Entscheidungsstichwort (Thema)
Umsatzsteuerbefreiung eines Gesangssolisten
Leitsatz (amtlich)
Auch ein Gesangssolist stellt eine „kulturelle Einrichtung” im Sinne von § 4 Nr. 20 lit. a UStG dar (im Anschluß an EuGH, Urteil vom 3. April 2003, C-144/00 Matthias Hoffmann).
Normenkette
EWGRL 388/77 Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. n, Abs. 2; UStG § 4 Nr. 20 Buchst. a
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 22. Dezember 1998 nach § 349 Abs. 4 StPO aufgehoben, soweit der Angeklagte wegen Umsatzsteuerhinterziehung in 19 Fällen verurteilt worden ist: in diesem Umfang wird der Angeklagte freigesprochen; insoweit hat die Staatskasse die Kosten des Verfahrens einschließlich der Kosten, die durch die Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften entstanden sind, sowie die dem Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Tatbestand
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in 58 Fällen sowie wegen versuchter Steuerhinterziehung und wegen Betrugs zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und acht Monaten verurteilt und ihn im übrigen freigesprochen.
A. Verfahrensgang
I.1. Auf die Revision des Angeklagten hat der Senat mit Beschluß vom 5. April 2000 – 5 StR 226/99 – (abgedruckt in wistra 2000, 219) das angefochtene Urteil teilweise aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen; im übrigen wurde die Revision verworfen. Der Angeklagte wurde insoweit vom Landgericht Mannheim durch Urteil vom 25. Januar 2001 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten verurteilt (rechtskräftig durch Urteil des Senats vom 7. November 2001 – 5 StR 269/01).
2. Wegen der hier gegenständlichen Vorwürfe der Umsatzsteuerhinterziehung in 19 Fällen wurde das Verfahren bereits in dem Beschluß vom 5. April 2000 zur gesonderten Entscheidung abgetrennt, da insoweit ein Vorabentscheidungsverfahren beim Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften gemäß Art. 234 Abs. 3 EG durchzuführen war (Vorlagebeschluß vom 5. April 2000 – 5 StR 169/00, abgedruckt in wistra 2000, 267 mit Anm. Keller).
Gegenstand dieses Verfahrens ist die Frage, ob der Angeklagte dadurch Umsatzsteuern verkürzt hat, daß er entgegen seinen Verpflichtungen gemäß § 18 Abs. 8 Nr. 1 UStG, §§ 51 ff. UStDV (a. F.) als Leistungsempfänger für steuerpflichtige Umsätze, die im Ausland ansässige Unternehmer ihm gegenüber erbracht haben, keinen Steuerabzug vorgenommen hat (Fälle III D 4 Nr. 3 bis 6 und 8 bis 22 der Urteilsgründe Landgericht Mannheim vom 22. Dezember 1998).
Der Schuldspruch beruht insoweit im einzelnen auf folgenden Feststellungen:
a) Der Angeklagte betrieb seit 1971 ein Konzertbüro für Popmusik- und später auch für Klassikkonzerte. Anfang der neunziger Jahre wurde er zu einem der bedeutendsten Konzertveranstalter Deutschlands. Seine Geschäfte wickelte er über vier Unternehmen ab, deren alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer er im Tatzeitraum war. In den Jahren 1992 bis 1997 trat der Angeklagte im wesentlichen als Veranstalter klassischer Konzerte auf. Bei diesen wurden vor allem Lieder und Opernarien dargeboten, bei denen jeweils der Einzelvortrag der auftretenden Sänger im Vordergrund stand. In den Jahren 1996/1997 organisierte er die Welttournee der drei Tenöre Luciano Pavarotti, Placido Domingo und José Carreras. Für sämtliche Veranstaltungen hatten die zuständigen Kulturbehörden dem Angeklagten Bescheinigungen darüber ausgestellt, daß die „Veranstaltungsumsätze” solchen nach § 4 Nr. 20 lit. a UStG „gleichwertig” seien.
