Entscheidungsstichwort (Thema)
Verbraucher- oder Regelinsolvenzverfahren für geschäftsführenden Alleingesellschafter einer GmbH
Leitsatz (amtlich)
1. Der geschäftsführende Alleingesellschafter einer GmbH übt eine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit aus.
2. Forderungen auf Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen und Lohnsteuer, die gegen den Schuldner als ehemaligen geschäftsführenden Alleingesellschafter einerGmbH nach Grundsätzen der Durchgriffshaftung geltend gemacht werden, sind Forderungen aus Arbeitsverhältnissen im Sinne des § 304 InsO.
Normenkette
InsO § 304
Verfahrensgang
LG Mainz (Beschluss vom 27.01.2004; Aktenzeichen 8 T 336/03) |
AG Worms (Beschluss vom 10.09.2003) |
Tenor
Auf die Rechtsmittel des Antragstellers werden der Beschluss der 8. Zivilkammer des LG Mainz v. 27.1.2004 und der Beschluss des AG Worms v. 10.9.2003 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Insolvenzgericht zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 300 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Der früher als geschäftsführender Alleingesellschafter der insolventen "L. GmbH" (im Folgenden: GmbH) tätige Beschwerdeführer beantragte die Einleitung eines Regelinsolvenzverfahrens, Restschuldbefreiung und Stundung der Verfahrenskosten. Er trug vor, seine sämtlichen Verbindlichkeiten - Inanspruchnahme aus Bürgschaften, Durchgriffshaftung für rückständige Sozialversicherungsbeiträge sowie rückständige Umsatz- und Lohnsteuer - gründeten in der genannten Tätigkeit. Es handele sich teilweise um Forderungen aus Arbeitsverhältnissen. Deshalb sei kein Verbraucherinsolvenzverfahren durchzuführen.
Das AG hat den Antrag auf Eröffnung des Regelinsolvenzverfahrens und den Antrag auf Stundung der Verfahrenskosten verworfen. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde hatte keinen Erfolg. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt der Antragsteller sein Begehren in vollem Umfang weiter.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist gem. § 574 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 und 2 ZPO, §§ 7, 34 Abs. 1 InsO zulässig. Sie führt zur Aufhebung und Zurückverweisung.
Die Vorinstanzen haben dem Antragsteller die beantragte Eröffnung des Regelinsolvenzverfahrens und die Stundung der Verfahrenskosten mit der Begründung versagt, gem. § 304 InsO sei ein Verbraucherinsolvenzverfahren, nicht das beantragte Regelinsolvenzverfahren durchzuführen. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Nach § 304 Abs. 1 InsO ist das Verbraucherinsolvenzverfahren durchzuführen, wenn der Schuldner eine natürliche Person ist, die keine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit ausübt oder ausgeübt hat (Satz 1). Hat der Schuldner eine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit ausgeübt, gilt dies, wenn seine Vermögensverhältnisse überschaubar sind und gegen ihn keine Forderungen aus Arbeitsverhältnissen bestehen (Satz 2).
1. Entgegen der Auffassung der Vordergerichte hat der Antragsteller als geschäftsführender Alleingesellschafter der GmbH eine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit ausgeübt.
a) Eine solche Tätigkeit liegt grundsätzlich vor, wenn sie im eigenen Namen, in eigener Verantwortung, für eigene Rechnung und auf eigenes Risiko ausgeübt wird, also bei gewerblicher Tätigkeit, aber auch bei Ausübung freier Berufe, die kraft Gesetzes oder kraft Überlieferung nicht dem gewerblichen Bereich zugeordnet sind (Ott in MünchKomm/InsO, § 304 Rz. 46 f.; FK-InsO/Kohte, InsO, 3. Aufl., § 304 Rz. 6; Kübler/Prütting/Wenzel, InsO, § 304 Rz. 10; Fuchs, ZInsO 1999, 185). Nicht selbständig beruflich tätig sind abhängig Beschäftigte und solche Personen, die nicht erwerbswirtschaftlich tätig sind.
