Entscheidungsstichwort (Thema)
Strafzumessung bei fehlerhafter Selbstanzeige
Leitsatz (redaktionell)
1 Nach Art. 97 § 24 EGAO ist für die im Zeitraum vor dem 28. April 2011 eingereichten Selbstanzeigen § 371 AO in der bis zu diesem Zeitpunkt geltenden Fassung mit der Maßgabe weiter anzuwenden, dass im Umfang der gegenüber der zuständigen Finanzbehörde berichtigten, ergänzten oder nachgeholten Angaben Straffreiheit eintritt. Mit dieser Regelung gewährt der Gesetzgeber denjenigen Vertrauensschutz, die noch vor dem Urteil des Senats vom 20. Mai 2010 – 1 StR 577/09 eine Selbstanzeige eingereicht und damit darauf vertraut hatten, dass eine Teilselbstanzeige für ausreichend befunden wurde, um eine Strafbefreiung zu erlangen. Dementsprechend sind auf Teilselbstanzeigen die Maßstäbe aus dem Urteil des Senats vom 20. Mai 2010, 1 StR 577/09, wonach eine wirksame Selbstanzeige nur dann gegeben ist, wenn der Steuerpflichtige vollständig in die Steuerehrlichkeit zurückkehrt, nicht anzuwenden.
2. Auch unter Geltung der o.g. Fassung des § 371 Abs. 1 AO liegt allerdings eine Selbstanzeige nur dann vor, wenn unrichtige oder unvollständige Angaben bei der Finanzbehörde berichtigt oder ergänzt oder unterlassene Angaben nachgeholt werden. In der Einreichung einer (wahrheitsgemäßen) Umsatzsteuerjahreserklärung kann demzufolge im Verhältnis zu den zuvor unterlassenen oder unzutreffenden monatlichen Umsatzsteuervoranmeldungen eine Selbstanzeige zu sehen sein. Der Umfang der Selbstanzeige bestimmt sich anhand der nachgeholten Angaben. Insofern vermindert sich der Schuldumfang der Tat. Jedoch wirkt eine Selbstanzeige dann nicht strafbefreiend, wenn die Erklärung selbst wieder neue, erhebliche Unrichtigkeiten enthält.
3. Auch verspätet abgegebene Umsatzsteuervoranmeldungen und Umsatzsteuerjahreserklärungen die eine Steuerverkürzung zum Teil aufdecken, sind im Rahmen der Strafzumessung zu berücksichtigen. Denn auch „verunglückte” Selbstanzeigen sind strafmildernd zu berücksichtigen.
4. Eine straferschwerend berücksichtigte Erwägung der Strafkammer, bei Taten der Steuerhinterziehung mit Steuerschäden in einem sehr hohen Bereich müsse deutlich gemacht werden, dass Steuerdelikte keine „Kavaliersdelikte” seien und der Allgemeinheit verdeutlicht werden müsse, dass die Pflicht, Steuern zu zahlen, zur Erfüllung staatlicher Aufgaben und damit zum Wohle aller unerlässlich sei, deutet darauf hin, dass sich die Strafkammer bei der Bemessung der Höhe der verhängten Strafe auch von generalpräventiven Erwägungen hat leiten lassen. Der Schutz der Allgemeinheit durch Abschreckung nicht nur des Angeklagten, sondern auch anderer möglicher künftiger Rechtsbrecher rechtfertigt eine schwerere Strafe als sie sonst angemessen wäre nur dann, wenn eine gemeinschaftsgefährliche Zunahme solcher oder ähnlicher Straftaten, wie sie zur Aburteilung stehen, festgestellt worden ist.
Normenkette
StGB § 46; AO § 370
Verfahrensgang
LG Düsseldorf (Urteil vom 13.02.2018) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 13. Februar 2018 im Gesamtstrafenausspruch aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in 20 Fällen, davon in drei Fällen wegen Versuchs, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Aufgrund rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung hat es zwei Monate dieser Gesamtfreiheitsstrafe für vollstreckt erklärt. Zudem hat das Landgericht die Einziehung eines Geldbetrages in Höhe von 102.805,24 Euro angeordnet.
Rz. 2
Hiergegen richtet sich die auf die Verletzung materiellen und formellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Sein Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist es aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 17. Juli 2018 unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
Rz. 3
1. In sachlich-rechtlicher Hinsicht ist das Urteil – mit Ausnahme des Gesamtstrafenausspruchs – ohne Rechtsfehler. Der Erörterung bedarf nur Folgendes:
Rz. 4
a) Bei den vom Angeklagten im Oktober und Dezember 2010 nach Ablauf der jeweiligen Erklärungsfristen eingereichten Umsatzsteuerjahreserklärungen und Umsatzsteuervoranmeldungen (Taten 3., 4., 7. – 15. der Urteilsgründe) handelt es sich nicht um strafbefreiende (Teil-) Selbstanzeigen im Sinne des § 371 AO in der Fassung vom 1. Oktober 2002 i.V.m. Art. 97 § 24 EGAO.