Der Angeklagte zog allerdings in erheblichem Umfang von den in den Jahren 1993 bis 1997 an ausländische Künstler gezahlten Gagen keine Einkommensteuern und Umsatzsteuern ab, meldete diese bei den Finanzbehörden nicht an und führte sie auch nicht ab. Ihm war hierbei bekannt, daß er als Geschäftsführer der als Konzertveranstalter auftretenden vier Unternehmen gemäß § 18 Abs. 8 Nr. 1 UStG, §§ 51 ff. UStDV grundsätzlich zum Abzug, zur Anmeldung und zur Abführung der anfallenden Umsatzsteuern verpflichtet war.
b) Hinsichtlich der auf die Konzertveranstaltungen entfallenden Umsatzsteuern stellte sich der Angeklagte auf den Standpunkt, daß er keine Umsatzsteuern für solche Konzerte einbehalten und abführen müßte, die von den Landesbehörden als „gleichartige Einrichtungen” mit „gleichen kulturellen Aufgaben” im Sinne von § 4 Nr. 20 lit. a UStG anerkannt worden seien und damit wie andere begünstigte Einrichtungen, die von Gesetzes wegen von der Umsatzsteuer befreit seien, hätten behandelt werden müssen.
c) Das Landgericht hielt demgegenüber eine solche Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 20 lit. a UStG nicht für gegeben, weil es sich bei den Solisten nicht um Einrichtungen im Sinne dieser Vorschrift gehandelt habe.
Bei den Auftritten hätte die jeweilige Einzelpersönlichkeit der Künstler im Vordergrund gestanden und nicht eine Gesamtdarbietung der Künstler; auch sei das musikalische Arrangement auf den Vortrag des einzelnen Künstlers zugeschnitten gewesen. Schließlich seien die Verträge mit den Künstlern als Einzelpersonen abgeschlossen worden, so daß die vertraglich geschuldete Leistung nicht die eines Duos oder Trios gewesen sei. Selbst bei Zugrundelegung der weit gefaßten Umsatzsteuerrichtlinie Nr. 107 Abs. 1 könnten Einrichtungen im Sinne von § 4 Nr. 20 lit. a UStG nur Musik- und Gesangsgruppen sein, die aus zwei oder mehr Mitwirkenden bestehen. Nur sie könnten die gleichen kulturellen Aufgaben erfüllen wie die in § 4 Nr. 20 lit. a UStG genannten Einrichtungen wie z. B. Orchester, Kammermusikensembles oder Chöre.
Einen Verstoß der vorgenannten Auslegung von § 4 Nr. 20 lit. a UStG gegen Art. 13 Teil A Absatz 1 lit. n der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (im folgenden: Sechste Richtlinie) sah das Landgericht nicht. Art. 13 Teil A Absatz 2 stelle es in das Ermessen der Mitgliedstaaten, die Steuerbefreiung kultureller Dienstleistungen von weiteren Bedingungen abhängig zu machen. Solche Bedingungen seien zum Beispiel, daß keine systematische Gewinnerzielung erstrebt werden dürfe oder die Leitung und Verwaltung im wesentlichen ehrenhalber erfolgen müsse. Dies zeige, daß die Sechste Richtlinie in erster Linie wirtschaftlich schwache und in besonderem Maße dem Gemeinwohl verpflichtete Einrichtungen als förderungswürdig ansehe. Im übrigen sei es eine Frage des nationalen Rechts, wenn die Mitgliedsstaaten die nach der Sechsten Richtlinie zulässigen Ausnahmen von der Regelbesteuerung nicht voll ausschöpften. Außerdem sei diese Steuerbefreiung nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften ohnehin nicht auf natürliche Personen anwendbar.
II. Mit Beschluß vom 5. April 2000 hat der Senat dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften folgende Fragen zur Vorabentscheidung nach Art. 234 Abs. 3 EG vorgelegt:
1. Ist Art. 13 Teil A Absatz 1 lit. n der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. EG 1977 Nr. L 145, 1) dahin auszulegen, daß der dort verwendete Begriff der „anderen … anerkannten Einrichtung” auch einen Solisten erfaßt, der kulturelle Dienstleistungen erbringt?
