Leitsatz (amtlich)
1. Das Recht, den gemeinen Wert von Anteilen an Kapitalgesellschaften einheitlich und gesondert festzustellen, unterliegt nicht der Verwirkung.
2. Über die Verwirkung der von dem Bescheid über die einheitliche und gesonderte Feststellung des gemeinen Werts von Anteilen an Kapitalgesellschaften abhängigen Steueransprüche kann nicht im Verfahren über diesen Feststellungsbescheid, sondern nur in den Verfahren über die Festsetzung dieser Steuern entschieden werden.
Normenkette
AO § 213 Abs. 2, §§ 214-215, 220 Nr. 2, § 232 Abs. 2; FGO § 42 Abs. 2; BewDV § 64 ff.
Tatbestand
Streitig ist die Bewertung der Anteile an der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), einer GmbH, auf den 31. Dezember 1965. An diesem Stichtag waren der inzwischen verstorbene Ehemann der Beigeladenen zu 1., dessen Alleinerbin sie ist, und sein Sohn, der Beigeladene zu 2., zu je 50 v. H. an dem Stammkapital der Klägerin von 20 000 DM beteiligt. Die Klägerin hatte am 25. Oktober 1966 eine Erklärung zur einheitlichen und gesonderten Feststellung des gemeinen Werts ihrer Anteile auf den 31. Dezember 1965 eingereicht, in der sie den gemeinen Wert der Anteile zu diesem Stichtag auf 919 v. H. und für den Vater des Beigeladenen zu 2. wegen mangelnden Einflusses auf die Geschäftsführung nach Abschn. 80 der Vermögensteuer-Richtlinien 1966 auf 817 v. H. errechnete. Wegen einer bevorstehenden Betriebsprüfung hatte der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) zunächst die Bearbeitung dieser Erklärung zurückgestellt und die Vermögensteuerveranlagungen 1966 der beiden Gesellschafter vorläufig durchgeführt. Durch die Betriebsprüfung, die im März 1969 durchgeführt wurde, ergab sich keine wesentliche Veränderung der Besteuerungsgrundlagen. Der Einheitswert des Betriebsvermögens der Klägerin auf den 1. Januar 1966 wurde endgültig auf 267 000 DM festgestellt, während ihn die Klägerin in der Erklärung zur Anteilsbewertung mit 257 000 DM angegeben hatte. Zu der Anteilsbewertung nahm der Betriebsprüfer nicht Stellung. Bei der Auswertung des Betriebsprüfungsberichts wurde die vorläufige Vermögensteuerveranlagung 1966 des Beigeladenen zu 2. am 12. November 1969 für endgültig erklärt. Bei der Bearbeitung der Anteilsbewertung auf den 31. Dezember 1968 stellte das FA fest, daß die Anteilsbewertung auf den 31. Dezember 1965 noch nicht durchgeführt worden war. Es stellte daraufhin durch Bescheid vom 13. Februar 1970 den gemeinen Wert der Anteile der Klägerin zum 31. Dezember 1965 einheitlich auf 1 644 v. H. fest. Dieser Bescheid wurde der Klägerin und den beiden Beigeladenen zugestellt. Der Einspruch, mit dem die Klägerin beantragte, den angefochtenen Bescheid ersatzlos aufzuheben, hilfsweise, ihn durch einen ihrer Erklärung entsprechenden Bescheid zu ersetzen, hatte keinen Erfolg. Auch die Klage wurde, nachdem das FG die Beigeladenen zu 1. und 2. zum Verfahren beigeladen hatte, abgewiesen.
