Leitsatz (amtlich)
Die zu § 92 Abs. 2 AO vom BFH entwickelten Auslegungsgrundsätze sind auch bei Umsatzsteuerveranlagungen mit Hilfe elektronischer Datenverarbeitung anzuwenden. Die rein theoretische Möglichkeit, daß der fehlerhaften Eintragung in den Eingabebogen auch rechtliche Überlegungen zugrunde gelegen haben könnten, schließt eine Berichtigung nach § 92 Abs. 2 AO nicht aus.
Normenkette
AO § 92 Abs. 2
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger), ein Beamter der Finanzverwaltung, ist nebenberuflich als Vertrauensmann des Beamtenheimstättenwerks tätig und bezieht aus dieser Tätigkeit Provisionen für die Vermittlung von Bausparverträgen. Unter Berufung auf das Urteil des Senats vom 27. Mai 1971 V R 109/70 (BFHE 102, 440, BStBl II 1971, 649), das zum besonderen Kürzungsanspruch nach § 13 des Berlinhilfegesetzes - BHG - 1968 i. d. F. vom 1. Oktober 1968 (BGBl I, 1049, BStBl I, 1128) Stellung genommen hatte, reichte der Kläger im Jahre 1972 Umsatzsteuererklärungen für die Jahre 1968 bis 1970 beim Beklagten und Revisionsbeklagten (FA) ein. Er Erklärte neben nach § 4 Nr. 11 UStG 1967 steuerfreien Umsätzen aus der Tätigkeit als Bausparkassenvertreter (von 10 867 DM für 1968, von 16 963 DM für 1969 und von 14 545 DM für 1970) steuerpflichtigen Eigenverbrauch im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 UStG 1967 (1 717 DM für 1968, 1 165 DM für 1969 und 1 448 DM für 1970). Die unter Anwendung des § 19 UStG 1967 errechnete Steuerschuld im Sinne des § 13 UStG 1967, die sich wegen des Freibetrages von 12 000 DM jeweils auf null DM belief, kürzte der Kläger gemäß § 13 BHG 1968 um 4 v. H. des Entgelts für die im jeweiligen Veranlagungszeitraum bewirkten steuerpflichtigen Umsätze (den Eigenverbrauch). Es ergab sich nach seinen Errechnungen für alle drei Kalenderjahre eine negative Steuerzahlungsschuld, die sich für 1968 auf 68,68 DM, für 1969 auf 46,60 DM und für 1970 auf 45,92 DM, also insgesamt auf einen Betrag von 161,20 DM, belief.
Das FA übertrug die Angaben des Klägers wegen Durchführung der Umsatzsteuerveranlagung mit Hilfe eines EDV-Rechenprogramms in besondere Eingabebogen für die Veranlagung nach § 19 UStG 1967 (Vordruck USt 262 C-Elektr.). Auf Grund der Angaben in den Steuererklärungen und der Vordruckgestaltung wurden drei Eintragungen in den jeweiligen Eingabebogen vorgenommen, und zwar zum Eigenverbrauch (Kennziffer 213), zu den steuerfreien Umsätzen unter Angabe der Steuerbefreiungsvorschrift (Kennziffer 245) und zu den "Umsätzen, die gemäß § 19 Abs. 1 UStG 1967 dem Steuersatz von 4 v. H. unterliegen" (Kennziffer 300). Der zuständige Sachbearbeiter des FA trug bei den Kennziffern 213 und 245 zutreffend die vom Kläger erklärten Beträge zu den nach § 4 Nr. 11 UStG 1967 steuerfreien Umsätzen und zum (steuerpflichtigen) Eigenverbrauch ein. Dagegen setzte er bei der Kennziffer 300 nicht den allein steuerpflichtigen Eigenverbrauch, sondern die - die steuerfreien Umsätze einschließende - Summe aller Umsätze ein.
Auf Grund dieser falschen Eintragung wurden die Angaben in den Eingabebogen (nach ihrer abschließenden Zeichnung durch den Sachgebietsleiter) vom EDV-Rechenprogramm entsprechend ausgewertet. In dem dem Kläger zugegangenen erstmaligen Umsatzsteuerbescheiden 1968 bis 1970 vom 23. Mai 1972 ist als Ausgangsbetrag der Steuerberechnung nicht die Summe der vom Kläger vereinnahmten Entgelte enthalten. Der Ausgangsbetrag war wegen der falschen Eintragung in Kennziffer 300 verdoppelt worden.
