Entscheidungsstichwort (Thema)
schwere räuberische Erpressung
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 30. Juni 1998, soweit es ihn betrifft, im Strafausspruch aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer räuberischer Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich die Revision des Angeklagten, die auf Verfahrensrügen und die Sachrüge gestützt ist. Mit der Sachrüge hat das Rechtsmittel teilweise Erfolg.
I.
Nach den Feststellungen überfiel der Angeklagte am 25. Februar 1997 eine Sparkassenfiliale in Nürnberg, bedrohte drei Bankangestellte mit einer Spielzeugpistole und erhielt so 32.070 DM.
II.
Der Schuldspruch ist dahingehend zu ändern, daß der Angeklagte der schweren räuberischen Erpressung nicht gemäß §§ 253, 255, 249, 250 Abs. 1 Nr. 2 StGB aF, sondern gemäß §§ 253, 255, 249, 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b StGB schuldig ist. Entgegen der Auffassung der Kammer erfüllt eine Spielzeugpistole nicht die Voraussetzungen des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB in der Fassung des 6. StrRG, vielmehr greift der mildere (und mithin gem. § 2 Abs. 3 StGB anzuwendende) § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b StGB nF ein (BGH, Beschl. vom 23. April 1998 - 1 StR 180/98 = StV 1998, 422; Boetticher/Sander NStZ 1999, 292). Der Strafausspruch ist aufzuheben. Es läßt sich nicht ausschließen, daß die Kammer eine mildere Strafe verhängt hätte, wenn sie von der niedrigeren Mindeststrafe ausgegangen wäre.
Die Feststellungen können insgesamt bestehen bleiben. Zur Strafzumessung können ergänzende Feststellungen getroffen werden.
III.
Im übrigen hat die Überprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Der näheren Ausführung bedarf dies nur hinsichtlich der folgenden Verfahrensrügen.
1. Es ist nicht zu beanstanden, daß der Antrag auf Einholung eines morphologischen bzw. anthropologischen Sachverständigengutachtens zum Beweis der Tatsache, die Nasenform des Angeklagten („Knubbelnase”) sei bei über 30 % der mitteleuropäischen Bevölkerung vorhanden, wegen eigener Sachkunde des Gerichts (§ 244 Abs. 4 Satz 1 StPO) abgelehnt wurde. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt: „Die vier Mitglieder der Strafkammer – Durchschnittsalter 50 Jahre – haben im Laufe ihres überwiegend in Mitteleuropa verbrachten Lebens zigtausende von Nasen gesehen und sehen täglich neue, so daß sie in der Lage sind zu beurteilen, wie häufig die dem Angeklagten eigene Nase in etwa vorkommt.” Entgegen der Ansicht der Revision stellt dies keinen Verstoß gegen § 244 Abs. 4 StPO dar. Über die allgemeine Lebenserfahrung hinausgehendes außerjuristisches Spezialwissen erfordert die Beantwortung der Beweisfrage, die keinen schwer erfaßbaren Sachverhalt betrifft, nicht. Es geht um den Beweiswert des Wiedererkennens durch die Hauptbelastungszeugin, eine Bankangestellte, die die Nase des Angeklagten wiedererkannt hat. Diese Beurteilung ist grundsätzlich richterliche Aufgabe. Die Situation ist vergleichbar mit der Fallkonstellation zur Frage, ob die Einholung eines Glaubwürdigkeitsgutachtens (dazu BGHSt 8, 130; 23, 8) erforderlich ist. Anhaltspunkte, die dort für die Einholung eines Gutachtens sprechen (vgl. hierzu Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 44. Aufl. § 244 Rdn. 74) sind hier nicht gegeben. So befand sich die fragliche Zeugin gerade nicht in einer Extremsituation, da sie den Überfall nicht bemerkt und den Täter lediglich als normalen – allerdings auffällig gekleideten – Kunden angeschaut hatte. Zudem ist der Erwerb von eigener Sachkunde noch während der laufenden Hauptverhandlung möglich (Gollwitzer in Löwe/Rosenberg StPO, 25. Aufl. § 244 Rdn. 300). Die Zeugin hat drei Wochen vor der Urteilsverkündung ausgesagt, so daß die Richter ausreichend Zeit für intensive Vergleichsbeobachtungen hatten.