Die Klägerin beantragt mit der Revision, das FG-Urteil und den angefochtenen Bescheid in der Gestalt der Einspruchsentscheidung aufzuheben, hilfsweise, die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen. Es wird Verletzung von Bundesrecht gerügt. Die Revision wird im wesentlichen wie folgt begründet: Der Steueranspruch des FA sei auf Grund eingetretener Verwirkung erloschen. Deshalb habe der Grundlagenbescheid nicht mehr erlassen werden dürfen. Nach dem Urteil des BFH vom 31. Oktober 1969 III R 73/69 (BFHE 97, 499, BStBl II 1970, 173) erlösche ein Steueranspruch nicht nur durch Verjährung, sondern auch durch Verwirkung. Die für die Verjährung entwickelten Grundsätze gälten auch für die Verwirkung. Das habe das FG nicht ausreichend berücksichtigt. Es hätte prüfen müssen, ob eine Verwirkung eingetreten sei. Es habe aber dazu keine abschließende Stellungnahme abgegeben. Das FG habe auch zu Unrecht die Ansicht vertreten, daß die Gesellschafter bei ihrer Vermögensteuer die Einwendungen gegen den Feststellungsbescheid hätten geltend machen können. Der BFH habe zwar in verschiedenen Urteilen die Meinung vertreten, daß eine Folgeänderung nach § 218 Abs. 4 AO nicht durchzuführen sei, wenn die Steueransprüche verjährt seien. Er habe aber auch eine Verwirkung bei Wertfortschreibungen anerkannt. Eine derartige Wertfortschreibung werde dann nicht mehr für möglich gehalten, wenn die darauf ruhenden Steueransprüche verjährt seien. Es erscheine daher nach der Rechtsprechung möglich, entweder gegen den Folgebescheid im Rahmen des § 218 AO oder gegen den Grundlagenbescheid vorzugehen. Das FG berufe sich auch zu Unrecht darauf, daß die Klägerin selbst aus dem Änderungsbescheid nicht beschwert sei. Diese Auffassung verstoße gegen § 71 BewDV und gegen § 60 Abs. 5 FGO. In diesem Punkte habe zudem das FG das rechtliche Gehör verletzt.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
1. Streitgegenstand im vorliegenden Verfahren ist der Bescheid vom 13. Februar 1970 über die einheitliche und gesonderte Feststellung des gemeinen Werts von Anteilen an einer GmbH. Dieser Bescheid beruht auf den §§ 64 ff. BewDV. Diese Bestimmungen beruhen ihrerseits auf der gesetzlichen Ermächtigung in § 220 Nr. 2 AO, in welcher der frühere Reichsminister der Finanzen ermächtigt wird, Bestimmungen über Einschränkungen und Erweiterungen der §§ 214 und 215 AO zu treffen. Daraus geht hervor, daß es sich bei diesem Bescheid um einen Feststellungsbescheid i. S. des § 213 Abs. 2 AO handelt, durch den die Besteuerungsgrundlagen gesondert festgestellt werden, also um einen sogenannten Grundlagenbescheid. Das ist unter den Beteiligten unstreitig. Verfahrensrechtlich besteht die Besonderheit solcher Grundlagenbescheide darin, daß Entscheidungen in einem solchen Bescheid nur durch Anfechtung dieses Bescheids, nicht auch durch Anfechtung des Steuerbescheids angegriffen werden können, dessen Grundlage sie sind (vgl. §§ 232 Abs. 2 AO, 42 Abs. 2 FGO). Daraus ergibt sich die vom RFH und auch vom Senat in ständiger Rechtsprechung vertretene Rechtsauffassung, daß Fragen der Steuerfestsetzung grundsätzlich nicht im Verfahren zur Feststellung der Besteuerungsgrundlagen entschieden werden können (vgl. BFH-Urteil vom 12. Juli 1974 III R 88/73, BFHE 113, 55, BStBl II 1974, 666).
2. Ausnahmen von den zu 1. dargelegten Grundsätzen hat die Rechtsprechung des RFH und des BFH in zwei Fällen zugelassen. Die erste Ausnahme bilden die Fälle, in denen feststeht, daß der Grundlagenbescheid keiner Besteuerung zugrunde zu legen ist. Das kann z. B. der Fall sein, wenn dem Steuerpflichtigen unbestritten persönliche Steuerbefreiungsgründe zustehen (vgl. RFH-Urteil vom 15. Dezember 1938 III 264/38, RStBl 1939, 121). Es kann weiter der Fall sein, wenn feststeht, daß sämtliche Steuern verjährt sind, die auf das Jahr entfallen, auf dessen Beginn der Grundlagenbescheid erlassen werden soll. Das hat der Senat in jüngster Zeit in den beiden Urteilen III R 73/69 und III R 88/73 erneut anerkannt. Er hat aber besonders in dem Urteil III R 88/73 hervorgehoben, daß eine solche Ausnahme nicht vorliegt, wenn sich bei der Person, der der Grundlagenbescheid zuzurechnen ist, ein so geringes Vermögen ergibt, daß es nicht zur Festsetzung einer Vermögensteuer kommt. Der Senat hat eine Berücksichtigung dieses Umstands schon im Feststellungsverfahren über den Grundlagenbescheid mit der Begründung abgelehnt, es müßten dann in diesem Verfahren Entscheidungen getroffen werden, die dem Veranlagungsverfahren vorbehalten sind. Die gleichen Erwägungen will der Senat, wie aus dem letzten Satz des Abschn. 