Nach Hinzurechnung und Abzug der vom Kläger erklärten Beträge für Eigenverbrauch und (steuerfreie) Provisionen von diesem unzutreffenden Ausgangsbetrag war ein steuerpflichtiger Umsatz errechnet und ausgeschrieben worden (von 12 584 DM für 1968, von 18 128 DM für 1969 und von 15 993 DM für 1970), der die zu hohe Bemessungsgrundlage für die Errechnung des Kürzungsanspruchs nach § 13 BHG bildete. Dies führte zu negativen Steuerzahlungsschulden von 480 DM für 1968, von 474,90 DM für 1969 und von 480 DM für 1970. Insgesamt gelangte der Betrag von 1 434,90 DM an den Kläger zur Auszahlung.
Im Juni 1972 entdeckte der zuständige Sachbearbeiter bei Durchsicht der Überwachungsliste, in der die Ergebnisse der Veranlagung eingetragen werden, den Fehler. Das FA erließ unter Berufung auf § 92 Abs. 2 AO berichtigte Bescheide, in denen unter Zugrundelegung der vom Kläger in seinen Steuererklärungen gemachten Angaben die negative Steuerzahlungsschuld herabgesetzt wurde, und zwar für 1968 auf 68,70 DM, für 1969 auf 46,60 DM und für 1970 auf 57,95 DM.
Einspruch und Klage, mit denen der Kläger das Vorliegen der Voraussetzungen für eine auf § 92 Abs. 2 AO gestützte Berichtigungsveranlagung verneinte, hatten keinen Erfolg. Mit der Revision trägt der Kläger im wesentlichen vor:
Das FG habe den Begriff der offenbaren Unrichtigkeit im Sinne des § 92 Abs. 2 AO verkannt. Nach der Rechtsprechung des BFH sei eine Unrichtigkeit nur offenbar, wenn das Versehen für alle Beteiligten durchschaubar, erkennbar, eindeutig und augenfällig sei (Hinweis auf Urteil vom 29. März 1966 V 109/61, BFHE 86, 333, BStBl III 1966, 515). Eindeutige Anhaltspunkte für einen derartigen mechanischen Fehler, der einen Rechtsirrtum ausschlösse, habe das FG nicht anführen können, sondern sich in Ermangelung solcher Anzeichen auf die negative Schlußfolgerung beschränkt, daß keine Anhaltspunkte für die Absicht des Sachbearbeiters sprächen, einen höheren als den erklärten Erstattungsbetrag festzusetzen. Das FG könne zur Stützung dieser Schlußfolgerung nicht darauf abheben, der Sachbearbeiter könne angesichts der klaren steuerlichen Verhältnisse über die Höhe der steuerpflichtigen Umsätze keine Zweifel gehabt haben, weshalb die Übertragung des Gesamtumsatzes in die Kennziffer 300 versehentlich geschehen sei. Nach Auffassung des BFH (Urteil vom 4. September 1961 I 61/61 U, BFHE 73, 649, BStBl III 1961, 502) schließe die Offensichtlichkeit eines Fehlers nicht aus, daß er auf Grund rechtlicher Überlegungen zustande gekommen sei. Die Möglichkeit eines rechtlichen Irrtums aber könne jedoch hier nicht ausgeschlossen werden. Das FG beurteile die Sachbehandlung als Flüchtigkeit in der Erklärung, weil es dem Sachbearbeiter Kenntnisse in den umsatzsteuerrechtlichen Grundbegriffen der Umsatzsteuerfreiheit und -pflichtigkeit unterstelle. Ein derartiger Beurteilungsmaßstab sei jedoch schon vom BFH im Urteil vom 18. November 1954 IV 486/53 U (BFHE 60, 52, BStBl III 1955, 19) abgelehnt worden. Im übrigen habe der Sachbearbeiter die Umsatzsteuererklärungen einer sachlichen Nachprüfung unterzogen, da er in der Erklärung 1970 einen Rechenfehler von 300 DM entdeckt habe. Schließlich spreche die Bescheiderteilung für 1968 und 1969 trotz des erklärten Verzichts bei Veranlagung nach Erklärung insgesamt dafür, daß das FA bewußt, wenn auch rechtlich irrig, von der in den Umsatzsteuererklärungen niedergelegten Rechtsauffassung abweichen wollte.