2. Auch den Antrag auf Einholung eines aussagepsychologischen Sachverständigengutachtens dazu, daß Aussagen dieser Zeugin anläßlich der Gegenüberstellungen, der Lichtbildvorlagen und in der Hauptverhandlung keinerlei Beweiswert hätten bzw. die Zeugin unglaubwürdig sei, hat die Kammer rechtsfehlerfrei wegen eigener Sachkunde abgelehnt. Die Beurteilung der Glaubwürdigkeit von Zeugen ist Aufgabe des Tatrichters. Der Hinzuziehung eines Sachverständigen bedarf es nur, wenn die Eigenart und besondere Gestaltung des Einzelfalles eine Sachkunde erfordern, die ein Richter normalerweise nicht hat (BGH, Urt. vom 21. September 1993 - 1 StR 384/93). Die von der Kammer gesehene Problematik der Lichtbildvorlage, der Gegenüberstellung und des wiederholten Wiedererkennens führt zwar zur Notwendigkeit einer eingehenden Beweiswürdigung (BGHSt 16, 204, 205 f.; BGH StV 1997, 454), erfordert aber kein Spezialwissen.
3. Die Einholung eines Sachverständigengutachtens dazu, daß Richter nicht in der Lage seien, die Häufigkeitsverteilung von Nasenformen zu beurteilen, hat die Kammer rechtsfehlerfrei mit der Begründung abgelehnt, eine Beweisaufnahme über die Sachkunde des Gerichts fände nicht statt. In der Tatsacheninstanz entscheidet der Richter selbst, ob er die erforderliche Sachkunde hat (KK-Herdegen StPO, 4. Aufl. § 244 Rdn. 27 f.). Die Kammer braucht die in Anspruch genommene eigene Sachkunde nicht zur Erörterung stellen (Gollwitzer aaO § 244 Rdn. 302).
4. Den Beweisantrag auf Vernehmung von Bedienungskräften eines Schnellrestaurants dazu, daß der Angeklagte sich zur Tatzeit in diesem Restaurant aufgehalten habe, hat das Landgericht rechtsfehlerfrei gemäß § 244 Abs. 3 StPO wegen völliger Ungeeignetheit des Beweismittels abgelehnt. Bei diesem Ablehnungsgrund folgt das Gesetz der Erwägung, daß es dem Gericht nicht zuzumuten ist, Beweise zu erheben, von deren völliger Nutzlosigkeit es überzeugt ist. Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn sich der Zeuge nach feststehender allgemeiner Lebenserfahrung unmöglich mit einiger Zuverlässigkeit an die Beweistatsache erinnern kann, über die er aussagen soll (BGH bei Dallinger MDR 1973, 372). In Fällen, in denen ein Zeuge für länger zurückliegende Vorgänge benannt wird, hat der Tatrichter die Eignung des Beweismittels anhand allgemeiner Lebenserfahrung unter Berücksichtigung aller Umstände, die dafür oder dagegen sprechen, daß der Zeuge die in sein Wissen gestellten Wahrnehmungen gemacht und im Gedächtnis behalten hat, zu beurteilen (BGH NStZ 1993, 295, 296). Maßgebend sind u.a. die Bedeutung des Vorgangs für den Zeugen, die Häufigkeit ähnlicher Vorgänge und die Länge des Zeitablaufs (OLG Köln StV 1995, 293, 294; Alsberg/Nüse/Meyer, Der Beweisantrag im Strafprozeß, 5. Aufl. S. 615 f.). Diesen Anforderungen genügt die Entscheidung der Kammer. Es greifen gleich mehrere Gesichtspunkte ein, die sich gegenseitig verstärken: die Sache lag 16 Monate zurück, das Bedienen von Kunden in einem Schnellrestaurant dauert nicht lange, es handelt sich um einen für die Zeugen unbedeutenden Vorgang, die Zeugen erleben täglich eine Vielzahl ähnlicher Vorgänge und die Zeugen müßten sich nicht nur an die Person des Angeklagten und den Tag, sondern auch noch an die (relativ genaue) Uhrzeit erinnern.
