Entscheidungsstichwort (Thema)
Insolvenzstraftat. Antrag auf Restschuldbefreiung. Versagung
Leitsatz (amtlich)
Die Versagung der Restschuldbefreiung wegen einer Insolvenzstraftat setzt nicht voraus, daß die Straftat in einem Zusammenhang mit dem Insolvenzverfahren steht, in dem die Restschuldbefreiung beantragt wird. Verurteilungen des Schuldners sind jedenfalls innerhalb der fünfjährigen Tilgungsfrist des § 46 Abs. 1 Nr. 1 BZRG zu berücksichtigen.
Normenkette
InsO § 290 Abs. 1 Nr. 1; BZRG § 45 ff.
Verfahrensgang
LG Regensburg (Beschluss vom 27.03.2002) |
AG Regensburg |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluß der 2. Zivilkammer des Landgerichts Regensburg vom 27. März 2002 wird auf Kosten des Schuldners zurückgewiesen.
Beschwerdewert: 4.000 EUR.
Tatbestand
I.
1. Auf Antrag des Schuldners wurde über sein Vermögen ein Verbraucherinsolvenzverfahren durchgeführt, in dem er die Restschuldbefreiung begehrt. Im Schlußtermin beantragte die Beteiligte zu 1) als Insolvenzgläubigerin, dem Schuldner die Restschuldbefreiung zu versagen; sie stützte sich hierzu auf die rechtskräftige Verurteilung des Schuldners vom 19. September 2001 zu einer Gesamtgeldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 60 DM wegen Verletzung der Buchführungspflicht in drei Fällen (§ 283b Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 3b sowie Abs. 3 StGB). Das Amtsgericht hat die Restschuldbefreiung versagt und das Landgericht dies entgegen der sofortigen Beschwerde des Schuldners bestätigt. Hiergegen richtet sich dessen Rechtsbeschwerde.
2. Das Landgericht hat – auch unter Verweisung auf die Begründung des Amtsgerichts – ausgeführt: Der Versagungsantrag sei zulässig, der Versagungsgrund des § 290 Abs. 1 Nr. 1 InsO durch Vorlage des Strafurteils glaubhaft gemacht. Die Verurteilung sei noch nicht gemäß § 51 BZRG tilgungsreif. § 290 Abs. 1 Nr. 1 InsO setze nicht einen sachlichen Zusammenhang zwischen der Verurteilung und dem gegenständlichen Insolvenzverfahren voraus. Nur der redliche Schuldner solle Restschuldbefreiung erlangen. Eine Verurteilung wegen einer Insolvenzstraftat schließe stets die Annahme aus, daß es sich um einen redlichen Schuldner handele.
3. Demgegenüber rügt die Rechtsbeschwerde: Der dem Schuldner zur Last gelegte Sachverhalt habe sich in der Zeit vom Dezember 1995 bis August 1997 ereignet, als unklar gewesen sei, welcher Steuerberater die Bilanz hätte erstellen sollen. Die Anklage habe sich im wesentlichen auf den Vorwurf der Untreue bezogen. Insoweit sei der Schuldner freigesprochen und nur wegen eines Nebenpunktes – Verstoß gegen Buchführungsvorschriften – verurteilt worden.
Eine Auslegung des § 290 Abs. 1 Nr. 1 InsO dahin, daß auch die geringste Verurteilung, die zudem keinen Bezug auf das konkrete Insolvenzverfahren habe, die Restschuldbefreiung ausschließe, verletze das Übermaßverbot. Dies gelte insbesondere dann, wenn der Versagungsantrag von einem Gläubiger stamme, der selbst nicht durch die Straftat des Schuldners geschädigt sei. Die Gläubiger- und Schuldnerinteressen würden hinreichend gewahrt, wenn es dem Schuldner obliege, konkret darzulegen, daß die frühere Straftat mit dem Insolvenzverfahren nichts zu tun habe und die von ihm vorgetragenen Tatsachen auch nicht seine Unredlichkeit indizierten.
Entscheidungsgründe
II.
Das gemäß § 7 InsO, § 574 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2, §§ 575, 576 ZPO zulässige Rechtsmittel ist nicht begründet.