Persönlich haftende Gesellschafter von Personenhandelsgesellschaften werden dagegen mit der Aufnahme des Geschäftsbetriebes Kaufleute (BGHZ 45, 282 [284]) und sind damit selbständig beruflich tätig, weil sie die eigentlichen Unternehmensträger sind (Ott in MünchKomm/InsO, § 304 Rz. 50; Uhlenbruck/Vallender, InsO, 12. Aufl., § 304 Rz. 12; HK-InsO/Landfermann, 3. Aufl., § 304 Rz. 5; Fuchs, NZI 2002, 239 [240]).
b) Gesellschafter von Kapitalgesellschaften und Geschäftsführer einer GmbH üben als solche grundsätzlich keine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit aus (BGH v. 23.3.1988 - VIII ZR 175/87, BGHZ 104, 95 [98] = MDR 1988, 856; Ott in MünchKomm/InsO, § 304 Rz. 49; Uhlenbruck/Vallender, InsO, 12. Aufl., § 304 Rz. 8, 13; FK-InsO/Kohte, InsO, 3. Aufl., § 304 Rz. 18). Nach einer Auffassung fallen sie deshalb immer unter das Verbraucherinsolvenzverfahren (Fuchs, NZI 2002, 239 [240]).
Nach anderer Auffassung trifft dies aber dann nicht zu, wenn der Gesellschafter an der Gesellschaft mehrheitlich beteiligt ist (Häsemeyer, Insolvenzrecht, 3. Aufl., Rz. 29.14; Uhlenbruck/Vallender, InsO, 12. Aufl., § 304 Rz. 13; Hess in Hess/Weis/Wienberg, InsO, 2. Aufl., § 304 Rz. 28), jedenfalls aber dann, wenn er gleichzeitig als Geschäftsführer der Gesellschaft tätig war (HK-InsO/Landfermann, 3. Aufl., § 304 Rz. 5; Kübler/Prütting/Wenzel, InsO, § 304 Rz. 25; LG Köln v. 30.6.2004 - 19 T 115/04, GmbHR 2004, 1588 = ZIP 2004, 2249).
Der zuletzt genannten Auffassung ist im Ergebnis jedenfalls für den hier vorliegenden Fall zu folgen, dass der Alleingesellschafter einer GmbH zugleich deren Geschäftsführer war.
aa) Durch § 304 InsO in der bis 30.11.2001 geltenden Fassung hatte der Gesetzgeber Kleingewerbetreibende den Verbrauchern gleichgesetzt. In der insolvenzrechtlichen Praxis hatte sich aber gezeigt, dass die Abgrenzung dieser Kleingewerbetreibenden von anderen Unternehmern erhebliche Schwierigkeiten bereitete und sich insb. die Annahme als verfehlt erwies, bei einer geringfügigen selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeit würden wie bei einem Verbraucher regelmäßig überschaubare Vermögensverhältnisse vorliegen (BT-Drucks. 14/5680, 13).
Ziel der Neufassung des § 304 InsO war es daher, aktive Kleinunternehmer und ehemalige Kleinunternehmer aus dem Anwendungsbereich des Verbraucherinsolvenzverfahrens grundsätzlich auszuschließen. Eine Ausnahme sollte lediglich gemacht werden für die Kleinunternehmer, deren Verschuldungsstruktur der von Verbrauchern im Wesentlichen entspricht. Das Ziel der Neufassung des hier anwendbaren § 304 InsO bestand darin, nur noch diejenigen Kleinunternehmer in das Verbraucherinsolvenzverfahren einzubeziehen, bei denen dessen Vorteile genutzt werden können. Das Gericht sollte künftig zügig ein Regelinsolvenzverfahren eröffnen können, wenn ihm keine Tatsachen bekannt sind, aus denen sich ergibt, dass der Schuldner trotz seiner früheren unternehmerischen Tätigkeit ausnahmsweise dem Verbraucherinsolvenzverfahren zuzuordnen ist (BT-Drucks. 14/5680, 14 [30]).
bb) Maßgebend für die Frage, ob die Insolvenz eines geschäftsführenden Alleingesellschafters einer GmbH im Verbraucherinsolvenzverfahren oder im Regelinsolvenzverfahren abzuwickeln ist, ist danach, ob seine Verschuldungsstruktur derjenigen eines Verbrauchers entspricht. Kann die zu beurteilende Tätigkeit zu einer Verschuldungsstruktur führen, die der eines Verbrauchers nicht entspricht, muss sie i.S.d. § 304 InsO dem Begriff der selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeit unterfallen.