5. Die Verfahrensrüge im Zusammenhang mit der Ablehnung des Befangenheitsantrages gegen den Vorsitzenden ist mangels vollständigen Sachverhaltsvortrages (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) unzulässig. Auch im Rahmen einer Befangenheitsrüge muß der Revisionsführer die den Mangel enthaltenden Tatsachen so vollständig und genau angeben, daß das Revisionsgericht aufgrund der Begründungsschrift prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, wenn die behaupteten Tatsachen bewiesen werden (BGH, Urt. vom 19. Februar 1992 - 2 StR 454/91). Das erfordert u.a. die genaue Wiedergabe der dienstlichen Äußerung des abgelehnten Richters (BGH, Urt. vom 25. September 1997 - 1 StR 481/97, insoweit nicht abgedruckt in StV 1998, 204). Hier wird in der Revisionsbegründung die dienstliche Äußerung nahezu vollständig und wörtlich wiedergegeben, es fehlen jedoch die für die Bewertung sehr wichtigen letzten Worte „wenn das eine Lüge war”.
6. Schließlich greift auch die erhobene Aufklärungsrüge (§ 244 Abs. 2 StPO) nicht durch. Die Revision rügt, die Kammer habe dazu, daß der Täter schwarze Haare gehabt habe, der Angeklagte dagegen blond sei und es keine Anhaltspunkte gäbe, daß er eine Perücke getragen habe oder die Haare gefärbt gewesen seien, nicht Beweis erhoben habe durch Befragung der vier vernommenen Bankangestellten hierzu und durch Einholung eines Sachverständigengutachtens.
a) Die ungenügende Ausschöpfung der Beweismittel in der Hauptverhandlung kann im allgemeinen nicht mit der Aufklärungsrüge beanstandet werden (BGHSt 4, 125, 126; 17, 351, 352). Es kann nicht gerügt werden, daß das Gericht versäumt habe, an einen Zeugen eine bestimmte Frage zu richten. Ohne eine unzulässige, weil die Schranken des Revisionsverfahrens überschreitende, Teilrekonstruktion der Hauptverhandlung kann das Revisionsgericht nicht beurteilen, ob eine zusätzliche Frage zur besseren Sachaufklärung angezeigt war. Es ist zudem nicht einsichtig, weshalb sich dem Landgericht die Notwendigkeit aufgedrängt haben soll, den Zeugen eine bestimmte Frage zu stellen, obwohl der Verteidiger es nicht für erforderlich hielt, in Ausübung seines Fragerechts von sich aus den Zeugen jene Frage vorzulegen (Gollwitzer aaO § 244 Rdn. 351; Julius in HK-StPO 2. Aufl. § 244 Rdn. 76).
b) Hinsichtlich der Einholung eines Sachverständigengutachtens dazu, ob der Angeklagte zum Tatzeitpunkt eine schwarze Perücke trug, ist nicht erkennbar, daß die Kammer aufgrund ihrer Sachaufklärungspflicht sich zu einer solchen Beweiserhebung gedrängt sehen mußte. Der Revisionsführer legt nicht dar, inwieweit ein Sachverständiger etwa anhand der kurz nach der Festnahme beim Angeklagten entnommenen Haare sichere Angaben dazu hätte machen können, ob der Angeklagte zur Tatzeit eine Perücke getragen hat. Unberührt von einem solchen Gutachten bliebe auch die Möglichkeit, daß der Angeklagte lediglich aus der übergezogenen Kapuze herausragende angeklebte Haarteile benutzte oder schwarz gefärbte lange Haarsträhnen unmittelbar nach dem Überfall abgeschnitten hat. Diese Alternativen sind nicht unwahrscheinlich, da der Angeklagte beim Überfall eine Kapuze „über den Kopf gezogen hatte, so daß von seinem Gesicht nur noch ein Oval zu sehen war, das Augen, Nase und Mund offenließ” und der Angeklagte sich bei einer seiner früheren Taten vor dem Banküberfall einen Bart hat wachsen lassen, den er unmittelbar danach abrasierte.
Unterschriften
Schäfer, Maul, Brüning, Schomburg, Schluckebier
Fundstellen
Haufe-Index 539964 |
NStZ 2000, 156 |