Der Kläger beantragt sinngemäß, das vorinstanzliche Urteil und die auf § 92 Abs. 2 AO gestützten Berichtigungsbescheide aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen. Es tritt den Ausführungen des FG bei.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
Gemäß § 92 Abs. 2 AO n. F. können Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten nach Bekanntgabe des Steuerbescheides, auch wenn er bestandskräftig geworden ist, berichtigt werden. Die neuere Rechtsprechung des BFH geht davon aus, daß der Begriff der ähnlichen offenbaren Unrichtigkeit jedenfalls negativ dahin abgegrenzt werden kann, daß er nicht die unrichtige Tatsachenwürdigung und die Auslegung oder Nichtanwendung einer Rechtsvorschrift erfaßt. Besteht die Möglichkeit eines Rechtsirrtums, ist die Anwendung des § 92 Abs. 2 AO ausgeschlossen (so BFH-Urteile vom 10. Februar 1967 VI R 5/66, BFHE 88, 155, BStBl III 1967, 348; vom 5. Oktober 1967 IV R 84/67, BFHE 90, 106, BStBl III 1967, 793; vom 8. Dezember 1967 VIR 85/67, BFHE 90, 468, BStBl II 1968, 191; vom 4. Februar 1972 III R 28/68, BFHE 105, 439, BStBl II 1972, 679; vom 25. Februar 1972 VIII R 141/71, BFHE 105, 243, BStBl II 1972, 550, und vom 7. Juni 1972 I R 115/70, BFHE 106, 14, BStBl II 1972, 743).
Nach der in den vorbezeichneten Entscheidungen zum Ausdruck kommenden Rechtsauffassung, die auch der erkennende Senat teilt, sind offenbare Unrichtigkeiten im Sinne des § 92 Abs. 2 AO nur mechanische Versehen, zu denen in erster Linie Rechen- und Schreibfehler, Fehler beim Ablesen der Steuertabelle, Übertragungsfehler oder Fehler bei technisch unrichtiger Verwendung einer EDV-Anlage gezählt werden. Diese Auslegung geht vom Sinn und Zweck des § 92 Abs. 2 AO aus, die den Steuerverwaltungsakt erlassende Behörde nicht an das gebunden zu halten, was sie zwar erklärt, aber in Wirklichkeit nicht gewollt hat. Ob ein derartiger mechanischer (technischer) Fehler in der Erklärung mit einer erkennbaren Abweichung vom wirklich Gewollten vorliegt oder ein die Berichtigung nach § 92 Abs. 2 AO ausschließender, in den Bereich der Willensbildung fallender Tatsachenoder Rechtsirrtum, kann nur nach den Verhältnissen des Einzelfalls beurteilt werden (vgl. BFH-Urteil VI R 85/67).
Von vorstehenden Grundsätzen ist auch bei Veranlagungen unter Einsatz der elektronischen Datenverarbeitung auszugehen. Fehler bei der Feststellung der Eingabewerte und ihrer Eintragung in den Eingabebogen (auch als Eingabewertbogen bezeichnet) sind somit darauf zu prüfen, ob es sich um mechanische Versehen im Sinne der BFH-Rechtsprechung handelt (Urteile IV R 84/67 und vom 2. August 1974 VI R 137/71, BFHE 113, 169, BStBl II 1974, 727). Nach Auffassung des Senats ist der bei Ausfüllung der Umsatzsteuereingabebogen 1968 bis 1970 eingetretene Fehler als mechanischer Übertragungsfehler anzusehen, der einer Berichtigung nach § 92 Abs. 2 AO zugänglich ist. Die Steuerbescheide, die dieser Beurteilung zugrunde liegen, sind allerdings nicht mit denjenigen des herkömmlichen manuellen Verfahrens identisch. Steuerbescheid des manuellen Veranlagungsverfahrens ist der bei den Steuerakten befindliche Berechnungsbogen, der mit der Festsetzung der Steuer abschließt und vom Sachgebietsleiter gezeichnet ist (vgl. BFH-Urteile vom 11. November 1964 I 330/62 U, BFHE 81, 198, BStBl III 1965, 70; vom 6. Juli 1967 IV 274/62, BFHE 89, 460, BStBl III 1967, 682, und vom 26. Juli 1974 III R 94/73, BFHE 113, 164, BStBl II 1974, 725). Bei elektronischer Steuerfestsetzung dagegen übernimmt die Funktion, den Entscheidungswillen und die Rechtsauffassung der zuständigen Beamten zu dokumentieren, der Eingabebogen. Er ist, da die Steuerberechnung und -festsetzung weitgehend durch das EDV-Programm durchgeführt wird, und erst im ausgedruckten, in erster Linie für den Steuerpflichtigen bestimmten Bescheid sichtbar wird, zwangsläufig auf die Eintragung von Daten und Beträgen unter bestimmten Kennziffern beschränkt. Dadurch wird, wenn auch nicht unmittelbar sichtbar, die Steuer für den Einzelfall bereits konkretisiert. Es kann dabei nicht übersehen werden, daß in der Regel mit der Zuordnung von Beträgen zu bestimmten Kennziffern rechtliche Entscheidungen getroffen werden; denn mit der Zuordnung zu einer Kennziffer ist durchweg eine bestimmte, im vorhinein durch das EDV-Rechenprogramm festgelegte rechtliche Behandlung verbunden. Diese nehmen die zuständigen Beamten - sofern kein mechanisches Versehen vorliegt - mit der abschließenden Zeichnung des Eingabebogens in ihren Willen auf, da sie sowohl durch die Kennziffer-Erläuterungen im Eingabebogen als auch durch verwaltungsinterne Dienstanweisungen über die Bedeutung und Auswirkungen der Kennziffern unterrichtet sind (vgl. Entwurf einer Abgabenordnung, Bundestags-Drucksache VI/1982 S. 144/145).