Die Tätigkeit eines geschäftsführenden Alleingesellschafters einer GmbH ist in diesem Sinne als selbständige wirtschaftliche Tätigkeit anzusehen. Er wird zwar nicht unmittelbar im eigenen Namen, in eigener Verantwortung, für eigene Rechnung und auf eigenes Risiko tätig. Angesichts seiner Teilhabe am Erfolg oder Misserfolg der Gesellschaft ist er aber wirtschaftlich betrachtet wie bei einer Tätigkeit im eigenen Namen betroffen. Dies zeigt sich typischerweise auch im Falle des Misserfolges. Der geschäftsführende Alleingesellschafter kann - wie im vorliegenden Fall - unter bestimmten Voraussetzungen aus Durchgriffshaftung in Anspruch genommen werden. Darüber hinaus muss der geschäftsführende Alleingesellschafter i.d.R. bei Kredit- und Lieferverträgen der Schuld der Gesellschaft beitreten oder eine Bürgschaft übernehmen. Der Gesellschafter haftet damit in großem Umfang für Forderungen, welche typischerweise bei einem selbständigen Unternehmer, nicht aber bei einem Verbraucher bestehen. Das trifft insb. gegenüber öffentlichen Gläubigern für rückständige Lohn- und Umsatzsteuer und für rückständige Sozialversicherungsbeiträge zu. Um festzustellen, für welche Schulden der Gesellschaft der geschäftsführende Alleingesellschafter einzustehen hat, ist die Schuldensituation der Gesellschaft selbst maßgebend, die nur anhand der Unterlagen der Gesellschaft, insb. ihrer Buchhaltung, feststellbar ist.
Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts kann der geschäftsführende Gesellschafter einer GmbH nicht schon deshalb wie ein Verbraucher behandelt werden, weil er nicht unmittelbar persönlich und in vollem Umfang für die Verbindlichkeit der GmbH haftet. Diese Frage betrifft lediglich die Ursache und den Umfang seiner Verschuldung, nicht deren Struktur. Soweit er für Gesellschaftsschulden einstehen muss, ist jedoch seine Haftung mit der eines Verbrauchers typischerweise nicht vergleichbar.
2. Maßgebend ist danach, ob im konkreten Fall die Vermögensverhältnisse überschaubar sind und keine Forderungen aus Arbeitsverhältnissen bestehen, § 304 Abs. 1 S. 2 InsO.
a) Ein Verbraucherinsolvenzverfahren würde schon dann ausscheiden, wenn der Schuldner mehr als 19 Gläubiger hätte, § 304 Abs. 2 InsO. Dies ist indessen - entgegen der vom Schuldner im Verfahren der sofortigen Beschwerde vertretenen Auffassung - nicht der Fall. Der Antragsteller hat zwar im Gläubiger- und Forderungsverzeichnis 20 Positionen aufgeführt. Maßgebend ist aber nicht die Zahl der Forderungen, sondern die der Gläubiger (HK-InsO/Landfermann, 3. Aufl., § 304 Rz. 7). Vom Antragsteller werden nur 19 Gläubiger benannt.
b) Es bestehen aber Forderungen aus Arbeitsverhältnissen, die ein Verbraucherinsolvenzverfahren ausschließen. Der Beschwerdeführer hat vorgetragen, er werde u.a. im Wege der Durchgriffshaftung von Krankenversicherungen auf rückständige Sozialversicherungsbeiträge und vom Finanzamt auf rückständige Lohnsteuer in Anspruch genommen. Hierbei handelt es sich bei der gebotenen weiten Auslegung um Forderungen aus Arbeitsverhältnissen i.S.d. § 304 Abs. 1 S. 2 InsO.
Der Begriff der "Forderung aus Arbeitsverhältnissen" wird unterschiedlich verstanden. Nach einer Auffassung stellen Forderungen der Sozialversicherungsträger und des Finanzamtes, die durch ein Arbeitsverhältnis veranlasst sind, keine Forderungen aus einem Arbeitsverhältnis im Sinne dieser Vorschrift dar (HK-InsO/Landfermann, 3. Aufl., § 304 Rz. 10; FK-InsO/Kohte, InsO, 3. Aufl., § 304 Rz. 43; LG Düsseldorf ZInsO 2002, 637; LG Köln NZI 2002, 505; LG Dresden ZVI 2004, 19).
Nach anderer Auffassung ist der Begriff weit auszulegen, so dass nicht nur zivilrechtliche Forderungen der Arbeitnehmer, sondern auch Forderungen auf Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen und Steuern erfasst werden (Ott in MünchKomm/InsO, § 304 Rz. 66; Hess/Weis/Wienberg, InsO-Änderungsgesetz 2001, § 304 Rz. 7; Kübler/Prütting/Wenzel, InsO, § 304 Rz. 16; Uhlenbruck/Vallender, InsO, 12. Aufl., § 304 Rz. 23; BMF, Schr. v. 11.1.2002, ZVI 2002, 138; Graf-Schlicker, WM 2000, 1984 [1986]; Pape, ZVI 2002, 225 [229]; Fuchs, NZI 2002, 239 [241]; Schmerbach, ZVI 2002, 38 [40]; AG Dresden ZVI 2005, 50; LG Halle DZWiR 2003, 86).
