmen zurückgreifen konnte.
Soweit sich der Kläger auf Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit der Treuhändertätigkeit für die Bauherrengemeinschaft beruft, braucht das FG darauf nicht einzugehen. Es hat festgestellt, daß keine der vom Kläger bezeichneten Rechtsstreitigkeiten in den Streitjahren in Auftrag gegeben bzw. durchgeführt worden sind. Offen bleiben kann auch, ob die Beurteilung der Treuhänderleistungen als berufstypisch nach dem Zeitpunkt der Rechnungstellung - bei Bauherrenmodellen üblicherweise in der Anfangsphase des Projekts - zu erfolgen hat (so das FG) oder ob auch später eintretende Umstände wie der vom Kläger angeführte Zusammenbruch von Initiatoren eines Bauherrenmodells eine Rolle spielen können. Soweit sich der Kläger auf rechtsberatende und rechtsbesorgende Tätigkeiten im Zusammenhang mit dem wirtschaftlichen Zusammenbruch des Initiators beruft, handelt es sich um Vorgänge, die die Streitjahre nicht berührten.
Fundstellen
Haufe-Index 417161 |
BFH/NV 1991, 131 |