3b der Begründung des Urteils III R 88/73 hervorgeht, auch gelten lassen, solange die von dem Grundlagenbescheid abhängigen Steuern nicht zweifelsfrei verjährt sind. Denn der Steuerpflichtige ist, wenn im Grundlagenbescheid die Verjährung verneint worden ist, nicht gehindert, die Verjährung noch gegen den Steuerbescheid geltend zu machen (vgl. BFH-Urteil vom 22. Oktober 1959 IV 36/59 U, BFHE 70, 61, BStBl III 1960, 24). Der zweite Ausnahmefall betrifft die Verwirkung des Rechts des Steuerpflichtigen, vom FA die Fortschreibung eines Einheitswerts zwecks Fehlerbeseitigung von Amts wegen zu verlangen, und umgekehrt das Recht des FA, eine solche Fortschreibung von Amts wegen vorzunehmen (BFH-Urteile vom 12. Mai 1961 III 239/59 U, BFHE 73, 445, BStBl III 1961, 430; vom 25. August 1961 III 90/60 S, BFHE 73, 635, BStBl III 1961, 498, und die dort angegebenen Entscheidungen). Der Senat hat jedoch bereits in dem Urteil vom 17. Juli 1964 III 392/60 U (BFHE 80, 397, BStBl III 1964, 618) hervorgehoben, daß diese Rechtsprechung sich nur bei Fortschreibungen auf den Währungsstichtag wegen der Auswirkungen auf den Lastenausgleich rechtfertigen läßt. Daran hält der Senat fest. Er ist der Auffassung, daß nur bei Fortschreibungen auf den Währungsstichtag die Verwirkung des Rechts auf Vornahme einer Fortschreibung in Betracht kommen konnte, daß aber im übrigen das Recht, einen Grundlagenbescheid zu erlassen, nicht verwirkt werden kann. Verwirkt werden können nur die Steueransprüche, die auf dem Grundlagenbescheid beruhen. Der Senat ist weiter der Meinung, daß die Verwirkung - anders wie die Verjährung - nicht im Verfahren gegen den Grundlagenbescheid geltend gemacht werden kann. Wie der Senat in dem Urteil III R 88/73 hervorgehoben hat, ist die Prüfung der Verjährung im Verfahren über den Grundlagenbescheid gerechtfertigt, weil damit im Regelfall keine Ermittlungen der Verhältnisse des Steuerpflichtigen verbunden sind, wie sie für das Steuerfestsetzungsverfahren im übrigen typisch sind. Das könnte schon anders liegen, wenn die Verjährung umstritten ist. Sicher ist es aber bei der Verwirkung anders zu beurteilen. Denn die Prüfung der Verwirkung erfordert im Regelfall Ermittlungen, wie sie für das Steuerfestsetzungsverfahren typisch sind.
3. Das FG hat also zu Recht die Frage der Verwirkung im vorliegenden Verfahren nicht endgültig entschieden. Es hat auch zu Recht ausgeführt, daß die Gesellschafter die Verwirkung des Vermögensteueranspruchs im Verfahren über die Vermögensteuerbescheide 1966 hätten geltend machen können, solange dieses noch nicht bestandskräftig abgeschlossen war.
4. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs liegt entgegen der Auffassung der Klägerin nicht vor. Die Ausführungen des FG-Urteils, daß die Klägerin selbst nicht beschwert sei, sind nicht dahin zu verstehen, daß die Klägerin keine Klagebefugnis gehabt habe. Das FG wollte offensichtlich damit nur zum Ausdruck bringen, daß die Verwirkung nicht im vorliegenden Verfahren zu entscheiden sei. Die Klägerin hat aber selbst eingeräumt, daß in der mündlichen Verhandlung die Frage angeschnitten worden sei, ob die Verwirkung nicht gegen die Vermögensteuerbescheide der Gesellschafter hätte geltend gemacht werden müssen. Sachliche Einwendungen gegen die Schätzung des gemeinen Werts in dem angefochtenen Bescheid hat die Klägerin in der Revision nicht mehr erhoben. Es sind keine Gesichtspunkte zu erkennen, die eine Beanstandung dieser Schätzungen rechtfertigen könnten. Die Revision war aus diesen Gründen als unbegründet zurückzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 71252 |
BStBl II 1975, 253 |
BFHE 1975, 12 |