1. Gemäß § 290 Abs. 1 Nr. 1 InsO ist die Restschuldbefreiung auf Antrag zu versagen, wenn der Schuldner wegen einer Straftat nach den §§ 283 bis 283c StGB rechtskräftig verurteilt worden ist. Ob diese Verurteilung in einem Zusammenhang mit dem Insolvenzverfahren stehen muß, in welchem die Restschuldbefreiung beantragt wird, ist streitig. Die weitaus überwiegende Auffassung in der Rechtsprechung (OLG Celle ZInsO 2001, 414, 416 m. zust. Anm. von Hergenröder DZWIR 2001, 342, 343 f; BayObLG NZI 2002, 110; a.M. AG Göttingen ZVI 2002, 290, 291 f) und Teile der Literatur (Kübler/Prütting/ Wenzel, InsO § 290 Rn. 8a; Nerlich/Römermann, InsO § 290 Rn. 33; Uhlenbruck/Vallender, InsO 12. Aufl. § 290 Rn. 16; a.M. Frankfurter Kommentar zur InsO/Ahrens, 3. Aufl. § 290 Rn. 13; Heidelberger Kommentar zur InsO/Landfermann, 2. Aufl. § 290 Rn. 4; Hess, InsO 2. Aufl. § 290 Rn. 15) verneinen ein solches Erfordernis. Dem stimmt der erkennende Senat zu.
2. Für die Richtigkeit dieser Ansicht spricht zunächst der Wortlaut des § 290 Abs. 1 Nr. 1 InsO, der keinerlei Einschränkung im Hinblick auf einen möglichen Zusammenhang der früheren Verurteilung mit dem jetzigen Insolvenzverfahren nennt. Insoweit unterscheidet sich die Vorschrift von Nummer 4 desselben Absatzes; danach ist die Versagung der Restschuldbefreiung wegen Vermögensverschwendung des Schuldners nur zulässig, wenn dieser dadurch „die Befriedigung der Insolvenzgläubiger… beeinträchtigt hat”. Auch § 296 Abs. 1 InsO gestattet die Versagung der Restschuldbefreiung wegen Obliegenheitsverletzung nur, „wenn der Schuldner… dadurch die Befriedigung der Insolvenzgläubiger beeinträchtigt”. In dieser Hinsicht deutet dagegen § 290 Abs. 1 Nr. 1 InsO keinerlei Einschränkung an.
3. Systematischer Zusammenhang und Entstehungsgeschichte der Vorschrift bestätigen diese Auslegung. Nach § 1 Satz 2 InsO erhält nur der „redliche Schuldner” Gelegenheit, sich von seinen restlichen Verbindlichkeiten zu befreien. § 290 Abs. 1 Nr. 1 InsO geht auf § 239 Abs. 1 Nr. 1 des Regierungsentwurfs für eine Insolvenzordnung zurück. Danach sollte schon die „Anhängigkeit” eines Strafverfahrens gemäß §§ 283 bis 283c StGB – also nicht erst die rechtskräftige Verurteilung – einen Versagungsantrag stützen. Die Gesetz gewordene Fassung des § 290 Abs. 1 Nr. 1 InsO beruht auf einem Änderungsvorschlag des Bundesrates, der nicht allein den Verdacht, sondern erst die rechtskräftige Verurteilung des Schuldners für eine Versagung der Restschuldbefreiung ausreichend erlassen wollte (Nr. 31 der Stellungnahme des Bundesrates zum Entwurf einer Insolvenzordnung, BT-Drucks. 12/2443 S. 256). Irgendeine Einschränkung in der Hinsicht, daß die Verurteilung mit dem fraglichen Insolvenzverfahren in einem inneren Zusammenhang stehen müsse, ergeben die Gesetzesmaterialien hingegen nicht. Im Gegenteil führt die amtliche Begründung zu § 239 Abs. 1 Nr. 1 des Entwurfes aus:
„Der Gesetzgeber… hat mit den Tatbeständen der §§ 283 bis 283c StGB bestimmte Verhaltensweisen erfaßt, durch welche die Befriedigung der Gläubiger erheblich beeinträchtigt oder gefährdet wird. Ein Schuldner, der solche Handlungen zum eigenen Vorteil und zum Nachteil der Gläubiger vornimmt, kann nach den Grundgedanken der neuen Regelung keine Schuldbefreiung beanspruchen …” (BT-Drucks. 12/2443 S. 190).
Eine über den Normzweck der §§ 283 bis 283c StGB hinausgehende Einschränkung kann dem Hinweis auf einen „Nachteil der Gläubiger” nicht entnommen werden. Sie ergibt sich zudem nicht aus den allgemeinen Erläuterungen zur Restschuldbefreiung (5. Teil, 3. Abschnitt des Entwurfs, BT-Drucks. 12/2443 S. 188). Dort wird allgemein ausgeführt: „…wird die Restschuldbefreiung grundsätzlich nur gewährt, wenn der Schuldner vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens keine gläubigerschädigenden Handlungen begangen hat…”. Nur für die Mitwirkung innerhalb des Insolvenzverfahrens und die anschließende „Wohlverhaltensperiode” wird ein Zusammenhang zu dem einzelnen Insolvenzverfahren hergestellt.
