Entscheidungsstichwort (Thema)
Insolvenzverfahren. Antrag auf Restschuldbefreiung vor Abschlussreife. Zulässiger Versagungsantrag bei glaubhaft gemachtem Ausfall des Insolvenzgläubigers § 290 InsO
Leitsatz (amtlich)
Ist über die Restschuldbefreiung im Hinblick auf das Ende der Laufzeit der Abtretungserklärung bereits vor Aufhebung des Insolvenzverfahrens zu entscheiden, kann ein absonderungsberechtigter Gläubiger, dessen Forderung für den Ausfall zur Tabelle festgestellt ist, einen Versagungsantrag stellen, wenn er seinen Ausfall glaubhaft macht.
Normenkette
InsO § 290 Abs. 2, § 300 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Hamburg (Beschluss vom 07.10.2009; Aktenzeichen 326 T 45/09) |
AG Hamburg (Entscheidung vom 04.05.2009; Aktenzeichen 67e IN 346/02) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der weiteren Beteiligten zu 1) wird der so bezeichnete Beschluss der Zivilkammer 26 des LG Hamburg vom 7.10.2009 aufgehoben.
Die Sache wird zur Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens - an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 5.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Rz. 1
Mit Beschluss vom 15.4.2003 wurde über das Vermögen des Schuldners, eines selbständig tätigen Architekten, das Insolvenzverfahren eröffnet und der weitere Beteiligte zu 2) zum Insolvenzverwalter bestimmt. Im Prüfungstermin am 19.1.2006 wurden hinsichtlich der weiteren Beteiligten zu 1), einer S. (im Folgenden: Gläubigerin), Forderungen aus Kreditverbindlichkeiten in die Insolvenztabelle aufgenommen und mit dem Vermerk versehen, dass sie vom Verwalter für den Ausfall in voller Höhe festgestellt, vom Schuldner allerdings bestritten sind. Das Insolvenzgericht beraumte für den 16.4.2009 eine Gläubigerversammlung "zur Anhörung der Gläubiger zu dem Antrag des Schuldners auf Ankündigung der Restschuldbefreiung sowie auf Erteilung der Restschuldbefreiung nach Ablauf der sechsjährigen Abtretungserklärung" an. Zugleich wurde darauf hingewiesen, eine gesonderte Anhörung nach § 300 InsO erfolge nicht mehr. In diesem Termin beantragte die Gläubigerin, dem Schuldner gem. § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO die Restschuldbefreiung zu versagen.
Rz. 2
Das Insolvenzgericht hat den Versagungsantrag als unzulässig zurückgewiesen. Das LG hat die hiergegen erhobene sofortige Beschwerde der Gläubigerin zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt die Gläubigerin ihren Antrag, die Restschuldbefreiung zu versagen, weiter.
II.
Rz. 3
Die Rechtsbeschwerde ist nach §§ 4, 6 Abs. 1, 7 a.F., § 300 Abs. 3 Satz 2 InsO, Art. 103 f Satz 1 EGInsO statthaft und auch im Übrigen zulässig (§ 4 InsO, § 574 Abs. 2 ZPO). Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.
Rz. 4
1. Der angegriffene Beschluss unterliegt der Aufhebung. Er weist, obwohl die zuständige Einzelrichterin am selben Tag mit gesondertem Beschluss die Sache der Kammer übertragen hatte, lediglich die Unterschrift dieser Richterin auf; im Beschlussrubrum wird dagegen die Kammer in voller Besetzung aufgeführt. Da es sich mithin lediglich um einen Beschlussentwurf der Berichterstatterin handelt, fehlt es an einer richterlichen Entscheidung der zuständigen Kammer (vgl. BGH, Urt. v. 23.10.1997 - IX ZR 249/96, BGHZ 137, 49, 51 ff.). Dem Nichtbeschluss kommt keine rechtliche Wirksamkeit zu, er ist unbeachtlich und zur Klarstellung ersatzlos aufzuheben (vgl. BGH, Urt. v. 23.10.1997, a.a.O.; v. 4.2.1999 - IX ZR 7/98, NJW 1999, 1192).
Rz. 5
2. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
Rz. 6
a) Der Beschlussentwurf, der in ZInsO 2009, 2163 veröffentlicht ist, hat gemeint, weil die Versagung der Restschuldbefreiung im Schlusstermin beantragt werden müsse, sei möglicherweise die Anberaumung eines vorgezogenen Anhörungstermins zur Stellung von Versagungsanträgen verfahrensfehlerhaft. Jedenfalls sei die Gläubigerin nicht berechtigt, einen Versagungsantrag zu stellen. Als absonderungsberechtigte Gläubigerin sei sie nur antragsberechtigt, wenn sie ihren Ausfall nachgewiesen hätte. Unbeachtlich sei, weshalb sie ihren Ausfall nicht nachweisen oder beziffern könne.
Rz. 7
b) Diesen Ausführungen kann nicht gefolgt werden.