Der zuletzt genannten Ansicht ist zu folgen. Sie entspricht dem eindeutigen Willen des Gesetzgebers und dem Zweck der Regelung.
Die Anwendbarkeit des Verbraucherinsolvenzverfahrens sollte nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Neuregelung des § 304 InsO voraussetzen, dass bestehende Arbeitsverhältnisse vollständig abgewickelt sind und aus ihnen keine Verbindlichkeiten des Schuldners mehr bestehen (BT-Drucks. 14/5680, 30, linke Sp.). Dabei sollte der Terminus "Verbindlichkeiten aus Arbeitsverhältnissen" weit verstanden werden, so dass nicht nur Forderungen der Arbeitnehmer selbst, sondern auch solche von Sozialversicherungsträgern und Finanzämtern hierunter fallen (BT-Drucks. 14/5680, 14, linke Sp.), beispielsweise auch gem. § 187 SGB III auf die Bundesanstalt für Arbeit übergegangene Ansprüche (BT-Drucks. 14/5680, 30, linke Sp.). Der Bundesrat hatte sich dieser Sicht angeschlossen, aber gebeten, zur Vermeidung von Auslegungsproblemen den Gesetzestext ausdrücklich entsprechend zu ergänzen (Nr. 6 der Stellungnahme des Bundesrates, BT-Drucks. 14/5680, 38). Dieser Anregung hatte sich die Bundesregierung angeschlossen (BT-Drucks. 14/5680, 41 zu Nr. 6). Dass die vom Bundesrat überarbeitete Formulierung nicht Gesetz geworden ist, beruht allein darauf, dass der Rechtsausschuss des Bundestages in seiner Beschlussempfehlung eine entsprechende Klarstellung nicht für erforderlich hielt, da sie sich bereits aus der Begründung des Regierungsentwurfs ergebe (BT-Drucks. 14/6468, 18 Nr. 7). Der Rechtsausschuss führte zwar weiter aus, in dem erweiterten Berichterstattergespräch hätte sich zumindest auch ein Sachverständiger gegen die Ergänzung ausgesprochen. Offen bleibt hier aber, aus welchen Gründen dies geschehen ist.
Alle am Verfahren beteiligten Gesetzgebungsorgane wollten somit den Terminus "Verbindlichkeiten aus Arbeitsverhältnissen" weit verstanden wissen. Dies rechtfertigt es, den Rechtsbegriff in einem umfassenden Sinne auszulegen und auch öffentlich-rechtliche Forderungen einzubeziehen, die aus Arbeitsverhältnissen herrühren.
Unerheblich ist, ob es sich um Primäransprüche des Finanzamtes oder der gesetzlichen Krankenkasse gegen den Arbeitgeber handelt oder um einen Durchgriffsanspruch gegen den geschäftsführenden Alleingesellschafter. Maßgeblicher Grund dafür, solche Fälle aus dem Verbraucherinsolvenzverfahren herauszunehmen war der Umstand, dass sie sich wesentlich von Fällen des typischen Verbrauchers unterscheiden (BT-Drucks. 14/5680, 14). Dies ist bei Durchgriffshaftungsfällen nicht anders.
Fundstellen
BB 2005, 2598 |
DB 2005, 2624 |
DStR 2005, 1996 |
DStZ 2006, 55 |
HFR 2006, 310 |
NJW 2006, 917 |
Inf 2006, 169 |
NWB 2006, 474 |
BGHR 2006, 60 |
EBE/BGH 2005, 373 |
GmbH-StB 2005, 366 |
EWiR 2006, 123 |
NZG 2005, 1005 |
StuB 2006, 124 |
WM 2005, 2191 |
WuB 2006, 97 |
ZIP 2005, 2070 |
DZWir 2006, 81 |
MDR 2006, 291 |
NZI 2005, 676 |
Rpfleger 2006, 33 |
VuR 2006, 18 |
ZInsO 2005, 1163 |
GmbHR 2005, 1610 |
InsbürO 2006, 36 |
KSI 2006, 37 |
ZVI 2005, 598 |
ZVI 2006, 16 |
SJ 2006, 37 |