Demgegenüber ist die Auslegung der früheren § 175 Nr. 2 und 3 KO, § 17 Nr. 3 und § 79 Nr. 2 VerglO bedeutungslos. Jene Vorschriften – welche nur auf die §§ 283 und 283a, nicht auch auf die §§ 283b und 283c StGB abstellten – regelten die Voraussetzungen dafür, daß der Schuldner überhaupt die Möglichkeit erhielt, durch Mehrheitsentscheidung der Gläubiger einen Schuldnachlaß zu erlangen. Darum geht es im vorliegenden Zusammenhang nicht: Das Zustandekommen eines Insolvenzplans setzt sogar für eine vollständige Restschuldbefreiung aufgrund der Gläubigerautonomie keinerlei persönliche Würdigkeit des Schuldners voraus. Statt dessen ist eine Restschuldbefreiung nach den §§ 286 ff InsO sogar gegen den Willen sämtlicher Gläubiger möglich. Ein solcher Zwangseingriff in Gläubigerrechte setzt höhere Anforderungen voraus.
4. Endlich entspricht die Auslegung des Senats dem Zweck des § 290 InsO, nur dem „redlichen” Schuldner den Rechtsvorteil der Restschuldbefreiung zukommen zu lassen.
a) Die §§ 283 bis 283c StGB, auf die § 290 Abs. 1 Nr. 1 InsO verweist, dienen nicht nur dem Schutz der einzelnen, jeweils betroffenen Gläubiger, sondern auch der Funktionsfähigkeit der Kreditwirtschaft insgesamt (Leipziger Kommentar/Tiedemann, StGB 11. Aufl. vor § 283 Rn. 56 f; Schönke/Schröder/Stree/Heine, StGB 26. Aufl. Vorbem. §§ 283 ff Rn. 2; vgl. BVerfGE 48, 48, 61 f; Maul DB 1979, 1757, 1758 f). Insbesondere beruht § 283b StGB auf der Erfahrung, daß die Erfüllung der Buchführungs- und Bilanzierungsvorschriften eine Grundvoraussetzung jeder ordnungsmäßigen Wirtschaftsführung ist und ihre Verletzung die Gefahr von Fehlentschließungen mit schweren wirtschaftlichen Auswirkungen in sich birgt (amtliche Begründung der Bundesregierung zum Entwurf des 1. Gesetzes zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität, BT-Drucks. 7/3441, S. 38 zu § 283b StGB; vgl. BGH, Urt. v. 10. Februar 1981 – 1 StR 625/80, bei Holtz MDR 1981, 452, 454). Während § 283 Abs. 1 Nr. 5 bis 7 StGB die vorsätzliche Verletzung jener Pflichten im konkreten Zusammenhang mit einer wirtschaftlichen Krise verschärft ahnden, stellt § 283b StGB ein abstraktes Gefährdungsdelikt dar (Leipziger Kommentar/Tiedemann, aaO § 283b Rn. 1; Schönke/Schröder/Stree/Heine, aaO § 283b Rn. 1), für welches die Insolvenz lediglich eine objektive Bedingung der Strafbarkeit ist (§ 283b Abs. 3 i.V.m. § 283 Abs. 6 StGB). Der Umstand, daß § 290 Abs. 1 Nr. 1 InsO uneingeschränkt auch auf diese Norm verweist, deren Tatbestand allein auf die Verletzung der Buchführungspflicht abstellt, läßt erkennen, daß ein Bezug dieser Pflichtverletzung gerade zu der konkret eingetretenen Insolvenz nicht Voraussetzung sein muß. Die Gefährdung der Kreditwirtschaft durch vorsätzliche Verletzung seiner Buchführungspflicht läßt den Schuldner als unredlich erscheinen, falls es zur Insolvenz kommt. Inwieweit die Pflichtverletzung hierzu beigetragen hat, ist unerheblich.