2. Falls Frage 1 bejaht wird:
Ergeben sich Einschränkungen aus der in Art. 13 Teil A gewählten Überschrift „… dem Gemeinwohl dienender Tätigkeiten”, etwa wenn die Solisteneinsätze vorrangig Vermarktungszwecken dienen?
III. Mit Urteil vom 3. April 2003 (C-144/00, … H …, DStR 2003, 638) hat der Gerichtshof (Sechste Kammer) auf diese Fragen wie folgt entschieden:
1. Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe n der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerliche Bemessungsgrundlage ist dahin auszulegen, daß der Begriff der „anderen … anerkannten Einrichtungen” als Einzelkünstler auftretende Solisten nicht ausschließt.
2. Aus der Überschrift des Artikels 13 Teil A dieser Richtlinie als solcher ergeben sich keine Einschränkungen der Möglichkeiten der Steuerbefreiung nach dieser Bestimmung.
Entscheidungsgründe
B. Auf der Grundlage dieser Entscheidung des Gerichtshofs ist der Angeklagte vom Vorwurf der Umsatzsteuerverkürzung in den hier noch verfahrensgegenständlichen 19 Fällen (Fälle III D 4 Nr. 3 bis 6 und Nr. 8 bis 22 der Urteilsgründe) freizusprechen.
Zwar läßt es das Gemeinschaftsrecht in Art. 13 Teil A Abs. 2 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über die Umsatzsteuer – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1) zu, die Inanspruchnahme der Steuerbefreiungen für kulturelle Leistungen nach Art. 13 Teil A Abs. 1 lit. n der Sechsten Richtlinie von bestimmten, im einzelnen aufgeführten Bedingungen abhängig zu machen. Zu diesen möglichen Bedingungen zählt u.a., daß eine systematische Gewinnerzielung nicht angestrebt wird (vgl. dazu EuGH DStR 2003, 638, 640 f., Rdn. 28/29 und 39). Indessen hat der nationale Gesetzgeber von diesen gemeinschaftsrechtlichen Möglichkeiten zur Einschränkung der Steuerbefreiungen keinen Gebrauch gemacht. § 4 Nr. 20 lit. a UStG sieht vielmehr vor, daß Umsätze aus bestimmten, im einzelnen aufgeführten kulturellen Darbietungen ebenso steuerfrei sind wie die Umsätze gleichartiger Einrichtungen anderer Unternehmer, wenn die zuständige Landesbehörde bescheinigt, daß sie die gleichen kulturellen Aufgaben wie die vom Gesetz bezeichneten Einrichtungen erfüllen. Eine solche Bescheinigung war dem Angeklagten für jede der hier zu beurteilenden Konzertveranstaltungen von den zuständigen Kulturbehörden erteilt worden. Da eine unterschiedliche umsatzsteuerliche Behandlung von Gesangssolisten und kulturellen Gruppen durch Auslegung des Begriffs der „Einrichtung” nach der Vorabentscheidung des Gerichtshofs vom 3. April 2003 nicht zu rechtfertigen ist, waren die im Rahmen der Konzertveranstaltungen erbrachten Leistungen der ausführenden Gesangssolisten gegenüber dem Veranstalter ebenso steuerfrei wie die gesamte konzertante Veranstaltung, so daß der Angeklagte nicht verpflichtet war, die erbrachten Leistungen der Umsatzsteuer zu unterwerfen. Demnach ist der Angeklagte insoweit aus Rechtsgründen mit der Kostenfolge aus § 467 Abs. 1 StPO (vgl. zu den Kosten des Vorabentscheidungsverfahrens EuGH aaO S. 641, Rdn. 41) freizusprechen.
Unterschriften
Harms, Basdorf, Gerhardt, Brause, Schaal
Fundstellen
BFH/NV Beilage 2004, 187 |
HFR 2003, 1212 |
UR 2003, 545 |
NJW 2003, 2842 |
NStZ 2004, 43 |
Nachschlagewerk BGH |
ZAP 2003, 1173 |
wistra 2003, 391 |
BFH/NV-Beilage 2004, 187 |