Rz. 5
aa) Im Hinblick auf die vorgenannten Taten ist nach Art. 97 § 24 EGAO für die im Zeitraum vor dem 28. April 2011 eingereichten Selbstanzeigen § 371 AO in der bis zu diesem Zeitpunkt geltenden Fassung mit der Maßgabe weiter anzuwenden, dass im Umfang der gegenüber der zuständigen Finanzbehörde berichtigten, ergänzten oder nachgeholten Angaben Straffreiheit eintritt. Mit dieser Regelung gewährt der Gesetzgeber denjenigen Vertrauensschutz, die noch vor dem Urteil des Senats vom 20. Mai 2010 – 1 StR 577/09 (BGHSt 55, 180) eine Selbstanzeige eingereicht und damit darauf vertraut hatten, dass eine Teilselbstanzeige für ausreichend befunden wurde, um eine Strafbefreiung zu erlangen (BGH, aaO Rn. 11). Dementsprechend sind auf Teilselbstanzeigen die Maßstäbe aus dem Urteil des Senats vom 20. Mai 2010, 1 StR 577/09, wonach eine wirksame Selbstanzeige nur dann gegeben ist, wenn der Steuerpflichtige vollständig in die Steuerehrlichkeit zurückkehrt, nicht anzuwenden (BGH, aaO Rn. 11). Dies hat zudem zur Folge, dass das zur Tatzeit geltende Recht nach dem Meistbegünstigungsgrundsatz das mildere und damit anzuwendende Recht ist (§ 2 Abs. 3 StGB; vgl. BGH, Beschluss vom 25. Juli 2011 – 1 StR 631/10, BGHSt 56, 298 Rn. 52).
Rz. 6
bb) Auch unter Geltung dieser Fassung des § 371 Abs. 1 AO liegt allerdings eine Selbstanzeige nur dann vor, wenn in den Fällen des § 370 AO unrichtige oder unvollständige Angaben bei der Finanzbehörde berichtigt oder ergänzt oder unterlassene Angaben nachgeholt werden. In der Einreichung einer (wahrheitsgemäßen) Umsatzsteuerjahreserklärung kann demzufolge im Verhältnis zu den zuvor unterlassenen oder unzutreffenden monatlichen Umsatzsteuervoranmeldungen eine Selbstanzeige zu sehen sein (BGH, Beschluss vom 13. Oktober 1998 – 5 StR 392/98, wistra 1999, 27 Rn. 11). Der Umfang der Selbstanzeige bestimmt sich anhand der nachgeholten Angaben. Insofern vermindert sich der Schuldumfang der Tat (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Oktober 1998 – 5 StR 392/98, wistra 1999, 27 Rn. 13). Jedoch wirkt eine Selbstanzeige dann nicht strafbefreiend, wenn die Erklärung selbst wieder neue, erhebliche Unrichtigkeiten enthält (BGH, Beschluss vom 25. Juli 2011 – 1 StR 631/10, BGHSt 56, 298 Rn. 53; Urteile vom 14. Dezember 1976 – 1 StR 196/76, BB 1978, 698 und vom 13. Oktober 1992 – 5 StR 253/92, wistra 1993, 66).
Rz. 7
cc) Dies war hier der Fall.