Diese Wertung entspricht im übrigen derjenigen, die § 6 Abs. 2 Satz 3 GmbHG und § 76 Abs. 3 Satz 3 AktG zugrunde liegt. Nach diesen Bestimmungen kann derjenige, der wegen einer Straftat nach den §§ 283 bis 283d StGB verurteilt worden ist, auf die Dauer von fünf Jahren seit der Rechtskraft des Urteils nicht Geschäftsführer einer GmbH oder Mitglied des Vorstands einer Aktiengesellschaft sein. Auf einen konkreten Bezug der Straftat zu dieser Tätigkeit stellt das Verbot nicht ab. Der Verurteilte gilt vielmehr allgemein befristet als ungeeignet.
Tragbar ist diese Regelung für den Insolvenzschuldner, der eine Restschuldbefreiung anstrebt, durch die zeitliche Begrenzung. Diese beträgt in Anlehnung an § 46 Abs. 1 Nr. 1 BZRG mindestens fünf Jahre. Wie die Frist im einzelnen zu berechnen ist (vgl. dazu OLG Celle ZInsO 2001, 414, 416 f; LG Düsseldorf NZI 2002, 674, Uhlenbruck/Vallender aaO Rn. 25; andererseits AG Duisburg ZInsO 2001, 1020, 1021), kann hier offen bleiben. Nicht einmal die Fünfjahresfrist ist im vorliegenden Fall abgelaufen. Einen früheren Anspruch auf Restschuldbefreiung gegen den Widerstand seiner Gläubiger hat der Schuldner nicht.
b) Darüber hinaus hat der Gesetzgeber die Voraussetzungen für die Gewährung von Restschuldbefreiung allgemein bewußt streng ausgestaltet, damit „sich die zusätzliche Belastung der Insolvenzgerichte durch Entscheidungen zur Restschuldbefreiung in Grenzen halten wird” (amtl. Begründung der Bundesregierung zum 3. Abschnitt des 5. Teils des Entwurfs einer Insolvenzordnung, BT-Drucks. 12/2443 S. 188). Mit diesem Entlastungsanliegen wäre es unvereinbar, über die ausdrücklich angeordneten Fallgestaltungen hinaus einen Ursachenzusammenhang zwischen der tatbestandsmäßigen Unredlichkeit des Schuldners und einer Gläubigergefährdung in jedem Einzelfall aufklären zu lassen.
Der vorliegende Fall verdeutlicht derartige Erschwernisse. Aus den gewechselten Schriftsätzen – auf die der angefochtene Beschluß i.V.m. der Entscheidung des Amtsgerichts verweist – und den eigenen Angaben des Schuldners ergibt sich, daß dieser zunächst persönlich die Bäckerei S. in R. führte, bis es 1996 zu einem ersten Konkurs kam. Unmittelbar davor hatte der Schuldner die Bäckerei als Geschäftsführer der H. GmbH übernommen; im Zusammenhang mit dieser Tätigkeit wurde er später bestraft. Ein Konkursverfahren über das Vermögen der GmbH wurde 1998 mangels Masse abgelehnt. Anfang 1996 wurde die G. GmbH gegründet, deren Geschäftsanteile der damals siebenjährige Sohn des Schuldners erhielt. Der Schuldner zahlte das Stammkapital von 50.000 DM für diese GmbH ein. An dem nunmehr beendeten Verbraucherinsolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners waren 46 Gläubiger mit festgestellten Forderungen von zusammen mehr als 2,2 Mio. DM beteiligt, auf die keine Quote entfällt. Der Treuhänder hat in seiner Stellungnahme vom 9. Januar 2002 fünf angemeldete Forderungen bezeichnet, die im Zusammenhang mit der Tätigkeit des Schuldners bei der H. GmbH stehen sollen. Darauf ist der Schuldner nicht näher eingegangen. Mit entsprechenden Beweisschwierigkeiten soll das Restschuldbefreiungsverfahren sogar dann nicht belastet werden, wenn es – entgegen § 290 Abs. 2 InsO – dem Schuldner obläge, einen Ursachenzusammenhang auszuräumen.
Unterschriften
Kreft, Kirchhof, Fischer, Raebel, Bergmann
Fundstellen
Haufe-Index 891970 |
DB 2003, 718 |
NJW 2003, 974 |
Inf 2003, 168 |
BGHR 2003, 354 |
EBE/BGH 2003, 45 |
KTS 2003, 297 |
Nachschlagewerk BGH |
WM 2003, 309 |
WuB 2003, 465 |
ZAP 2003, 223 |
DZWir 2003, 164 |
InVo 2003, 180 |
MDR 2003, 412 |
NZI 2003, 163 |
Rpfleger 2003, 206 |
VuR 2003, 104 |
ZInsO 2003, 125 |
ZVI 2003, 34 |
LMK 2003, 54 |