Rz. 8
aa) Die Annahme, die Anberaumung eines vorgezogenen Anhörungstermins zur Stellung von Versagungsanträgen erscheine als verfahrensfehlerhaft, ist unzutreffend. Der Senat hat inzwischen wiederholt ausgesprochen, dass gem. § 300 Abs. 1 InsO nach Ablauf von sechs Jahren nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über den Antrag auf Restschuldbefreiung auch dann zu entscheiden ist, wenn das Insolvenzverfahren noch nicht abschlussreif ist (BGH, Beschl. v. 3.12.2009 - IX ZB 247/08, BGHZ 183, 258 Rz. 14, 20, 28; v. 12.5.2011 - IX ZB 229/10, ZInsO 2011, 1126 Rz. 6 f.; v. 16.2.2012 - IX ZB 268/10 Rz. 6, nv). Da zu diesem Zeitpunkt noch kein Schlusstermin abgehalten werden kann, muss die Anhörung der Insolvenzgläubiger, des Insolvenzverwalters oder Treuhänders und des Schuldners in einer Form durchgeführt werden, die dem Schlusstermin entspricht. Dies kann in einer Gläubigerversammlung oder gem. § 5 Abs. 2 InsO im schriftlichen Verfahren erfolgen (BGH, Beschl. v. 3.12.2009, a.a.O., Rz. 28; vom 12.5.2011, a.a.O., Rz. 7). Die Gläubiger können zwar hierbei nicht die Versagungsgründe des § 296 InsO geltend machen, weil der Schuldner die Obliegenheiten des § 295 InsO nur in der Wohlverhaltensphase zu beachten hat. Sie können sich aber auf die Versagungsgründe des § 290 InsO berufen (BGH, Beschl. v. 3.12.2009, a.a.O., Rz. 23 f.). Diesen Anforderungen entspricht die vom Insolvenzgericht anberaumte und durchgeführte Gläubigerversammlung vom 16.4.2009.
Rz. 9
bb) Zu Unrecht wurde davon ausgegangen, die Gläubigerin sei nicht befugt, einen Versagungsantrag zu stellen.
Rz. 10
(1) Versagungsanträge können nur diejenigen Gläubiger stellen, die Forderungen im Insolvenzverfahren angemeldet haben (BGH, Beschl. v. 22.2.2007 - IX ZB 120/05, ZVI 2007, 327 f.; v. 8.10.2009 - IX ZB 257/08, ZVI 2010, 30 Rz. 3; v. 10.8.2010 - IX ZB 127/10, NZI 2010, 865 Rz. 4). Erst die Teilnahme am Insolvenzverfahren begründet die Antragsberechtigung (vgl. Pape in Pape/Uhlenbruck/Voigt-Salus, Insolvenzrecht, 2. Aufl., Kap. 41 Rz. 21). Für einen absonderungsberechtigten Gläubiger gilt grundsätzlich nichts anderes. Ein Absonderungsberechtigter, der seine persönliche Forderung nicht zumindest in Höhe des Ausfalls anmeldet, nimmt allerdings am Insolvenzverfahren nicht teil (BGH, Beschl. v. 17.3.2005 - IX ZB 214/04, ZVI 2005, 322, 324; Ganter in MünchKomm/InsO, 2. Aufl., § 52 Rz. 16). Die Gläubigerin hat dagegen ihre Forderung angemeldet; der Insolvenzverwalter hat die Forderung für den Fall des Ausfalls zur Tabelle festgestellt.
Rz. 11
(2) Ob der absonderungsberechtigte Gläubiger zusätzlich den Ausfall nachzuweisen hat, wird im Schrifttum unterschiedlich beurteilt (befürwortend: Ahrens in FK/InsO, 6. Aufl., § 290 Rz. 80; Landfermann in HK/InsO, 6. Aufl., § 290 Rz. 37; HmbKomm-InsO/Streck, 4. Aufl., § 290 Rz. 2; ablehnend: Nerlich/Römermann, InsO, 2010, § 290 Rz. 7; Schmerbach in Haarmeyer/Wutzke/Förster, InsO, 2. Aufl., § 290 Rz. 42; Schmidt, Privatinsolvenz, 3. Aufl., § 5 Rz. 67 jew. unter Bezugnahme auf AG Hamburg, ZInsO 2008, 983, 984). Für die hier vorliegende Fallgestaltung, bei der über die Versagung der Restschuldbefreiung im Hinblick auf das Ende der Laufzeit der Abtretungserklärung bereits zu entscheiden ist, obwohl das Insolvenzverfahren noch nicht abschlussreif ist (vgl. BGH, Beschl. v. 3.12.2009, a.a.O.; vom 12.5.2011, a.a.O.; vom 16.2.2012, a.a.O.), kann jedenfalls auf den vollen Nachweis im Sinne einer Bezifferung nicht abgestellt werden.