Mit der (fälschlichen) Eintragung der Gesamtsumme der Umsätze bei Kennziffer 300 des Umsatzsteuereingabebogens - anstelle der richtigerweise einzutragenden steuerpflichtigen Umsätze - war jedoch eine rechtliche Entscheidung im Sinne der Gewährung eines höheren als des vom Kläger erklärten Kürzungsanspruchs nach § 13 BHG 1968 nicht verbunden. Nach Auffassung des Senats ist die Möglichkeit eines derartigen Rechtsirrtums zu verneinen. Diese Möglichkeit darf nicht nur rein theoretischer Natur sein. Vielmehr muß sie sich durch die vom Gericht festgestellten Tatsachen belegen lassen (so auch BFH-Urteile vom 2. August 1974 VI R 137/71, BFHE 113, 169, BStBl II 1974, 727, und vom 22. November 1974 VI R 138/72, BFHE 114, 346, BStBl II 1975, 350). Das ist hier nicht der Fall. Die Berücksichtigung der Gesamtumstände deuten auf ein mechanisches Versehen hin.
Der zuständige Sachbearbeiter hatte zutreffend die steuerfreien Umsätze im Sinne des § 4 Nr. 11 UStG 1967 bei Kennziffer 245 und den steuerpflichtigen Eigenverbrauch bei Kennziffer 213 eingetragen. Damit war von ihm die sachlich richtige Entscheidung über die notwendige Trennung der Umsätze des Klägers in steuerfreie und steuerpflichtige bereits getroffen. Dies gilt auch in betragsmäßiger Hinsicht. Der Ansatz eines davon abweichenden Betrages bezüglich steuerpflichtiger Umsätze, wie er tatsächlich in Kennziffer 300 erfolgte, läßt die Möglichkeit einer fehlerhaften Rechtsbeurteilung deshalb nicht zu, weil es sich bei diesem (fehlerhaften) Betrag um die Summe der steuerfreien und steuerpflichtigen Umsätze, also um einen der Erklärung entnehmbaren und nicht besonders berechneten Betrag handelt. Möglicherweise ist der Sachbearbeiter durch den entsprechenden Additionsvorgang in der Umsatzsteuererklärung zu der mechanischen Übertragung der Summe in den Eingabebogen verleitet worden. Jedenfalls ist der ihm unterlaufene Fehler offensichtlich durch eine mechanische Übertragung aus der Umsatzsteuererklärung bedingt. Eine auch noch so vage Möglichkeit, der Sachbearbeiter habe dazu eine rechtliche Erwägung angestellt, ist nicht ersichtlich.
Gegen eine bewußte Abweichung aus Rechtsgründen spricht auch die Vorschrift des § 211 Abs. 2 Nr. 3 AO. Es muß angesichts der krassen Abweichung - wäre sie rechtlich bedingt - davon ausgegangen werden, daß der Sachbearbeiter diese Abweichung im Steuerbescheid erläutert hätte. Der Senat vermag auch nicht der Auffassung des Klägers zu folgen, daß sich die Möglichkeit rechtlicher Erwägungen seitens des Sachbearbeiters daraus ergebe, daß dieser in der Umsatzsteuererklärung 1970 einen Rechenfehler entdeckt habe. Diese Sachdarstellung ist unrichtig, weil der zutreffende Betrag ohne weiteres aus Zeile 10 der Umsatzsteuererklärung entnommen werden konnte. Die vom Kläger aus der Tatsache, daß trotz Bescheidverzichts eine Veranlagung durchgeführt wurde, gezogenen Schlüsse hält der Senat für abwegig.
Fundstellen
BStBl II 1975, 868 |
BFHE 1976, 462 |