Rz. 8
Der Angeklagte erklärte zwar in den verspätet eingereichten Steuererklärungen die von ihm zuvor nicht angemeldeten Ausgangumsätze teilweise nach, verrechnete aber die sich daraus ergebende Umsatzsteuer auf diese Ausgangsumsätze zum größten Teil mit bisher unbekannten, in der Sache nicht gerechtfertigten Vorsteuervergütungsansprüchen aus Scheinrechnungen. So erklärte der Angeklagte etwa Umsatzsteuer für das Kalenderjahr 2008 in Höhe von 227.602 Euro bis zum gesetzlichen Abgabetermin am 31. Mai 2009 zunächst nicht. Sodann reichte er am 8. Oktober 2010 eine falsche Umsatzsteuerjahreserklärung 2008 ein, in der er zwar Umsatzsteuer in Höhe von 218.225 Euro erklärte, diese allerdings mit einem nicht bestehenden Vorsteuervergütungsanspruch aus Scheinrechnungen in Höhe von 178.302 Euro verrechnete. Noch deutlicher wird dies hinsichtlich des Voranmeldungszeitraums Februar 2010, für den der Angeklagte zunächst keine Voranmeldung einreichte und damit Umsatzsteuer in Höhe von 43.053,53 Euro verkürzte. In der im Dezember 2010 verspätet eingegangen Voranmeldung für Februar 2010 erklärte er sodann zwar Umsatzsteuer in Höhe von 28.728 Euro, verrechnete diese aber mit unberechtigten Vorsteueransprüchen in Höhe von 31.801 Euro. Der hierdurch geltend gemachte Erstattungsanspruch in Höhe von 3.073 Euro bestand nicht, da es sich um Vorsteuer aus Scheinrechnungen handelte. Derartig falsche Erklärungen wirken auch nicht „insoweit” strafbefreiend, als der Angeklagte die Umsatzsteuerbeträge nacherklärt hat, weil die jeweiligen Erklärungen selbst wieder neue, erhebliche Unrichtigkeiten enthalten.
Rz. 9
b) Die verhängten Einzelstrafen halten rechtlicher Nachprüfung stand.
Rz. 10
Zwar hat das Landgericht rechtsfehlerhaft nicht berücksichtigt, dass die verspätet abgegebenen Umsatzsteuervoranmeldungen und Umsatzsteuerjahreserklärungen die Steuerverkürzung zum Teil aufgedeckt haben, was im Rahmen der Strafzumessung zu berücksichtigen gewesen wäre. Denn auch „verunglückte” Selbstanzeigen sind strafmildernd zu berücksichtigen (Jäger in Klein, Abgabenordnung, 14. Aufl., § 371 AO Rn. 11, § 370 Rn. 331). Allerdings kann der Senat hinsichtlich der Taten 3., 4., 7. – 15. der Urteilsgründe ausschließen, dass die Einzelstrafen ohne diesen Rechtsfehler niedrigerer ausgefallen wären. Teilweise hätte sich der Schuldumfang der vom Angeklagten begangenen Steuerverkürzungen auf Grund der nachträglich abgegebenen Anmeldungen mit erheblichen Unrichtigkeiten in zwei Fällen (Tat 8. und 15.) sogar erhöht, weil anstatt einer Zahllast von 43.053 Euro (Tat 8.) und 81.527 Euro (Tat 15.) ein Erstattungsanspruch geltend gemacht wurde.
Rz. 11
2. Der Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe ist rechtsfehlerhaft und hat deshalb keinen Bestand.
Rz. 12
Die im Rahmen der Zumessung dieser Strafe straferschwerend berücksichtigte Erwägung des Landgerichts, gerade bei Taten der Steuerhinterziehung mit Steuerschäden in einem sehr hohen Bereich müsse deutlich gemacht werden, dass Steuerdelikte keine „Kavaliersdelikte” seien und es deshalb, um Nachahmungseffekte zu verhindern, der Allgemeinheit verdeutlicht werden müsse, dass die Pflicht, Steuern zu zahlen, zur Erfüllung staatlicher Aufgaben und damit zum Wohle aller unerlässlich sei (UA S. 128), lässt besorgen, dass sich die Strafkammer bei der Bemessung der Höhe der verhängten Strafe in einer rechtsfehlerhaften Weise von generalpräventiven Erwägungen hat leiten lassen. Der Schutz der Allgemeinheit durch Abschreckung nicht nur des Angeklagten, sondern auch anderer möglicher künftiger Rechtsbrecher rechtfertigt eine schwerere Strafe als sie sonst angemessen wäre nur dann, wenn eine gemeinschaftsgefährliche Zunahme solcher oder ähnlicher Straftaten, wie sie zur Aburteilung stehen, festgestellt worden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 7. März 2018 – 1 StR 663/17, wistra 2018, 484 Rn. 2 mwN). Das hat die Strafkammer nicht belegt.
Rz. 13
Da nicht auszuschließen ist, dass sich dieser Rechtsfehler auf die Bemessung der Höhe der verhängten Gesamtfreiheitstrafe ausgewirkt hat, hebt der Senat den Gesamtstrafenausspruch auf. Der Aufhebung von Feststellungen bedarf es demgegenüber nicht, da es sich lediglich um einen Wertungsfehler handelt. Ergänzende Feststellungen sind möglich.
Unterschriften
Raum, Jäger, Bär, Hohoff, Pernice
Fundstellen
wistra 2019, 341 |
NStZ-RR 2019, 81 |
PStR 2019, 104 |
AO-StB 2019, 104 |
NZWiSt 2019, 142 |
StV 2019, 733 |