Rz. 12
(a) Der nach § 190 Abs. 1 InsO zu führende Nachweis des Ausfalls im Rahmen der Schlussverteilung, mithin zu einem Zeitpunkt, in dem das Insolvenzverfahren abschlussreif ist, setzt die Verwertung des Haftungsgegenstandes (Uhlenbruck, InsO, 13. Aufl., § 190 Rz. 7) oder zumindest den Nachweis, dass ein erfolgloser Verwertungsversuch unternommen wurde (Ganter in MünchKomm/InsO, a.a.O., Rz. 35; Uhlenbruck/Brinkmann, a.a.O., § 52 Rz. 18), voraus. Regelmäßig wird die Verwertung bis zu diesem Zeitpunkt abgeschlossen (vgl. HK-InsO/Lohmann, a.a.O., § 52 Rz. 5) und damit eine genaue Bezifferung des Ausfalls möglich sein.
Rz. 13
(b) Handelt es sich dagegen um der Schlussverteilung vorausgehende Verfahrensabschnitte, findet im Hinblick auf die vielfach noch ausstehende Durchführung der Verwertung dieser Maßstab keine Anwendung. Geht es um Abschlagsverteilungen (§ 190 Abs. 2 InsO) oder um das Stimmrecht im Planverfahren (§ 237 Abs. 1 Satz 1 InsO), so genügt die Glaubhaftmachung (HK-InsO/Lohmann, a.a.O., Rz. 6). Erst recht gilt dies, wenn der absonderungsberechtigte Gläubiger einen Insolvenzantrag stellt und diesen mit einem möglichen Ausfall begründet. Nur dann, wenn der Ausfall nicht glaubhaft gemacht wird, fehlt dem Antrag das Rechtsschutzinteresse (vgl. BGH, Beschl. v. 29.11.2007 - IX ZB 12/07, ZIP 2008, 281 Rz. 12; HK-InsO/Lohmann, a.a.O.).
Rz. 14
(c) Für die vorliegende Fallgestaltung ist ebenfalls kennzeichnend, dass das Insolvenzverfahren noch nicht abschlussreif ist und mithin ein Schlusstermin (§ 197 InsO) nicht anberaumt werden kann. Auch hier ist es dem absonderungsberechtigten Insolvenzgläubiger regelmäßig nicht möglich, den vollen Nachweis des Ausfalls zu führen. Es genügt daher auch hier, den Ausfall glaubhaft zu machen.
Rz. 15
Im gegenwärtigen Verfahrensabschnitt ist das Zwangsversteigerungsverfahren noch nicht abgeschlossen. Die Gläubigerin hat im Beschwerdeverfahren vorgebracht, dass das bislang abgegebene Meistgebot deutlich unter der Summe der für sie in der Tabelle festgestellten Forderungen liegen wird. Diesem Vortrag muss nachgegangen werden.
Rz. 16
(3) Auch ist es nicht erheblich, dass der Schuldner die zur Tabelle festgestellten Forderungen bestritten hat. Für die Beurteilung der Berechtigung eines Gläubigers, einen Versagungsantrag zu stellen, ist dies ohne Belang.
Rz. 17
Der Widerspruch eines Schuldners gegen eine vom Insolvenzgläubiger zur Tabelle angemeldeten Forderung berührt die Stellung des Insolvenzgläubigers im Insolvenzverfahren nicht. Dies folgt aus § 178 Abs. 1 InsO (vgl. Ahrens in FK/InsO, a.a.O., Rz. 81). Restschuldbefreiungsverfahren und Insolvenzverfahren sind eng miteinander verbunden, insb., wenn die Versagung der Restschuldbefreiung bereits während des Insolvenzverfahrens nach Ablauf der Abtretungsfrist oder im Schlusstermin nach § 290 InsO erfolgen sollte. Da der Gesetzgeber die Entscheidung, ob dem Schuldner die Wohltat der Restschuldbefreiung gewährt werden soll, davon abhängig gemacht hat, dass die Insolvenzgläubiger keine begründeten Versagungsanträge stellen, muss entscheidend auf die Gemeinschaft der Insolvenzgläubiger abgestellt werden, wozu auch der absonderungsberechtigte Gläubiger gehört. Der nachinsolvenzlichen Wirkung des Schuldnerwiderspruchs, etwa nach § 201 InsO, kann hierbei keine Bedeutung zukommen, insb. keine den Versagungsantrag hindernde Wirkung (so aber Ahrens in FK/InsO, a.a.O.).
Fundstellen
Haufe-Index 3457581 |
DB 2012, 6 |
DStR 2012, 12 |
EBE/BGH 2012 |
NJW-RR 2013, 106 |
EWiR 2013, 21 |
WM 2012, 2161 |
JZ 2012, 726 |
MDR 2012, 1496 |
NJ 2012, 4 |
NZI 2012, 892 |
ZInsO 2012, 2164 |
ZInsO 2013, 857 |
InsbürO 2012, 479 |
NJW-Spezial 2012, 757 |
ZVI 2012, 469 |
FMP 2012, 208 |
VIA 2012, 91 |